von Rechtsreferendar Martin Linke
2018, Verlag C. H. Beck, ISBN:978-3-406-72459-6, S. 1263, Euro 179,00
I. Einleitung
Zu seinem 65. Geburtstag wurde Thomas Fischer, Vorsitzender Richter am BGH a.D. eine Festschrift gewidmet, die mit 86 Beiträgen zu insgesamt 10 Rubriken aus der Feder von 89 Autoren aufwartet. Traditionell werden die Aufsätze in verschiedene Kategorien unterteilt. Bereits der Blick in das Inhaltsverzeichnis verspricht durch ausgewiesene Experten verfasste spannende, teils grundlegende dogmatische Fragen betreffende, teils hoch aktuelle Beiträge. Die Erwartungshaltung an die Festschrift ist daher schon vor der Lektüre einzelner Abhandlungen hoch. Und sie wird nicht enttäuscht.
II. Zum Inhalt anhand ausgewählter Beiträge
1. Aus der Rubrik „Zur Person“
Den Beginn der Festschrift stellen sieben Beiträge der Rubrik „Zur Person“ dar. In einem „obiter dictum“ geht Renate Künast auf verschiedene Themenfelder ein, die Thomas Fischer insbesondere in seiner Kolumne „Fischer im Recht“ aufgegriffen hat. Hierbei scheut sie sich auch nicht davor, den Jubilar zu kritisieren, vor allem im Hinblick auf seine Positionen zum – in dieser Festschrift mehrfach vorkommenden – Sexualstrafrecht. Nichtsdestotrotz würdigt sie die Person Fischers u.a. mit den Worten: „Solche Kämpfer braucht das Recht und der Rechtsstaat.“
Kritik ist auch der Kernaspekt des darauffolgenden, von Hans-Ullrich Paeffgen verfassten, Beitrags mit dem Titel „Gottes Werk und Teufels Beitrag“. Adressat der Kritik ist hierbei nicht Thomas Fischer, der Paeffgen hinsichtlich „Duktus und Typus“ an Martin Luther erinnert, sondern zum einen (wieder mal) das reformierte Sexualstrafrecht und daneben – was auch nicht neu ist – der ehemalige Bundesjustizminister Heiko Maas, in einer Fußnote St. Heiko genannt (S. 68 Fn. 26). Paeffgen schließt sich hier zunächst der vernichtenden Kommentierung des § 184j StGB durch Renzikowski[1] im 3. Band des Münchener Kommentars an und bezieht ebenfalls engagiert Stellung gegen diese Norm, wobei insbesondere auf Publikationen Hörnles eingegangen wird. Darüber hinaus bekommt auch der dem Maas’schen – so wörtlich – „Gülleacker“ (S. 68 Fn. 28) entstammende § 89c StGB sein Fett weg.
2. Aus der Rubrik „Strafrecht Allgemeiner Teil“
Besonders ins Auge stechen wird dem Jubilar der Beitrag von Thomas Hillenkamp, der sich mit dem Anatomie-Fall Ferdinand v. Schirachs befasst. Es ist kein Geheimnis, dass Thomas Fischer auf die Werke Schirachs nicht besonders gut zu sprechen ist.[2] Hillenkamp widmet sich hier dem in der Wissenschaft umstrittenen, in der Rechtsprechung in dieser Gestalt bislang nicht beurteilten, Fall des fehlenden subjektiven Rechtsfertigungselements bei fahrlässigen Delikten. Hierbei benennt er auch die weiteren auftretenden rechtlichen Probleme des Falls, eher er, unter Darstellung des Meinungsspektrums und der Argumente für seine Position, zu Recht zu dem Ergebnis kommt, dass einzig Straffreiheit für den Angeklagten und nicht die 1,5 Jahre Freiheitsstrafe mit Bewährung richtige Folge gewesen wären.
