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Gesetzentwurf zur digitalen Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung – Haupverhandlungsdokumentationsgesetz (DokHVG)

Gesetzentwürfe: 

 

Am 22. November 2022 veröffentlichte das BMJ einen Referentenentwurf zur digitalen Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung (Hauptverhandlungsdokumentationsgesetz – DokHVG). Der Entwurf soll eine gesetzliche Grundlage für eine digitale Inhaltsdokumentation der erstinstanzliche Hauptverhandlung vor den Landgerichten und Oberlandesgerichten schaffen. Dort werden regelmäßig nur die wesentlichen Förmlichkeiten (sog. Formalprotokoll) schriftlich protokolliert, um sie in der Revisionsinstanz überprüfen zu können. Nur wenn es auf die Feststellung eines Vorgangs in der Hauptverhandlung oder des Wortlauts einer Aussage oder einer Äußerung ankommt, wird von Amts wegen oder auf Antrag einer an der Verhandlung beteiligten Person die vollständige Protokollierung und Verlesung angeordnet (§ 273 Abs. 3 StPO). An den Amtsgerichten stellt sich die Praxis anders dar. Dort werden zumindest die wesentlichen Ergebnisse der Vernehmungen in das Protokoll aufgenommen. Für die Verfahrensbeteiligten an den Landes- und Oberlandesgerichten hat dies zur Folge, dass sie sich mangels einer objektiven Dokumentation der Hauptverhandlung selbst Notizen zum Inhalt fertigen müssen und sich nicht vollumfänglich auf das Geschehen in der Hauptverhandlung selbst konzentrieren können. Weiteres Gewicht bekommen hier lange Verfahrensdauern und sog. Umfangsverfahren, bei denen die Gefahr naheliegt, dass die Erinnerung an Einzelheiten  mit der Zeit zunehmend verblasst. 

Daher soll die Hauptverhandlung in Zukunft in Bild und Ton aufgezeichnet und im Anschluss transkribiert werden. Die Aufzeichnungen treten neben das Protokoll, sollen aber keine unmittelbar prozessuale Wirkung entfalten. Sie sollen lediglich den Verfahrensbeteiligten als objektives Hilfsmittel zur Aufarbeitung der Hauptverhandlung zur Verfügung stehen. Zum Schutze der Persönlichkeitsrechte dokumentierter Personen sollen flankierend verfahrensrechtliche und materiell-strafrechtliche Regelungen geschaffen werden. Auch technische Maßnahmen, wie bspw. eine Verpixelung, können dabei helfen. Zunächst ist geplant, die digitale Dokumentation als erstes bei den Oberlandesgerichten einzusetzen, die in Organleihe Staatsschutzverfahren in der Zuständigkeit des Bundes führen. 

Am 7. Juli 2023 beschäftigte sich erstmals der Bundesrat mit dem Entwurf und hat entsprechend Stellung genommen (BR Drs. 227/1/23).  

Einen Überblick über den überarbeiteten Regierungsentwurf gibt der Beitrag von Dr. Eren Basar und Christian Heinelt in der KriPoZ 4/2023, 278 ff

Am Abend des 21. September 2023 wurde der Regierungsentwurf in erster Lesung beraten und im Anschluss an den federführenden Rechtsausschuss überwiesen. Dort fand am 11. Oktober 2023 eine öffentliche Anhörung statt. Eine Liste der Sachverständigen und deren Stellungnahmen finden Sie hier

