Zu den Kommentaren springen

Das Absolute im Recht nach der Einführung des § 362 Nr. 5 StPO – Anmerkung zu OLG Celle, Beschl. v. 20.4.2022 – 2 Ws 62/22

von Jule Fischer, M.A.

Beitrag als PDF Version 

Das OLG Celle befasst sich in dieser Entscheidung mit der Zulässigkeit des Wiederaufnahmeantrags der Staatsanwaltschaft Verden (Aller) vom 9.2.2022. Es handelt sich dabei nicht nur um das erste Rechtsmittel-, sondern um das bundesweit erste Verfahren zu der Ende des Jahres 2021 neu eingefügten Norm im Wiederaufnahmerecht: § 362 Nr. 5 StPO.[1]

Der Entscheidung, einen Wiederaufnahmegrund zuungunsten Angeklagter wegen neuer Tatsachen oder Beweismittel in Fällen unverjährbarer Straftaten und beim Vorliegen dringender Gründe zu schaffen, gingen umfangreiche Debatten voran. Zwei Monate nach Inkrafttreten der Norm schrieb das LG Verden Rechtsgeschichte, indem es als erstes Gericht einen Wiederaufnahmeantrag gemäß § 362 Nr. 5 StPO zuließ.

Die eingereichte sofortige Beschwerde des früheren Angeklagten gegen den Beschluss über die Zulässigkeit des Wiederaufnahmeantrags wies das OLG Celle zurück. Zweifel des Beschwerdeführers an der Verfassungsmäßigkeit der Norm teilte das Gericht nicht. Im Gegenteil, das OLG verzichtete auf eine Vorlage an das BVerfG und erklärte § 362 Nr. 5 StPO für mit dem Grundgesetz vereinbar. Die von den Verteidigern daraufhin eingereichte Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss des OLG Celle wurde zur Entscheidung angenommen.[2] Nun hat das BVerfG über die Verfassungsmäßigkeit des neuen Wiederaufnahmegrundes zu entscheiden.

I. Sachverhalt

Das Wiederaufnahmeverfahren bezieht sich auf ein im Jahr 1983 abgeschlossenes Strafverfahren, welches vor dem LG Lüneburg begann. Die Staatsanwaltschaft Lüneburg warf in ihrer Anklageschrift dem Beschwerdeführer vor, sich der Vergewaltigung (§ 177 Abs. 1 StGB a.F.) und des Mordes gemäß § 211 StGB strafbar gemacht zu haben. Das LG Lüneburg verurteilte den Beschwerdeführer wegen dieser Tatvorwürfe zu lebenslanger Freiheitsstrafe. Die daraufhin eingelegte Revision des Beschwerdeführers hatte Erfolg und der BGH verwies zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LG Stade. Eine erneute Beweisaufnahme führte, anders als im Ausgangsverfahren, zu keinen gesicherten Hinweisen für eine Täterschaft des Beschwerdeführers. Dessen Einlassung, er habe die Tat nicht begangen, sei nicht zu widerlegen gewesen. Das LGStade sprach den Beschwerdeführer am 13.5.1983 frei.[3]

Fast 30 Jahre später wurden sichergestellte Beweismittel vom Tatzeitpunkt einer molekulargenetischen Vergleichsuntersuchung unterzogen. In dem Gutachten wurde eine Übereinstimmung mit den DNA-Merkmalen des Beschwerdeführers festgestellt. Weitere, knapp zehn Jahre später, trat am 30.12.2021 das Gesetz zur Herstellung materieller Gerechtigkeit in Kraft.[4] Die Staatsanwaltschaft Verden (Aller) beantragte daraufhin die Wiederaufnahme des Verfahrens bzgl. des Mordes wegen neuer Beweismittel (§ 362 Nr. 5 StPO) und den Erlass eines Haftbefehls. Das für das Wiederaufnahmeverfahren zuständige LG Verden sah in dem DNA-Vergleichsgutachten ein neues Beweismittel. Das LG Verden beschloss am 25.2.2022 den Wiederaufnahmeantrag für zulässig zu erklären und ordnete die Untersuchungshaft an.

