„Das genetische Foto“ – Tagungsbericht zum interdisziplinären Symposium in Mainz

von Wiss. Mit. Maren Wegner

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I. Einführung

Am 8. Mai 2017 trafen sich Vertreter*innen des Landtags, der Justiz, der Polizei, der Rechtsanwaltschaft sowie der universitären Fachbereiche Jura und Rechtsmedizin in dem Plenarsaal der Akademie der Wissenschaften und Literatur in Mainz im Rahmen eines interdisziplinären Symposiums zu dem Thema „Das genetische Foto – Was kann, was darf die genetische Forensik?“, das durch das Ministerium der Justiz in Rheinland-Pfalz organsiert wurde.

Einleitende Worte fand Prof. Dr. Claudius Geißler, der als Generalsekretär der Akademie der Wissenschaften und Literatur die Moderation der Veranstaltung übernahm. Er bemerkte eingangs, dass das primäre Ziel der Veranstaltung sei, durch einen im Anschluss an die Vorträge der Referenten stattfindenden sachbezogenen, kritischen Dialog eine Erweiterung des Problembewusstseins herbeizuführen. Vor dem Hintergrund der aktuell geführten kriminalpolitischen Debatte über die Erweiterung der DNA-Analyse sei es wichtig, sich eine vollständige Meinung zu bilden – ähnlich zu einem Mediziner, der einen Therapievorschlag erst aufgrund einer vollständigen Anamnese und Risikoanalyse unterbreite.

Neben den politisch diskutierten Vorteilen stellte er auch kritische Überlegungen an. So gab er zu bedenken, dass die Erweiterung der DNA-Analyse Einfluss auf vorhandene Ressourcen nehmen kann und wies zudem mit Bezug auf das „Phantom von Heilbronn“ auf die nicht völlige Fehlerfreiheit der DNA-Technik hin. Außerdem stelle sich auch die Frage nach der Praktikabilität resp. inwieweit Änderungen dem Ermittlungsverfahren einen tatsächlichen Fortschritt bringen. Nachdem die Zuhörerschaft für das Thema sensibilisiert wurde, übergab er das Wort an den Staatsminister des Ministeriums der Justiz Rheinland-Pfalz, Herbert Mertin.

Herr Mertin hieß die Referenten und Teilnehmer*innen zunächst willkommen und leitete ebenfalls mit eigenen Überlegungen zum Thema des Symposiums über. Er gab zunächst einen gesamtheitlichen Überblick darüber, welches Potential der DNA-Analyse innewohnt. Auch Herr Mertin äußerte sich mit Bedacht und betonte, dass die genetische Forensik lediglich statistische Aussagen über die untersuchten Merkmale ermögliche.

Sodann widmete er sich mit Bezug auf aktuelle Gesetzgebungsvorhaben der Erweiterung der Analyse auf Merkmale, die ebenfalls von Augenzeugen wahrgenommen werden können. Er befürworte letztlich eine pragmatische Lösung, die jedoch rechtsstaatliche Grundsätze berücksichtige. Damit leitete er zu den Referenten des Symposiums über, die als Experten die Perspektive ihrer jeweiligen Fachrichtung einnahmen.

II. Der naturwissenschaftliche Blickwinkel

Prof. Dr. Peter Schneider, Leiter des Fachbereichs Molekulargenetik am Institut der Rechtsmedizin der Universität Köln und Vorsitzender der gemeinsamen Spurenkommission, fokussierte die Thematik aus einem naturwissenschaftlichen Blickwinkel. In seinem eindrucksvollen Vortrag zu den „Wissenschaftliche(n) Möglichkeiten und Grenzen bei der Auswertung von DNA-Spuren“ stellte er zunächst den Ist-Zustand dar – die Wissenschaft sei bei der Decodierung der DNA derzeit in der Lage, einzelne Wörter zu erkennen, aber sie könne noch nicht ganze Sätze lesen.

Dann zeigte er sowohl den kriminalistischen Mehrwert als auch die Grenzen der DNA-Analyse auf. DNA-Profile ermöglichen es, eine Spur einer individuellen Person zuzuordnen und können einen wesentlichen Beitrag zu strafrechtlichen Ermittlungen leisten. Beispielhaft führte er die Eckdaten der DNA-Treffer Statistik des BKA für das Jahr 2016 an. Danach umfasste die DNA-Analyse-Datei einen Bestand von 1.167.087 Datensätzen, welche sich aus 864.630 Personendatensätzen und 302.457 Spurendatensätzen zusammensetzte. Europaweit bestehen laut Prof. Dr. Schneider derzeit 1,6 Millionen ungeklärte Spuren.

