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Die Reichweite der Autonomie zur Lebensbeendigung – Überlegungen zur neuen österreichischen Rechtslage

von Prof. Dr. Kurt Schmoller

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Abstract
Der österreichische Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat im Dezember 2020 die generelle Strafbarkeit einer Mitwirkung an der Selbsttötung in § 78 öStGB mit Wirkung am 31.12.2021 als verfassungswidrig aufgehoben. Der österreichische Gesetzgeber hat daraufhin am 1.1.2022 ein eigenes „Sterbeverfügungsgesetz“ in Kraft gesetzt und in § 78 öStGB eine (nur) eingeschränkte Strafbarkeit der Mitwirkung an einer Selbsttötung vorgesehen. Unklar ist, ob mit der gesetzlichen Neuregelung das Autonomiekonzept des VfGH hinreichend umgesetzt wurde. Im folgenden Beitrag wird die weit formulierte Autonomie zur Lebensbeendigung in der Entscheidung des VfGH mit dem Autonomiekonzept der gesetzlichen Neuregelung verglichen und die Grenzziehung kritisch hinterfragt.

In December 2020, the Austrian Constitutional Court annulled the general punishability of participation in suicide in § 78 Austrian Criminal Code as unconstitutional with effect from December 31, 2021. As a result, the Austrian legislature enacted a separate “Dispositions of Dying Act” on January 1, 2022 and provided for (only) limited criminal liability for assisting in a suicide in § 78 Austrian Criminal Code. It is unclear whether the new legal regulation sufficiently implements the Constitutional Court’s concept of autonomy. The following article compares the broadly formulated autonomy to end life in the decision of the Austrian Constitutional Court with the autonomy concept of the new Austrian legal regulation and critically questions the demarcation.

I.Aktuelle Entwicklung in Österreich

1. Mitwirkung an der Selbsttötung – VfGH und Reform

Österreich blickt auf eine lange Rechtstradition zurück, nach der sowohl eine Tötung auf Verlangen (§ 77 öStGB) als auch jede Verleitung und Hilfeleistung zur Selbsttötung (§ 78 öStGB i.d.F. bis 31.12.2021) generell strafbar waren.[1] Zwar gab es in den letzten Jahrzehnten Vorschläge, für tragische Euthanasiesituationen bei schwerkranken, leidenden Personen, die sich eine Lebensbeendi-gung wünschen, Ausnahmen von der Strafbarkeit vorzu-sehen.[2] Der Gesetzgeber hat diese Anregungen jedoch nicht aufgegriffen.

Als der österreichische VfGH im Jahr 2016 die verwaltungsbehördliche Untersagung der Gründung eines Sterbehilfevereins zu beurteilen hatte, stufte er die §§ 77, 78 öStGB noch ausdrücklich als verfassungskonform ein.[3] Im Dezember 2020 überraschte der VfGH jedoch damit, dass er die generelle Strafbarkeit der Mitwirkung an der Selbsttötung für verfassungswidrig erklärte. Während die Verleitung zur Selbsttötung (§ 78 erster Fall öStGB) unberührt blieb, hob der VfGH die Wortfolge „oder ihm dazu Hilfe leistet“ (§ 78 zweiter Fall öStGB) unter Gewährung einer „Reparaturfrist“ bis 31.12.2021 auf.[4]

Als Folge der Entscheidung des VfGH erließ der österreichische Gesetzgeber mit Wirkung ab 1.1.2022 eine Neuregelung des § 78 öStGB, ergänzt durch ein zusätzliches „Sterbeverfügungsgesetz“ (StVfG).[5] Das StVfG regelt, unter welchen inhaltlichen und formellen Voraussetzungen es zulässig ist, dass eine Apotheke einer sterbewilligen Person oder jemandem, der einer solchen Person Hilfe leistet, ein zur Selbsttötung geeignetes Präparat aushändigen darf.[6] Im neu geregelten § 78 öStGB wird neben der nicht tangierten Strafvorschrift gegen die Verleitung zur Selbsttötung (nunmehr § 78 Abs. 1 öStGB) weiterhin auch an der Strafbarkeit einer sonstigen Hilfeleistung festgehalten, diese aber in mehrfacher Hinsicht eingeschränkt (nunmehr § 78 Abs. 2 öStGB).[7] Zum einen ist künftig nur eine „physische Hilfe“ erfasst, zum anderen lässt die neue Tatbestandsformulierung jene Fälle straflos, in denen die physische Hilfeleistung

  • ohne verwerflichen Beweggrund
  • gegenüber einer volljährigen Person erfolgt, die
  • an einer schweren Krankheit i.S. des StVfG leidet und die
  • entsprechend dem StVfG zuvor ärztlich aufgeklärt wurde.

Auf die übrigen Voraussetzungen des StVfG kommt es für die Straflosigkeit nicht an.[8]

Sowohl die Entscheidung des VfGH als auch die gesetzliche Neuregelung werfen neue Fragen auf. Offen ist insbesondere, ob die neue gesetzliche Regelung den Vorgaben des VfGH entspricht.

2. Autonomie zur Lebensbeendigung in der Entscheidung des VfGH

Der VfGH stellt in seiner Entscheidung die Autonomie der individuellen Person in den Vordergrund. Erstmals in seiner Judikatur leitet er – unter Hinweis auf die Schutzgarantie von „Leben und Freiheit“ im Staatsvertrag von Saint-Germain (Art. 63 Abs. 1) – aus dem Grundrecht auf Privatsphäre (Art. 8 EMRK), dem grundrechtlichen Lebensschutz (Art. 2 EMRK) sowie dem Gleichheitsgrundsatz (Art. 2 StGG und Art. 7 Abs. 1 B-VG) ein „Recht auf freie Selbstbestimmung“ ab; dieses umfasse sowohl ein „Recht auf die Gestaltung des Lebens“ als auch ein „Recht auf ein menschenwürdiges Sterben“[9]. Während die erste (sehr weit formulierte) Komponente der freien Lebensgestaltung nicht weiter ausgeführt wird, hält der VfGH zur zweiten Komponente ausdrücklich fest, dass das „Recht auf ein menschenwürdiges Sterben“ auch ein „Recht des Suizidwilligen auf Inanspruchnahme der Hilfe eines (dazu bereiten) Dritten“ umfasst.[10] Der hohe Stellenwert der Autonomie für die Entscheidung des VfGH wird insbesondere an seiner Aussage deutlich, dass es mit Blick auf § 78 öStGB „nicht um eine Abwägung zwischen dem Schutz des Lebens des Suizidwilligen und dessen Selbstbestimmungsrecht“ gehe, sondern allein maßgebend sei, „dass der Entschluss der Selbsttötung auf einer freien Selbstbestimmung gründet“; wenn die autonome Entscheidung feststeht, habe „der Gesetzgeber dies zu respektieren“.[11]

Mit dieser starken Betonung der Autonomie zur Lebensbeendigung orientiert sich der VfGH an der etwa ein halbes Jahr zuvor ergangenen Entscheidung des deutschen BVerfG. Dieses leitete ebenso, wenngleich aus ganz anderen verfassungsrechtlichen Vorgaben, nämlich dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG) und der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG), ein „Recht auf selbstbestimmtes Sterben“ ab, das auch die Freiheit umfasse, „hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und Hilfe, soweit sie angeboten wird, in Anspruch zu nehmen“.[12] Das BVerfG betont dabei ebenfalls die „eigenverantwortliche Entscheidung über das eigene Lebensende“. Diese stehe „in jeder Phase menschlicher Existenz“ zu und sei als „Akt autonomer Selbstbestimmung von Staat und Gesellschaft zu respektieren“.[13]