Gegen beide Beschlüsse legte der frühere Angeklagte Rechtsmittel ein. Die Wiederaufnahme sei unzulässig, da der vom Gericht angewandte § 362 Nr. 5 StPO gegen die Verfassung verstieße. Die sich aus Art. 103 Abs. 3 GG und dem Rechtsstaatsprinzip ergebenen Verbote der Doppelbestrafung und Rückwirkung hielt der Beschwerdeführer durch die streitentscheidende Norm für verletzt. Sollte keine Aufhebung des Wiederaufnahmebeschlusses erreicht werden, sei hilfsweise das BVerfG hinzuzuziehen (Art. 100 Abs. 1 GG). Dieses sei mit der Frage zu beauftragen, ob § 362 Nr. 5 StPO mit dem Grundgesetz vereinbar sei.

II. Zur Verfassungsmäßigkeit des § 362 Nr. 5 StPO

Das OLG Celle sieht, im Gegensatz zu Kritikern[5] der neuen Norm, in § 362 Nr. 5 StPO keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Mit dieser Entscheidung hat das Gericht nicht nur den neuen Wiederaufnahmegrund als ein Beschwerdegericht erstmals angewandt, es hat sich zugleich auch gegen eine mögliche Vorlage an das BVerfG entschieden. Damit hat das Gericht eine Entscheidung getroffen, die weit über das gegen den Beschwerdeführer laufende Wiederaufnahmeverfahren hinaus geht. Allen, den am Gesetzgebungsprozess vorausgehenden Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit zum Trotz, liege keine Unvereinbarkeit des § 362 Nr. 5 StPO mit Art. 103 Abs. 3 GG (Verbot der Doppelbestrafung) vor. Das Rückwirkungsverbot sei ebenfalls nicht verletzt und die Norm verstieße auch nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG, erörtert das OLG im zweiunddreißigseitigen Beschluss.[6]

1. Ne bis in idem-Grundsatz, Art. 103 Abs. 3 GG

Der in Art. 103 Abs. 3 GG verankerte ne bis in idem-Grundsatz schütze zwar vor einer Mehrfachbestrafung und auch vor der erneuten Einleitung eines Strafverfahrens. Aus dem Wortlaut ergebe sich allerdings nicht, dass das Verbot der Mehrfachverfolgung „absolut oder unbegrenzt“[7] gelte, erläutert das Gericht. Zudem stehen auch aus historischer Sicht das vorkonstitutionelle Prozessrecht und die Gesetzesmaterialien zur Entstehung des Grundgesetzes gegen eine Einschränkung des Art. 103 Abs. 3 GG.

Das OLG bedient sich auch dem, in diesem Kontext stets angeführtem Argument, dass das BVerfG im Jahr 1981[8] klargestellt habe, dass Art. 103 Abs. 3 GG „Grenzkorrekturen durch Gesetzgebung und Rechtsprechung nicht entgegen“[9] stehe. Weil der Schutzgehalt des Art. 103 Abs. 3 GG gerade nicht absolut gelte, liege in § 362 Nr. 5 StPO kein Eingriff in den unzulässigen Kernbereich.

Anders als das OLG, beurteilte die damalige Justizministerin Lambrecht (SPD) die Verfassungsmäßigkeit um den neuen Wiederaufnahmegrund und äußerte bereits bei der Einführung der Norm Zweifel an der Vereinbarkeit des Gesetzes mit Art. 103 Abs. 3 GG.[10] Bundespräsident Steinmeierunterzeichnete das Gesetz Ende des Jahres 2021 zwar, jedoch ebenfalls mit erheblichen Bedenken:

„Das Gesetz wirft […] im Hinblick auf das Verbot der Mehrfachverfolgung (Art. 103 Abs. 3 GG) […] verfassungsrechtliche Bedenken auf.“[11]

Auch Justizminister Buschmann (FDP) äußerte kurz nach Einführung der Norm verfassungsrechtliche Zweifel und kündigte eine Überprüfung der Vorschrift an:

„Meine Auffassung als Abgeordneter und als Rechtspolitiker ist, dass dieses Gesetz ein erhebliches Problem darstellt und man sich schon die Frage stellen muss, ob hier nicht sogar die Verfassung verletzt ist.“[12]

Für eine Unvereinbarkeit der neuen Norm mit dem Grundsatz ne bis in idem werden im Wesentlichen drei Argumente angeführt. Erstens sei das Verbot der doppelten Strafverfolgung verfassungsrechtlich garantiert und die zentrale Bedeutung von Rechtssicherheit und Rechtsfrieden durch das BVerfG im Jahre 1953 festgelegt worden.[13] Danach müsse „[…] im Einzelfall vielleicht [eine] unrichtige[n] Entscheidung in Kauf genommen werden […]“.[14] Eine Erweiterung neuer Wiederaufnahmegründe stehe Art. 103 Abs. 3 GG entgegen.

