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KriPoZ-RR 22/2024

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

Redaktioneller Leitsatz:

Das Merkmal des Entführens iSd § 239a Abs. 1 Var. 1 StGB kann auch verwirklicht werden, wenn die Ortsveränderung nicht gewaltsam bewirkt wird, sondern vielmehr durch listiges Verhalten des Täters.

Sachverhalt:

Der Angeklagte Ri. hatte beschlossen, von dem Nebenkläger N., der leicht einzuschüchtern war, 400 Euro zu verlangen und ihn zur Durchsetzung zu erniedrigen und zu quälen. Ri. fuhr mit dem Angeklagten R. zu dem Standort des N., um diesen dort abzuholen. Unter dem Vorwand, zu McDonalds fahren zu wollen, veranlassten sie N. dazu, einzusteigen. Im weiteren Verlauf hielt Ri. abseits einer Straße. Ri. und R. stiegen beide aus und forderten N. auf, auch das Auto zu verlassen. Sodann forderten die beiden Angeklagten N. dazu auf, u.a. sein Mobiltelefon, seinen Ausweis und sein Portemonnaie auf die Motorhaube zu legen. Ri. verlangte dabei von N., 400 Euro an ihn zu zahlen.

In der Folge entnahm Ri. eine EC-Karte aus dem Portemonnaie des N. und verließ – nach Preisgabe der PIN-Nummer – den Standort, um bei einem nahegelegenen Bankautomaten Geld abzuheben. Dies gelang jedoch nicht. Ri. kam zu dem Standort zurück und begann mit R. zusammen den N. zu malträtieren. N. ließ dies aus Angst über sich ergehen.

Die beiden Angeklagten drängten N. erneut in das Auto und fuhren nun zu der Wohnung des Angeklagten Hi. Dieser wurde in das Vorhaben mit eingeweiht. Die drei Angeklagten gingen nun dazu über, den Nebenkläger zu schlagen und zu treten. Zudem wurde N. zum Zwecke weiterer Erniedrigungen dazu gezwungen, sich weitgehend zu entkleiden; die Angeklagten drückten sodann u.a. ihre Zigaretten am nackten Oberkörper des N. aus.

Zwei Tage später fuhren die Angeklagten zu der Wohnung des N., um das geforderte Geld zu beschaffen. Der Nebenkläger rief jedoch nach Erkennen der Situation die Polizei, woraufhin die Angeklagten wegfuhren.

Das LG hat die Angeklagten jeweils wegen versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt zu (Gesamt-)Freiheitsstrafen zwischen einem Jahr und zehn Monaten und zwei Jahren verurteilt. Die Vollstreckung der Strafen wurde zur Bewährung ausgesetzt.

Entscheidung des BGH:

Die Revision der Staatsanwaltschaft, die sich darauf richtete, dass die Angeklagten nicht (auch) des erpresserischen Menschenraubs schuldig gesprochen worden sind, hat teilweise Erfolg.

Das Merkmal des Entführens iSd § 239a Abs. 1 Var. 1 StGB sei bereits erfüllt, wenn der Täter das Opfer ohne dessen Willen an einen anderen Ort bringt und dadurch die Verteidigungsmöglichkeiten erheblich einschränkt. Diese Ortsveränderung müsse nicht durch Gewalt hervorgerufen werden; vielmehr reicht auch List als (alternatives) Mittel aus. Als List sei ein Verhalten zu verstehen, das darauf abzielt, unter geschicktem Verbergen der wahren Zwecke oder Mittel die Ziele des Täters durchzusetzen, indem dem Opfer gegenüber falsche Angaben über den Sinn der Ortsveränderung gemacht werden. Im konkreten Fall haben die Angeklagten Ri. und R. List angewandt, um die bei § 239a Abs. 1 StGB notwendige Bemächtigungslage zu schaffen.

Die Staatsanwaltschaft bemängelt zudem, dass das Vorliegen eines minder schweren Falles (vgl. § 250 Abs. 3 StGB) allein unter Heranziehung des vertypten Strafmilderungsgrundes des Versuchs (§ 23 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB) angenommen wurde. Im Rahmen einer Gesamtwürdigung sei vorab auf die allgemeinen Strafzumessungsgründe abzustellen. Soweit nach Abwägung aller allgemeinen Strafzumessungsumstände das Vorliegen eines minder schweren Falles abzulehnen sei, müssten auch gesetzlich vertypte Strafmilderungsgründe berücksichtigt werden.

Zwar sei es rechtlich bedenklich, dass das LG für alle drei Angeklagten zusammenfassend das Vorliegen eines minder schweren Falles (vgl. § 250 Abs. 3 StGB) annehme. Jedoch sei auch erkennbar, dass die Kammer die erforderliche Gesamtwürdigung vorgenommen hat, die für die Berücksichtigung allgemeiner Strafzumessungsgründe erforderlich ist.

Allerdings erkenne der Senat an, dass die strafmildernde Bewertung des Umstands, dass der Angeklagte Hi. ein „Erstverbüßer“ ist, rechtlich nicht haltbar sei. Zwar sei die Strafzumessung grundsätzlich Sache das Tatgerichts; allerdings kann das Revisionsgericht die Strafzumessung trotzdem überprüfen, wenn die Zumessungserwägungen z.B. in sich fehlerhaft oder von unzutreffenden Tatsachen ausgehen. Hierbei betont der BGH, dass die Tatsache der erstmaligen Verbüßung bei einer Freiheitsstrafe nur dann das Gewicht eines bestimmenden Strafzumessungsgrundes bekommt, wenn besondere Gründe wie Alter oder Krankheit hinzukommen. Dies lasse sich den Urteilsgründen jedoch nicht entnehmen.

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