Zur zunächst umfassenden Zuerkennung einer Autonomie zur Lebensbeendigung passt allerdings nicht ganz, dass der VfGH die Verfassungswidrigkeit des § 78 a.F. StGB letztlich in dem Umstand begründet sieht, dass diese Strafvorschrift durch „ein ausnahmsloses Verbot jegliche Hilfeleistung zur Selbsttötung“ gleichermaßen verbietet.[14] Wenn (nur) ein „ausnahmsloses“ Verbot verfassungswidrig ist, folgt daraus nämlich, dass eine eingeschränkte Strafbarkeit der Mitwirkung an der Selbsttötung verfassungskonform sein kann; dafür spricht auch der Umstand, dass der VfGH dem Gesetzgeber ausdrücklich die erwähnte „Reparaturfrist“ für eine Reform des § 78 StGB eingeräumt hat. Wie weit die Strafbarkeit dabei gehen darf, führt der VfGH allerdings nicht aus. Aus dem Gesamtkontext ergibt sich, dass eine Strafbarkeit der Suizidhilfe jedenfalls in Fällen verfassungskonform wäre, in denen die autonome Entscheidung des Sterbewilligen nicht hinreichend feststeht,[15] ebenso wohl auch dann, wenn trotz bestimmter Strafbarkeitsbereiche eine hinreichende Autonomie des Sterbewilligen verbleibt, seinen Suizidwillen auf anderem Weg umzusetzen. Wie weit zusätzliche Einschränkungen gehen dürfen, ist allerdings fraglich.

In einem Spannungsverhältnis zur starken Betonung der Autonomie zur Lebensbeendigung steht auf der anderen Seite auch, dass der VfGH gegen Ende seiner Entscheidung ausführt, die angestellten Erwägungen seien auf die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit des § 77 öStGB (Tötung auf Verlangen) „nicht ohne Weiteres […] übertragbar“, weil sich diese Strafvorschrift von der Mitwirkung an einer Selbsttötung „in wesentlichen Belangen […] unterscheidet“.[16] Erwartet hätte man nach der weitreichenden Befürwortung einer Autonomie zur Lebensbeendigung eher, dass der VfGH auch die „ausnahmslose“ Strafbarkeit der „Tötung auf Verlangen“ als problematisch ansieht, weil sie der Autonomie zur Lebensbeendigung nicht hinreichend Rechnung trage. Der VfGH erklärt nicht, warum das Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben nicht auch das Recht umfasst, Hilfe in Form einer schmerzfreien und komfortablen Tötung durch eine andere Person zu suchen und anzunehmen; diese Frage wird vor allem in Fällen akut, in denen ein Sterbewilliger auch mit Unterstützung nicht mehr in der Lage ist, eine Selbsttötung auszuführen.[17]

3. Autonomie zur Lebensbeendigung in der gesetzlichen Neuregelung

Mit der seit 1.1.2022 geltenden Neufassung des § 78 öStGB[18] hat der Gesetzgeber die Entscheidung des VfGH umgesetzt und die ausnahmslose Strafbarkeit einer Hilfe bei der Selbsttötung beseitigt. Allerdings blieb die Strafbarkeit doch in einem vergleichsweise weiten Bereich aufrecht, insbesondere weil die Straflosigkeit eine schwere Krankheit i.S. des StVfG voraussetzt, zusätzlich eine ärztliche Aufklärung, Volljährigkeit des Sterbewilligen und das Fehlen eines verwerflichen Beweggrunds beim Täter. Der Gesetzgebung lag dabei offensichtlich ein deutlich eingeschränkteres Autonomiekonzept zugrunde als dem VfGH.

Der Gesetzgeber folgte offenbar nicht der Ansicht, dass eine entscheidungsfähige Person in jeder Lebenslage das Recht habe, Suizidassistenz in Anspruch zu nehmen; möglicherweise bestanden auch Bedenken, ob sich ein solcher Entschluss außerhalb der straflos gestellten Fälle mit hinreichender Klarheit feststellen lasse. Keine hinreichend autonome Entscheidung auf Lebensbeendigung wird danach generell bei minderjährigen Personen angenommen.[19] Aber auch volljährigen Personen wird, sofern sie nicht an einer schweren Krankheit i.S. des StVfG leiden und zusätzlich eine dem StVfG entsprechende ärztliche Aufklärung erhalten haben, keine Inanspruchnahme von Suizidassistenz gewährt.[20] Ausgehend vom Kriterium der Autonomie des Sterbewilligen lässt sich schließlich schwer erklären, warum allein ein „verwerflicher Beweggrund“ des Hilfeleistenden die vom Sterbewilligen erwünschte Hilfe unzulässig macht;[21] allenfalls ist der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass einer Person, die aus einem verwerflichen Beweggrund tätig wird, generell zu misstrauen sei, ob sie das Vorliegen eines autonomen Entschlusses auf Lebensbeendigung hinreichend genau prüft. Die Ausgestaltung des neuen § 78 öStGB lässt somit insgesamt darauf schließen, dass der Gesetzgeber die Autonomie, Suizidhilfe in Anspruch zu nehmen, merkbar enger sieht, als dies in den Formulierungen des VfGH zum Ausdruck kommt.

Nicht ganz klar erscheint in diesem Zusammenhang auch die Beschränkung der Strafbarkeit (in allen genannten Fällen) auf „physische Hilfe“ zur Selbsttötung. Zwar erweitert diese den Bereich der Straflosigkeit, weil ein Gedankenaustausch über eine Selbsttötung (als allfällige psychische Hilfe) generell aus dem Strafbarkeitsbereich ausgeklammert wird. Allerdings kann gerade eine psychische Einwirkung, wenn sie auf eine Bestärkung im Tatentschluss hinausläuft, (sogar eher als eine physische Hilfe) geeignet sein, die Autonomie der Entscheidung zur Lebensbeendigung infrage zu stellen. Denn so, wie die (psychische) Verleitung zur Selbsttötung weiterhin generell strafbar ist (§ 78 Abs 1 öStGB), wäre es sinnvoll, auch bei einer sonstigen Mitwirkung für die Straffreiheit zu fordern, dass der Selbsttötungsentschluss unbeeinflusst vom Hilfeleistenden zustande gekommen ist.[22] Wenn hingegen die psychische Einflussnahme den vorhandenen Selbstmordentschluss deutlich bestärkt hat, möglicherweise der Sterbewillige sogar davon abgehalten wurde, den gefassten Entschluss wieder aufzugeben, lässt sich nicht mehr sagen, dass der Selbsttötungsentschluss eine „unbeeinflusste“ freie Entscheidung des Suizidenten war. Dies würde in den angesprochenen Fällen einer psychischen Unterstützung eher gegen eine Straffreistellung sprechen.

4. Verbleibende Fragen

Vergleicht man das weit formulierte Konzept der Autonomie zur Lebensbeendigung in der Entscheidung des VfGH (auch wenn dann letztlich nur die Verfassungswidrigkeit einer ausnahmslosen Strafbarkeit der Mitwirkung an der Selbsttötung festgestellt wurde) mit dem Autonomiekonzept, das der Gesetzgeber dem neu geregelten § 78 öStGB zugrunde gelegt hat, stößt man auf eine gewisse Diskrepanz. Wie diese aufzulösen ist, erscheint als eine der wesentlichen Fragen der Neuregelung. Ob die Neuregelung einer allfälligen (erneuten) Anfechtung vor dem VfGH standhält, wird die Zukunft zeigen. 

Im Folgenden soll die Reichweite der „Autonomie zur Lebensbeendigung“, insbesondere deren Wirkung auf hilfeleistende Personen, näher analysiert und dabei aufgezeigt werden, dass in unterschiedlicher Hinsicht Differenzierungen sachgerecht erscheinen.

