Welche Reformen braucht das Strafrecht? Die Petersberger Tage der Arbeitsgemeinschaft Strafrecht im DAV 2017

von Rechtsanwalt FAStrR Marc N. Wandt

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Reichlich Kritik an aus der Hüfte geschossenen „Reformen“ des Strafrechts, vor allem als Reaktion auf tagesaktuelle Themen, war dieses Jahr Gegenstand der Petersberger Tage vom 31.3.-1.4.2017 in Frankfurt. „Die Reformen sind nichts als wilde Flickschusterei!“, so der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft, Dr. Dirk Lammer, in seiner Eröffnungsansprache. Die letzte große und sinnvolle Strafrechtsreform habe es in den 50er-Jahren des vorigen Jahrhunderts gegeben. Seitdem habe es zwar immer wieder Reformbestrebungen gegeben, diese seien aber nicht oder nur halbgar umgesetzt worden. Viel Stoff für leidenschaftliche Diskussionen also.

Strafrecht als Ultima Ratio

RiBVerfG a.D. Prof. Herbert Landau, ging in seinem Vortrag auf den Charakter des Strafrechts als Ultima Ratio ein. Insbesondere die teilweise Abkehr vom ehedem entwickelten Ultima Ratio-Gedanken (u.a. BVerfGE 39, 1 [44 ff.]), hin zu einer eher auf die Bestimmtheit strafrechtlicher Normen i.S.d. Art. 103 Abs. 2 GG bzw. der Verhältnismäßigkeit und des in Art. 1 Abs. 1 GG verankerten Schuldgrundsatzes gerichtete Rechtsprechung des BVerfG (so etwa BVerfGE 73, 206 [208 ff.] – Sitzblockaden-Entscheidung). Der Ultima Ratio-Grundsatz würde zwar immer wieder gerne durch das BVerfG angeführt, es fehle ihm aber an verfassungsrechtlicher Wirkkraft. Dies werde auch im rechtspolitischen Bereich deutlich, wo bei tagesaktuellen Anlässen nahezu reflexartig nach der scharfen Waffe des Strafrechts zur Vorgaukelung von Entschlossenheit gerufen werde. Prof. Landau endete mit der Hoffnung, dass zukünftig durch kreative dogmatische Ansätze wie bspw. von Jahn und Brodowski (JZ 2016, 969 ff.), welche eine Lösung über Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG vorschlagen oder Helwig (DRiZ 2017, 92 [93]) der einen ähnlichen Ansatz über Art. 2 Abs. 1 GG verfolgt, der Ultima Ratio-Grundsatz aus seinem „Dornröschenschlaf“ erwachen möge.

Erziehungsgedanke in der Krise

Ein grundsätzlich positives Zeugnis stellte sodann Prof. Dr. Theresia Höynck, ord. Prof. im Fachbereich Recht der Kindheit und der Jugend an der Universität Kassel, dem System des Jugendstrafrechts und des JGG aus. Trotz teils antiquierter Begrifflichkeiten (Zuchtmittel, schädliche Neigungen) stelle es ein Erfolgsmodell dar. Mit Sorge betrachtete Prof. Höyinck die Tendenz der Rechtsprechung, gerade bei offenkundig erforderlichem umfassenden Erziehungsbedarfs strafbar gewordener Heranwachsender, vom Erziehungsgedanken abzukehren, sobald ein gewisses Schuldausmaß i.S.d. Schwere der Schuld erreicht werde (BGH, NStZ 2013, 658) oder gänzlich auf diesen zu verzichten, wenn nur der Verurteilte zum Urteilszeitpunkt das 21. Lebensjahr vollendet habe (vgl. BGH, NStZ 2016, 101). Diese Tendenzen beobachte sie kritisch, zumal ein Widerspruch zu § 2 Abs. 2 JGG auf der Hand liege.

