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Ziviler Ungehorsam als Strafunrechtsausschließungsgrund

von Prof. Dr. Till Zimmermann

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Abstract
Die strafrechtliche Beurteilung zivilen Ungehorsams in der Gestalt von Straßenblockaden ist ein ewiger Zankapfel. Die philosophische Empfehlung Jürgen Habermas‘, den zivilen Ungehorsam in der Schwebe zwischen Legitimität und Legalität zu belassen, ist mit den zwei widerstreitenden Mainstream-Konzepten – Legalisierung vs. Kriminalisierung – allerdings nicht zu bewerkstelligen. Der Beitrag plädiert für den verfassungskonformen Ausweg, die Verwerflichkeitsklausel des Nötigungsparagrafen (§ 240 Abs. 2 StGB) im Lichte der von Günther in den 1980er Jahren entwickelten Figur des Strafunrechtsausschließungsgrundes zu interpretieren.

 The criminal law assessment of civil disobedience in the form of street blockades is a perennial point of contention. However, the philosophical recommendation of Jürgen Habermas to leave civil disobedience in the limbo between legitimacy and legality cannot be implemented with the two conflicting mainstream concepts – legalization vs. criminalization. The article argues for the constitutionally compliant way out, which is to interpret the reprehensibility clause of the coercion paragraph (§ 240 para. 2 StGB) in the light of the concept of the exclusion of criminal injustice developed by Günther in the 1980s.

I. Einleitung

Der große Streitpunkt bei der strafrechtlichen Beurteilung des zivilen Ungehorsams[1] liegt in der Frage, ob solcherart politisch motivierte Delinquenz rechtsethisch als schlecht, als gut oder zumindest als auch-gut bzw. nicht-ganz-so-schlecht zu bewerten ist. Je nach Standpunkt ergeben sich daraus Konsequenzen für die Fälle einer unter Berufung auf zivilen Ungehorsam erfolgten Straftatbestandsverwirklichung.

Wer zivilen Ungehorsam für eine gute Sache hält, wird, um ein Auseinanderfallen von Ethik und Recht zu verhindern, regelmäßig einem Erlaubnisgrund das Wort reden. Wer hingegen keinen Unterschied gegenüber gewöhnlicher Kriminalität erkennt, behandelt ihn genau wie diese (oder plädiert aus Law & Order-Erwägungen sogar für Strafschärfung[2] und das Auffahren des großen Staatsschutz-Bestecks[3]). Wer den Mittelweg beschreiten will, kann auf unterschiedlichen Ebenen nach ihm suchen (etwa bei Strafbegründungs- oder -zumessungsschuld oder im Prozessrecht). Vertreten wird seit Jahrzehnten das gesamte Spektrum des Skizzierten.[4] Die Radikalisierung der Klimaschutzbewegung (insbesondere in Gestalt der sog. Klima-Kleber) war zuletzt Anlass, die bekannten Argumente noch einmal neu auszutauschen, sie zu präzisieren und nachzujustieren, sich also neuerlich ihrer jeweiligen Überzeugungskraft zu vergewissern.[5] Allerdings ist der titelgebende Lösungsvorschlag bei dieser umfassenden Neuvermessung bislang zu kurz gekommen. Das sei hier nachzuholen versucht.

II. Strafrechtliche Bewältigungsversuche im Überblick

Diejenigen, die Akte zivilen Ungehorsams zu legalisieren trachten, können sich dafür zunächst auf genuin moralphilosophisch argumentierende Autoren berufen, die ausdrücklich eine ethische „Rechtfertigung“ postulieren.[6] Ins Feld geführt werden dafür meist komplexe und voraussetzungsreiche Wahl-des-kleineren-Übels-Erwägungen, die im Kern argumentieren, der Ungehorsam richte sich gegen eine zwar demokratisch legitimierte, gleichwohl aber ethisch illegitime Regelung. Werden diese ethischen Erwägungen von ihren juristischen Sympathisanten in die Welt der (straf-)rechtlichen Erlaubnistatbestände übertragen, mündet dies zumeist in der Annahme eines rechtfertigenden Notstands nach § 34 StGB,[7] vereinzelt auch in einer Rechtfertigung unmittelbar aus den Grundrechten (Meinungs-, Glaubens- oder Versammlungsfreiheit).[8] Der durchschlagende Einwand gegen die Rechtfertigungsmodelle besteht allerdings darin, dass (zumindest jenseits der Radbruch-Formel) ethische Illegitimität im demokratischen Rechtsstaat als rechtliche Kategorie nicht zur Verfügung steht. „Richtig oder falsch?“ ist in diesem eine genuin politische Frage, die nur prozedural anhand der Mehrheitsregel beantwortet werden kann. Diese kann nicht durch die Gegenmeinung des Einzelnen in rechtsgültiger Weise überschrieben werden – anderenfalls wäre das Demokratieprinzip ausgehebelt.[9] Not- und Widerstandsrechte stehen deshalb allenfalls gegen offenkundig ausbrechende Rechtsakte zur Verfügung, also in Fällen, in denen der Staat beharrlich gegen von ihm selbst anerkannte Pflichten verstößt und auch prozedurale Remedur nicht zur Verfügung steht.[10] Es ist nicht ersichtlich, dass das politische Versagen in Sachen Klimaschutz[11] diese Qualität bereits erreicht hätte.[12]

Diejenigen, die in Tatbestandsverwirklichungen aus zivilem Ungehorsam von vornherein nur „gewöhnliche“ Kriminalität erblicken,[13] haben es insoweit einfacher: Sie haben kein rechtsdogmatisches Problem zu lösen. Allerdings haben sie das BVerfG gegen sich. Dieses vertritt jedenfalls in Bezug auf Sitzblockaden (die es ausdrücklich als Akt zivilen Ungehorsams anerkennt)[14] die Ansicht, es handele sich dabei um eine politische Kommunikationshandlung innerhalb des sachlichen Schutzbereichs der Versammlungsfreiheit.[15] Infolgedessen komme der Protesthandlung ungeachtet ihrer etwaigen Rechtswidrigkeit ein verfassungsmäßiger Eigenwert zu, der im Zusammenspiel mit dem Grundsatz des Verbots unverhältnismäßiger Sanktionen die Strafjustiz dazu zwinge, zivil Ungehorsame tendenziell mit Samthandschuhen anzupacken (insbesondere durch die Verhängung keiner oder allenfalls milder Sanktionen).[16]