II. Differenzierung zwischen eigenem Verhalten und Unterstützungshandlungen?

1. Autonomie unabhängig von der Bewertung durch andere 

Die Autonomie des Einzelnen, über sich selbst zu verfügen, ist auch dann zu respektieren, wenn sein Verhalten von der Mehrheit als nicht nachvollziehbar, unvernünftig oder schädlich angesehen wird. Denn der Wert der Autonomie liegt gerade darin, dass sie auch die Freiheit zu solchen Verhaltensweisen gewährleistet. So mag z.B. gefährliches Extremklettern, Paragleiten oder Schifahren ohne Sturzhelm von vielen negativ bewertet werden, weil man dabei Leib und Leben allzu sehr der Gefahr eines schweren Unfalls aussetzt, mit allen negativen Folgen z.B. für Retter und Angehörige. Dennoch spricht die Autonomie des Einzelnen zu seiner Lebensgestaltung dagegen, ein solches Verhalten zu verbieten. Auch wenn jemand z.B. lange Autobahnstrecken ohne Ziel einfach deshalb fährt, weil ihm Autofahren Spaß macht, kann dies zwar im Hinblick auf die damit verbundene Umweltbeeinträchtigung negativ bewertet werden, ist aber durch die Autonomie des Einzelnen gedeckt. Wenn ein Familienvater intensiv seinem Hobby nachgeht und deshalb kaum Zeit mit seinen Kindern verbringt, kann darin ein Unwert gesehen werden; dennoch wird eine solche autonome Entscheidung über die Lebensführung rechtlich weitgehend hingenommen. In diesen Kontext reihen sich auch Fälle der Selbsttötung ein. Eine solche kann, vor allem wenn der Grund für die Selbsttötung „unvernünftig“ erscheint, großes Leid für Angehörige, insbesondere für die der Obsorge obliegenden Kinder, auslösen. Die Selbsttötung wird in solchen Fällen allgemein als „unerwünschtes Ereignis“, als „Unglück“ empfunden.[23] Dennoch wird dem Suizidenten die Autonomie, seinem Leben ein Ende zu setzen (soweit es sich um einen frei und eigenverantwortlich gebildeten, einigermaßen dauerhaften Entschluss handelt), nicht abgesprochen.

Die Anerkennung von Autonomie auch bei (wegen der möglichen Folgen) negativ bewerteten Verhaltensweisen ist zu befürworten, andernfalls ginge der spezifische Wert der Autonomie für den Einzelnen verloren.

2. Weite Akzeptanz eigenen autonomen Verhaltens

Bei Fragen der individuellen Lebensgestaltung akzeptiert die Rechtsordnung die Autonomie des Betroffenen jedenfalls so lange sehr weitgehend, als die betroffene Person das jeweilige Verhalten selbst vornimmt. So ist es etwa (in Anknüpfung an die vorstehend angeführten Beispiele) rechtlich erlaubt, gefährliches Extremklettern auszuüben, Paragleitflüge zu absolvieren, mit dem Auto lange Spazierfahrten auf Autobahnen zu machen oder sich auch als Familienvater so exzessiv seinem Hobby zu widmen, dass wenig Zeit für die Kinder verbleibt. 

Ebenso wird heute ein Suizid als rechtmäßig angesehen, auch wenn sich der Suizident dadurch familiären Pflichten entzieht und seinen Angehörigen großes Leid zufügt.[24] Nicht anders wäre z.B. auch zu entscheiden, wenn sich jemand aufgrund autonomer Selbstbestimmung, etwa aus einem religiösen Extremismus, selbst eine körperliche, insbesondere genitale Verstümmelung zufügt.[25] Eine solche Verstümmelung ist, ebenso wie religiöser Extremismus allgemein, negativ zu bewerten. Die Autonomie, über sich selbst zu verfügen, hat demgegenüber aber Vorrang.

In einem gewissen Widerspruch zur Autonomie entscheidungsfähiger Personen stehen allerdings einzelne Verbote, die auch für volljährige entscheidungsfähige Personen bestimmte selbstgefährdende Verhaltensweisen verbieten, etwa die für alle geltende Helmpflicht beim Lenken eines motorisierten Zweirads oder die Pflicht zur Anlegung eines Sicherheitsgurts in den meisten Fahrzeugen.[26] Zweifellos sind diese Verbote geeignet, in sinnvoller Weise Verletzungen und Todesfolgen entgegenzuwirken. Mit dem vom VfGH postulierten Recht auf „freie Selbstbestimmung“, insbesondere dem Recht auf „eigene Lebensgestaltung“, sind solche Verbote allerdings kaum vereinbar.

3. Verbot von Unterstützungshandlungen

Ausgehend von der Problematik der Suizidassistenz stellt sich allerdings die Frage, ob alle Verhaltensweisen, deren Selbstvornahme als Ausdruck individueller Autonomie rechtlich zu akzeptieren sind, damit automatisch auch von anderen Personen durch Hilfeleistung aktiv unterstützt werden dürfen. Bei näherer Betrachtung ist diese Frage nicht pauschal zu beantworten, sondern – weil es nicht mehr allein um die Ausübung eigener Autonomie geht – einer abwägenden Differenzierung zugänglich.

Zum einen bezieht sich das Konzept der individuellen Autonomie primär auf die Wahl eigenen Verhaltens. Bei der Frage der Hilfeleistung geht es hingegen um die Umsetzung fremder Autonomie, die nicht in den zentralen Bereich der eigenen Lebensgestaltung fällt. Zum anderen kommt immer dann, wenn eine Verhaltensweise mit einer Preisgabe eigener Rechtsgüter verbunden ist, hinzu, dass diesbezügliche Unterstützungshandlungen nicht ein eigenes, sondern ein fremdes Rechtsgut beeinträchtigen.[27] Aufgrund dieser Unterschiede ist es nicht ausgeschlossen, dass bei einer negativ bewerteten Verhaltensweisen zwar die Verwirklichung eigener Autonomie zu respektieren ist, einer zusätzlichen Förderung solcher Verhaltensweisen durch andere Personen aber entgegengewirkt wird. Unstreitig dürfte insoweit sein, dass den Staat keine Pflicht trifft, negativ bewertete Verhaltensweisen, nur weil sie Ausdruck individueller Autonomie sind, staatlich zu fördern.[28] Ebenso wie der Staat eine staatliche Förderung verweigern kann, erscheint es auch zulässig, dass der Staat darauf hinwirkt, eine Förderung durch private Personen hintanzuhalten.[29]

Aus der rechtlichen Erlaubtheit einer Verhaltensweise folgt deshalb nicht zwingend, dass stets auch eine Förderung solcher Verhaltensweisen erlaubt sein muss. Zwar wird in den meisten Fällen (weniger gravierender Verhaltensweisen) die Autonomie nicht nur die Selbstvornahme, sondern auch die Hilfeleistung durch andere legitimieren. Bei besonders gravierenden und irreversiblen Handlungen ist es aber möglich, die Autonomie einer Selbstvornahme zu respektieren, eine Förderung solcher Handlungen durch andere aber einzuschränken. Von daher erscheint es grundsätzlich nicht als Widerspruch, eine Suizidassistenz unter Strafe zu stellen, obwohl die Selbsttötung als solche nicht rechtswidrig ist. Als Beispiel aus einem anderen Bereich kann etwa der Konsum von Sucht- bzw. Betäubungsmitteln dienen, der als solcher ebenfalls nicht unter Strafe steht, bei dem aber jede Mitwirkung am Konsum (z.B. durch Verschaffen oder Weiterreichen des Sucht- bzw. Betäubungsmittels) strafbar ist.[30] Wenngleich etwas anders gelagert, lässt sich auch die straffreie Flucht eines Häftlings aus einem Gefängnis bei gleichzeitiger Strafbarkeit einer diesbezüglichen Hilfeleistung anführen.[31] Beim oben erwähnten Beispiel einer körperlichen, insbesondere genitalen Selbstverstümmelung ist nach derzeitiger Rechtslage auch eine Hilfeleistung dazu nicht unter Strafe gestellt. Vor dem Hintergrund, dass derartige Verstümmelungen gesellschaftlich stark negativ bewertet werden (vgl. das generelle Verbot einer Genitalverstümmelung auch mit Zustimmung des/r Betroffenen in § 90 Abs. 3 öStGB), wäre es aber nach dem Gesagten – ungeachtet der Autonomie des/r Einzelnen – rechtlich nicht ausgeschlossen, dass der Gesetzgeber eine Hilfeleistung bei einer körperlichen, insbesondere genitalen Selbstverstümmelung unter Strafe stellt (dies stünde sogar in einem gewissen Einklang mit § 90 Abs. 3 öStGB). 