Könnte zweitens auf einen Freispruch nicht vertraut werden, würde der Beschuldigtenstatus nie enden und die Staatsanwaltschaft immer wieder Anklage erheben können.[15] Hier droht die Gefahr, dass das Wiederaufnahmeverfahren zu einer Superrevisionsinstanz wird, welches es gerade nicht ist. Auf Seiten des Angeklagten wäre dieser nicht nur einem Strafverfahren und den, trotz Freispruches, einhergehenden stigmatisierenden Folgen ausgesetzt. Dadurch, dass sein Beschuldigtenstatus nie endet und er immer mit einer Anklage rechnen muss, hätte er zugleich sein Recht auf Rechtssicherheit im Allgemeinen verwirkt. Bayram spricht hier von künftigen Freisprüchen, die nur noch unter „Vorbehalt“ ergehen.[16] Dadurch kommt es ferner zu einem Ungleichgewicht der Prozessrollen. „Denn je länger die Sache zurückliegt, desto schwächer werden bestimmte Entlastungsbeweise“, etwa Zeugenaussagen, führt Buschmann (FDP) an.[17]

Hierin wird drittens keine Grenzkorrektur, sondern der Kernbereich des Art. 103 Abs. 3 GG gesehen.[18] Das OLG kehrt diese Argumentation ins Gegenteil um. Weil zu erwarten sei, „[…], dass es nur in sehr seltenen Ausnahmefällen tatsächlich zu einem neuen Strafverfahren gegen einen Freigesprochenen kommen wird“[19], sei der Eingriff in das Verbot der Mehrfachverfolgung angemessen. Auch die negativen Auswirkungen auf die Rechtsgemeinschaft seien zu berücksichtigen.[20]

Das würde bedeuten, dass in diesen sehr seltenen Ausnahmefällen eine Einschränkung verfassungsrechtlicher Prinzipien erfolgen dürfe. Aber gerade in Fällen, in denen schwerste Sanktionen drohen, muss der Rechtsschutz umso ausführlicher gewährleistet sein.

2. Rückwirkungsverbot, Art. 20 Abs. 3 GG

Ein Verstoß gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 3 GG abgeleitete Rückwirkungsverbot liege seitens des 2. Strafsenats des OLG Celle durch die Neuregelung ebenfalls nicht vor. Es lässt die umstrittene Frage offen, ob es sich bei § 362 Nr. 5 StPO um eine echte oder unechte Rückwirkung handelt. In jedem Fall wären die Anforderungen erfüllt. Denn zwingende, dem Vertrauensschutz vorgehende Gemeinwohlbelange seien durch den Gesetzgeber bei Einführung der Norm bestimmt worden. Der Senat schließt sich dieser Argumentation an. Die Wahrung der materiellen Gerechtigkeit, Rechtsgüter von höchstem Verfassungsrang und die Integrität der Rechtsordnung seien Belange, die unter eine derartige zulässige Ausnahme fallen würden.[21]

Die Annahme einer solchen Ausnahme stößt auf Kritik.[22] Bedenken teilt auch Steinmeier: „Zudem ist zweifelhaft, ob das Gesetz zur Herstellung materieller Gerechtigkeit mit dem Rückwirkungsverbot vereinbar ist […].“ [23] Betroffene hätten nicht mit einer Erweiterung der Wiederaufnahmegründe rechnen müssen, nachdem die bisherigen Regelungen ca. 70 Jahre Bestand hatten.[24] Das Vertrauen in die alte Rechtslage und in den Freispruch seien damit schutzwürdig. Die materielle Gerechtigkeit als Gemeinwohlbelang sei schon deshalb nicht schutzwürdig, weil dann Art. 103 Abs. 3 GG leer liefe. So könnte jede neue Rechtsauffassung mit echter Rückwirkung ausgestattet werden.[25]

Ein Vergleich mit der Entscheidung über die Vermögensabschöpfung,[26] den auch das OLG[27] anführt, könne nicht vorgenommen werden. Art. 14 GG und Art. 103 Abs. 3 GG unterliegen unterschiedlichen verfassungsrechtlichen Beschränkungen.