Als positiven Ansatz führte Prof. Höyinck zu neuen europarechtlichen Bestrebungen aus, die die Rechte von Jugendlichen und Heranwachsenden im Strafverfahren stärken. So in etwa Art. 7, 6 Abs. 2, 6 Abs. 6 der Richtlinie 2016/800/EU, die eine anwaltliche Vertretung und somit professionelle Interessenwahrnehmung bereits drohender Inhaftierung, mithin vor Verhängung der Untersuchungshaft und, weitergehend, auch bei drohender Jugendstrafe, unabhängig von deren Vollstreckbarkeit, vorsehen.

Insgesamt habe sich der Erziehungsgedanke als sinnvoller Rahmen zur Weiterentwicklung des Jugendstrafrechts, auch unter weiterem Einfluss des Europarechts, bewehrt. Die Eigenständigkeit des Jugendstrafrechts dürfe keinesfalls durch die Rechtsprechung ausgehöhlt werden.

Ein Unternehmensstrafrecht wird es hoffentlich nie geben!

Mit diesen provokanten Worten leitete RA u. FAStrR Dr. Klaus Leipold (München) seinen Vortrag zur Frage „Braucht Deutschland ein Unternehmensstrafrecht?“ ein und brachte damit den Kern seines Vortrags auf den Punkt. Ein Unternehmensstrafrecht sei schlicht nicht erforderlich. Es gebe einen erheblichen Unterschied zwischen tatsächlicher Erforderlichkeit und Erforderlichkeitsphantasien mancher Bevölkerungsschichten. Auch er nahm Bezug auf den Ultima Ratio-Grundsatz und erteilte den Argumenten pro Unternehmensstrafrecht eine Absage. Er habe erhebliche Bedenken, ob die Zurechnung des Handelns von Menschen in einem Unternehmen gegen das Unternehmen mit Art. 1 Abs. 1 GG vereinbar sei. Es gebe weder zwingende europarechtliche Gründe, noch überhaupt Rechtfertigungsgründe, die im eigentlichen Sinn eine Reform erforderlich machten. Allein symbolische Erwägungen genügten nicht. Die Lissabon-Entscheidung des BVerfG (BVerfGE 123, 267-437) sei auf Unternehmen gar nicht anwendbar. Es gebe bereits jetzt mit §§ 30, 130 OWiG sowie der Gewinnabschöpfung nach §§ 17 Abs. 4 OWiG, 73a Abs. 1, 73 Abs. 3 StGB taugliche Mittel zur Ahndung strafbarer Vorgänge in Unternehmen, die mit der aktuell am 1.7.2017 in Kraft tretenden Reform nochmals eine Verschärfung erfahren. Ein Unternehmensstrafrecht sei insoweit aus Sicht von Dr. Leipold mangels eines echten Mehrwerts nicht geboten.

In der folgenden Diskussion wies RAin Gina Greve (Frankfurt) zutreffend darauf hin, dass die Problematik der Personalunion von Täter und Opfer, nämlich das Unternehmen, bislang noch nicht geklärt sei. Ergänzend führte Prof. Dr. Thomas Rönnau (Bucerius Law School) aus, dass grundsätzlich auch ein prozessualer Ausbau des Ordnungswidrigkeitenrechts erforderlich wäre, um überhaupt ausreichende richterliche Kompetenz für entsprechende Bußgeldverfahren sicherzustellen.