Auf den ersten Blick scheint die Strafbarkeit der Hilfeleistung zu einem Verhalten, das für sich straflos ist, mit einem Einheitstätersystem, wie in Österreich, leichter vereinbar zu sein als mit dem durch Akzessorietät geprägten deutschen Teilnahmesystem; denn die Strafbarkeit des Hilfeleistenden hängt im Einheitstätersystem generell nicht von der strafrechtlichen Beurteilung des unmittelbar Ausführenden ab. Jedoch bildet auch ein (akzessorisch ausgestaltetes) Teilnahmesystem kein zwingendes Hindernis einer solchen Konstruktion; denn wenn der Gesetzgeber allein eine bestimmte Hilfeleistung als strafwürdig einstuft und diese in einen eigenen Straftatbestand kleidet, wird dieser Straftatbestand „als Täter“ und deshalb ohne Akzessorietät zu anderen Mitwirkenden verwirklicht.[32]

Im Einzelnen muss der Gesetzgeber aber stets abwägen, ob bei der Unterstützung einer autonomen Verhaltensweise der Vorteil für die Autonomie des Geförderten überwiegt oder aber das Anliegen, bei negativ bewerteten Verhaltensweisen eine Förderung durch andere Personen möglichst  hintanzuhalten.  Eine  solche  differenzierende

Abwägung könnte deshalb auch bei der Suizidassistenz getroffen werden: Vor allem bei Personen, die auf Hilfe beim Suizid angewiesen sind, fällt das Anliegen, deren Autonomie zu wahren, verstärkt ins Gewicht;[33] dies gilt umso mehr, je besser nachvollziehbar der Sterbewille ist. Umgekehrt überwiegt bei einer jungen gesunden Person ohne hinreichenden Grund für einen Sterbewunsch tendenziell das Anliegen, die Förderung eines solchen Suizids durch Dritte zu verhindern. 

Wichtig ist dabei festzuhalten, dass die individuelle Autonomie zwar möglichst weitgehend zu respektieren ist, solange es um die Vornahme des autonomen Verhaltens selbst geht, dass aber hinsichtlich der Beurteilung der Förderung durch eine andere Person eine Abwägung nicht ausgeschlossen erscheint. Wenn der VfGH deshalb formuliert, dass es nicht um eine Abwägung, sondern um die Respektierung von Autonomie gehe,[34] lässt sich diese Aussage zwar generell für die autonom handelnde Person selbst, nicht aber für eine Förderung durch eine andere Person aufrechterhalten.

4. Verbot einer Durchführung anstelle des Betroffenen

Eine Förderung der Umsetzung individueller Autonomie kann nicht nur dadurch erfolgen, dass das autonome Handeln des Betroffenen durch einen anderen unterstützt wird, sondern auch dadurch, dass ihm die erforderliche Handlung gänzlich abgenommen wird, um unmittelbar das vom Betroffenen autonom verfolgte Ziel zu erreichen. Unter dem Gesichtspunkt der Umsetzung individueller Autonomie ist eine so weitgehende Hilfeleistung für den Betroffenen sogar besonders wertvoll. Dies gilt umso mehr dann, wenn die betroffene Person Schwierigkeiten hat, ihre Autonomie (selbst mit fremder Hilfe) durch eigenes Verhalten zu verwirklichen.

Im Fall der negativen Bewertung eines – wenngleich vom Betroffenen autonom gewählten – Ziels wird allgemein davon ausgegangen, dass die Rechtsordnung verbieten kann, die zum Ziel führende Handlung dem Betroffenen abzunehmen, sie also an seiner Stelle durchzuführen. Dies zeigt deutlich die international verbreitete Strafbarkeit einer „Tötung auf Verlangen“. Während die eigene Durchführung eines Suizids als rechtmäßig bewertet wird, ist es selbst auf ein Verlangen des Sterbewilligen hin mit Strafe bedroht, diesem die Tötungshandlung abzunehmen.

Richtigerweise geht es auch hier um eine Abwägung zwischen der Verwirklichung individueller Autonomie und der Hintanhaltung der Förderung negativ bewerteter Ereignisse. Diese Abwägung kann allenfalls auch zugunsten der Autonomie ausgehen, vor allem dann, wenn der Betroffene (z.B. infolge starker körperlicher Einschränkungen) gar keine Möglichkeit mehr hat, sein Ziel durch eigenes Verhalten (selbst mit fremder Hilfe) zu verwirklichen,[35] und umso mehr, wenn das Ziel aufgrund der individuellen Situation gut nachvollziehbar ist. Andererseits wird es in Fällen, in denen der Betroffene selbst seine Ziele durch eigenes Verhalten ohne Weiteres erreichen kann, und zudem, je weniger plausibel das Motiv für die Zielerreichung erscheint, eher angebracht sein, eine so weitgehende Unterstützung wie die Durchführung der erforderlichen Handlung anstelle des Betroffenen rechtlich zu verbieten. Die Strafbarkeit einer Tötung auf Verlangen erscheint insoweit legitim. Allerdings sind auch Extremfälle denkbar, in denen ein Vorrang der Autonomie und damit eine Straflosigkeit der Tötung auf Verlangen ähnlich begründbar ist wie eine Straflosigkeit der Mitwirkung an der Selbsttötung.[36] Die derzeitige ausnahmslose Strafbarkeit einer Tötung auf Verlangen in § 77 öStGB trägt dieser Überlegung nicht Rechnung.

Eine analoge Situation zur Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen besteht im Bereich schwerer Körperverletzungen dort, wo eine solche ungeachtet einer Einwilligung oder sogar eines Verlangens des Betroffenen strafbar ist, obwohl eine entsprechende Selbstverletzung des Betroffenen erlaubt wäre. Dies gilt für alle Körperverletzungen, die unabhängig von der Zustimmung des Betroffenen i.S. des § 90 öStGB als „sittenwidrig“ bewertet werden und die deshalb trotz Einwilligung stets strafbar sind. Hierher gehört etwa generell eine Genitalverstümmelung, die bei Vornahme durch einen anderen gemäß § 90 Abs. 3 öStGB auch bei einem Verlangen des Betroffenen strafbar ist (während eine Selbstvornahme oder auch eine Beteiligung daran straflos bliebe).[37] Auch an diesem Beispiel zeigt sich, dass die Autonomie zur Verfügung über den eigenen Körper nicht entgegensteht, eine Hilfe in Form der Durchführung durch einen anderen unter Strafe zu stellen.

5. Zwischenergebnis

Nach den bisherigen Überlegungen ist festzuhalten, dass ein (vom VfGH angenommenes) „Recht auf freie Selbstbestimmung“ zwar in weitem Rahmen zur Folge hat, dass Verhaltensweisen einer Person, die Ausdruck eigener Autonomie sind, durchgeführt werden dürfen. Damit ist aber nicht „automatisch“ verbunden, dass auch eine Unterstützung solcher Verhaltensweisen oder gar eine Vornahme der betreffenden Verhaltensweise anstelle des Autonomieträgers gleichermaßen erlaubt sind. Vielmehr kann der Gesetzgeber bei Verhaltensweisen, die negativ bewertet werden, zwar der Autonomie des Einzelnen Rechnung tragen, indem er solche Verhaltensweisen erlaubt, gleichzeitig aber eine Mitwirkung an solchen Verhaltensweisen und umso mehr eine Vornahme der Handlung anstelle der autonomen Person verbieten bzw. mit Strafe bedrohen. Allein der Umstand, dass ein Suizid als solcher generell als rechtmäßig angesehen wird, steht deshalb nicht entgegen, in bestimmten Fällen eine Suizidassistenz mit Strafe zu bedrohen oder – in noch weiterem Umfang – eine Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen vorzusehen. Umgekehrt gibt es Situationen, in denen bei einer Abwägung das Interesse an der Umsetzung eines autonomen Entschlusses auf Lebensbeendigung vorrangig erscheint. In diesen Fällen wäre es konsequent, auch eine Hilfeleistung bei der Selbsttötung und u.U. sogar eine Tötung auf Verlangen straffrei zu stellen.