3. Gleichheitsgrundsatz, Art. 3 Abs. 1 GG

Das OLG Celle sieht in dem neuen Wiederaufnahmegrund des § 362 Nr. 5 StPO keinen Konflikt mit dem Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG). Als abschließende Taten sind solche aufgenommen worden, die der Unverjährbarkeit unterliegen. Der Senat geht in seiner Erörterung auf die von der Literatur angebrachte Kritik ein, es liege ein Widerspruch darin, dass ähnlich schwerwiegende und mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedrohte Tatbestände nicht aufgenommen worden seien (Bsp.: §§ 178, 212 Abs. 2, 251, 306c StGB). Der wesentliche Unterschied liege allerdings in dem Kriterium der Unverjährbarkeit, welches die Delikte voneinander unterscheide. Im Übrigen sei es Aufgabe des Gesetzgebers fehlende Zusammenhänge zu prüfen.[28]

Widersprüchlich scheint die Argumentation des Senats, wenn an dieser Stelle einzig die Unverjährbarkeit als Kriterium herangezogen wird.[29] Weshalb bei einer fehlenden Wiederaufnahmemöglichkeit von Delikten, wie beispielsweise der Vergewaltigung mit Todesfolge (§ 178 StGB) keine „[…] evidente Erschütterung des Vertrauens der Bevölkerung in den Rechtsstaat […]“[30] vorliegen soll, ist nicht ersichtlich. Noch weitergehend wurde von der Bundesrechtsanwaltskammer gefordert auch das Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 13 VStGB) aufgrund seines vergleichbaren Sanktionscharakters in den Verbrechenskatalog von § 362 Nr. 5 StPO mit aufzunehmen.[31]

Während auf der einen Seite mit der Unerträglichkeit am Festhalten an der Rechtskraft argumentiert wird, spielt sie an anderer Stelle keine Rolle mehr. Dass es in Zukunft bei den in § 362 Nr. 5 StPO abschließenden Taten bleibt, ist zumindest bedenklich. Kritiker sprachen bereits bei Einführung der neuen Norm von der „Gefahr eines Dammbruchs.“[32]

III. Fazit

Die Diskussion um das Verhältnis von materieller Gerechtigkeit und Rechtssicherheit wurde nicht erst mit der Entscheidung des OLG Celle ausgelöst. Sie fand vielmehr ihren Höhepunkt in der Einführung des neuen Wiederaufnahmegrundes.

Das LG Verden und das OLG Celle haben § 362 Nr. 5 StPO erstmals angewandt und an der Verfassungsmäßigkeit der neuen Norm nicht gezweifelt. Die Begründung des Senats überzeugt dabei nicht.[33] Der neue Wiederaufnahmegrund stellt, wie aufgezeigt, keine Grenzkorrektur dar, sondern trifft den Kernbereich des ne bis in idem-Grundsatzes. Das Recht auf Rechtssicherheit eines Freispruches kann für Angeklagte, die wegen einer in der Norm aufgelisteten Delikte angeklagt und freigesprochen wurden, schlichtweg nicht mehr gewährleistet werden. Dies birgt die Gefahr in sich, dass die Staatsanwaltschaft in Verfahren schwerster Straftaten nachlässiger ermitteln könnte. Aus einem „Rechtsbehelf eigener Art“[34] wird ein Rechtsmittel mit dem Charakter einer Superrevisionsinstanz.

Die rückwirkende Möglichkeit, Freisprüche wieder aufzuheben, ist auch mit Art. 20 Abs. 3 GG nicht vereinbar. Gerade weil es zahlreiche Reformbewegungen gegeben hat, die wegen der verfassungsrechtlichen Problematiken nicht umgesetzt wurden, war das Vertrauen auf den Tatbestand schützenswert.[35] Der Senat hingegen lässt es gar nicht erst zu einer Unterscheidung der strittigen Frage von echter und unechter Rückwirkung kommen. Er sieht ohnehin einen Ausnahmefall in § 362 Nr. 5 StPO, indem er die materielle Gerechtigkeit der Allgemeinheit für schutzwürdig erachtet.[36]

Eine Verhältnismäßigkeitsprüfung unterbleibt allerdings. Das OLG Celle geht auf den Unrechtscharakter der Taten, die Integrität der Rechtsordnung, den Rechtsgütern sowie den schweren drohenden Schäden ein. Die Rechtsposition der Freigesprochenen wird an nur einer Stelle feststellend erwähnt; dass in die Rechtssicherheit eingegriffen wird. Eine Auseinandersetzung mit den Folgen und Eingriffen in die Rechte des Betroffenen und auf den Vertrauensschutz unterbleibt.

