Jörn Patzak: Konkurrenzverhältnisse beim unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln

von Prof. Dr. Anja Schiemann 

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2021, Nomos, ISBN: 978-3-8487-8075-4, S. 347, Euro 89,00.

Die Dissertation über das Konkurrenzverhältnis beim unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln wurde von keinem Unbekannten verfasst. Vielmehr wird sie von einem ausgewiesenen Experten des Betäubungsmittelrechts vorlegt, nämlich dem Mitherausgeber und Kommentator des Beck´schen Kurzkommentars zum BtMG. Insofern durfte man gespannt sein auf die Auflösung der „fast täglich in obergerichtlichen Entscheidungen zu Tage tretende(n) Schwierigkeiten bei der Anwendung der Konkurrenzen im Betäubungsmittelrecht“ (S. 32).

Der Verfasser macht es sich zur Aufgabe, die konkurrenzrechtliche Beurteilung von Betäubungsmittelstraftaten erstmals einer eingehenden wissenschaftlichen Untersuchung zu unterziehen, wobei der Fokus auf den Konkurrenzen beim Handeltreiben und den damit zusammenfallenden Delikten des BtMG liegt, da dieser Tatbestandsalternative die größte praktische Bedeutung zukomme (S. 35). Ziel der Untersuchung ist es, die beim Handeltreiben mit Betäubungsmitteln vorkommenden Konkurrenzverhältnisse in ihrer ganzen Bandbreite umfassend darzustellen.

Insofern wird im ersten Teil der Arbeit die Konkurrenzlehre im Strafrecht mit den Konkurrenzformen der Gesetzeskonkurrenz, der Tateinheit und der Tatmehrheit dargestellt und auch die Rechtsfiguren der natürlichen und rechtlichen Handlungseinheit thematisiert. Im zweiten Teil werden die Grundlagen des Betäubungsmittelrechts nachgezeichnet. Den Schwerpunkt der Dissertation bildet der dritte Teil, in dem die beim Handeltreiben mit Betäubungsmitteln vorkommenden Konkurrenzen umfassend behandelt werden. Im vierten Teil wird untersucht, ob es der Rechtsfigur der Bewertungseinheit angesichts festzustellender Abgrenzungsschwierigkeiten überhaupt bedarf oder ob es de lege lata Alternativen innerhalb der zurzeit geltenden Konkurrenzlehre gibt. Schließlich werden Leitlinien für eine sachgerechte betäubungsmittelrechtliche Bearbeitung mit klaren Abgrenzungskriterien für die in der Praxis am häufigsten vorkommenden Fälle zusammengefasst. Es folgen abschließende Schlussbetrachtungen.

Im Einzelnen: Der Verfasser führt – ganz der Praktiker – mit einschlägigen Ausgangsfällen in die Konkurrenzlehre im Strafrecht ein (S. 40 ff.). Im Folgenden gelingt ihm ein dezidierter und pointierter Überblick über die Facetten der Handlungseinheit, ihre Abgrenzung zu der Handlungsmehrheit  sowie  die  Erscheinungsformen  und  Rechtsfolgen der Gesetzeskonkurrenz/Gesetzeseinheit, der Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Tateinheit/Idealkonkurrenz sowie der Gesamtstrafenbildung bei Tatmehrheit/Realkonkurrenz.

Nach diesem Blick auf die Grundlagen der Konkurrenzen folgt das Kapitel zu den Grundlagen des Betäubungsmittelrechts. Nachdem die Schutzwecke des BtMG umrissen werden, wird der Aufbau des BtMG kurz wiedergegeben und anschließend die Frage der Betäubungsmitteleigenschaft geklärt. Auch die Erlaubnispflicht und Ausnahmen von der Erlaubnispflicht werden aufgezeigt, bevor die Straftatbestände des BtMG im Überblick dargestellt werden. Ausführlicher wird sich den wichtigsten Tathandlungen im Einzelnen gewidmet sowie der Kritik am weiten Begriff des Handeltreibens nachgespürt.