III. Schutz vor Ausübung „temporärer“ Autonomie?

1. Ausgangspunkt: wechselnde Lebensphasen

Das vom VfGH ebenso wie vom BVerfG zugrunde gelegte Konzept eines „Rechts auf freie Selbstbestimmung“, das auch die Lebensbeendigung umfasse und grundsätzlich in jeder Lebensphase zustehe, stößt auf eine Problematik, die von keinem der beiden Gerichte angesprochen wurde, aber bei der Entscheidung über die Zulässigkeit einer Suizidassistenz beachtet werden sollte. Es entspricht nämlich der Erfahrung wohl jedes (nicht mehr ganz jungen) Menschen, dass man im Lauf der Jahre und Jahrzehnte sehr wechselnden Lebensphasen ausgesetzt ist, in denen sich die Umstände und Rahmenbedingungen, aber auch die individuellen Präferenzen und Empfindungen stark ändern. Was man in einer früheren Lebensphase als Genuss empfunden hat, mag mehrere Jahre oder Jahrzehnte später unattraktiv oder sogar lästig sein, was man umgekehrt in einer früheren Lebensphase verabscheut hat, kann man zu einem späteren Zeitpunkt wertschätzen. Wenn einer Person voraussichtlich noch viele Jahre bzw. sogar mehrere Jahrzehnte des Lebens offenstehen, lässt sich im Regelfall nicht voraussehen, in welche Richtung sich Umstände ändern und welche Lebensphasen diese Person noch durchlaufen wird. Was in Jahrzehnten passieren kann und wie man sich selbst in Jahrzehnten fühlen wird, ist in der Regel nicht überblickbar.

Sowohl der VfGH als auch das BVerfG nehmen einen autonomen Entschluss zur Lebensbeendigung nur dann an, wenn dieser eine gewisse Dauer und Nachhaltigkeit aufweist.[38] Zwar wird insoweit keine bestimmte Zeitspanne angegeben, man kann aber davon ausgehen, dass ein Entschluss, der mehrere Wochen oder sogar mehrere Monate aufrecht ist, das Erfordernis dieser Dauerhaftigkeit erfüllt. Auch junge und selbst minderjährige Menschen können einen solchen (relativ) dauerhaften Entschluss fassen. Es entspricht aber auch der Lebenserfahrung, dass man einen Entschluss, der im Alter von z.B. 18 Jahren mit einer gewissen Dauerhaftigkeit gefasst war, Jahrzehnte später nicht mehr befürwortet, weil man nun die Situation ganz anders sieht. Dies gilt insbesondere auch für einen Entschluss auf Lebensbeendigung. Wenn eine 18-jährige Person mit einer gewissen Nachhaltigkeit einen Entschluss auf Lebensbeendigung fasst, etwa aus überwältigendem Liebeskummer, aufgrund des Gefühls, sich öffentlich extrem blamiert zu haben, oder etwa aufgrund eines verschuldeten tödlichen Unfalls, ist dennoch keineswegs unwahrscheinlich, dass diese Person 20 Jahre später ihre Lebenskrise überwunden hat, das weitere Leben schätzt und genießt. Auch ein mehrere Wochen oder Monate anhaltender Entschluss auf Lebensbeendigung ist in diesem Fall nur „temporär“, weil durchaus wahrscheinlich ist, dass der Entschluss nach Überwindung der Lebenskrise revidiert wird.[39]

Grundsätzlich schützt die Rechtsordnung nicht vor Verhaltensweisen, die man selbst später bereut. Problematisch sind in diesem Zusammenhang aber vor allem Verhaltensweisen, wie die eigene Lebensbeendigung, die zentrale Weichenstellungen betreffen und gleichzeitig unumkehrbar sind. In einem solchen Bereich erscheint es als ein legitimes Ziel der Rechtsordnung, eine (vor allem junge) Person bis zu einem gewissen Grad davor zu schützen, dass sie in einer Lebensphase eine existenzielle und endgültige Entscheidung umsetzt, die ihr die Möglichkeit nimmt, sich später anders zu orientieren. Mit einem grundsätzlichen Bekenntnis zur Autonomie ist es deshalb vereinbar, wenn die Rechtsordnung versucht, eine frühe Lebensbeendigung aus Liebeskummer zu verhindern (auch wenn der Entschluss auf Lebensbeendigung einige Wochen oder sogar Monate anhält), um der betroffenen Person die Möglichkeit zu bewahren, in einer späteren Lebensphase unter geänderten Umständen das Leben gern weiterzuführen und zu genießen. Dasselbe Anliegen kann die Rechtsordnung etwa auch für die Umsetzung eines Entschlusses auf körperliche Verstümmelung, insbesondere Genitalverstümmelung, verfolgen. Wenn eine Frau in jungen Jahren, etwa aufgrund extremer religiöser Anschauungen, den Entschluss zu einer verstümmelnden Genitalbeschneidung fasst, ist es ein berechtigtes Anliegen der Rechtsordnung, dieses Anliegen nicht zu fördern, weil sich die Person damit der Möglichkeit beraubt, zu einem späteren Zeitpunkt, wenn sie z.B. ihren religiösen Extremismus überwunden hat, wieder ein unbeeinträchtigtes Leben ohne Verstümmelung zu führen.

2. Konsequenzen für eigenes Verhalten und Unterstützung 

Auch hinsichtlich des Anliegens, Menschen vor ihrem eigenen „temporären“ Entschluss auf Lebensbeendigung zu schützen, um ihnen die (nicht unwahrscheinliche) Möglichkeit zu erhalten, später lebenbejahend weiterzuleben, erscheint jedoch eine abgestufte rechtliche Regelung angemessen. So reicht das Anliegen, eine Person gleichsam „vor sich selbst zu schützen“, nicht aus, um das autonome Verhalten der Person selbst zu verbieten. Auch der Suizid einer jungen, gesunden Person aus Liebeskummer ist für sich gesehen nicht rechtswidrig, sondern Ausübung einer Autonomie, die die Rechtsordnung respektieren muss. Gleiches gilt etwa für eine selbst durchgeführte (Genital-)Verstümmelung. Insofern gilt die Aussage des VfGH, dass der Respekt vor der Autonomie des Einzelnen keine Abwägung zulässt.[40] 

Anders ist die rechtliche Situation aber im Hinblick auf eine Förderung solchen Verhaltens durch andere Personen. Es erscheint legitim, die Umsetzung eines „temporären“ Entschlusses einer jungen Person auf Selbsttötung dadurch möglichst hintanzuhalten, dass die Rechtsordnung die Unterstützung eines solchen Verhaltens durch eine andere Person untersagt. Erst recht kann die Rechtsordnung verbieten, dass eine andere Person die Umsetzung des Entschlusses auf Lebensbeendigung für die betreffende Person ausführt, sie also auf ihr Verlangen hin tötet. Mit den Straftatbeständen der Tötung auf Verlangen und der Mitwirkung an einer Selbsttötung hat der Gesetzgeber wohl gerade den Schutzzweck verfolgt, eine Person vor ihrem eigenen (bei noch langer Lebenserwartung) stets „temporären“ Entschluss auf Lebensbeendigung zu bewahren, um nicht die Möglichkeit eines lebensbejahenden Weiterlebens in einer späteren Lebensphase zu vereiteln.[41] 

Analoges lässt sich für das Anliegen, Personen vor einer auf einem temporären Entschluss beruhenden (Genital-)Verstümmelung zu bewahren. Zwar hat der Gesetzgeber bisher keinen Anlass gesehen, eine Hilfeleistung bei der Selbstverstümmelung einer Person unter Strafe zu stellen. Die Grenze ist aber dahingehend gezogen, dass es ausnahmslos rechtswidrig und strafbar ist, einer Person bei der Umsetzung ihres autonomen Entschlusses dadurch zu helfen, dass die von der Person gewünschte verstümmelnde Handlung vorgenommen wird. Der Gesetzgeber hat dies durch das generelle Verbot einer sittenwidrigen Körperverletzung, unter ausdrücklicher Hervorhebung einer Genitalverstümmelung, in § 90 öStGB zum Ausdruck gebracht; die Strafbarkeit besteht gleichermaßen, wenn der Betroffene aufgrund eines autonomen Entschlusses den Täter eindringlich um Durchführung der Verstümmelung gebeten hat.