Das BVerfG gehört damit zur Gruppe der Mittelmeinungsvertreter, die zivilem Ungehorsam etwas dezidiert Positives abgewinnen können und dies bei der Frage des strafrechtlichen Umgangs mit ihm berücksichtigt wissen wollen. Auch wenn das Gericht den Grund dafür, warum es sich bei zivilem Ungehorsam nicht um gewöhnliche Kriminalität handelt, zurückhaltend-technisch formuliert („wertsetzende Bedeutung“ der Grundrechte), ist dem sachlich zuzustimmen. Es gehört zu den „strengen Voraussetzungen für zivilen Ungehorsam“[17], dass der symbolisch das Recht Brechende gesinnungsmäßig fest auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung steht, deshalb harmlos-friedlich („zivil“) agiert und aus Überzeugung vom Bestehen eines Zustands allgemeiner Ungerechtigkeit, den er abzuändern intendiert, persönlich etwas zu riskieren bereit ist. Altruistisches Handeln aus Sorge um das Gemeinwohl, Verfassungstreue und politischem Verantwortungsbewusstsein sowie das Anrichten geringer Schäden in der (ggf. auch irrigen) Vorstellung, dadurch zur Wahrung eines wesentlich überwiegenden Interesses beizutragen, sind allesamt anerkanntermaßen Faktoren, die typischerweise für verringertes Unrecht und geminderte Schuld sprechen. Deshalb besteht bei zivilem Ungehorsam grundsätzlich ein allenfalls sehr geringes Strafbedürfnis und es verbietet sich seine Behandlung als ordinäre Kriminalität.[18]

Die Frage ist, wie dieser Befund am besten in den Prozess der strafrechtlichen Bewertung eingespeist werden kann. Die insbesondere vom BGHpräferierte Lösung, die (begrifflich unterkomplex sog.) „Fernziele“ der zivil Ungehorsamen nur im Rahmen des § 46 StGB, also auf Strafzumessungsebene, zu berücksichtigten,[19] leidet am Makel des Unvollständigen; sie überspringt nämlich die Frage des „Ob“ einer Zumessung von Strafe. Der dem vorbeugende Vorschlag, geeignete Fälle als Bagatellkriminalität über das strafprozessuale Einstellungsinstrumentarium der §§ 153, 153a StPO ganz ohne Strafe zu erledigen,[20] funktioniert allerdings nur dann, wenn die Staatsanwaltschaft sich darauf einlässt – offenbar tut sie es häufig nicht. Vorzugswürdig erscheint daher ein materiell-rechtlicher Vorschlag, der bereits am „Ob“ einer Bestrafung ansetzt. Ein solcher stammt von Roxin. Er plädiert für einen generalpräventiv begründeten Ausschluss der „Verantwortlichkeit“: Fehle es, wie regelmäßig in Fällen moderaten zivilen Ungehorsams, an der präventiven Bestrafungsnotwendigkeit, liege ein (in seinen Wirkungen mit einem Entschuldigungsgrund vergleichbarer) Verantwortlichkeitsausschließungsgrund vor.[21] Das Problem an diesem Vorschlag ist die diffuse Kategorie der „Verantwortlichkeit“. Zum einen leuchtet es bereits begrifflich nicht ein, dass der zurechnungsfähige Täter für das mit seinem Akt des zivilen Ungehorsams verbundene (wenn auch geringe) Unrecht nicht „verantwortlich“ sein soll. Zum anderen läuft die Kategorie auf eine unklare Vermischung von Strafzweckaspekten und Strafbarkeitsbedingungen hinaus.[22] Im Ergebnis mit dem Ansatz Roxins übereinstimmend, im Gegensatz zu diesem aber auch terminologisch und dogmatisch überzeugend, ist indes der Vorschlag von Günther, Sitzblockaden ggf. über einen Strafunrechtsausschließungsgrund straflos zu stellen.[23]

III. Strafunrechtsausschluss bei Sitzblockaden

Im Zentrum auch der neueren Debatte steht vor allem die Protestform der Straßenblockade als Akt mittelbaren zivilen Ungehorsams.[24] Unmittelbar verletzte Norm ist regelmäßig das Nötigungsverbot des § 240 Abs. 1 StGB.[25] Es entspricht ganz h.M. und wird nachfolgend vorausgesetzt, dass in den einschlägigen Fällen Zwang durch Gewalt erfolgt.[26] Hier interessiert allein die Handhabung der Verwerflichkeitsklausel (§ 240 Abs. 2 StGB), die über das Schicksal der Nötigungstat als straflos oder strafbar entscheidet. Weitgehende Einigkeit herrscht ferner darüber, dass es hierbei auf eine sozialethische Gesamtwürdigung der Nötigungshandlung ankommt.[27] Aber alles weitere ist unklar – namentlich der Umfang des zu würdigenden Materials sowie Rechtsnatur und -folge des etwaigen Unrechtsausschlusses. Speziell in den Sitzblockade-Fällen kommt es freilich genau hierauf an.

Umstritten ist vordergründig, ob die Feststellung der (Nicht-)Verwerflichkeit der Nötigungshandlung auch unter Einbezug einer inhaltlichen Bewertung der sog. Fernziele der Demonstrierenden (also etwa der Dignität des Anliegens „Klimaschutz“) zu erfolgen hat. Das wird gelegentlich bejaht.[28] Die damit zwangsläufig einhergehende ideologische „Politisierung der Strafrechtsanwendung“[29] läuft in der Praxis indes auf eine schwerlich mit dem Bestimmtheitsgebot vereinbare Lotterie hinaus, bei der die Gewinnchance von der politischen Präferenz des Richters abhängt.[30] Die klügere, vom BVerfG ersonnene Lösung zur Handhabung der Verwerflichkeitsklausel verzichtet hingegen auf eine inhaltliche Bewertung und stellt den mit der Demonstration verfolgten Kommunikationszweck (scil. das „Ziel der Erregung von Aufmerksamkeit“ für ein politisches Anliegen) heraus. Entsprechend kommt es bei der Verwerflichkeitsprüfung auf die ethische Dignität der politischen Fernziele nicht an, wohl aber auf versammlungs(grund)rechtliche Wertungen und die Zivilität des Protests. Konkret sind nach der verfassungsgerichtlichen Judikatur für die Einzelfallbeurteilung maßgeblich:[31] Die soziale Gewichtigkeit des verfolgten Anliegens,[32] das Bestehen eines Sachbezugs zwischen den in ihrer Fortbewegungsfreiheit beeinträchtigten Personen und dem Protestgegenstand, ferner Dauer und Intensität der Aktion, deren vorherige Bekanntgabe, das Bestehen von Ausweichmöglichkeiten für die betroffenen Verkehrsteilnehmer und die Dringlichkeit des blockierten Transports.