Den Bezug zur der kriminalpolitischen Debatte um die Erweiterung des Umfangs der Untersuchungen von DNA-fähigem Material stellte er durch die Schilderung des Falles „Eva Blanco“ her. Im April 1997 wurde die damals 16-Jährige Eva Blanco in der Nähe des Dorfes Algete bei Madrid vergewaltigt und getötet. Der Spurenleger konnte 18 Jahre später aufgrund der vorhersagenden DNA-Analyse des gefundenen Spurenmaterials, das Wahrscheinlichkeitsaussagen über die Haut-, Haar- und Augenfarbe sowie über die biogenetische Herkunft treffen konnte, als Täter identifiziert werden.

Dieses Verbrechen nahm Prof. Dr. Schneider zum Anlass, den Begriff der genetischen Herkunft näher darzustellen. Grundsätzlich bilde dabei der afrikanische Kontinent die genetische Herkunft aller Menschen. Aufgrund der Auswanderung und Fortpflanzung führten Mutations- und Selektionsprozesse zu spontanen Änderungen der DNA-Sequenzen der einzelnen Gruppen, die sich – durch die Völkerwanderungsprozesse bedingt – auf unterschiedliche Weise im Erbgut wiederfinden. Diese subtilen Änderungen der DNA ermöglichen es, regionale Unterscheidungen bei Vorhersagen zu berücksichtigen. Die Aussagekraft sei jedoch dadurch begrenzt, dass lediglich die kontinentale Herkunft des genetischen Materials – namentlich Afrika, Ozeanien, Amerika, Europa und Ostasien – bestimmt werden könne und es zudem Regionen gebe, die sich besser aber auch schlechter vorhersagen lassen. Neben der genetischen Herkunft sei es derzeit möglich, Aussagen bezüglich des Geschlechts, der Haar-, Haut, Augenfarbe, der Haarstruktur, des Vorhandenseins von Sommersprossen und der Form der Ohrläppchen zu treffen. Diese Vorhersagen in Form von Wahrscheinlichkeitsaussagen unterliegen jedoch Unsicherheiten, insoweit es sich um sogenannte Mischtypen handelt. So sei die Vorhersage, ob jemand eine dunkle oder sehr helle Pigmentierung der Haut aufweise, einfacher als bei gemischter Pigmentierung. Ähnlich verhalte es sich mit der Augen- und der Haarfarbe. Darüber hinaus ermögliche die Methylierungsanalyse eine Bestimmung des biologischen Alters und aufgrund der geringen Varianz eine relativ genaue Bestimmung des chronologischen Alters.

Als Fazit merkte er an, dass die Erweiterung der DNA-Analyse aus forensischer Sicht zielführend sei und betonte dabei die Notwendigkeit, die Erweiterung in ihrer Komplexität zu betrachten. Merkmale wie Haut, Augen- und Haarfarbe können demzufolge nicht losgelöst von der biogeographischen Herkunft analysiert werden, da diese in einem untrennbaren Wechselwirkungsprozess stehen. Im Ergebnis befürwortete er die Erweiterung der Analyse auf die sogenannten äußerlichen Merkmale mit Verweis auf die in den Niederlanden angewandte Praxis. Eine Ausweitung auf (höchst-)persönliche Merkmale lehnte er jedoch strikt ab.

III. Die kriminalistische Perspektive

Der nächste Redebeitrag folgte von Kriminalhauptkommissar Dirk Rech, dem stellvertretenden Leiter des Kommissariats 11 – Tötungsdelikte – des Polizeipräsidiums Mainz, der sich der ermittlungstaktischen Perspektive widmete. In seinem Vortag zur „Auswertung von DNA-Spuren – Bedeutung aus der kriminalpolizeilichen Praxis“ vermittelte er den Teilnehmer*innen zunächst die wichtigsten Eckdaten zur kriminalpolizeilichen Tätigkeit des K 11. Danach gab es im Jahr 2016 22 Tötungsdelikte, die mit einer Aufklärungsquote von 97 % bei einer Anzahl von 8 Beamten ermittelt werden konnten. Der Zuständigkeitsbereich erstrecke sich auf eine Fläche von ca. 2 500 qkm bei 803 000 Einwohnern.