3. Entfall der Beschränkung bei „finaler“ Autonomie

Das dargestellte Schutzbedürfnis entfällt allerdings, wenn sich die zur Lebensbeendigung entschlossene Person in einer Situation befindet, in der realistischerweise keine wesentliche Änderung der Situation zu erwarten ist und damit auch eine Änderung des Entschlusses auf Lebensbeendigung nicht mehr wahrscheinlich ist. Dies ist in der Regel dann der Fall, wenn eine Person aufgrund ihrer schweren Krankheit oder sonst ihres schweren Leidens die verbleibende Lebensspanne hinreichend überblicken kann und eine Verbesserung der Situation während dieses Zeitraums unrealistisch ist. In solchen Fällen erscheint ein überlegter Entschluss zur Lebensbeendigung nicht mehr „temporär“, sondern angesichts der Überblickbarkeit des Lebensrests und der sich voraussichtlich nicht mehr wesentlich ändernden Lebensumstände „final“. Lässt die Lebenssituation darauf schließen, dass ein Entschluss auf Lebensbeendigung in diesem Sinn als „final“ anzusehen ist, entfällt das Schutzinteresse, die Person für eine Revidierung ihres Entschlusses in einer späteren Lebensphase am Leben zu erhalten.[42] In solchen Situationen kann der rechtliche Schutz deshalb zugunsten einer erweiterten Autonomie leichter zurückgenommen werden, indem auch eine Hilfeleistung bei der Selbsttötung und unter Umständen sogar eine Tötung auf Verlangen rechtlich zugelassen werden.

Gegen die hier vorgenommene Unterscheidung zwischen einem „temporären“ und einem „finalen“ Entschluss auf Lebensbeendigung wurde eingewandt, dass auch bei schwer kranken Personen in der letzten Lebensphase eine Änderung des Entschlusses nie ausgeschlossen werden kann und der Entschluss sich deshalb stets erst dann als „final“ erweist, wenn er bis zum Tod aufrechterhalten wurde, in diesem Fall aber kein Bedarf mehr für eine Lebensbeendigung besteht.[43] Dieser Einwand beruht jedoch auf einem Missverständnis. Für die Beurteilung eines Entschlusses auf Lebensbeendigung als „final“ ist nicht die theoretische Möglichkeit maßgebend, dass eine Person ihren Entschluss jederzeit ändern kann, sondern es kommt darauf an, ob zu erwarten ist, dass die Person später unter deutlich geänderten Umständen in eine neue Lebensphase tritt, in der sie wieder gern weiterlebt. Ist hingegen das verbleibende Leben überschaubar und besteht keine Aussicht, dass sich die Lebensverhältnisse in diesem Zeitraum deutlich verbessern, so ist keine neue „Lebensphase“ zu erwarten, in der der Betroffene möglicherweise wieder gern lebt. Bei gleichbleibenden Lebensumständen ist vielmehr die autonome Entscheidung der Person auf Lebensbeendigung als verbindlich hinzunehmen. In dieser Situation ist eine Rücknahme der Strafdrohungen gegen Suizidassistenz oder gegen eine Tötung auf Verlangen vertretbar.

4. Zwischenergebnis

Das vom VfGH angenommene Recht auf „freie Selbstbestimmung“ ist im Hinblick auf die Lebensbeendigung auch dadurch zu relativieren, dass bei Personen mit noch jahrzehntelanger Lebenserwartung das restliche Leben nicht überblickbar ist und deshalb keineswegs unwahrscheinlich erscheint, dass die Person in einer späteren Lebensphase wieder Gefallen an ihrem Leben findet und dieses genießt. In solchen Fällen ist ein Entschluss auf Lebensbeendigung zwar möglicherweise bis zu einem gewissen Grad „dauerhaft“, stets aber nur „temporär“ auf die jeweilige Lebensphase bezogen. Es erscheint als berechtigtes Anliegen, dass die Rechtsordnung der Förderung eines solchen „temporären“ Entschlusses auf Lebensbeendigung entgegentritt. Zwar ist auch in solchen Fällen der Suizid selbst als Ausübung von Autonomie und damit als rechtmäßig zu respektieren. Die Rechtsordnung verfolgt aber ein berechtigtes Anliegen, wenn sie der Hilfe bei der Umsetzung eines solchen Selbstmordentschlusses durch Strafvorschriften gegen Suizidassistenz bzw. gegen eine Tötung auf Verlangen entgegentritt. Es gilt dasselbe wie hinsichtlich der in § 90 Abs. 3 öStGB vorgesehenen generellen Strafbarkeit einer Genitalverstümmelung, die selbst auf einen autonomen Entschluss und eindringliches Bitten des Betroffenen hin strafbar ist.

Das aufgezeigte Schutzbedürfnis reduziert sich allerdings in Fällen eines „finalen“ Entschlusses auf Lebensbeendigung, wenn sich der Betroffene aufgrund eines schweren Leidens in einer ausweglosen Situation befindet, in der die ihm verbleibende Lebenszeit überblickbar ist und die Lebensumstände sich nicht mehr verbessern werden. In solchen Fällen ist es vertretbar, den rechtlichen Schutz (in Form eines Verbots der Suizidassistenz oder auch einer Tötung auf Verlangen) partiell zurückzunehmen.

IV. Bewertung der österreichischen Rechtslage und Ausblick

Die Überlegungen zum Verhältnis zwischen Autonomie zur Lebensbeendigung, Suizidassistenz und Tötung auf Verlangen haben ergeben, dass der Ausgangsposition des VfGH sowie des BVerfG hinsichtlich der Selbstbestimmung über die Lebensbeendigung grundsätzlich zuzustimmen ist. Das diesbezügliche Selbstbestimmungsrecht ist zu akzeptieren, Konsequenzen bestehen darin, dass jedenfalls die Ausführung eines Suizids nicht als rechtswidrig einzustufen ist, und dass die Autonomie des Sterbewilligen auch für den Bereich der Suizidassistenz und ebenso der Tötung auf Verlangen ein wesentliches Recht darstellt.

Andererseits folgt aus der Autonomie zur Lebensbeendigung nicht zwingend, dass stets auch eine Unterstützung durch eine andere Person, sei es in Form einer Suizidassistenz oder einer Tötung auf Verlangen, ebenfalls als rechtmäßig eingeordnet werden muss. Sobald es nicht mehr um die Umsetzung eigener Autonomie, sondern um die Förderung der Autonomie anderer geht, besteht für die Gesetzgebung ein Abwägungsspielraum, inwieweit eine Förderung durch Verbote eingeschränkt werden soll. Diese Einschränkungen dürfen aber nicht so weit gehen, dass sie es der betroffenen Person unmöglich machen, ihre Autonomie zur Lebensbeendigung umzusetzen. Vor allem in Fällen, in denen eine Person zur eigenen Lebensbeendigung nicht mehr imstande ist, darf eine entsprechende Hilfe in Form der Suizidassistenz, konsequenterweise bei Bedarf aber auch eine Tötung auf Verlangen, nicht ausnahmslos verboten werden.

