23. DBH-Bundestagung „Straftat – Verurteilung – Und dann? Community Justice – Wiedereingliederung als gemeinschaftliche Aufgabe!“

von Daniel Wolter und Rebekka Öchsler

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Der DBH e.V. – Fachverband für Soziale Arbeit, Strafrecht und Kriminalpolitik führte vom 9. bis 11. Oktober 2018 seine 23. Bundestagung in Kooperation mit der Bewährungs- und Gerichtshilfe Baden-Württemberg (BGBW) und dem Institut für Kriminologie der Universität Heidelberg in Heidelberg durch. Unter dem Titel „Straftat –Verurteilung – und dann? Communitiy Justice – Wiedereingliederung als gemeinschaftliche Aufgabe“ nahmen ca. 200 Teilnehmer*innen an insgesamt 16 Workshops und sechs Plenarvorträgen zu aktuellen Themen aus der Kriminalpolitik, der Freien Straffälligenhilfe, der Bewährungshilfe und Restorative Justice teil.

Eröffnet wurde die DBH-Bundestagung durch Prof. Dr. Marc Coester, (ehemaliger) Präsident des DBH-Fachverbandes. Er betonte, dass Resozialisierung von straffällig gewordenen Menschen als echte soziale Integration verstanden werden müsse. Resozialisierung ist in diesem Sinne keine einseitige Leistung des zu Resozialisierenden. Wir brauchen eine Gesellschaft, die sich durch ihre Grundhaltung, durch engagierte Personen und durch vorhandene Unterstützung und Dienste für die soziale Integration von Straffälligen einsetzt. Resozialisierung muss als gesamtgesellschaftliche Aufgabe verstanden werden. Im Anschluss begrüßten Frau Prof. Dr. Beatrix Busse, Prorektorin der Universität Heidelberg und Christian Ricken, Vorstand der Bewährungs- und Gerichtshilfe Baden-Württemberg als Kooperationspartner sowie Martin Finckh, Ministerialdirigent und Leiter der Abteilung Justizvollzug im Ministerium der Justiz und für Europa Baden-Württemberg, die Teilnehmer*innen der Veranstaltung.

Frau Prof. Busse hob die Fokussierung von gesellschaftlichen Aufgaben durch die Transdisziplinarität der Universität Heidelberg hervor. Besonders die juristische Fakultät nimmt sich laut Prof. Dr. Busse der praktischen Straffälligenhilfe an und trägt einen großen Beitrag zur Gesamtgesellschaftsaufgabe bei. Anschließend betonte Ministerialdirigent Finckh die Wichtigkeit der professionellen sowie ehrenamtlichen Akteure in der Straffälligenhilfe. Lediglich durch Kooperation aller Beteiligten könne nach Finckh eine nachhaltige Resozialisierung realisiert werden. Finckh sah die Bundestagung als eine Chance, die Gesellschaft auf ihre Verantwortung hinzuweisen und die Straffälligenhilfe zu stärken. Abschließend sprach Christian Ricken sich für die Stärkung des öffentlichen Diskurses rund um die Straffälligenarbeit aus. Aufgrund der fehlenden Lobby von straffällig gewordenen Menschen forderte Ricken die Teilnehmer*innen der Bundestagung auf, sich häufiger öffentlich zu positionieren.