Ebenfalls wird § 362 Nr. 5 StPO dem Gleichheitsgrundsatz nicht gerecht. Die aufgezeigte Problematik um das Abgrenzungskriterium der Unverjährbarkeit kann zu einem Wertungswiderspruch mit anderen Delikten führen.

Daher muss im Blick behalten werden, dass die Ausweitung auf weitere Delikte und weitere Untersuchungsmethoden zumindest mögliche Folgen sein können.

Das OLG Celle und auch das LG Verden haben die Norm dem BVerfG nicht vorgelegt. Gegen einen Normenkontrollantrag und der Einholung der Expertise des mit verfassungsrechtlichen Fragen spezialisierten Gerichtes haben sich beide Gerichte bewusst entschieden. Diese Entscheidung ist der Diskussion um die Norm nicht gerecht geworden. Und insbesondere nicht der Rechte, die mit dieser Norm mehr als tangiert werden.

Die Entwicklung der Anwendung der Norm in der Rechtspraxis und dessen Bestand sind abzuwarten. Im Fall um den Beschwerdeführer befindet sich das Verfahren erst am Anfang. Ein mögliches Probationsverfahren und eine eventuelle neue Hauptverhandlung stehen noch aus. Die Verteidiger des Beschwerdeführers haben jedoch bereits Verfassungsbeschwerde erhoben.[37] Eine Wende im Prozess vor dem OLG Celle könnte durch die jüngsten Entwicklungen eintreten. Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde angenommen.[38] Damit kann darauf gehofft werden, dass das BVerfG folgen und § 362 Nr. 5 StPO keinen Bestand haben wird.

Denn im Fall des Fortbestandes oder der Erweiterung der Norm wird das Recht zu etwas Relativem, Unvorhersehbarem und nicht Vertrauenswürdigem. Damit aber Recht, Recht ist, „[…] braucht es bestimmte Ausprägungen des Absoluten […].“[39]

 

 

[1]      BGBl. I 2021, S. 5252.