Die Neuregelung der Mitwirkung an der Selbsttötung in § 78 öStGB hat dem Auftrag des VfGH Rechnung getragen, eine solche Mitwirkung nicht ausnahmslos unter Strafe zu stellen. Eine begrenzte Strafbarkeit erscheint mit den Vorgaben des VfGH vereinbar. Die Rechtmäßigkeit des Suizids steht einer begrenzten Strafbarkeit der Suizidassistenz, wie gezeigt, nicht im Weg. Die entscheidende Frage ist zunächst, ob es verfassungskonform ist, eine Erlaubnis zur Suizidassistenz davon abhängig zu machen, dass der Sterbewillige an einer schweren, zum Tod führenden oder dauerhaften Krankheit leidet. Vor dem Hintergrund der Problematik eines „temporären“ Entschlusses zur Lebensbeendigung (der sich in einer neuen Lebensphase nach Jahren oder Jahrzehnten wieder vollständig ändern kann) erscheint es legitim, dass der Gesetzgeber versucht hat, auf einen „finalen“ Entschluss (in einer Situation, in der für das verbleibende Leben keine wesentliche Verbesserung der Lebenslage zu erwarten ist) abzustellen (hinsichtlich der näheren Umschreibung der Krankheit erweist sich allerdings der Verweis über das StVfG auf den Krankheitsbegriff des ASVG als nicht sehr sachgerecht).[44] Ebenso verdient das Erfordernis einer vorangegangenen Aufklärung Zustimmung.[45]

Die generelle Strafbarkeit der Suizidassistenz bei Minderjährigen geht möglicherweise zu weit, weil nicht ausgeschlossen erscheint, dass auch eine todkranke und leidende minderjährige Person eine hinreichende Entscheidungsfähigkeit aufweist, um einen „finalen“ Entschluss zur Lebensbeendigung zu fassen.[46]

Nicht zum Konzept der Autonomie passt auch, dass allein ein „verwerflicher Beweggrund“ des Täters die Strafbar-keit der Suizidassistenz begründet. Wenn ein „finaler“ Entschluss zur Lebensbeendigung vorliegt und jemand die autonome Entscheidung des Sterbewilligen wunschgemäß unterstützt, sollte es auf das Motiv des Hilfeleistenden nicht ankommen.[47]

Ebenso nicht ganz konsequent wirkt die Beschränkung des § 78 öStGB auf eine „physische Hilfe“. Denn gerade eine „psychische“ Unterstützung stellt, wenn sie den Suizidwillen bestärkt, die eigenständige und autonome Entscheidung des Sterbewilligen eher in Frage als eine rein physische Hilfe. Eher sollte es für eine Straffreiheit der Mitwirkung an der Selbsttötung darauf ankommen, dass der Suizidentschluss frei und unbeeinflusst gefasst wurde.[48]

Im Unterschied zur Ansicht des VfGH stellt sich die Situation bei einer Tötung auf Verlangen zwar nicht identisch, aber auch nicht gänzlich anders dar als bei einer Mitwirkung an der Selbsttötung. Für eine schwerkranke und leidende Person, vor allem dann, wenn sie zu einer Selbsttötung nur mehr eingeschränkt in der Lage ist, kann die Übernahme der Tötungshandlung durch eine andere Person – bei entsprechend gesichertem freien Entschluss auf Lebensbeendigung – die unkomplizierteste und am wenigsten belastende Vorgangsweise sein. Es wäre deshalb zu erwägen, für entsprechende Fälle eines „finalen“ Entschlusses auf Lebensbeendigung zur Absicherung der Autonomie des Sterbewilligen auch eine Ausnahme von der Strafbarkeit wegen Tötung auf Verlangen vorzusehen.[49]

 