Das BVerfG ist erkennbar darum bemüht, klare und möglichst praxistaugliche Parameter für die Ausfüllung der Verwerflichkeitsprüfung bei Sitzblockaden vorzugeben. Das Problem an ihnen ist nur, dass die Ergebnisse kaum weniger unvorhersehbar sind als diejenigen der willkürlichen Fernziel-Lösung. Auf die Frage, was die Verfassungsrechtsprechung konkret für Klimakleber bedeutet, erhält man durchaus gegensätzliche Antworten.[33] Der Grund hierfür dürfte nun allerdings weniger mit den unterschiedlichen politischen Einstellungen der Betrachter zu tun haben, als vielmehr mit dem (Miss-)Verständnis der dogmatischen Natur der Verwerflichkeitsklausel. Das sei näher erklärt. Bei unbefangener Betrachtung der Klima-Kleber schlagen wichtige Parameter zu ihren Gunsten aus (insbesondere die soziale Bedeutung des Anliegens und der Sachbezug zwischen Protestgegenstand und den beeinträchtigten Personen). Auffällig ist nun, dass diejenigen, die trotzdem von der Verwerflichkeit der Protestaktion ausgehen, als Hauptargument zumeist auf die Gegenrechte der von der Blockadeaktion betroffenen Verkehrsteilnehmer verweisen bzw. auf den mit der Negierung der Verwerflichkeit einhergehenden Verlust von Abwehrrechten[34]. Exemplarisch heißt es in einer pikierten Stellungnahme des KG-Richters Sandherr[35]:

„Es hat etwas Rührendes, wenn ein deutsches Gericht[36] es im wahrsten Sinn des Wortes für in Ordnung (nämlich für mit der Rechtsordnung übereinstimmend) hält, dass ein Täter zur Ausübung seiner persönlichen Freiheit die Bewegungsfreiheit von Tausenden Menschen dadurch beeinträchtigt, dass er einen 18 km langen Stau erzeugt. […] [S]o abwegig der Person auf der Straße die Vorstellung erscheinen mag, der einzelne Demonstrant dürfe zur stundenlangen Kundgabe seiner Meinung gerade die Mitte vielbefahrener Straßen verwenden, so gibt es bis in den rechtswissenschaftlichen Bereich hinein Stimmen, die genau diese Ansicht äußern.“

Das Fundament dieses Arguments ist die Annahme, aus der Verneinung der Verwerflichkeit gem. § 240 Abs. 2 StGB folge eo ipso die Rechtmäßigkeit der Protestaktion, also ihr „Übereinstimmen mit der Rechtsordnung“, ein „Dürfen“, die „Befugnis“ zum Blockieren,[37] die „Legitimierung der Blockade“[38] – kurzum: ein „Recht, im Rahmen von Verkehrsbehinderungen durch Sitzblockaden und Instrumentalisierung Dritter öffentliche Aufmerksamkeit zu erzwingen.“[39] Formuliert als Notwehrprobe: Den durch nicht-verwerfliche Nötigungshandlungen blockierten Autofahrern komme schon deshalb kein Notwehrrecht gegenüber den Demonstrierenden zu, weil es mangels Verwerflichkeit an einem rechtswidrigen Angriff fehlt.[40] Vor der Folie dieses Verständnisses ist es nachvollziehbar, die Verwerflichkeitsklausel extrem engherzig zu interpretieren. Denn es ist nicht nur schwer begründbar, den betroffenen Verkehrsteilnehmern eine Duldungspflicht aufzuerlegen; zu bedenken ist auch, dass mit einem Rechtmäßigkeitsverdikt hinsichtlich der Protestaktion auch ordnungs- und versammlungsrechtlichen Maßnahmen die Grundlage entzogen wäre. Allerdings liegt dieser Argumentation ein falsches dogmatisches Verständnis von Wesen und Funktion der Verwerflichkeitsklausel zugrunde. Der Sache nach hält die erwähnte Ansicht das Nichtvorliegen der Verwerflichkeit für einen vollwertigen Rechtfertigungsgrund.[41] Diese Interpretation ist weder mit dem tradierten Funktionsverständnis noch mit der Sitzblockaden-Rechtsprechung des BVerfG kompatibel.

Zunächst wird § 240 Abs. 2 StGB gemeinhin als erforderliches Korrektiv des Nötigungstatbestands betrachtet, der ansonsten infolge des weiten Gewalt-Verständnisses der Rechtsprechung und der 1943 erfolgten Aufnahme der Handlungsmodalität „Übelsandrohung“ viel zu weit in den Bagatellbereich ausufern würde. Des Näheren wird diese Korrekturfunktion nach klassischem Verständnis darin gesehen, dass nur bei positiver Feststellung der Verwerflichkeit die für eine Bestrafung als Vergehen erforderliche „empfindliche Überschreitung des [bloßen] Ordnungswidrigkeitenunrechts“[42] gewährleistet ist. Es geht also m.a.W. bei § 240 Abs. 2 StGB darum, sicherzustellen, dass die für eine Bestrafung erforderliche Mindestunrechtshöhe – die sog. Strafrechtswidrigkeit[43] – erreicht ist.[44] Daraus folgt, dass § 240 Abs. 2 StGB – im Gegensatz zu einem Erlaubnistatbestand – „nicht Recht und Unrecht [abgrenzt], sondern die Straftat von der Ordnungswidrigkeit (z.B. im Straßenverkehr), von polizeiwidrigem Verhalten und von der unerlaubten Handlung (§ 823 Abs. 1 BGB)“.[45] Dogmatisch kommt § 240 Abs. 2 StGB also nicht die Funktion eines (legalisierenden) Rechtfertigungsgrundes zu, sondern lediglich diejenige eines (entkriminalisierenden) Strafunrechtsausschließungsgrundes.[46] Als solchen bezeichnet man die Typisierung von Umständen, die bewirken, dass der Unrechtsgehalt einer Tatbestandsverwirklichung (hier: des § 240 Abs. 1 StGB) unter die für eine Kriminalsanktion erforderliche Schwelle sinkt.[47] An der Rechtswidrigkeit des fraglichen Verhaltens ändert sich dadurch allerdings nichts (sodass ihm deshalb grundsätzlich weiterhin durch Notwehr[48] oder polizeiliche Maßnahmen begegnet werden kann).[49]