Den Eröffnungsvortrag hielt Prof. Dr. Kirstin Drenkhahn von der Universität Berlin, sowie Präsidentin des DBH-Fachverbandes zum Thema „Strafkultur, Punitivität und Kriminalpolitik“. Strafkultur sei ein Begriff, der sowohl Traditionen und Bräuche, als auch Institutionen und Werte der sozialen Gruppe in Bezug auf Strafe beinhaltet. Weiterhin gab sie einen Überblick über den internationalen Forschungsstand hinsichtlich der gesellschaftlichen Bedeutung von Strafe. Wenngleich die politischen Voraussetzungen derzeit günstig erschienen, zeichne sich doch eine Entwicklung zur größeren Bedeutung von Strafe in der Gesellschaft und ein härterer Umgang mit Straftäter*innen ab. Anschließend referierte Frau Prof. Dr. Ineke Pruin von der Universität Bern über das Thema „Programme, Checklisten, Desistance – Soziale Arbeit mit Straffälligen, quo vadis?“. Pruin stellte zu Beginn ihres Vortrags den kriminologischen Forschungsstrang bezüglich des Kriminalitätsausstiegs vor. Die sogenannte Desistance-Forschung rückt die individuellen Lebensverläufe von straffällig gewordenen Menschen in den Mittelpunkt. Erste Erkenntnisse zeigen, dass ein Kriminalitätsausstieg durch soziale Einbindung und sogenannte Ankerpunkte gefördert wird. Außerdem stellt sich die innere Haltungsänderung bzw. Verantwortungsübernahme für das eigene Leben als wesentlich für den Eintritt der Desistance dar. In diesem Zusammenhang wies Frau Prof. Dr. Pruin auf die international kriminalpolitischen Perspektiven des Übergangsmanagements hin. Diese zeichnen sich durch Perspektiven der Effizienzorientierung, der Risikoorientierung sowie der Bedürfnisorientierung aus und verfolgen damit verschiedene kriminalpolitische Implikationen.

Am zweiten Tag eröffnete Horst Belz vom Badischen Landesverband für soziale Rechtspflege sowie vom Netzwerk Straffälligenhilfe Baden-Württemberg GbR die Veranstaltung und leitete zur Praxis der Wiedereingliederung in Baden-Württemberg über.Das Netzwerk Straffälligenhilfe in Baden-Württemberg GbR verfügt inzwischen über vier Bereiche des Übergangsmanagements. Diese teilen sich nach Belz in das Nachsorgeprojekt Chance, das Eltern-Kind-Projekt, die Schuldnerberatung im Vollzug sowie die Wiedereingliederung von älteren Gefangenen. Zur konzeptionellen Strukturierung des Übergangsmanagements wurde eine Kooperationsvereinbarung über die Integration von Strafgefangenen und Sicherungsverwahrten in Baden-Württemberg geschlossen. Als Zielgruppe der Vereinbarung definierte Belz dabei alle zur Entlassung stehenden Inhaftierten des baden-württembergischen Justizvollzugs. Im Anschluss referierte Dr. Eduard Matt, Wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Senator für Justiz und Verfassung des Landes Bremen, zum Thema „WieNet – Über die Vernetzungsarbeit im Bereich Wiedereingliederung von Straffälligen in Bremen“ und erläuterte das Wiedereingliederungs-Netzwerk (WieNet) in Bremen. Das Projekt WieNet wurde 2015 in Bremen ins Leben gerufen. Das Projekt verfolgt dabei die Zielsetzung der Förderung der institutionellen Zusammenarbeit und den Ausbau des Wiedereingliederungs-Netzwerks, um letztlich individuell passgenaue Angebote unterbreiten zu können und bei der sozialen sowie beruflichen Integration Unterstützung zu leisten. Damit vereint WieNet nach Matt zwei wichtige Dimensionen, die institutionelle Vernetzung sowie das fallbezogene Integrations-Coaching.