Audiovisuelle Technik im Strafprozess ein Fremdkörper

„Mehr Dokumentation im Strafverfahren“. Zu dieser immer wieder, vor allem von Seiten der Anwaltschaft in den Ring geworfenen Forderung, führte sodann Prof. Dr. Werner Leitner, RAuFAStrR (München) aus. Die Technik habe sich in den letzten 20 Jahren exponentiell entwickelt, leider sei sie immer noch nicht, oder nur sehr bedingt, im Strafprozess angekommen. Der deutsche Strafprozess habe, nach der Einführung des Wortprotokolls am Landgericht 1964 mit § 273 Abs. 2 StPO a.F. und dessen Revidierung im Jahre 1974 durch Wiederherstellung der ursprünglichen Fassung weiterhin mittelalterliche Züge und verweigere sich, ohne wirklich durchgreifende Argumente, der Anpassung an aktuelle technische und tatsächliche Gegebenheiten.  Insbesondere dem Argument des BGH, man müsse „dann ja stundenlang Videos schauen“ widersprach Leitner unter richtigem Hinweis darauf, dass der derzeitige Prüfungsaufwand im Rahmen der Revision weit höher sei. Der Versuch der Schaffung einer Dokumentation in Form des Regierungsentwurfs zu § 136 Abs. 4 StPO, der eine Videodokumentation der Vernehmung eines Beschuldigten bei Tötungsdelikten vorsieht, könne nur ein Anfang sein. Die Beschränkung auf das Ermittlungsverfahren und dort wiederum zwingend nur auf Tötungsdelikte, sei schlicht nur ein Gehversuch. Den großen Wurf habe man damit nicht vollzogen.

§ 217 StGB, ein Beispiel für eine verfehlte Reform

Äußerst kritisch setzte sich Prof. Dr. Dr. Eric Hilgendorf, ord. Prof. für Straf- und Strafprozessrecht an der Universität Würzburg, mit der Neuregelung zur gewerbsmäßigen Förderung der Selbsttötung auseinander.

Diese „verfehlte Bestimmung“ sei so weit gefasst, dass sie grundsätzlich auch die Arbeit von Hospizen und Palliativmedizinern einschränke. Das Ausreichen der Absicht auf die Förderung des Suizides durch die Überlassung von Räumlichkeiten oder Mitteln (vgl. BT-Drs. 18/5373, S. 19) bewirkt bereits eine Strafbarkeit des Mediziners der, naturgemäß gewerblich, seinem Patienten die Möglichkeit des Sterbefastens einräumt und ihn wohlmöglich durch Basisversorgung noch unterstützt (vgl. Hilgendorf, PflR 2016, 556 [567]). Mit deutlichen Worten forderte er Rechtsprechung und Rechtswissenschaft dazu auf, die zahlreichen Schwachstellen des neuen § 217 StGB durch einschränkende Auslegung zu korrigieren. Die Norm habe zu erheblicher Verunsicherung der befassten Ärzte und Pflegekräfte geführt. Eine verfassungskonforme Einschränkung käme somit allen Seiten zugute. Die Grundlösung des Problems sei jedoch nicht mit dem Strafrecht zu verwirklichen. Vielmehr sei hier besser auf das Zivilrecht zurück zu greifen, wie der im Jahr 2016 verstorbene Peter Hintze, vormals MdB., in seinem Ansatz vorgeschlagen hatte. In der derzeitigen Fassung drohe eine ökonomisch motivierte Übertherapie sterbenskranker Menschen, welche wiederum für sich genommen neue strafrechtliche Herausforderungen eröffne. Ferner sei aus § 217 StGB wohlmöglich eine Rechtspflicht zu einer ungewollten Zwangsbehandlung zumindest vertretbar herauszulesen. Auch dies sei auf verfassungsrechtlicher Sicht mehr als bedenklich.

Vom Fahrverbot zur Vermögensabschöpfung – das Sanktionssystem im Umbruch?

Zwei aktuellen Umsetzungsprojekten der 18. Legislaturperiode widmete sich Prof. Dr. Thomas Rönnau, Professor für StrR, WiStrR und Strafprozessrecht an der Bucerius Law School in Hamburg.

Das Fahrverbot als Nebenstrafe bringe jedenfalls aufgrund mangelnder Bestimmtheit, aufgrund von Kontrolldefiziten und einer möglichen Sekundärkriminalisierung im Hinblick auf vermehrte Straftaten nach § 21 StVG eine mögliche Mehrbelastung der Justiz. Ferner stellte er im Hinblick auf die technische Entwicklung und ein mögliches „vollautomatisiertes Fahren“ in Zukunft, die Bedeutung der entsprechenden Regelung in Frage.