Interessant ist hier die Positionierung des Verfassers. Er geht grundsätzlich davon aus, dass eine möglichst passgenaue Definition des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln erstrebenswert sei, um etwaige Abgrenzungsschwierigkeiten zu beseitigen. Gleichwohl seien sämtliche Lösungsansätze zur Einschränkung des Handeltreibens dazu nicht hinreichend geeignet. Insofern würden Tathandlungen vom Handeltreiben ausgeklammert, die nach der geschichtlichen Entwicklung des BtMG, der gesetzgeberischen Intention und den Vorgaben des EU-Rahmenbeschlusses 2004/757/JI dem Handeltreiben unterfallen müssten, insbesondere Vermittlungsgeschäfte, die Einfuhr als Teilakt des Handeltreibens und das Feilhalten. Sofern diese Tathandlungen nicht unter den Begriff des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln unterfielen, werde das kriminalpolitische Ziel verfehlt, möglichst lückenlos alle relevanten Tathandlungen im Bereich des Rauschgifthandels mit Betäubungsmitteln zu erfassen, um zu verhindern, dass Betäubungsmittel unkontrolliert in den Verkehr gelangen. Darüber hinaus stelle sich die Frage, ob es überhaupt noch einer einschränkenden Auslegung des Begriffs des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln bedürfe. Denn die Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen des BGH und die nachfolgende Entscheidung des 2. Strafsenats verneinen dies. Insofern gäbe es kaum mehr Abgrenzungsschwierigkeiten. Der höchstrichterlichen Rechtsprechung sei es insofern gelungen, den Begriff des Handeltreibens mit seiner Vielgestaltigkeit einer sachgerechten und überzeugenden Auslegung zuzuführen, durch welche die ganz überwiegende Anzahl von Rechtsfragen gelöst werde.

Im Folgenden werden die Strafvorschriften zum Handeltreiben nachgezeichnet, wobei man auch hier als Leser durch die Expertise des Verfassers von der konzisen Darstellung profitiert.

Herzstück der Arbeit ist dann das Kapitel D zu den beim unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln angewendeten Konkurrenzverhältnissen. Denn – so der Verfasser – der weite Begriff des Handeltreibens führe zwangsläufig dazu, dass das Handeltreiben mit weiteren nach dem BtMG strafbewehrten Tathandlungen zusammentreffe (S. 197). Insofern wird im Folgenden verschiedenen Fallgestaltungen nachgegangen. Zunächst wird zwischen den Fallgestaltungen im Zusammenhang mit dem Betreiben eines Umsatzgeschäftes in Bezug auf eine Betäubungsmittelgesamtmenge und dem Betreiben mehrerer Umsatzgeschäfte mit verschiedenen Betäubungsmittelmengen unterschieden. Abschließend wird die problematische Anwendung der Konkurrenzformen bei Massengeschäften mit Betäubungsmitteln im Rahmen des Online-Handels behandelt.

Festgestellt werden kann, dass die Rechtsprechung zahlreich, unübersichtlich und in manchen Fallkonstellationen uneinheitlich ist. Da nicht davon auszugehen sei, dass es zu einer umfangreichen Reform des Rechtsfolgensystems komme, sei nach Alternativen innerhalb der zurzeit geltenden Konkurrenzlehre de lege lata zu suchen. Insbesondere sei kritisch zu hinterfragen, ob es der Bewertungseinheit, die im Zentrum der Abgrenzungsprobleme im Betäubungsmittelrechts stehe, überhaupt bedürfe (S. 304). Allerdings sei ein Ausklammern des Handeltreibens aus der rechtlichen Handlungseinheit dogmatisch nicht zu begründen. Sei das Handeltreiben mit guten Gründen als rechtliche Handlungseinheit eingeordnet, so sei zu hinterfragen, ob es innerhalb dieser rechtlichen Handlungseinheit einer Sonderbehandlung der Bewertungseinheit als weiteren Unterfall der tatbestandlichen Handlungseinheit im weiteren Sinne bedürfe. Doch auch dies führe zu keinen akzeptablen Ergebnissen (S. 308), was anhand von Beispielsfällen belegt wird.

