Carolin Schmidt: Grenzen des Lockspitzeleinsatzes. Eine rechtsvergleichende Betrachtung am Maßstab der EMRK

von Prof. Dr. Anja Schiemann 

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2016, Verlag Nomos, Baden-Baden, ISBN: 978-3-8487-3186-2, S. 260, Euro 68,00.

 Auch wenn die von Bundesjustizminister Heiko Maas zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens einberufene Expertenkommission sich in knapper Mehrheit dafür aussprach, eine gesetzliche Grundlage für den Einsatz von Verbindungs- oder Vertrauenspersonen zu schaffen, so wurde eine solche Regelung im Zuge der StPO-Reform doch nicht umgesetzt. Umso wichtiger erscheint es, dass Schmidt in ihrer Dissertation – wenn auch fokussiert auf die EMRK – rechtsvergleichend die rechtlichen Rahmenbedingungen der staatlichen Tatprovokation aufzeigt, Zulässigkeitskriterien benennt und Lösungsansätze zur Kompensation unzulässiger Tatprovokation erarbeitet.

Als Kurzdefinition eines „Lockspitzels“ stellt die Autorin voran, dass Lockspitzel derjenige ist, der zu Strafverfolgungszwecken eine Person zu einer strafgesetzwidrigen Handlung verleiten soll (S. 16). Der Problemaufriss in Teil 1 macht anhand zweier BGH-Entscheidungen den Spagat zwischen praktischer Notwendigkeit und der Gewährleistung eines rechtsstaatlichen Verfahrens beim Lockspitzeleinsatz deutlich. In Teil 2 wird der Gegenstand der Untersuchung konkretisiert und insbesondere der rechtliche Rahmen der EMRK abgesteckt. Abschließend wird auf das Fehlen einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung hingewiesen und insoweit zutreffend de lege lata „allenfalls“ auf einen Rückgriff auf die Generalklauseln der §§ 161, 163 StPO verwiesen (S. 43). Hier wird aber durchaus thematisiert, dass tatprovozierendes Verhalten keine „Ermittlungs“tätigkeit im eigentlichen Sinne ist und es demnach sehr zweifelhaft erscheint, Tatprovokationen dem Begriff „Ermittlungen jeder Art“ unterfallen zu lassen (S. 46). Dennoch könne eine Verortung der Tatprovokation als Ermittlungsmaßnahme im weiteren Sinn nur in der Strafprozessordnung erfolgen (S. 51).

In Teil 3 ihrer Arbeit legt Schmidt die Voraussetzungen der zulässigen staatlichen Tatprovokation dar. Hierzu beschreibt sie zunächst die Anforderungen an die staatliche Tatprovokation nach der Rechtsprechung des EGMR, um dann die Begrenzung der staatlichen Tatprovokation in den nationalen Rechtsordnungen im Vergleich zu den Anforderungen des EGMR zu untersuchen. Dabei nimmt sie deutsches, österreichisches, polnisches, englisches, französisches und niederländisches Recht in den Blick.

Schmidt stellt fest, dass der EGMR ein eindeutiges und vorhersehbares Verfahren der Genehmigung, Durchführung und Überwachung fordert, welches grundsätzlich für alle in die Deliktsbegehung verstrickten Personen einzuhalten ist. Der EGMR hält insbesondere die Anordnung durch einen Richter oder aber die Staatsanwaltschaft für geeignet.

