Einführung einer Sicherungsanordnung für Verkehrsdaten in der Strafprozessordnung

Gesetzentwürfe: 

 

Das BMJ hat am 25. Oktober 2022 einen Referentenentwurf zur Einführung einer Sicherungsanordnung für Verkehrsdaten in der StPO auf den Weg gebracht. Nachdem das OVG Münster bereits 2017 die Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung einstweilig ausgesetzt hatte (OVG NRW – 13 B 238/17) entschied der EuGH mit Urteil vom 20. September 2022 (C-793/19 und C-794/19, siehe KriPoZ 5/2022, 379 ff.), dass die deutsche Regelung zur Vorratsdatenspeicherung nicht mit dem Unionsrecht vereinbar sei. Aufgrund höchstrichterlicher Vorgaben ist eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsdatenspeicherung demnach nicht möglich. Als alternative Lösung sieht der Referentenentwurf daher eine anlassbezogene Sicherung von Verkehrsdaten für einen festgelegten Zeitraum vor, so wie es der EuGH in seinem Urteil vom 20. September 2022 ausgeführt hatte. 

Die gegen das Unionsrecht verstoßenden Regelungen der §§ 175 bis 181 TKG und § 100g Abs. 2 StPO sollen aufgehoben und ein neu gefasster § 100g Abs. 5 StPO eingeführt werden: 

„(5) Auch ohne das Wissen des Betroffenen darf angeordnet werden, dass die in § 175 Absatz 1 Satz 1 des Telekommunikationsgesetzes bezeichneten Anbieter öffentlich zugänglicher Telekommunikationsdienste die bei der Nutzung des Dienstes bereits erzeugten oder verarbeiteten sowie künftig anfallenden Verkehrsdaten unverzüglich zu sichern haben (Sicherungsanordnung), wenn zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine in Absatz 1 bezeichnete Straftat begangen worden ist, und soweit die Verkehrsdaten für die Erforschung des Sachverhalts oder zur Ermittlung des Aufenthaltsortes eines Beschuldigten von Bedeutung sein können. Die Erhebung der nach Satz 1 gesicherten Daten erfolgt nach den Absätzen 1 und 3.“

Das Ermittlungsinstrument einer Sicherungsanordnung soll anlassbezogen zur Verfolgung von erheblichen Straftaten (insbes. eine in § 100a Abs. 2 StPO bezeichnete Tat) und auf Anordnung eines Richters zulässig sein, sofern die Verkehrsdaten für die Erforschung des Sachverhalts oder des Aufenthaltsorts eines Beschuldigten von Bedeutung sind und die Erhebung der Verkehrsdaten in einem angemessenen Verhältnis zur Bedeutung der Sache steht. Dabei sollen nur die bei den Telekommunikationsdienstleistern ohnehin bereits vorhandenen und künftig anfallenden Verkehrsdaten gesichert werden („Quick-Freeze“). Für eine begrenzte Zeit stünden diese Daten schließlich den Strafverfolgungsbehörden für eine Auswertung zur Verfügung. Flankiert wird die „Quick-Freeze-Regelung“ von Folgeänderungen im TKG, in der TKÜV, im BKAG, im ZFdG und in der EGStPO. 

 

 

 

Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für den Erlass eines (Sicherungs-)Unterbringungsbefehls bei einer Krisenintervention

Gesetzentwürfe: 

 

Das Land Niedersachsen hat am 16. September 2022 einen Gesetzesantrag für den Erlass eines (Sicherungs-)Unterbringungsbefehls bei einer Krisenintervention in den Bundesrat eingebracht (BR Drs. 403/22)