Insofern stellt der Verfasser fest, dass die Rechtsfigur der Bewertungseinheit als rechtliche Handlungseinheit „alternativlos“ sei, um zu dogmatisch vertretbaren und mit Blick auf den Schuldausgleich möglichst gerechten Ergebnissen im Rahmen der Prüfung der Konkurrenzverhältnisse beim täterschaftlichen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln zu gelangen (S. 310). Maßgebliches Kriterium für die Bildung einer Bewertungseinheit sei das Handeltreiben in Bezug auf den Umsatz einer einheitlichen Rauschgiftmenge. Damit würden sämtliche Einzelakte zu einer Tat des Handeltreibens verbunden. Auch mehrere Umsatzgeschäfte mit verschiedenen Betäubungsmittelmengen könnten hier zu einer Bewertungseinheit verbunden werden, sofern die Betäubungsmittelmengen ganz oder teilweise zu einer Gesamtmenge zusammengeführt werden. Dies wird von Patzak in einen „Leitsatz“ überführt:

„Einzeltaten in Bezug auf grundsätzlich selbständig zu bewertende Umsatzgeschäfte werden zu einer Bewertungseinheit verbunden, wenn Betäubungsmittel aus den jeweiligen Umsatzgeschäften ganz oder zum Teil in einer Gesamtmenge weiterverkauft werden, so dass sie dauerhaft zu einem Gesamtumsatzgeschäft ´verschmelzen`.“ (S. 310 f.).

Würden dagegen mehrere Umsatzgeschäfte mit verschiedenen Betäubungsmittelmengen zeitlich zusammentreffen und aufgrund fehlender dauerhafter Verschmelzung keine Bewertungseinheit anzunehmen sein, so komme eine tateinheitliche Verbindung der jeweiligen Taten des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln gem. § 52 Abs. 1 StGB in Betracht, sofern die Ausführungshandlung teilidentisch sei. Auch für diese Konstellationen formuliert der Verfasser einen Leitsatz:

„Eine teilidentische Ausführungshandlung i.S.d. § 52 Abs. 1 StGB liegt vor, wenn die Ausführungshandlung eines Umsatzgeschäftes mit Betäubungsmitteln notwendigerweise zur Erfüllung eines anderen Umsatzgeschäftes mit Betäubungsmitteln beiträgt. Die bloße Gleichzeitigkeit der Umsatzgeschäfte reicht nicht aus, die Umsatzgeschäfte zu einer Tat zu verbinden.“ (S. 312).

Sei weder von einer Bewertungseinheit noch von einer Teilidentität der Ausführungshandlung auszugehen, so lehnt der Verfasser im Gegensatz zur Auffassung des Großen Senats für Strafsachen die Annahme einer natürlichen Handlungseinheit ab, da es selbst bei wohlwollendster Betrachtung an einem einheitlichen Geschehen fehle.

Nach diesen Ausführungen stellt Patzak Leitlinien zur Bestimmung des Konkurrenzverhältnisses in Betäubungsmittelverfahren auf, die anhand von Beispielsfällen und unterschiedlichen Fragestellungen formuliert werden. Von diesen systematisch gut einzuordnenden Fällen unterscheidet er solche mit unklarer Grenzziehung zwischen den Konkurrenzformen. Auch diese überführt er aber anhand von Beispielsfällen und in mehreren Schritten sinnvollen Lösungen zu.

Die Schlussbetrachtungen werden mit der Hoffnung verbunden, dass die höchstrichterliche Rechtsprechung die aufgezeigten Divergenzen zum Anlass nimmt, die im Betäubungsmittelrecht vorkommenden Konkurrenzformen wieder genauer voneinander abzugrenzen.

Hierfür bilden die von Patzak erarbeiteten Leitlinien und Abgrenzungskriterien eine wertvolle Hilfe, um dem Tatrichter eine fehlerfreie und sachgerechte Rechtsfindung zu erleichtern. Insofern bleibt zu hoffen, dass die Dissertation auch genau für diese richterliche Entscheidungsfindung genutzt wird.

 

 

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