In Bezug auf zivilen Ungehorsam durch Straßenblockaden liegt nun zweierlei auf der Hand: Erstens, dass es sich bei den im Begriff des zivilen Ungehorsams zusammengefassten Umständen regelmäßig um solche handelt, die in ihrer Gesamtheit die Schwere des Nötigungsunrechts signifikant reduzieren, ohne dieses jedoch gänzlich aufzuheben (ergo diese Umstände als Strafunrechtsausschließungsgrund begriffen werden können). Zweitens, dass das BVerfG § 240 Abs. 2 StGB offenbar genau in diesem Sinne interpretiert – nämlich als Instrument zur Beantwortung der Frage, ob an ein (versammlungs-)rechtswidriges (!) Verhalten jenseits der Folgen des § 15 VersammlG zusätzlich auch noch eine „strafrechtliche Sanktion“ geknüpft werden darf (oder ob diese „übermäßig“ wäre).[50] Diese Frage kann aber nur dann sinnvoll gestellt werden, wenn § 240 Abs. 2 StGB gerade nicht als Erlaubnistatbestand verstanden wird.[51]

Gegen die hier favorisierte Deutung des § 240 Abs. 2 StGB als bloßen Strafunrechtsausschließungsgrund sprechen lediglich zwei Argumente. Erstens, dass der Normwortlaut eben nicht von „strafrechtswidrig“, sondern von „rechtswidrig“ spricht (und daher auf eine Erlaubniswirkung hinzuweisen scheint). Das Argument ist jedoch vor dem Hintergrund der Gesetzgebungsgeschichte der Nötigung nicht belastbar: In der ursprünglichen Entwurfsfassung (1930) als Tatbestandsausschließungsgrund konzipiert, wurde das Korrektiv durch die dogmatikblinde nationalsozialistische Gesetzgebung (1943) sprachlich und systematisch verhunzt.[52] Daher gibt es insoweit kein Bedürfnis, den Wortlaut auf die Goldwaage zu legen; insbesondere verstößt es nicht gegen Art. 103 Abs. 2 GG, wenn das Wort „rechtswidrig“ in § 240 Abs. 2 StGB als „strafrechtswidrig“ ausgelegt wird. Der zweite Einwand gegen die Interpretation der Verwerflichkeitsklausel als Strafunrechtsausschließungsgrund stammt von Schüler-Springorum und bezieht sich speziell auf Nötigungshandlungen aus zivilem Ungehorsam: Da dieser per definitionem die Bereitschaft voraussetze, ein (straf-)rechtliches Risiko einzugehen, könne ziviler Ungehorsam nicht als Grund anerkannt werden, der eine Bestrafung ausschließt.[53] Bereits die dogmatische Substanz dieses Einwands ist nicht leicht zu entschlüsseln. Dessen ungeachtet: Zu den „Tatbestandsmerkmalen“ zivilen Ungehorsams gehört sub specie rechtliches Risiko nicht mehr als „die Bereitschaft, für die rechtlichen Folgen der Regelverletzung einzustehen.“[54] Da aber auch nach „Abzug“ der Möglichkeit einer Bestrafung wegen Nötigung Sitzblockierer mit etwaigen Notwehrhandlungen und deliktischen Ansprüchen der Blockierten[55] sowie polizeilichen Schmerzgriffen[56] und Präventivgewahrsam[57] zu rechnen haben, verbleibt noch genug rechtliches Risiko, um von der charakteristischen „Bereitschaft, die gesetzlichen Folgen der Handlungsweise auf sich zu nehmen“,[58] sprechen zu können.

II. Offene Fragen

1. Problemfälle

Rostalski, die Klimaproteste für „kriminell“ hält, mahnt jeden, der nötigende Klimaproteste unter Umständen als „nicht kriminell“ ansieht (also auch den Autor), die Konsequenzen dessen auch in Fällen vielleicht wenig sympathischer Protestanliegen tragen zu müssen[59] – etwa bei „Corona- und Bauern-Protesten“ oder in Bezug auf die Artikulation „rechtsautoritärer“ Vorstellungen von Asyl- und (Re-)Migrationspolitik (bspw. in Gestalt von „Sitzblockaden vor Flüchtlingsunterkünften durch neonazistische Gruppen“[60]). Das ist ein berechtigter Hinweis. Wer Fernziele bei der Verwerflichkeitsprüfung – richtigerweise – prinzipiell außer Acht lässt, muss akzeptieren, dass „[d]as Demonstrationsrecht Minderheiten und egoistischen Demonstranten in gleicher Weise zu[steht] wie Mehrheiten und altruistischen Demonstranten“ – und deshalb bspw. „Hundehalter und Atomkraftgegner das gleiche Recht [haben], sich zur kollektiven Äußerung ihres Anliegens zu versammeln.“[61]