Die von Schmidt untersuchten Rechtsordnungen zeigen hier konzeptionelle Divergenzen. Während in Frankreich die Regelungen über zulässiges tatprovozierendes Verhalten mit Ausnahme von Drogengeschäften in das Verfahren bei verdeckten Ermittlungen integriert wurden, sehen andere Rechtsordnungen eine Parallelität beider Institute vor und lassen Tatprovokationen grundsätzlich auch außerhalb von verdeckten Ermittlungen zu. Die anderen Rechtsordnungen enthielten zudem detaillierte Verfahrenselemente, wie Durchführungshöchstfristen, Verlängerungsmöglichkeiten, Informations- und Dokumentationspflichten, die von der Autorin später für eine Regelung in Deutschland zur Ausfüllung der verfahrensrechtlichen Vorgaben des EGMR nutzbar gemacht werden. Zudem gibt es in den unterschiedlichen nationalen Rechtsordnungen Divergenzen in Bezug auf die Akteure einer zulässigen staatlichen Tatprovokation. Während die meisten Staaten sowohl die Verleitung zu strafbarem Verhalten durch Polizeibeamte also auch – in Grenzen – durch Vertrauenspersonen zulassen, ist in Frankreich nur der Einsatz von speziell geschulten Beamten statthaft. Zudem stellt Schmidt fest, dass in den meisten untersuchten Rechtsordnungen entsprechend der Rechtsprechung des EGMR eine Tatprovokation gegenüber unverdächtigen bzw. nicht tatgeneigten Personen untersagt wird. Lediglich in Deutschland soll auch mit Blick auf unverdächtige bzw. nicht tatgeneigte Personen eine Verleitung zur Begehung von Delikten zulässig sein, wenn das tatprovozierende Verhalten nicht über ein bloßes Ansprechen auf die Möglichkeit der Tatbegehung hinausgeht. Diese rechtsvergleichende Studie von Schmidt wird im weiteren Verlauf der Arbeit dazu herangezogen, den Lockspitzeleinsatz in Deutschland zu überdenken und für eigene Überlegungen de lege ferenda nutzbar zu machen. Zuvor werden von der Autorin aber noch die relevanten Zulässigkeitskriterien herausgearbeitet und einer Systematisierung unter Einbeziehung des derzeitigen Forschungsstandes unterzogen.

Daraus entwickelt Schmidt einen eigenen Ansatz, der von zwei Prämissen geleitet wird:

  1. Es besteht ein grundsätzliches Stufenverhältnis zwischen verdeckten Ermittlungen i.S. der § 110a ff. StPO und tatprovozierendem Verhalten.
  2. Der Kontext der Strafprozessordnung im Allgemeinen und der Zusammenhang zur verdeckten Ermittlung im Besonderen macht die Einsatzvoraussetzung eines „Verdachts“ erforderlich. (wörtliches Zitat, S. 152).

Die Autorin fordert eine separate, unabhängige Regelung zulässiger staatlicher Tatprovokation, die die Anwendung von tatprovozierendem Verhalten sowohl innerhalb als auch außerhalb von verdeckten Ermittlungen ermöglicht, ein Genehmigungsverfahren vorschreibt und an Gültigkeitsfristen gebunden ist (S. 186). Voraussetzung zulässiger Tatprovokation sowohl durch Polizeibeamte als auch Vertrauenspersonen sei zunächst, dass eine verdächtige Person zur Straftat veranlasst werden soll. Notwendig sei daher der Anfangsverdacht, an einer bereits begangenen Tat beteiligt gewesen zu sein. Zudem sei tatprovozierendes Verhalten nur bei Wiederholungsgefahr zulässig. Das statthafte Ausmaß der Tatprovokation müsse darüber hinaus in Relation zum Verdachtsgrad stehen. Verdienstvoll ist es, dass die Autorin sich an einer Regelung zum Lockspitzeleinsatz und daher einem konkreten Vorschlag de lege ferenda versucht. Die vorgeschlagene Regelung beinhaltet eine Legaldefinition, legt die Voraussetzungen und Verfahrensbestimmungen fest und lautet:

㤠110d StPO (Lockspitzeleinsatz)

(1) Lockspitzel sind dem Staat zurechenbare Akteure, die eine Zielperson unter Verheimlichung ihres staatlichen Auftrags auf kommunikativem Weg zur Begehung einer anschließend strafrechtlich zu verfolgenden Straftat veranlassen sollen.

(2) Sie dürfen eingesetzt werden, wenn gegen die Zielperson zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine Straftat von erheblicher Bedeutung auf dem Gebiet

1. des unerlaubten Betäubungsmittelverkehrs,
2. des unerlaubten Waffenverkehrs oder
3. der Geld- oder Wertzeichenfälschung

begangen worden ist, soweit auf Grund bestimmter Tatsachen die Gefahr der Wiederholung besteht. Der Einsatz ist nur zulässig, soweit die künftige Aufklärung der Wiederholungstaten auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre.

(3) Der Lockspitzel darf der Zielperson ein marktübliches Angebot unterbreiten, das sich auf die Abnahme von Gegenständen bezieht, die dem Deliktskatalog des Absatzes 2 unterfallen. Die Freiheit der Willensentschließung und der Willensbetätigung der Zielperson darf nicht beeinträchtigt werden. Die vorgeschlagene Tat muss nach Inhalt und Schwere der Verdachtstat entsprechen.