[1]      Näher zur historischen Entwicklung in Österreich Memmer, JSt 2021, 469 ff.
[2]      Z.B. Bernat, ÖJZ 2002, 92 (97 f.); Birklbauer, RdM 2016, 84 (87 ff.); Burda, RdM 2020, 272 (276 f.); Lengauer, JSt 2016, 109 (111); Pollak, in: Pollak/Amara, Neue Grenzverläufe im Strafrecht, 2020, S. 45; ebenso: Sterben in Würde. Empfehlungen der Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt vom 9.2.2015, S. 30. – Für eine ersatzlose Streichung des § 78 StGB: Velten, in: Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer (Hrsg.), Salzburger Kommentar zum StGB (38. Lfg. 2018), Vorbem. zu §§ 77, 78 Rn. 19.
[3]      VfGH, Erk. v. 8.3.2016, E 1477/2015 = RdM 2016, 108 mit Anm. Kneihs.
[4]      VfGH, Erk. v. 11.12.2020, G 139/2019 = JBl 2021, 164 = RdM 2021, 75; umgesetzt mit BGBl I 154/2020.
[5]      BGBl I 242/2021. Darstellend Dokalik/Mokrejs-Weinhappel/Rom, ÖJZ 2022, 161 ff.
[6]      Zum StVfG näher Ganner, ÖZPR 2021, 180 ff; Halmich/Klein, Sterbehilfe, Suizidbeihilfe in Österreich, 2021.
[7]      Zur Neuregelung in § 78 öStGB ausführlich Bernat in diesem Heft. Angesichts der umfassenden Darstellung der neuen Rechtlage bei Bernat wird diese hier nicht wiederholt. Vielmehr widmet sich der vorliegende Beitrag nach einem kurzen Überblick über die neue Rechtslage spezifischen Fragen der Reichweite der Autonomie zur Lebensbeendigung.
[8]      Kritisch insoweit Birklbauer, in: FS Brandstetter, 2022, S. 84 (91); Burda, RdM 2022, 88 (90 und 92).
[9]      VfGH, Erk. v. 11.12.2020, G 139/2019 (Rn. 65). Näher sowie kritisch zur verfassungsrechtlichen Begründung Gamper, JBl 2021, 137 (140 ff.); Pöschl, EuGRZ 2021, 12 (13 ff.); Lewisch, ÖJZ 2021, 978 (980); Brade/Friedrich, RdM 2021, 225 (227 ff.); Khakzadeh, RdM 2021, 48 (54); Fremuth, ZÖR 2021, 841 (870 ff.).
[10]    VfGH, Erk. v. 11.12.2020, G 139/2019 (Rn. 74). Warum der (potenzielle) Suizidhelfer vom VfGH (und auch im Schrifttum) immer wieder als „Dritter“ bezeichnet wird, bleibt unklar. Denn regelmäßig geht es um ein Geschehen, in das allen zwei Personen involviert sind, nämlich der Sterbewillige und die den Suizid unterstützende Person.
[11]    VfGH, Erk. v. 11.12.2020, G 139/2019 (Rn. 84).
[12]    BVerfG, Urt. v. 26.2.2020 – 2 BvR 2347/15 = BVerfGE 153, 181 = NStZ 2020, 528 mit Anm. Brunhöber = JZ 2020, 627 mit Anm. Hartmann (insb. Rn. 212). Auch das BVerfG spricht in Bezug auf den Suizidhelfer unklar von einem „Dritten“ (vgl. Fn. 10).
[13]    BVerfG, Urt. v. 26.2.2020 – 2 BvR 2347/15 (Rn. 210).
[14]    VfGH, Erk. v. 11.12.2020, G 139/2019 (Rn. 103 f., auch schon Rn. 81). Pöschl, EuGRZ 2021, 12 (16), spricht insoweit von einem „lauten Auftakt“ (umfassende Autonomie) und einem „leisen Ergebnis“ (Verbot nur der ausnahmslosen Strafbarkeit).
[15]    Für eine Beschränkung allein auf diesen Aspekt des Autonomieschutzes: Khakzadeh, RdM 2021, 48 (50 f.); Fremuth, ZÖR 2021, 841 (885 und 897).
[16]    VfGH, Erk. v. 11.12.2020, G 139/2019 (Rn. 115); zustimmend insoweit Khakzadeh, RdM 2021, 48 (53).
[17]    Zu dieser Inkonsequenz ebenfalls kritisch Burda, ÖJZ 2021, 220 (224 f.); Fremuth, ZÖR 2021, 841 (902 ff.); Gamper, JBl 2021, 137 (141 Fn. 31); Khakzadeh, RdM 2021, 48 (54); Lewisch, ÖJZ 2021, 978 (980 f.); Schmoller, JBl 2021, 147 (151).
[18]    BGBl I 242/2021. Zur vorangegangenen Diskussion im „Dialogforum Sterbehilfe“ beim BMJ vgl. Birklbauer, JSt 2021, 555 (562 ff.).
[19]    Strafbarkeit gemäß § 78 Abs. 2 Z 1 StGB.
[20]    Strafbarkeit gemäß § 78 Abs. 2 Z 3 StGB.
[21]    Strafbarkeit gemäß § 78 Abs. 2 Z 2 StGB.
[22]    Ebenso Lewisch, ÖJZ 2021, 978 (983 f. und 986).
[23]    Vgl. z.B. Duttge, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Bd. 56, 2021, S. 87 (98).
[24]    Schon vor der Entscheidung des VfGH (Fn. 4) war in Österreich anerkannt, dass ein Suizid als rechtmäßiges Verhalten einzustufen ist; vgl. z.B. Birklbauer, in: Höpfel/Ratz (Hrsg.), Wiener Kommentar zum Strafgesetzbuch, 2. Aufl. (217. Lfg. 2019), § 78 Rn. 11 ff.; Velten, SbgK-StGB, §§ 77, 78 Rn. 9 f.; Lengauer, JSt 2016, 109 (110); Pollak, in: Pollak/Amara, S. 15 (67); Bernat, ÖJZ 2002, 92 (95); Schmoller, ÖJZ 2000, 361 (363).
[25]    Dies wird hier im Hinblick auf § 90 Abs. 3 StGB betont, auf den in den folgenden Abschnitten noch zurückgekommen wird.
[26]    Dabei handelt es sich freilich um weniger einschneidende Verbote, weil die staatliche Reaktion in einer (bloßen) Verwaltungsstrafe besteht. Vgl. zu diesen „Durchbrechungen“ der Autonomie auch Bernat, in diesem Heft S. 475 (in Fußnote 110).
[27]    Engländer, in: FS Schünemann, 2014, S. 583 (587 ff.); vgl. auch Duttge, in: Essener Gespräche, S. 87 (97), der sich aber dennoch gegen jede Strafbarkeit der Suizidbeihilfe ausspricht (S. 107).
[28]    Weder der VfGH noch das BVerfG leiten deshalb aus dem Recht auf selbstbestimmtes Sterben eine staatliche Pflicht zu einer Unterstützung des Suizids ab; dazu Schmoller, JBl 2021, 147 (148); hinterfragend allerdings Fremuth, ZÖR 2021, 841 (880 f.).
[29]    Dass die Beeinträchtigung eines fremden Rechtsguts grundsätzlich auch dann als Unrecht eingeordnet werden kann, wenn der Rechtsgutsträger dieses Rechtsgut selbst preisgibt, zeigt insbesondere auch die weitgehend akzeptierte Strafbarkeit einer Tötung auf Verlangen.
[30]    Dazu auch Bernat, in diesem Heft S. 475 (in Fußnote 110).
[31]    Engländer, in: FS Schünemann, S. 583 (592); Duttge, in: Essener Gespräche, S. 87 (106). Die Situation ist deshalb etwas anders gelagert, weil die Strafvorschrift der Gefangenenbefreiung dem Schutz der Rechtspflege, und damit eines staatlichen Rechtsguts, dient.
[32]    Engländer, in: FS Schünemann, S. 583 (591 f).
[33]    Lewisch, ÖJZ 2021, 978 (981 f. und 987) hatte vorgeschlagen, die Straffreistellung der Suizidbeihilfe allein auf solche Fälle zu beschränken.
[34]    Oben bei Fn. 11.
[35]    Auf diese Fälle weisen z.B. hin: Fremuth, ZÖR 2021, 841 (903 ff.); Khakzadeh, RdM 2021, 48 (53); Kneihs, NLMR 2020, 425 (437); Engländer, in: FS Schünemann, S. 583 (587).
[36]    Eine punktuelle Durchbrechung der Strafbarkeit einer Tötung auf Verlangen erwägen deshalb auch die in Fn. 35 angeführten Autoren.
[37]    Zu § 90 Abs. 3 öStGB vgl. insoweit auch Lewisch, ÖJZ 2021, 978 (981); Bernat, in diesem Heft S. 475 (in Fußnote 110).
[38]    VfGH, Erk. v. 11.12.2020, G 139/2019 (Rn. 85); BVerfG, Urt. v. 26.2.2020 – 2 BvR 2347/15 (Rn. 244).
[39]    Zum Phänomen der „temporären“ Autonomie und den Konsequenzen daraus vgl. schon ausführlich Schmoller, JBl 2021, 147 (152 ff.); ders, Imago Hominis 2021, 15 (22 ff.).
[40]    Oben bei Fn. 11.
[41]    Ebenso Lewisch, ÖJZ 2021, 978 (983); Engländer, in: FS Schünemann, S. 583 (586 f.: „Übereilungsschutz“); Bernat, in diesem Heft S. 475 (bei Fußnote 108); aus moraltheologischer Sicht Hofmann, Imago Hominis 2021, 187 ff.; wohlwollend, aber wegen der Entscheidung „von außen“ kritisch Birklbauer, JSt 2021, 555 (561). – Die Bewahrung vor einem „temporären“ Entschluss auf Lebensbeendigung hat gewiss paternalistische Elemente. Im Vordergrund steht aber nicht ein Paternalismus, weil es nicht darum geht, statt einer Entscheidung des Betroffenen eine „objektiv bessere“ Entscheidung zu treffen, sondern darum, dem Betroffenen die Chance auf eine spätere eigeneautonome Entscheidung zu bewahren. Vgl. Engländer, in: FS Schünemann, S. 583 (586); Schmoller, JBl 2021, 147 (154 mit Fußnote 49).
[42]    Ebenso Engländer, in: FS Schünemann, S. 583 (594 f.); näher zu „finaler“ Ausübung von Autonomie Schmoller, JBl 2021, 147 (154 f.).
[43]    Vgl. Brade/Friedrich, RdM 2021, 225 (227); Fremuth, ZÖR 841 (895).
[44]    Kritisch zum Verweis auf den Krankheitsbegriff des ASVG auch Burda, RdM 2022, 88 (89 und 91). Auch darüber hinaus erscheint der Begriff der „Krankheit“ etwas zu eng. Dies verdeutlicht der im Schrifttum diskutierte Fall, dass ein Lastwagenfahrer nach einem Unfall eingeklemmt ist und der Lastwagen zu brennen beginnt; als auch der Lastwagenfahrer bereits von den Flammen erfasst wird, fleht er den unverletzten Beifahrer an, ihn zu erlösen, worauf dieser ihn erschlägt; vgl. Otto, in: 56. DJT, 1986, S. 60. Unabhängig von einer Krankheit liegt auch hier gewiss ein „finaler“ Entschluss auf Lebensbeendigung vor.
[45]    Kritisch zum unflexiblen Aufklärungserfordernis allerdings Bernat, in diesem Heft (bei Fußnote 118 und vor Fußnote 129); Burda, RdM 2022, 88 (90 und 92).
[46]    Bernat, in diesem Heft S. 474  (bei Fußnote 101); Birklbauer, in: FS Brandstetter, S. 84 (97); Fremuth, ZÖR 2021, 841 (895).
[47]    Bernat, in diesem Heft S. 474 f (bei Fußnote 104); Birklbauer, in: FS Brandstetter, S. 84 (98 f.); Burda, RdM 2022, 88 (90 f.); Tipold, JSt 2022, 5 (6).
[48]    Oben bei Fn. 22.
[49]    Ebenso Engländer, in: FS Schünemann, S. 583 (585 ff.).

 

 

 

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