Die Entscheidung im Original finden Sie hier.
BGH, Beschl. v. 22.10.2021 – GSSt 1/20: Zur Hinweispflicht bei der Einziehung des Wertes von Taterträgen nach §§ 73, 73c StGB
Amtlicher Leitsatz:
Ein Hinweis auf die Einziehung des Wertes von Taterträgen (§§ 73, 73c StGB) ist nach § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO auch dann erforderlich, wenn die ihr zugrundeliegenden Anknüpfungstatsachen bereits in der zugelassenen Anklage enthalten sind.
Sachverhalt:
Am 18.06.2019 hatte der 5. Senat beabsichtigt zu entscheiden, dass weder § 265 Abs. 1 StPO noch § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO eine Hinweispflicht auf die Rechtsfolge der obligatorischen Einziehung auslösten und hatte beim 1. Senat angefragt, ob dieser an seiner entgegenstehenden Rechtsprechung festhalten wolle. Den zugehörigen KriPoZ-RR Beitrag finden Sie hier: KriPoZ-RR, Beitrag 22/2019.
Am 10.10.2019 hatte der 1. Senat entschieden, dass er an seiner Rechtsprechung festhält und hatte einen Hinweis auf eine Einziehung auch dann für erforderlich gehalten, wenn die Tatsachen zwar bereits in der Anklageschrift enthalten gewesen waren, das Gericht deren Bedeutungsgehalt jedoch erst in der Hauptverhandlung realisiere. Den Beitrag zum Antwortbeschluss finden Sie hier: KriPoZ-RR, Beitrag 49/2019.
Daraufhin hat der 5. Senat dem Großen Senat die Frage vorgelegt, ob nach § 265 Abs. 1 oder § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO auf die Möglichkeit einer Einziehung des Wertes von Taterträgen (§§ 73, 73c StGB) hinzuweisen ist, wenn diese Rechtsfolge weder in der Anklageschrift noch im Eröffnungsbeschluss erwähnt worden ist, die hierfür relevanten Tatsachen aber in der zugelassenen Anklage bereits enthalten waren. Diesen Anfragebeschluss finden Sie hier: KriPoZ-RR, Beitrag 44/2020.
Entscheidung des Großen Senats:
Der Große Senat entschied die Vorlagefrage im Sinne des 1. Senats und hielt eine Hinweispflicht des Gerichts für bestehend.
Dies begründete der Senat zunächst mit dem Wortlaut der Norm und dem Willen des historischen Gesetzgebers, der mit dem Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens die Hinweispflichten gerade auf weitere Rechtsfolgen, wie die Einziehung, habe ausdehnen wollen. Der historische Gesetzgeber habe die Auslegung der Rechtsprechung gekannt und die Neuregelung explizit im Wortlaut unverändert gelassen.
Die Gesetzessystematik spreche nicht gegen dieses Ergebnis, da § 265 Abs. 1 i.V.m. § 200 Abs. 1 S. 1 StPO alle relevanten Schuldspruchänderungen erfasse und § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO lediglich die Rechtsfolgen erfasse, die nicht zwingend in der Anklageschrift adressiert werden müssten.
Zudem lasse der Wortlaut der Norm die Auslegung zu, dass ein sich erstmals in der Hauptverhandlung ergebender Umstand durchaus auch eine rechtsfolgenrelevante Tatsache sein könne, die zwar bereits in der Anklage bezeichnet gewesen sei, deren Bedeutung sich jedoch erst später in der Verhandlung herausgestellt habe. Denn die Bedeutung der Tatsachen stelle sich oftmals erst in diesem Moment heraus und sei, anders als bei Tatsachen i.S.d. § 200 StPO, nicht sofort relevant, nur weil sie in der Anklageschrift geschildert würden, so der Große Senat.
Sinn und Zweck der Hinweispflichten sei es, den Angeklagten vor Überraschungen zu schützen damit dieser sich effektiv verteidigen könne. Dieser Zweck könne umso besser erreicht werden, je umfassender der Angeklagte auf in Betracht kommende Rechtsfolgen hingewiesen werde. Deshalb sei § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO nicht restriktiv auszulegen.
Anmerkung der Redaktion:
Die Vorschriften der Hinweispflichten wurden durch das Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens im Jahr 2017 reformiert. Alles zum Gesetz und den Motiven finden Sie hier.