Gleichwohl wäre die Annahme vorschnell, dass deshalb praktisch jeder in den Genuss des Strafunrechtsausschließungsgrundes nach § 240 Abs. 2 StGB kommt, der als blockierender Demonstrant irgendwie „die Verletzung von Grundrechten geltend [macht]“.[62] Tatsächlich dürften die – nicht zufällig am Beispiel des gezielten zivilen Ungehorsams entwickelten – (Nicht-)Verwerflichkeitskriterien des BVerfG bei den erwähnten „Problem-Fällen“ eher nicht in Richtung Strafverzicht deuten. Bei der gegen die Kürzung umweltschädlicher Subventionen im Agrarsektor gerichteten Protestform, Bundesstraßen durch Fäkalienanhäufungen unpassierbar zu machen (sog. Bauern-Protest), ist aufgrund der Eigennützigkeit des auf sehr spezielle Partikularinteressen gerichteten Protestziels bereits die Komponente der sozialen Gewichtigkeit des Anliegens eher schwach ausgeprägt. Da zudem kein Bezug zwischen politischer Forderung und Protestform auszumachen ist, spricht insoweit Vieles für die Verwerflichkeit.[63] Anderes mag bei Blockaden durch „Rechtsautoritäre“ gelten, die eine Verschärfung des Umgangs mit Migranten im Sinn haben. Dem Zeitgeist des Jahres 2025 nach zu urteilen, handelt es sich um ein Anliegen von hoher sozialer Relevanz; auch ist, etwa bei der Zufahrtsblockade einer Geflüchtetenunterkunft, durchaus ein inhaltlicher Zusammenhang zwischen Protestziel und -gegenstand denkbar. Bewegen sich allerdings die politischen Forderungen außerhalb des verfassungsrechtlich Zulässigen (etwa diejenige nach „Remigration“ deutscher Staatsangehöriger unter Verstoß gegen den im Kern änderungsfesten Art. 16 Abs. 1 GG), gerät das strikte Fernzielbewertungsverbot an seine Grenzen. Aufrufen zum Verfassungsbruch kann schwerlich das Verdikt der Verwerflichkeit erspart bleiben – ein solcher Ungehorsam ist schlicht nicht mehr „zivil“.[64] Ein letzter Prüfstein sind Proteste von Abtreibungsgegnern vor Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen, die sich ebenfalls im Dunstkreis von Demonstrationsfreiheit und Nötigung bewegen.[65] Gesellschaftliche Bedeutung des Anliegens (§ 218 StGB-Debatte), Fremdnützigkeit auf grundgesetzlichem Boden (Lebensrecht Ungeborener) und inhaltlicher Zusammenhang zwischen Protestform und -inhalt stehen außer Zweifel. All dies spricht gegen die Verwerflichkeit einer mit dem Protest beabsichtigen Nötigung Schwangerer. Für Verwerflichkeit spricht allerdings, dass der Gesetzgeber mit dem bußgeldbewehrten Verbot sog. Gehsteigbelästigungen (§§ 8 Abs. 2, 13 Abs. 2 i.V.m. § 35 SchKG) zum Schutz einer besonders vulnerablen Personengruppe vor nötigenden „Spießrutenläufen“[66] sogar eine bewusst über das allgemeine Nötigungsverbot hinausgehende Einschränkung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit geschaffen hat.[67] Angesichts der Intensität der Nötigungshandlung, die aus Sicht im Schwangerschaftskonflikt befindlicher Frauen dem „Extremfall“[68] der Blockade von Krankenwagen durch Klima-Kleber gleichkommen dürfte, sowie zur Meidung offener Wertungswidersprüche liegt es deshalb nahe, hier trotz gegenläufiger Faktoren die Verwerflichkeit der Nötigungshandlung zu bejahen.

2. Übertragbarkeit auf andere Delikte?

Die Gründe, zivilen Ungehorsam bei der Nötigung grundsätzlich als Strafunrechtsausschließungsgrund anzuerkennen, sind gleichermaßen einschlägig, wenn z.B. Klimaaktivisten andere Bagatelldelikte begehen (namentlich Hausfriedensbruch[69] und Sachbeschädigung[70]). Anderen Tatbeständen fehlt aber ein dem § 240 Abs. 2 StGB vergleichbares positiviertes Korrektiv. Es drängt sich die Frage auf, ob der Strafunrechtsausschließungsgrund des zivilen Ungehorsams aber auch ohne Verwerflichkeitsklausel, d.h. als ungeschriebener Straffreistellungsgrund anzuerkennen ist. (Der dürftige Notbehelf, bei § 303 Abs. 1 StGB das Merkmal „rechtswidrig“ als „strafrechtswidrig“ zu lesen[71] und hierüber Strafunrechtsausschließungserwägungen einzuspeisen, stieße jedenfalls bei § 303 Abs. 2 und § 123 StGB an eine Grenze). Eine Antwort darauf bedarf näherer Untersuchung, die hier nicht geleistet werden kann. Nicht zuletzt aufgrund seiner klareren Konturen wäre ein solcher Strafunrechtsausschluss jedenfalls gegenüber dem Postulat einer unmittelbar aus Grundrechten hergeleiteten Befugnis[72] die bessere Lösung.

V. Fazit

Im durch Klimaaktivisten neuerlich entfachten Streit um die Nötigungsstrafbarkeit zivil ungehorsamer Sitzblockaden stehen sich bislang vor allem die miteinander unversöhnlichen Ansätze „Legalisierung“ und „Kriminalisierung“ gegenüber. Letzterer gewinnt in der Praxis aktuell die Oberhand. Die vom BVerfG vor Jahrzehnten als „Magna Carta der aktiven, starken und partizipatorischen Demokratie“[73] geprägten Leitlinien zum Umgang mit der Verwerflichkeitsklausel des § 240 Abs. 2 StGB drohen nach neuester obergerichtlicher Rechtsprechung zu einer blutleeren Detailfeststellungs-Pflichtübung der Tatgerichte zu verkommen.[74] Indes unterliegen die Bestrafungsbefürworter der dogmatischen Fehlvorstellung, mangelnde Verwerflichkeit bedeute eine Erlaubnis. Als vorzugswürdige Alternative bietet sich die Revitalisierung der einst von Güntherbegründeten Lehre an, § 240 Abs. 2 StGB als Strafunrechtsausschließungsgrund zu deuten. Der dogmatisch schlüssige Vorschlag ist dezidiert BVerfG-konform und ermöglicht die gebotene Entkriminalisierung ohne Legalisierung.