Mit Autos und dem Tod von Menschen geht es auch im anschließenden Beitrag weiter. Gegenstand der Abhandlung ist hier der 2017 in Kraft getretene § 315d StGB. Wolfgang Mitsch beleuchtet die Problematik des erfolgsqualifizierten Versuchs einer Teilnahme an illegalen Kraftfahrzeugrennen. Mitsch stellt sich auch in diesem Beitrag[3] gegen die herrschende Meinung, der zufolge ein erfolgsqualifizierter Versuch bei solchen Delikten nicht möglich sei, deren Grundtatbestände keine Versuchsstrafbarkeit anordnen (S. 260 ff.). Mit seiner Argumentation zur grundsätzlich möglichen Strafbarkeit dieser werden sich die Vertreter der herrschenden Meinung auseinanderzusetzen haben, insbesondere, da das Hauptargument – der Wortlaut des § 18 StGB – angegriffen wird. Anhand konkreter unterschiedlicher Fallgestaltungen untersucht er, ob und inwieweit ein erfolgsqualifizierter Versuch überhaupt in Betracht kommt. Hierzu wird insbesondere auf die Frage des Gefahrverwirklichungszusammenhangs eingegangen.
3. Aus der Rubrik „Strafrecht Besonderer Teil“
Die Reihe der Beiträge zum Besonderen Teil des Strafrechts eröffnet Volker Erb mit einem Aufsatz zu einem in vielen Strafvorschriften vorkommenden Merkmal, das wie kaum ein anderes hinsichtlich seiner korrekten Handhabung umstritten ist: Das gefährliche Werkzeug. Nachdem zur Rekapitulation des Problems zunächst dargestellt wird, worin die Schwierigkeiten sachgerechter Auslegung liegen, kritisiert Erb Gesetzgeber und Rechtsprechung in Bezug auf deren Versäumnisse. Ersterem wird vorgeworfen, explizit hinweisende Rechtsprechung nicht zum Anlass genommen zu haben, auf die bestehenden Probleme reagiert zu haben (S. 306f.); Letzterer, dass sie trotz der Bedenken nicht von Restriktionsansätzen Gebrauch machte. Die so genannte „subjektive Lösung“ sei hierbei das einzige, zur Konkretisierung geeignete Gegenmittel (S. 313).
Nachdem an vielen Stellen dieser Festschrift bereits über das Sexualstrafrecht geschimpft wurde und an späterer Stelle noch wird, widmet sich Klaus Laubenthal der Herausforderung eines Vorschlags zur „Systematisierung der Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung“. Nach einem historischen Überblick über den Inhalt dieses Abschnitts bei Inkrafttreten des RStGB beginnt Laubenthal seine „Neuordnung des 13. Abschnitts“. Seine systematischen Überlegungen fußen auf den einzelnen, durch die Straftatbestände geschützten Rechtsgütern und werden dann, entsprechend seiner Kategorisierung, in 6 Normgruppen eingeteilt.
Unter dem Titel „Wollt ihr das totale Strafrecht?“ beschäftigen sich Alexander Aichele und Joachim Renzikowski unter anderem mit der schon an anderer Stelle angesprochenen Strafrechtskatastrophe des § 184j StGB. Wer selbst einmal die „unübliche, aber unvermeidliche Vorbemerkung“ Renzikowskis zu § 184j StGB im Münchener Kommentar[4] gelesen hat, erahnt, wohin die Reise in diesem Beitrag geht. Zu Beginn wird der Norm bereits bescheinigt, in einer „liberalen, von der Tradition subjektiver Rechte geprägten Ordnung, nichts verloren [zu] haben“ (S. 491). Einer knappen Darstellung der Grundlagen der Unschuldsvermutung folgt eine kritische Analyse des § 184j StGB. Aichele/Renzikowski betrachten hierbei zunächst das zur Legitimation von Strafnormen herangezogene Phänomen der „Strafbarkeitslücke“ und widmen sich anschließend ausführlich der Gesetzesbegründung unter Einsatz wörtlicher Ausschnitte aus den Plenarprotokollen. Es folgen lesenswerte vernichtende Ausführungen zur Auslegung der einzelnen Tatbestandsmerkmale. Abschließend wird dem Leser noch mit auf den Weg gegeben, wie er einer Strafbarkeit nach § 184j StGB entgehen kann: indem er Menschenansammlungen einfach meidet. „Rennen und Rasen“ lautet die von Thomas Weigend beigetragene Abhandlung, die sich thematisch mit dem ebenfalls bereits genannten § 315d StGB befasst. Der Norm wird grundsätzlich Daseinsberechtigung bescheinigt, wenn auch die Modalität des so genannten Einzelrasens in § 315d StGB nicht überzeugend sei; besser wäre eine Verortung in § 315c StGB gewesen (S. 572). Jenes „Alleinrasen“ bildet neben der Erörterung der qualifizierten Fälle den Hauptkern des Beitrags. Ein Schwerpunkt wird bei der – auch im Rahmen anderer Delikte relevanten – Frage nach der Einbeziehung von Tatbeteiligten in den Schutzbereich der Norm gesetzt.