[2]      Das dortige Verfahren wird unter dem Az. 2 BvR 900/20 geführt. Vgl. LTO v. 24.5.2022, online abrufbar unter: https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/wiederaufnahme-strafverfahren-mord-verfassungsbeschwerde-frederike-moehlmann-bverfg-olg-celle/ (zuletzt abgerufen am 25.5.2022).
[3]    LG Stade, Urt. v. 13.5.1983 – Az. 10 Ks 12/83.
[4]      Das am 30.12.2021 in Kraft getretene Gesetz zur Herstellung materieller Gerechtigkeit v. 21.12.2021 (BGBl. I 2021, S. 5252) wurde am 24.6.2021 v. Bundestag in der vom Rechtsausschuss geänderten Fassung beschlossen (Drs. 19/30399; 19/31110).
[5]      Bung, HRRS 2022, 109 ff.; Conen, Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Strafprozessordnung v. 21.6.2021; BRAK, Stellungnahme Nr. 14, März2022.‘
[6]      OLG Celle, Beschl. v. 20.4.2022 – 2 Ws 62/22.
[7]      OLG Celle, Beschl. v. 20.4.2022 – 2 Ws 62/22, S. 8.
[8]      Vgl. BVerfG, Beschl. v. 8.1.1981 – 2 BvR 873/30.
[9]      OLG Celle, Beschl. v. 20.4.2022 – 2 Ws 62/22, S. 10.
[10]    Vgl. Pressemitteilungen: LTO v.  11.1.2022, online abrufbar unter: https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/ampel-regierung-bundes-justizminister-buschmann-ueberpruefung-wiederaufnahme-gesetz-stpo-reform/; RND v. 23.12.2021, online abrufbar unter: https:// www.rnd.de/politik/groko-gesetzt-zur-wiederaufnahme-von-mordprozessen-justizminister-teilt-steinmeier-bedenken-XBS3ZKFFY JH2DMYKMIBGFKBJRM.html (zuletzt abgerufen am 25.5.2022).
[11]    Vgl. Schreiben des Bundespräsidenten vom 21.12.2021, online abrufbar unter: https://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2021/12/211222-Gesetzesausfertigung-StPO-362.html (zuletzt abgerufen am 25.5.2022).
[12]    LTO v. 11.1.2022, online abrufbar unter: https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/ampel-regierung-bundesjustizminister-buschmann-ueberpruefung-wiederaufnahme-gesetz-stpo-reform/ (zuletzt abgerufen am 25.5.2022).
[13]    Conen, Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Strafprozessordnung, S. 3.
[14]    BVerfGE 2, 380 (403).
[15]    Conen, Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Strafprozessordnung, S. 9.
[16]    Bayram, DRiZ 2021, 266.
[17]    LTO v. 11.1.2022, online abrufbar unter: https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/ampel-regierung-bundesjustizminister-buschmann-ueberpruefung-wiederaufnahme-gesetz-stpo-reform/ (zuletzt abgerufen am 25.5.2022).
[18]    Vgl. Aust, Stellungnahme im Rahmen der Anhörung im Deutschen Bundestag vom 21.6.2021.
[19]    OLG Celle, Beschl. v. 20.4.2022 – 2 Ws 62/22, S.19.
[20]   So auch Kubiciel, Stellungnahme im Rahmen der Anhörung im Deutschen Bundestag vom 21.6.2021, S. 9.
[21]    OLG Celle, Beschl. v. 20.4.2022 – 2 Ws 62/22, S. 21.
[22]    Aust, ZRP 2020, S. 251 ff.
[23]    Das Schreiben des Bundespräsidenten vom 21.12.2021 ist online abrufbar unter: https://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2021/12/211222-Gesetzesausfertigung-StPO-362.html (zuletzt abgerufen am 25.5.2022).
[24]    BRAK, Stellungnahme Nr. 14, März 2022, S. 10.
[25]    BRAK, Stellungnahme Nr. 14, März 2022, S. 10 f.
[26]    BVerfGE 156, 354.
[27]    OLG Celle, Beschl. v. 20.4.2022 – 2 Ws 62/22, S. 21.
[28]    OLG Celle, Beschl. v. 20.4.2022 – 2 Ws 62/22, S. 22.
[29]    So auch BRAK, Stellungnahme Nr. 14, 2022, S. 11.
[30]    OLG Celle, Beschl. v. 20.4.2022 – 2 Ws 62/22, S. 21.
[31]    BRAK, Stellungnahme Nr. 14, März 2022, S. 11.
[32]    BRAK, Stellungnahme Nr. 14, März 2022, S. 11.
[33]    Ebenso Schweiger, ZfIStw 2022, 397 (406), für die „Vieles dafür [spricht], dass die neue Vorschrift in ihrer jetzigen Form einer verfassungsrechtlichen Prüfung nicht standhält.“ Anders etwa Kubiciel, LTO v. 25.4.2022, der die Würdigung durch den Senat für richtig hält; online abrufbar unter: https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/wiederaufnahme-mord-olg-celle-bverfg-ne-bis-in-idem-verfassungsrecht-frederike-von-moehlmann/ (zuletzt abgerufen am 25.5.2022).
[34]    Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl. (2022), Vorb. §§ 359 Rn. 2.
[35]    So auch BRAK, Stellungnahme Nr. 14, 2022, S. 10.
[36]    Angelehnt an BT-Drs. 19/30399, S. 6 und 10.
[37]    Die Verteidiger des Beschwerdeführers haben bereits mit Bekanntgabe des Beschlusses des OLG Celle angekündigt, Verfassungsbeschwerde zu erheben. Vgl. LTO v. 20.4.2022, online abrufbar unter: https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/olgcelle-wiederaufnahme-strafverfahren-fall-moehlmann-dna-mord-vergewaltigung/ (zuletzt aufgerufen am 25.5.2022).
[38]    Das dortige Verfahren wird unter dem Az. 2 BvR 900/20 geführt. Vgl. LTO v. 24.5.2022, online abrufbar unter: https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/wiederaufnahme-strafverfahren-mord-verfassungsbeschwerde-frederike-moehlmann-bverfg-olg-celle/ (zuletzt abgerufen am 25.5.2022).
[39]    Bung, HRRS, 2022, 109 (111).

 

 

 

Schreiben Sie einen Kommentar

Durch Abschicken des Formulares wird dein Name, E-Mail-Adresse und eingegebene Text in der Datenbank gespeichert. Für weitere Informationen lesen Sie bitte unsere Datenschutzerklärung.

Unsere Webseite verwendet sog. Cookies. Durch die weitere Verwendung stimmen Sie der Nutzung von Cookies zu. Informationen zum Datenschutz

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen.
Wenn Sie diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwenden oder auf "Akzeptieren" klicken, erklären Sie sich damit einverstanden.

Weitere Informationen zum Datenschutz entnehmen Sie bitte unserer Datenschutzerklärung. Hier können Sie der Verwendung von Cookies auch widersprechen.

Schließen