Während die Anwaltschaft den Regierungsentwurf begrüßte, äußerte sich die Richterschaft insbesondere hinsichtlich der Ressourcen der Strafjustiz kritisch. Dr. Margarete Gräfin von Galen (Fachanwältin für Strafrecht) betonte in ihrer Stellungnahme, dass es derzeit keine zuverlässige und objektive Dokumentation des Inhalts einer Hauptverhandlung gebe. Prof. Dr. Christoph Knauer (BRAK) empfand das bestehende Protokollsystem insbesondere als nicht mehr zeitgemäß. Eine digitale Dokumentation der Hauptverhandlung könne Missverständnissen entgegenwirken und Fehlurteile verhindern. Auch Stephan Schneider betonte, dass mit der digitalen Dokumentation ein wesentlicher Beitrag für den Rechtsstaat geleistet werde. Prof. Dr. Ali B. Norouzi (DAV) begrüßte ebenfalls den Regierungsentwurf, der durchaus dazu geeignet sei, das grundlegende Dokumentationsdefizit in der Hauptverhandlung zu beenden. Er äußerte lediglich Bedenken hinsichtlich der Möglichkeit, die Dokumentationspflicht zu suspendieren. Bedauerlich sei, dass der Regierungsentwurf im Vergleich zum Referentenentwurf nunmehr nur noch eine Dokumentation per Tonaufnahme vorsehe und die Bild-Ton-Aufnahme optional bleibe. Richter am BGH Prof. Dr. Andreas Mosbacher betonte, dass es zu einer mindestens vorübergehenden Mehrbelastung der Strafjustiz komme. Daher sei es notwendig, die erforderlichen technischen und personellen Ressourcen im Blick zu behalten. Vors. Richter am LG Fernando Sanchez-Hermosilla sah keine Notwendigkeit, das bestehende Protokollsystem zu ändern. Aus seiner Sicht bringe es viele Nachteile mit sich, auf eine digitale Aufzeichnung der Hauptverhandlung umzustellen. Neben technischen und personellen Problemen, ergäben sich auch verfahrensspezifische Probleme, ohne dass ein substantieller Mehrwert für das Strafverfahren geschaffen werde. Es gelinge Richter:innen durchaus, die für die Entscheidungsfindung erheblichen Aussagen und sonstigen Ergebnisse der Beweiserhebung festzuhalten und sich daran zu erinnern, auch wenn die Verhandlungen sich über mehrere Tage ziehen. Dieter Killmer (DRB) kritisierte, dass der Entwurf die bezweckten Vorteile und die zu erwartenden Nachteile nicht abwäge. Schließlich berge die Dokumentation von Strafverfahren auch Missbrauchsrisiken und drohe den Opferschutz und die Wahrheitsfindung zu schwächen, insbesondere bei audiovisuellen Aufzeichnungen, die tief in die Persönlichkeitsrechte von Verfahrensbeteiligten eingriffen. Der Eingriff in die Persönlichkeitsrechte wurde ebenso von Dr. Patrick Liesching vom Weißen Ring kritisiert. Vor allem für Opfer sexualisierter Gewalt sei dies schwerwiegend. Das nochmalige Durchleben der Tat durch die Schilderung in der Hauptverhandlung wird von den Betroffenen als extrem belastend empfunden. Dies werde durch die geplante Neuregelung verschärft, wenn die Zeug:innen in diesen Situationen auch noch Kameras und Mikrofonen gegenüberstehen und jeder Gefühlsausbruch festgehalten und letztlich auch eine Verbreitung gefürchtet werde. Der Opferschutz war ebenfalls für Staatsanwalt Dr. Oliver Piechaczek  ein wichtiger Kritikpunkt. Es sei verheerend, wenn Opfer sexualisierter Gewalt mit der Verbreitung ihrer Aussagen in den sozialen Medien rechnen müssten. Dies führe letztlich zu einer verminderten Aussagebereitschaft und beschränke so die Wahrheitsfindung im Prozess. Dr. Ralf Wehowsky befürchtete, dass die digitale Dokumentation der Hauptverhandlung eine Wesensänderung des Revisionsverfahrens herbeiführe. Viele Rügen würden sich dann in Zukunft auf Aussagen der Hauptverhandlung beziehen, die nicht zutreffend gewürdigt worden seien. 

Am 17. November 2023 hat der Bundestag des Gesetzentwurf in der Fassung des Rechtsausschusses (BT Drs. 20/9359) mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und Die Linke gebilligt. Der Bundesrat beschäftigte sich am 15. Dezember 2023 erneute mit dem DokHVG und überwies den Entwurf zur grundlegenden Überarbeitung an den Vermittlungsausschuss. Laut Empfehlung des Rechtsausschusses (BR Drs. 603/1/23) begegne das Gesetz „erheblichen, grundlegenden und tiefgreifenden fachlichen Bedenken. Insbesondere müssen die folgenden zu erhebenden Bedenken:

  • zur Gefahr für die Wahrheitsfindung,
  • zur Beeinträchtigung des Opferschutzes,
  • zur Gefahr von Verzögerungen des Verfahrens,
  • zur optionalen Bildaufzeichnung der Hauptverhandlung,
  • zum Inkrafttreten der Regelung zur Aufzeichnungs- und Transkriptionspflicht bei den Landgerichten am 1. Januar 2030 sowie
  • zum Verhältnis von dem personellen, technischen, organisatorischen und finanziellen Aufwand und Mehrwert

ausgeräumt werden.“

Insgesamt sah die Länderkammer keinen nachvollziehbaren Bedarf oder fachliche Notwendigkeit für die digitale Dokumentation der Hauptverhandlung. 

 

 

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