 

[1]      Eine genaue Definition ist für die hiesigen Zwecke verzichtbar. Die gängigsten Definitionen stimmen im Kern überein, vgl. BVerfGE 73, 206 (250); Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, 1979, S. 401; Frankenberg, JZ 1984, 266 (268 f.); Geis, in: Hilgendorf/Joerden, Handbuch Rechtsphilosophie, 2. Aufl. (2021), S. 534 (536).
[2]      Vgl. BT-Drs. 20/4310, Antrag der CDU/CSU-Fraktion „Straßenblockierer und Museumsrandalierer härter bestrafen“, 8.11.2022; krit. Wenglarczyk, Feindbild Klimaaktivismus, Verfassungsblog,  10.11.2022, online abrufbar unter: https://verfassungsblog.de/feindbild-klimaaktivismus (zuletzt abgerufen am 15.1.2025).
[3]      Zur Einstufung von Klimaprotestgruppen als kriminelle Vereinigung i.S.v. § 129 StGB s. LG Potsdam, openJur 2023, 8418, online abrufbar unter: https://openjur.de/u/2473735.html (zuletzt abgerufen am 15.1.2025); LG München, bei Sehl, Warum der Verdacht einer kriminellen Vereinigung besteht, LTO, 23.11.2023, online abrufbar unter: https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/lg-muenchen-letzte-generation-klimakleber-durchsuchung-protest-kriminell-vereinigung (zuletzt abgerufen am 15.1.2025); Schumacher, JuS 2023, 820 ff.; Kuhli/Papenfuß, KriPoZ 2023, 71 ff.; Schönberger/Naujoks, § 129 StGB und die Erheblichkeit der Erheblichkeit, Verfassungsblog, 8.11.2023, online abrufbar unter: https://verfassungsblog.de/%c2%a7-129-stgb-und-die-erheblichkeit-der-erheblichkeit (zuletzt abgerufen am 15.1.2025).
[4]      S. nur die Beiträge in dem erstmals 1983 erschienenen Sammelband von Glotz, Ziviler Ungehorsam im Rechtsstaat, 3. Aufl. (2015).
[5]      S. exemplarisch die Beiträge in dem Sammelband von Bönnemann, Kleben und Haften – Ziviler Ungehorsam in der Klimakrise, 2023, online abrufbar unter: https://verfassungsblog.de/wp-content/uploads/2023/09/Verfassungsbook_Kleben-und-Haften.pdf (zuletzt abgerufen am 15.1.2025).
[6]      Exemplarisch Rawls (Fn. 1), S. 400, 402 und 409. Auch Habermas, in: Glotz, Ziviler Ungehorsam im Rechtsstaat, S. 29, spricht von „berechtigtem“ zivilen Ungehorsam (S. 36 und 39). Das ist aber offenbar untechnisch gemeint. Denn seine Conclusio, „[d]er zivile Ungehorsam muß zwischen Legitimität und Legalität in der Schwebe bleiben“ (S. 43), kann in rechtlichen Kategorien ausgedrückt eher als Plädoyer für eine bloße Entschuldigung oder einen Strafverzicht bzw. -nachlass interpretiert werden, vgl. Kubiciel, JZ 2024, 167 (170 Fn. 39).
[7]      Grdl. Schüler-Springorum, in: Glotz, Ziviler Ungehorsam im Rechtsstaat, S. 76 (87 ff.); aus neuerer Zeit AG Flensburg, KlimR 2023, 25; Bönte, HRRS 2021, 164 ff.; Wolf, Klimaschutz als rechtfertigender Notstand, Verfassungsblog, 14.11.2022, online abrufbar unter https://verfassungsblog.de/klimaschutz-als-rechtfertigender-notstand/ (zuletzt abgerufen am 15.1.2025).
[8]      AG Mönchengladbach-Rheydt, KlimR 2022, 130 Rn. 6; Brand/Winter, JuS 2021, 113 ff.; aus früherer Zeit Dreier, in: Glotz, Ziviler Ungehorsam im Rechtsstaat, S. 54 (60 ff.).
[9]      OLG Schleswig, NStZ 2023, 740 Rn. 64; Diekjobst, Klimanotstand über Gewaltenteilung?, Verfassungsblog, 11.12.2022, online abrufbar unter: https://verfassungsblog.de/klimanotstand-uber-gewaltenteilung/ (zuletzt abgerufen am 15.1.2025); Engländer, JZ 2023, 255 (259 f.); Jahn, JuS 2023, 82 (84); Zimmermann, Umweltschutz setzt Demokratie nicht außer Kraft, FAZ Einspruch, 16.10.2023, online abrufbar unter: https://www.faz.net/einspruch/sind-umweltschutz-und-demokratie-vertragbar-19247828.html (zuletzt abgerufen am 15.1.2025).
[10]    Näher Horter/Zimmermann, GA 2023, 481 (494 f.).
[11]    Ausf. dazu Groß, JZ 2024, 893 ff.
[12]    Engländer, JZ 2023, 255 (259 f.); Zimmermann/Griesar, JuS 2023, 401 (406); a.A. Gätsch, KlimR 2023, 141 (145) („anhaltendes Staatsversagen“).
[13]    I.d.S. Kubiciel, JZ 2024, 167 ff.; Rostalski, Klimaproteste sind sehr wohl kriminell, Philosophie Magazin, 14.11.2024, online abrufbar unter: https://www.philomag.de/artikel/klimaproteste-sind-sehr-wohl-kriminell (zuletzt abgerufen am 15.1.2025).
[14]    BVerfGE 73, 206 (252).
[15]    BVerfGE 104, 92 (103); BVerfG, NJW 2011, 3020 Rn. 30 ff. Im Schrifttum wird demgegenüber zurecht darauf hingewiesen, dass auch Art. 5 Abs. 1 GG einschlägig ist, s. Frankenberg, JZ 1984, 266 (270) – was etwa für „Solo-Demonstranten“ Bedeutung erlangen kann.
[16]    BVerfGE 73, 206 (252 ff.); 104, 92 (109 ff.); BVerfG, NJW 2011, 3020 Rn. 38 ff.
[17]    Vgl. BVerfGE 73, 206 (259).