Er machte eingangs deutlich, dass der DNA-Analyse aus polizeilicher Sicht elementare Bedeutung zukomme, gleichwohl diese nicht die kriminaltechnische Arbeit sowie die Ermittlungsarbeit der eingesetzten Beamten ersetze. Zudem zeigte er auf, dass sich der Beweiswert einer DNA-Spur mit zunehmend subtileren molekulargenetischen Untersuchungsmethoden verringere. Da mit dem technischen Fortschritt immer weniger Spurenmaterial benötigt werde, um ein Profil der DNA des Spurenlegers erstellen zu können, könne es sich häufiger auch um Zufallsübertragungen etc. handeln. Im Anschluss daran stellte er zwei Fälle vor.

Resümierend stellte er fest, dass die Erweiterung der DNA-Analyse ermittlungsunterstützende Funktion aufweisen kann, da sie insbesondere im Bereich der Kapitalverbrechen neue Ermittlungsansätze mit Blick auf die Fahndung biete. Außerdem diene sie auch dazu, Unbeteiligte als Tatverdächtige auszuschließen. Zuletzt trage sie dazu bei, einem verantwortungsvollen Umgang mit Ressourcen im Hinblick auf den Personaleinsatz, den Verfahrenskosten sowie der Verfahrensbeschleunigung Rechnung zu tragen.

IV. Die rechtliche Betrachtung

Als letzter Experte referierte Prof. Dr. Mark Zöller, der Inhaber des Lehrstuhls für Deutsches, Europäisches und Internationales Strafrecht und Strafprozessrecht an der Universität Trier über die „Rechtliche[n] Möglichkeiten und Grenzen bei der Ausweitung der Regelung der DNA-Analyse in § 81e StPO“. Auch er betonte am Anfang, dass die Ergebnisse der molekulargenetischen Untersuchung Aussagen über statistische Wahrscheinlichkeiten enthalten, die nicht die richterliche Beweiswürdigung und die Überzeugungsbildung über die Täterschaft eines Beschuldigten ersetzen. Gegenüber dem Zeugenbeweis ermögliche sie demgegenüber allerdings zuverlässigere Aussagen, sodass ihr im Strafverfahren eine überragende Indizwirkung zukomme.

Danach gab er den Teilnehmern einen historischen Überblick über DNA-bezogene Rechtsprechung bis 1997 und stellte die Leitsätze der Entscheidungen des LG Berlin NJW 1989, 787; des BGHSt 37, 157 und des BVerfG vom 18.9.1995 –  NJW 1996, 771 vor. Er skizzierte damit, dass die Verwendung der Ergebnisse der DNA-Analyse unter Beachtung der Leitsätze rechtlich zulässig ist. Gleichzeitig zeigte er die rechtliche Grenze auf, die in dem Verbot der Ausforschung von Persönlichkeitsmerkmalen liegt. Die zentrale Leitlinie, die sich nach der Rechtsprechung entwickelt hat, sehe laut Prof. Dr. Zöller den absoluten Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung vor. Der Gesetzgeber habe in den §§ 81e-f StPO spezialgesetzliche Ermächtigungsgrundlagen geschaffen, deren Voraussetzungen er darstellte. Der § 81f StPO enthalte darüber hinaus verfahrensrechtliche Sicherungsinstrumente. De lege lata kann die DNA zur Feststellung der Abstammung oder der Tatsache, ob aufgefundenes Spurenmaterial von dem Beschuldigten oder dem Verletzten stammt, untersucht werden, wobei auch das Geschlecht bestimmt werden darf.