Nach den beiden Plenarvorträgen konnten sich die Teilnehmer*innen am zweiten Veranstaltungstag  in sechzehn Workshops zu folgenden Themen austauschen: Handlungskonzept zum Umgang mit radikalem Islamismus in der Gerichts- und Bewährungshilfe, Ambulante Sanktionsalternativen für junge straffällige Flüchtlinge – Erfahrungen aus Schleswig-Holstein, Professionelle Haltung und professionelles Handeln in der Sozialen Arbeit mit straffällig gewordenen Menschen, Digitalisierung in der Straffälligenhilfe: Online-Trainings gegen Hass und Gewalt, Videodolmetschen in der Bewährungs- und Straffälligenhilfe, Bundesländergrenzen in der Bewährungshilfe – Verschiedene Erfahrungen im Vergleich, Herausforderungen und Grenzen des ehrenamtlichen Enagements in der Straffälligenhilfe, Community und Restorative Justice – nationale & internationale Modelle & Erfahrungen, Wiedergutmachungskonferenz und Familienrat in der praktischen Umsetzung – der Einbezug des sozialen Umfeldes, Die Rehabilitation von Straftätern: RNR – GLM – BwH. These-Antithese-Synthese?, Suchthilfe im Zwangskontext – wie können Leitlinien die Betreuung von Suchtbetroffenen in der Bewährungshilfe verbessern?, Motivational Casemanagement in der Suchthilfe und in der Bewährungshilfe, Datenschutz in der Straffälligenhilfe, Ehrenamtliche Bewährungshilfe in Baden-Württemberg, Wiedergutmachungskonferenz und Familienrat in der praktischen Umsetzung – der Einbezug des sozialen Umfeldes, Wenn’s schwierig wird… – Methoden und Strategien zum Umgang mit herausforderndem Klient*innenverhalten.

Karel van Duijvenbooden lenkte schließlich am 3. Veranstaltungstag den Blick ins europäische Nachbarland, die Niederlande, und stellte dabei das Thema „Local Cooperation in Criminal Matters – Netherlands Safety House Model“ vor. Die Niederlande begann nach Duijvenbooden bereits vor über 14 Jahren mit dem Aufbau dieses Resozialisierungskonzepts und verfügt heute über insgesamt 32 regionale Safety Houses. Van Duijvenbooden beschrieb, wie das Ziel der Erhöhung der öffentlichen Sicherheit durch das multidisziplinäre Casemanagement von Straftaten durch eine gemeinschaftliche Kooperation und Koordination von Justiz, Gesundheitswesen und kommunalen Dienstleister*innen erreicht werden soll. Im Fokus der Arbeit stehen komplexe Fallkonstellationen, welche in sogenannten Case-Meetings gemeinsam bearbeitet werden. Aufgrund der Diversität der involvierten Akteure garantieren die Case-Meetings laut Duijvenbooden eine große Multiperspektivität und steigern die Effizienz sowie die Effektivität des Resozialisierungsprozesses.

Herr Prof. Dr. Marc Coester referierte im Abschlussvortrag zum Thema „Freie Meinungsäußerung in Zeiten von Hassrede“. Prof. Dr. Coester zeigte in seinem Vortrag den Zusammenhang von Grundrechten und der insbesondere digital verbreiteten sog. Hassrede (hate speech) auf. Hierbei zeigt sich eine große Schwierigkeit für die Justiz hinsichtlich der Kontrolle, der Ahndung, als auch der Prävention. Hate Speech bzw. Hassrede habe nach Coester seinen Ursprung in der Bürgerrechtsbewegung der USA und würde gemeinhin Worte sowie Symbole umfassen, welche eine Rasse, eine Religion, eine sexuelle Orientierung usw. eindeutig herabsetzen. Im Laufe der Jahre entwickelten sich divergierende Auslegungen des Grundrechts der Meinungsfreiheit in den USA sowie in Deutschland. Mit der zunehmenden Digitalisierung nimmt gleichermaßen die Komplexität der etwaigen Hassrede-Fälle zu. Nach Coester sei nunmehr eine Zeit angebrochen, in der sich jeder selbst öffentlich positionieren müsse.

Zu der 23. DBH-Bundestagung wird ein Tagungsband mit Beiträgen der Referentinnen und Referenten erscheinen. Die Veröffentlichung ist für den Sommer 2019 geplant.

Programm sowie Präsentationen der Referate und Workshops finden Sie unter www.dbh-online.de/dbh-bundestagung.

 

 

 

 

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