[18]    So z.B. auch Eidam, JZ 2023, 224 (229); Frankenberg, JZ 1984, 266 (274); Höffler, Ziviler Ungehorsam – Testfall für den demokratischen Rechtsstaat, Verfassungsblog, 25.5.2023, online abrufbar unter: https://verfassungsblog.de/ziviler-ungehorsam-testfall-fur-den-demokratischen-rechtsstaat/ (zuletzt abgerufen am 15.1.2025); Leitmeier, HRRS 2023, 70 (73); von Redecker, Klimaproteste sind nicht kriminell, Philosophie Magazin, 8.11.2024, online abrufbar unter: https://www.philomag.de/artikel/klimaproteste-sind-nicht-kriminell (zuletzt abgerufen am 15.1.2025); Roxin, in: FS Schüler-Springorum, 1993, S. 441 (452).
[19]    BGHSt 35, 270 ff.; zustimmend etwa Rönnau, JuS 2023, 112 (114 f.); Sinn, in: MüKo-StGB, Bd. 4, 4. Aufl. (2021), § 240 Rn. 142.
[20]    Frankenberg, JZ 1984, 266 (275); Kröpil, JR 2011, 283 (287).
[21]    Roxin, in: FS Schüler-Springorum, 1993, S. 441 (453 ff.).
[22]    Radtke, GA 2000, 19 (31).
[23]    Günther, in: FS Baumann, 1992, S. 213 (216 ff.), der an seine Vorarbeiten in „Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluss“ (1983) anknüpft.
[24]    Als „mittelbare“ (oder auch: indirekte) Akte zivilen Ungehorsams werden solche bezeichnet, bei denen nicht die Norm übertreten wird, gegen die der Protest sich inhaltlich richtet, Frankenberg, JZ 1984, 266 (268 f.).
[25]    Strittig ist, ob die blockierten Autofahrer zudem i.S.v. § 239 StGB ihrer Freiheit beraubt werden (verneint von OLG Hamm, VRS 92 [1997], 208; Zimmermann/Griesar, JuS 2023, 401 [402], bejaht von Kaerkes, HRRS 2024, 16 [22]). Inwieweit auch spezielle Nötigungstatbestände (§§ 105, 106 StGB) verwirklicht sind, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, näher Preuß, HRRS 2024, 162 ff.; Zimmermann/Griesar, JuS 2023, 401 (402).
[26]    Exemplarisch Zimmermann/Griesar, JuS 2023, 401 (402 f.); näher zur aktuellen Debatte um die Auslegung des Gewaltbegriffs bei Sitzblockaden Cordes/Hohnerlein, Gewalt als körperliche Zwangswirkung, Verfassungsblog, 23.4.2024, online abrufbar unter: https://verfassungsblog.de/gewalt-als-korperliche-zwangswirkung/ (zuletzt abgerufen am 15.1.2025); Lund, Friedliche Gewalt!, Verfassungsblog, 19.8.2024, online abrufbar unter: https://verfassungsblog.de/sitzblockaden-gewalt/ (zuletzt abgerufen am 15.1.2025); Slogsnat, Gewalt durch Sitzblockaden, Verfassungsblog, 6.4.2024, online abrufbar unter: https://verfassungsblog.de/gewalt-durch-sitzblockaden/ (zuletzt abgerufen am 15.1.2025).
[27]    Wessels/Hettinger/Engländer, Strafrecht BT I, 47. Aufl. (2023), Rn. 379; Preuß, NZV 2023, 60 Rn. 28.
[28]    S. Kaufmann, NJW 1988, 2581 (2583 f.) sowie die Nachw. bei OLG Stuttgart, NStZ 1988, 129. Offen für die Berücksichtigung von Fernzielen auch Eidam, JZ 2023, 224 (230); Lenckner, JuS 1988, 349 (355).
[29]    Kubiciel, JZ 2024, 167 (174); vgl. auch BGHSt 35, 270 (276 ff.).
[30]    Vgl. nur Kerschnitzki, „Klimakleber“ als Nachweis der Verfassungswidrigkeit des § 240 StGB, JuWissBlog, 9.1.2023, online abrufbar unter: https://www.juwiss.de/1-2023/(zuletzt abgerufen am 15.1.2025); ferner BGHSt 35, 270 (281); Sieger, Jura 2025, 1 (5); Zimmermann/Griesar, JuS 2023, 401 (407).
[31]    Vgl. BVerfG, NJW 2011, 3020 Rn. 39.
[32]    Dieses Kriterium ergibt sich jedenfalls implizit aus den verfassungsgerichtlichen Vorgaben, denen zufolge es maßgeblich darauf ankommt, ob die Aktivisten „zu einer die Öffentlichkeit angehenden, kontrovers diskutierten Frage“ Stellung beziehen, s. BVerfGE 104, 92 (110); näher dazu Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. (2019), § 240 Rn. 29a m.w.N.
[33]    Tendenziell gegen Verwerflichkeit: AG Berlin-Tiergarten, NStZ 2023, 239 Rn. 6 ff.; AG Freiburg, KlimR 2023, 59; AG München, BeckRS 2022, 41330 Rn. 26 ff.; Homann, JA 2023, 554 (558); Rückert, KriPoZ 2023, 456 (459); Wihl, Die wilde Seite der Demokratie, LTO, 14.2.2022, online abrufbar unter: https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/autobahnblockade-sitzblockade-berlin-legal-strafbar-verfassungskonform-noetigung-versammlungsfreheit (zuletzt abgerufen am 15.1.2025); Zimmermann/Griesar, JuS 2023, 401 (407 f.); anders die inzw. wohl h.M.: LG Berlin, BeckRS 2022, 40639 Rn. 7; AG Berlin-Tiergarten, NStZ 2023, 242 Rn. 11 ff.; AG Freiburg, KlimR 2023, 62 Rn. 45; Erb, NStZ 2023, 577 (578 f.); Lund, NStZ 2023, 198 (199 f.); Preuß, NZV 2024, 61 Rn. 28; Rengier, Strafrecht BT II, 25. Aufl. (2024), § 23 Rn. 69a.
[34]    Vgl. BGHSt 35, 270 (279); Kröpil, JR 2011, 283 (286).
[35]    Sandherr, NZV 2024, 394 Rn. 1.
[36]    Gemeint ist AG Freiburg, KlimR 2023, 59 ff.
[37]    Erb, NStZ 2023, 577 (579).
[38]    Sandherr, NZV 2024, 394 Rn. 7; gleichsinnig AG Berlin-Tiergarten, NStZ 2023, 242 Rn. 9.
[39]    LG Berlin, BeckRS 2022, 40639 Rn. 7; ebenso Schmidt, ZJS 2023, 875 (893).