4. Aus der Rubrik „Strafverfahrensrecht“
Als der Bundesgerichtshof am 26. April 2017[5] ein Urteil zur Problematik so genannter legendierter Verkehrskontrollen fällte, rief dies in kurzer Zeit eine Vielzahl an Urteilsanmerkungen und -besprechungen hervor.[6] Auch in der hiesigen Festschrift wird diesen legendierten Kontrollen eine Abhandlung durch Eberhard Kempf gewidmet. Schulmäßig werden nach knapper Übersicht über die Entscheidung des 2. Strafsenats zunächst die Bedenken gegen die Lösung des BGH vorgetragen, ehe die einzelnen, sich in Fällen legendierter Kontrollen ergebenden Problemstellungen durchleuchtet werden (S. 678 ff.). Im Ergebnis sieht Kempf– wie es der Titel seiner Abhandlung erahnen lässt („Zur Rechtswidrigkeit so genannter legendierter Kontrollen“) – eben jene als rechtswidrig an.
III. Schlussbemerkung
Dargestellt werden konnte nur ein kleiner Ausschnitt dessen, was den Leser dieser Festschrift erwartet. Was bleibt als Fazit festzuhalten? Man kann das Werk in einem Punkt kritisieren. Nämlich dahingehend, dass irgendwann der Zeitpunkt kommt, an dem man sämtliche Beiträge gelesen hat und das Werk endet. Diese Festschrift zu lesen ist ein Hochgenuss und bereitet für einen beträchtlichen Zeitraum Lesevergnügen. Abschließend lässt sich eine Feststellung Mitschs, die er in Bezug auf das von ihm beleuchtete Thema im Zusammenhang mit dem 6. Strafrechtsreformgesetz triff (S. 266)[7], auf die Festschrift insgesamt erstrecken: Für den Wissenschaftler ist sie in ihrer Gesamtheit eine Spielwiese.
[1] Auf seinen, in Co-Autorenschaft erschienenen, Beitrag in dieser Festschrift wird noch eingegangen.
[2] S. die Rezension Fischers zu „Strafe“, StV 2018, 393ff.
[3] S. hierzu kürzlich Mitsch, NZWiSt 2019, 121 (123ff).
[4] Renzikowski, in: MüKo-StGB, 3. Aufl. (2017), § 184j Rn. 1.
[5] BGH, Urt. v. 26.4.2017 – 2 StR 247/16 = KriPoZ 2017, 257.
[6] Vgl. bspw. Albrecht, HRRS 2017, 446; Börner, StraFo 2018, 1; Kochheim, KriPoZ 2017, 316; Lange-Bertalot/Aßman, NZV 2017, 572; Mitsch, NJW 2017, 3124; Schiemann, NStZ 2017, 651 (657).
[7] „Dass das neue Gesetz zugleich einem nach dem 6. Strafrechtsreformgesetz verblassten dogmatischen Problem eine neue Spielwiese eröffnet hat […]“.