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KriPoZ-RR 4/2024

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

Redaktioneller Leitsatz:

Liegt ein mehraktiges Tatgeschehen vor, bei welchem das Opfer erst durch einen späteren Teilakt umkommt, so ist entscheidend, ob das Gesamtgeschehen als eine natürliche Handlungseinheit zu bewerten ist. Dies ist der Fall, soweit die strafrechtlich erheblichen Betätigungen subjektiv durch ein gemeinsames Element verbunden sind und das Geschehen objektiv als ein einheitliches zusammengehöriges Tun erscheint. Unabhängig davon kann sich eine andere rechtliche Bewertung ergeben, wenn der Täter im ersten Handlungskomplex erfolgreich zurücktritt.

Sachverhalt:

Die Ehe zwischen dem Angeklagten und seiner Ehefrau H. befand sich bereits seit dem Beginn der Corona-Pandemie in einer Krise. 2022 kam es zwischen beiden zu mehreren gewalttätigen Auseinandersetzungen. H. fühlte sich mit dem Auszug der gemeinsamen Kinder zunehmend einsam und begann, regelmäßig erhebliche Mengen Alkohol zu sich zu nehmen und eine intime Affäre mit einem Nachbarn zu führen. Der Angeklagte erfuhr von der Affäre und war hiervon erheblich gekränkt. In der Folge kam es erneut zu einer gewalttätigen Auseinandersetzung, woraufhin sich H. dazu entschloss, für einige Tage bei einem Freund zu verweilen; Drohungen des Angeklagten, er werde sie töten, nahm H. allerdings nicht ernst.

Am Tattag rief der Angeklagte bei dem Freund der H. an und bat darum, diese zu sprechen. Im Rahmen des Gesprächs kündigte H. an, dass sie zu der gemeinsamen Wohnung kommen werde. Spätestens nach dem Gespräch entschloss sich der Angeklagte, H. zu töten. Hierzu lauerte er, mit einem Küchenmesser bewaffnet, im Eingangsbereich des Wohnhauses hinter der Haustür. H. kam kurze Zeit nach dem Gespräch in das Wohnhaus und wurde von dem Angeklagten mit dem Küchenmesser angegriffen. Sie rechnete hierbei nicht mit einem Angriff des Angeklagten, was dieser bewusst zur Tatbegehung ausnutzte. Der Angeklagte fügte H. lebensgefährliche Verletzungen am Hals und an der Rumpfrückseite zu. H. fiel in Folge des Angriffs auf den Boden.

Der Angeklagte unterbrach seinen Angriff nach zwei Minuten und verließ das Wohnhaus, um das Tatmesser zu verstecken. Der Angeklagte ging daraufhin in die Küche der Wohnung, holte ein Fleischermesser und stach weiter auf H. ein. Der Angriff war beendet, als der Angeklagte der H. das Messer in die Brust stach und es dort stecken ließ. H. starb kurzzeitig danach an den Wunden der 36 Schnitt- und Stichverletzungen.

Das LG hatte den Angeklagten wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt.

Entscheidung des BGH:

Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten vom 14.03.2023 hat Erfolg. Das LG ging davon aus, dass der Angeklagte das Opfer heimtückisch tötete. Diese Bewertung halte einer rechtlichen Prüfung nicht stand.

Heimtückisch handele, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und dadurch bedingte Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tötung ausnutze. Arglos sei ein Tatopfer, das bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs weder mit einem lebensbedrohlichen noch mit einem gegen seine körperliche Unversehrtheit gerichteten erheblichen Angriffs rechne. Handele es sich um ein mehraktives Tatgeschehen, bei welchem nicht der erste Angriff, sondern ein späterer Teilakt todesursächlich war, sei grundsätzlich entscheidend, ob das Gesamtgeschehen als natürliche Handlungseinheit zu bewerten sei. Dies sei anzunehmen, soweit zwischen den Betätigungen ein derart unmittelbarer Zusammenhang bestehe, sodass das gesamte Handeln des Täters für einen objektiven Dritten als einheitliches zusammengehöriges Tun erscheine und die einzelnen Betätigungsakte durch ein gemeinsames subjektives Element verbunden sind. Unabhängig davon könne ein Heimtückemord bereits ausscheiden, soweit der Täter im ersten Tatkomplex zurückgetreten war.

Hieran gemessen sei die tatgerichtliche Annahme, dass bereits die Handlungen des ersten Teilabschnitts das Opfer tödlich verletzt haben, nicht belegt. Den Urteilsgründen könne nicht entnommen werden, welche konkreten Verletzungen das Opfer innerhalb des ersten Handlungsabschnitts erlitten habe. Tragfähige Hinweise auf das konkrete Verletzungsbild der dem Opfer zugefügten Verletzungen fehlten. Es fehlten Beweiserwägungen zu den Verletzungsfolgen, zur Lage der dem Tatopfer im Einzelnen zugefügten Verletzungen sowie zu der Reihenfolge der Stichbeibringung. Hinweise zum Obduktionsergebnis fehlten gänzlich. Eine Beweiswürdigung sei auch nicht entbehrlich, weil der Angeklagte in der Hauptverhandlung eingeräumt hatte, auf das Opfer eingestochen zu haben.

Es könne insoweit nicht ausgeschlossen werden, dass das Urteil auf diesen Mängeln beruhe. Soweit das Opfer erst aufgrund der im zweiten Handlungsabschnitt zugefügten Verletzungen gestorben wäre, so wäre die Annahme einer heimtückischen Begehung nur gerechtfertigt, wenn die beiden Teilabschnitte als natürliche Handlungseinheit anzusehen wären. Hierzu müsse auch festgestellt werden, wieso der Angeklagte den Angriff unterbrochen, das Haus verlassen und das Tatmesser in der Umgebung des Hauses versteckt hatte. Es erscheine bei dieser Sachlage nicht ausgeschlossen, dass der Angeklagte seinen ursprünglichen Tatentschluss zunächst aufgab und von einem noch unbeendeten Tötungsversuch Abstand genommen haben könnte.

Neben diesen Ausführungen sei auch das Vorliegen des für die heimtückische Begehung erforderlichen Ausnutzungsbewusstseins nicht tragfähig belegt. In subjektiver Hinsicht setze das Mordmerkmal der Heimtücke voraus, dass der Täter sich bewusst ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber dem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen. Das Ausnutzungsbewusstsein könne im Einzelfall bereits aus dem objektiven Bild des Tatgeschehens abgeleitet werden. Bei affektiven Durchbrüchen oder heftigen Gemütsbewegungen könne das Ausnutzungsbewusstsein jedoch ebenso fehlen wie bei einem zur Tatzeit erheblich alkoholisierten Täter.

Hieran gemessen sei das heimtückespezifische Ausnutzungsbewusstsein nicht tragfähig belegt. Der Angeklagte sei zum Zeitpunkt mit einer Blutalkoholkonzentration von mehr als 2,7 Promille stark alkoholisiert gewesen. Dieser Umstand und dessen Einfluss auf einen womöglich spontan gefassten Tatentschluss hätte näherer Erörterung bedurft. Zudem habe sich das LG nicht zu der psychischen Verfassung des Angeklagten zur Tatzeit geäußert. Das Verhältnis des Angeklagten zu seiner Ehefrau sei seit einiger Zeit ambivalent gewesen, von Affektspannungen begleitet und hätte sich mit Kenntnis der Affäre weiter verschlechtert. Auch die Art der Tatausführung („Übertötung“) hätte zu einer näheren Erörterung der Frage des Ausnutzungsbewusstseins drängen müssen.

 

 

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