[40]    I.d.S. Ernst, KriPoZ 2023, 448 (454); Nielsen, Autofahrer gegen Sitzblockaden – Wie viel Notwehr darf es sein?, JuWissBlog, 27.4.2023, online abrufbar unter: https://www.juwiss.de/24-2023/ (zuletzt abgerufen am 15.1.2025); Schladitz, Entziehung der Fahrerlaubnis nach Gewalt gegen Klimaaktivisten, LTO, 21.7.2023, online abrufbar unter: https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/letzte-generation-klimakleber-blockaden-strassen-selbsthilfe-notwehr-fuehrerschein (zuletzt abgerufen am 15.1.2025).
[41]    So ausdr. Rönnau/Saathoff, JuS 2023, 439 ff.; Meurer/Bergmann, JR 1988, 49 (53); der Sache nach auch BGHSt 35, 270 (278 f.).
[42]    So Arzt, JZ 1988, 775 (777).
[43]    Zum Begriff Schlehofer, in: MüKo-StGB, Bd. 1, 5. Aufl. (2024), Vorb. § 32 Rn. 3; Kindhäuser/Zimmermann, Strafrecht AT, 11. Aufl. (2024), § 15 Rn. 15.
[44]    Näher Effer-Uhe, NJOZ 2023, 576 (577).
[45]    Günther, in: FS Baumann, 1992, S. 213 (216).
[46]    Günther, in: FS Baumann, S. 213 (218); ebenso Reichert-Hammer, Politische Fernziele und Unrecht, 1991, S. 293; Wessels/Hettinger/Engländer, Strafrecht BT I, Rn. 379; Zimmermann/Griesar, JuS 2023, 401 (406); sachlich übereinstimmend Effer-Uhe, NJOZ 2023, 576 (581); Rückert, KriPoZ 2023, 456 (459).
[47]    Schlehofer, in: MüKo-StGB, Vorb. § 32 Rn. 57.
[48]    Zutr. bemerken daher Hoven/Rostalski/Weigend, Angriff oder Verteidigung, ZEIT, 16.12.2022, online abrufbar unter: https://www.zeit.de/2022/52/klimaaktivismus-autofahrer-letzte-generation-notwehr (zuletzt abgerufen am 15.1.2025), dass es auf die Frage, ob sich die Demonstrierenden gem. § 240 StGB strafbar machen, nicht ankommt, da „ein Notwehrrecht nicht nur gegen strafbare, sondern bereits gegen rechtswidrige Angriffe [besteht].“
[49]    Näher Engländer, in: Matt/Renzikowski, StGB, 2. Aufl. (2020), Vorb. § 32 Rn. 3; Zimmermann, in: Hilgendorf/Kudlich/Valerius, Handbuch des Strafrechts, Bd. 2, 2020, § 37 Rn. 43 ff. m.w.N.
[50]    Vgl. BVerfGE 104, 92 (107 ff.).
[51]    Dies wird auch daran deutlich, dass die Senatsmehrheit (auf S. 108 der Entscheidung) den in der abw. Meinung der Richterin Haas geäußerten Vorwurf, die Mehrheit schließe aus der Verwerflichkeit auf ein „Dürfen“ (S. 116), zurückweist.
[52]    Eingehend Effer-Uhe, NJOZ 2023, 576 (577 f.).
[53]    Schüler-Springorum, in: Glotz, Ziviler Ungehorsam im Rechtsstaat, S. 76 (82).
[54]    So Frankenberg, JZ 1984, 266 (268 f.).
[55]    Näher Lutzi, JuS 2023, 385 ff.; Patros/Pollithy, NJOZ 2023, 1 ff.
[56]    Vgl. VG Kassel, BeckRS 2022, 35234; VG Berlin, BeckRS 2023, 11173; krit. Ahmad/von Bernstorff, Schmerzgriffe und Menschenrechte, Verfassungsblog, 2.7.2024, online abrufbar unter: https://verfassungsblog.de/schmerzgriffe-polizei-menschenrechte/ (zuletzt abgerufen am 15.1.2025).
[57]    Dazu BayObLG, BeckRS 2024, 31658.
[58]    Rawls (Fn. 1), S. 403.
[59]    Rostalski, Klimaproteste sind sehr wohl kriminell, Philosophie Magazin, 14.11.2024.
[60]    Dieses Zitat stammt von Patett, HRN 2013, 139 (147), die anderen von Rostalski, Klimaproteste sind sehr wohl kriminell, Philosophie Magazin, 14.11.2024.
[61]    Günther, in: FS Baumann, 1992, S. 213 (224).
[62]    I.d.S. aber Rostalski, Klimaproteste sind sehr wohl kriminell, Philosophie Magazin, 14.11.2024; Patett, HRN 2013, 139 (147).
[63]    I.d.S. Fischer, Dürfen Bauern, was andere nicht dürfen?, Spiegel Online, 12.1.2024, online abrufbar unter: https://www.spiegel.de/kultur/bauernproteste-der-bauer-seine-frau-und-sein-traktor-a-fa1f1bdb-eada-496b-ad68-7d09e4db0568 (zuletzt abgerufen am 15.1.2025).
[64]    Vgl. Geis, in: Hilgendorf/Joerden, Handbuch Rechtsphilosophie, S. 534 (536 li. Sp.).
[65]    Vgl. Graf/Vasović, NVwZ 2022, 1679 ff.
[66]    BT-Drs. 20/10861, S. 23.
[67]    Näher Frister, Stellungnahme zu dem Gesetzentwurf (BT-Drs. 20/10861) v. 9.5.2024, S. 2 ff., online abrufbar unter: https://www.bundestag.de/resource/blob/1002056/c00af397cf2cd0
cbf5ebbcdd0fde35c6/20-13-109j.pdf (zuletzt abgerufen am 15.1.2025).
[68]    So Amelung, NStZ 1996, 230 (231).
[69]    AG Flensburg, KlimR 2023, 25 ff. (Baumbesetzung).
[70]    Vgl. OLG Celle, NStZ 2023, 113 ff.
[71]    Vgl. Schlehofer, in: MüKo-StGB, Vorb. § 32 Rn. 36.
[72]    Dafür AG Mönchengladbach-Rheydt, KlimR 2022, 130 Rn. 6 (unmittelbar aus Grundrechten gerechtfertigter Hausfriedensbruch in einem Tagebau); abl. Horter/Zimmermann, GA 2023, 440 (443 ff.).
[73]    Wihl, Die wilde Seite der Demokratie, LTO, 14.2.2022.
[74]    Vgl. KG Berlin, NZV 2024, 335 Rn. 11 ff.; OLG Karlsruhe, BeckRS 2024, 2340 Rn. 14 ff.

 

 

 

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