(4) Der Einsatz eines Lockspitzels ist erst nach Zustimmung der Staatsanwaltschaft und des Gerichts zulässig. Die Zustimmungen sind schriftlich zu erteilen.

(5) Über einen Lockspitzeleinsatz ist Einvernehmen mit anderen staatlichen Stellen herzustellen, soweit deren Aufgaben hiervon betroffen sind.“ (S. 187 f.)

Dieser Vorschlag de lege ferenda setzt die Eingriffsmaßnahme des Lockspitzeleinsatzes in ein ausgewogenes rechtsstaatliches Verhältnis. Wer diese Vorgaben als zu weitgehend empfindet, mag nur zu den Ausführungen des EGMR zu den Voraussetzungen zulässiger Tatprovokation zurückblättern. Jedenfalls würde eine solch detaillierte Regelung die Vorbehalte gegen den Einsatz von Lockspitzeln beseitigen und klare Voraussetzungen und Kompetenzen schaffen, die durch die Zustimmungserfordernisse zudem den faden Beigeschmack heimlicher Ermittlungsmethoden verlören. Insgesamt finde ich den Gesetzesvorschlag sehr gelungen und er sollte als Diskussionsgrundlage dienen, um doch noch in einer hoffentlich auch in der nächsten Legislaturperiode folgenden weiteren StPO-Reform Berücksichtigung zu finden.

Die Autorin bleibt aber bei dem Vorschlag de lege ferenda nicht stehen, sondern fragt in einem vierten Teil nach einer Kompensation der unzulässigen staatlichen Tatprovokation. Nach einer Wiedergabe der sich aus der Rechtsprechung des EGMR ergebenden Anforderungen werden die Rechtsfolgen der unterschiedlichen nationalen Rechtsordnungen sowie die Literaturansichten dargestellt, um auf dieser Grundlage eine konventionskonforme Lösung abzuleiten. Schmidt stellt beim Ländervergleich fest, dass in der Rechtsprechungsentwicklung aller betrachteten Staaten Phasen aufgetreten sind, in denen das Vorliegen einer unzulässigen Tatprovokation lediglich im Rahmen der Strafzumessung Berücksichtigung gefunden hat. Angesichts der insoweit kritischen EGMR-Rechtsprechung sind immer mehr Staaten später zu der Annahme eines Verfahrenshindernisses oder Beweisverwertungsverbots übergegangen. In der Literatur wird neben diesen prozessualen Lösungsvarianten eine materiell-rechtliche Lösung in Form eines (persönlichen) Strafausschließungsgrundes diskutiert. Die Autorin entwickelt am Ende ihrer Betrachtungen einen eigenen Lösungsansatz in Form eines Rechtsfolgenmodells (S. 239). Lägen die wesentlichen Eingriffsvoraussetzungen der neu zu schaffenden Rechtsgrundlage des Lockspitzeleinsatzes nicht vor, so greife grundsätzlich ein Beweisverwertungsverbot ein, dem keine Fernwirkung zukomme. Wenn die in unzulässiger Weise provozierten Straftaten jedoch wegen der Schwere des Delikts einen Verfolgungszwang auslösen würden, würde das Strafverfolgungsinteresse überwiegen und sei eine Lösung auf Strafzumessungsebene möglich (S. 239). Dies erscheint inkonsequent. Auch hier wäre man wieder bei dem Argument des EGMR, dass Verfahrensfairness für eine Straftat, die es ohne Tatprovokation nie gegeben hätte, nicht durch eine Reduzierung der Strafe im Rahmen der Strafzumessung hergestellt werden kann.

Die Dissertation von Schmidt zeichnet sich durch einen stringenten Aufbau aus, liest sich gut und flüssig und skizziert durch den rechtsvergleichenden Blick auf europäische  Nachbarländer  die  rechtlichen Anforderungen,  die die EGMR-Rechtsprechung in Bezug auf die Tatprovokation stellt und die zu unterschiedlichen Anpassungen der einzelnen Rechtsordnungen geführt haben. Deutschland sollte ebenfalls nachbessern und endlich eine eigene Ermächtigungsgrundlage für den Lockspitzeleinsatz schaffen. Wie diese Regelung aussehen könnte, hat Schmidt aufgezeigt. Bleibt die Hoffnung, dass der deutsche Gesetzgeber trotz Versäumnis in der letzten StPO-Reform den diesbezüglichen Reformbedarf erkennt und entsprechend nachsteuert.

 

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