Im Anschluss daran nahm er aktuelle Gesetzgebungsvorhaben in den Blick. Die StPO-Reform, welche der Gesetzentwurf zur Änderung des Strafgesetzbuchs, des Jugendgerichtsgesetzes und der Strafprozessordnung (BT-Drs. 18/11277) forciert, sehe lediglich redaktionelle Änderungen der DNA-Vorschriften vor. Die Gesetzesanträge des Landes Baden-Württemberg (BR-Drs. 117/17) und des Freistaates Bayern (BR-Drs. 231/17), welche über den Bundesrat in den Bundestag eingebracht werden sollen, sehen dagegen auch inhaltliche Veränderungen vor. Das Land Baden-Württemberg strebt danach eine Erweiterung des Umfangs der Untersuchungen von DNA-fähigem Material an. Zukünftig sollen auch Feststellungen über das die Augen-, Haar- und Hautfarbe sowie das biologische Alter einer Person getroffen werden, soweit unbekannt ist, von welcher Person das Spurenmaterial stammt. Der bayerische Entwurf sieht vor, die Regelungen des genetischen Fingerabdrucks den Regelungen des klassischen Fingerabdrucks anzugleichen, indem der Anwendungsbereich der DNA-Analyse für die Zwecke künftiger Strafverfahren erweitert und den materiellen Voraussetzungen sonstiger erkennungsdienstlicher Maßnahmen angepasst wird. Damit würden besondere Verhältnismäßigkeitsvoraussetzungen und der Richtervorbehalt hinsichtlich der Erhebung des DNA-Identifizierungsmusters entfallen. Insbesondere der bayerische Gesetzesantrag stieß auf Kritik, da er grund- und datenschutzrechtliche Standards verkenne.

Die geforderte Erweiterung der DNA-Analyse ist mittlerweile im Rahmen des Gesetzentwurfs zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens beschlossen worden. In Zukunft werden auch Beinahetreffer, die ein Verwandtschaftsverhältnis aufzeigen, als Beweismittel verwendbar sein.

Die Gesetzentwürfe nahm Prof. Dr. Zöller zum Anlass, auf die verfassungs- und menschenrechtlichen Vorgaben und deren dogmatische Verankerung hinzuweisen. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und den unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung sowie der Achtung des Privat- und Familienlebens verbiete es demnach, genetische Persönlichkeitsprofile zu erstellen. Äußere Merkmale, wie sie Prof. Dr. Schneider bereits dargelegt hatte, seien verfassungsrechtlich zulässig. Die Grenze sei jedoch dann erreicht, wenn sich die Analyse auf genetische Anomalien, genetisch bedingte Krankheiten oder Charaktereigenschaften   beziehe.   Zudem   komme   dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eine besondere Bedeutung bei.

Zuletzt präsentierte er Leitlinien zu rechtlichen Beurteilung. Danach sei der Entwurf des Landes Baden-Württemberg und die Prüfung des Landes Rheinland-Pfalz ermittlungstaktisch sinnvoll und verfassungskonform auszugestalten. Außerdem müsse das Gesetz enumerativ und abschließend die Eigenschaften aufzählen, auf die sich die Erweiterung beziehe, da äußerliche Merkmale möglichweise nicht verfassungskonform ausgelegt werden können. Aus Gründen der Erforderlichkeit sei die Erweiterung der Analyse auf die Fälle zu beschränken, bei denen der Abgleich oder die Erstellung nicht zielführend sind, weil bisher kein Tatverdacht gegenüber einer Person besteht. Eine Beschränkung solle auch im Hinblick auf aufgefundenes, sichergestelltes oder beschlagnahmtes Spurenmaterial bestehen. Ausgeschlossen vom Anwendungsbereich sollen darüber hinaus Fälle der Bagatellkriminalität sein. Zudem sei der Richtervorbehalt auf Fälle auszuweiten, in denen der Beschuldigte noch nicht ermittelt ist. Zuletzt sei in jeder Phase des Ermittlungsverfahrens zu beachten, dass sich die Aussagekraft auf statistische Wahrscheinlichkeiten begrenzt.

V. Abschluss

Nach den Redebeiträgen fand eine lebhaft geführte Diskussion mit allen Referenten statt. Inhaltlich wurden dabei verschiedene Facetten angesprochen. Beispielhaft werden an dieser Stelle datenschutzrechtliche Aspekte, die durch den Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit des Landes Rheinland-Pfalz Prof. Dr. Dieter Kugelmann, vorgebracht worden sind, sowie die Frage der diskriminierenden Wirkung der Ausweitung, genannt.

Abschließende Worte fand Herr Mertin, der die Vorträge und ihre Kernaussagen nochmal Revue passieren ließ, die Referenten mit einer Danksagung verabschiedete und bleibende Eindrücke einer sehr interessanten, fachlich anspruchsvollen und gelungenen Veranstaltung hinterließ.

 

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