Den Schwerpunkt des Vortrags lag indes auf der Neuregelung der Vermögensabschöpfung gem. §§ 73 ff. StGB-E, u.a. als Reaktion auf die RL 2014/42/EU, welche eigentlich bereits bis Oktober 2016 hätte ihre Umsetzung erfahren sollen. Prof. Dr. Rönnau begrüßte ausdrücklich die nunmehr klarstellende Regelung zur Bestimmung des erlangten Etwas (§§ 73 Abs. 1, 73d StGB-E) sowie die Schließung bisheriger Abschöpfungslücken (§§ 73a, 76a Abs. 4 StGB-E i.V.m. § 437 StPO-E). Zwar hätte die Schutzzwecklösung des § 817 Abs. 2 BGB noch konsequenter eingearbeitet werden können. Gleichwohl, so Rönnau, sei die deutsche Umsetzung, welche über die europarechtlichen Vorgaben weit hinausginge, im Hinblick auf Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG problematisch. Diese größtmögliche und auf alle Straftaten als Anknüpfungstatbestände abstellende Regelung, sei unverhältnismäßige Inhalts- und Schrankenbestimmung.

Über die Neuregelung der selbstständigen und verurteilungsunabhängigen Einziehung des § 76a Abs. 4 StGB-E erwarte er lebhafte Diskussionen, ebenfalls im Hinblick auf Art. 14 Abs. 1 GG, sowie Art. 6 Abs. 1 EMRK. Kritisch betrachtete Prof. Dr. Rönnau daher die Frage der Beweisreduktion. Diskussionsgrundlage sei hier jedenfalls der Blick auf hinreichende Verfahrenssicherungen. Der EGMR entschied in mehreren Entscheidungen, dass grundsätzlich Vereinbarkeit mit den Garantien der EMRK bestünde, solange die Fairness des Abschöpfungsverfahrens noch festgestellt werden könne.

Aus dem Bundesjustizministerium

Einen Einblick in die Arbeit des Ministeriums erfolgte durch Marie-Luise Graf-Schlicker, Ministerialdirektorin im BMJV, Berlin und mit den im Rahmen der Tagung teils heftig kritisierten Reformprojekten betraut. Den interessierten Zuhörern und im Anschluss in der leidenschaftlich geführten Diskussion, bot sich ein faszinierender Einblick in die Hintergründe aktueller Gesetzesvorhaben und deren Umsetzung auf ministerialer Ebene.

„Legalize it!“

Mit einer Generalabrechnung zu Strafrecht und Drogenpolitik durch Prof. em. Dr. Lorenz Bollinger (Bremen) endeten die Petersberger Tage 2017.

Aus verfassungsrechtlicher Sicht sei die Pönalisierung des Konsums bestimmter Drogen, zumindest solange höchstens eine Eigen- und keine Fremdgefährdung anzunehmen sei, illegitim. Die Rechtsgüter „Volksgesundheit“ und „Soziales Zusammenleben“ seien diffus und damit im Hinblick auf den Bestimmtheitsgrundsatz und das Willkürverbot keinesfalls ausreichend. Das BtMG sei zur Bekämpfung von Drogenrisiken weder angemessen noch erforderlich. Folglich verletze es das Verhältnismäßigkeitsprinzip und sei demnach verfassungswidrig. Es sei dringend eine Entkriminalisierung des Drogenumgangs erforderlich.

Erneut vermochten die Petersberger Tage durch die hochkarätigen und teils polarisierenden Redebeiträge zu überzeugen. Die aufgrund des Tagungsthemas naturgemäß sehr politisch geprägte Veranstaltung vermochte jedoch durch die zahlreichen Bogenschläge in die tägliche Verteidigerpraxis zu überzeugen und entsprechende Denkimpulse zu erzeugen. Mit den 10. Petersberger Tagen kehrt die Tagung dann 2019, nach abgeschlossenem Umbau, wieder an die namensgebende Stätte zurück.  

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