Die Krisenintervention (§ 67h StGB) ermöglicht eine vorübergehende und für die Dauer von drei Monaten beschränkte erneute Unterbringung des Verurteilten zur stationären Behandlung, wenn eine akute Verschlechterung des Zustands oder ein Suchtmittelrückfall eingetreten ist. Ein Widerruf der zur Bewährung ausgesetzten Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik oder einer Entziehungsanstalt kann so zunächst vermieden werden. Besteht zugleich die Gefahr der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten (Verbrechen oder schwerwiegende Vergehen) durch den Verurteilten, kann das zuständige Gericht die Krisenintervention gem. § 463 Abs. 6 S. 3 StPO zusätzlich für sofort vollziehbar erklären. Es fehlt jedoch an einer Regelung zur Vollstreckung der Anordnung. Im Fall eines beabsichtigten Widerrufs der Bewährungsaussetzung ermöglicht § 453c Abs. 1 StPO den Erlass eines Sicherungshaftbefehls für die Vollstreckung der Freiheitsstrafe. Für die Vollstreckung der Krisenintervention ist jedoch nach aktueller Rechtslage zunächst eine Ladung zum Strafantritt erforderlich. Erst wenn der Verurteilte dieser nicht nachkommt, kann die Vollstreckungsbehörde gemäß § 457 Abs. 2 StPO einen Vorführungs- oder Haftbefehl erlassen, der sodann sofort vollzogen werden kann. Dabei ist das Verfahren zum Erlass eines Vollstreckungshaftbefehls in den Strafvollstreckungsordnungen der Länder unterschiedlich ausgestaltet. 

Der Entwurf Niedersachsens sieht vor, in Anlehnung an § 453c Abs. 1 StPO eine Änderung des § 463 Abs. 6 StPO und Einfügung eines § 463 Abs. 6a StPO zu schaffen: 

„Sind hinreichende Gründe für die Annahme vorhanden, dass eine Krisenintervention gemäß § 67h des Strafgesetzbuches und deren sofortige Vollziehbarkeit gemäß § 463 Abs. 6 S. 3 angeordnet werden, so kann das Gericht bis zur Rechtskraft des Beschlusses, um sich der Person des Verurteilten zu versichern, vorläufige Maßnahmen treffen oder unter den Voraussetzungen des § 112 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 oder wenn bestimmte Tatsachen die Gefahr begründen, dass der Verurteilte erhebliche Straftaten begehen wird, einen Sicherungsunterbringungsbefehl erlassen.“

Damit soll die sofort vollziehbare Krisenintervention besser als bislang auch Eilmaßnahmen bei hochakuten psychischen Störungen gefährlicher Verurteilter und eine zügige Rückführung in die stationäre Therapie ermöglichen. Zudem soll ein konsequenter Gleichlauf der Vollstreckungsregeln zwischen einer Maßregel der Sicherung und Besserung und einer Freiheitsstrafe hergestellt werden. 

Der Gesetzesantrag wurde im Plenum vorgestellt und schließlich im Anschluss zur weiteren Beratung an die Ausschüsse verwiesen. Am 29. November 2022 brachte die Länderkammer den Entwurf in den Bundestag ein (BT Drs. 20/4345). Die Bundesregierung hat in ihrer Stellungnahme eine grundsätzliche Unterstützung für den Vorschlag eines Vollstreckungsunterbringungsbefehls ohne vorherige vergebliche Ladungsversuche im Falle gerichtlich sofort vollziehbarere Kriseninterventionen ausgedrückt. Insgesamt sei die Zielsetzung des Gesetzentwurfes „gut nachvollziehbar“ und werde auf seinen Umsetzungsbedarf geprüft. Kritisch gesehen wurde jedoch die Schaffung einer Rechtsgrundlage für den Erlass eines Sicherungsunterbringungsbefehls vor vor der Anordnung einer Krisenintervention. „Die Krisenintervention ist ihrer Natur nach bereits ein Instrument, das darauf angelegt ist, auf temporäre, gefährliche Krisensituationen adäquat und schnellstmöglich reagieren zu können und stellt damit eine Alternative zum Sicherungsunterbringungsbefehl nach § 453c StPO dar. Der Krisenintervention eine weitere vorläufige Maßnahme vorzuschalten, würde ihrer Struktur nicht gerecht“, so die Bundesregierung. 

 

 

 

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung von Vorschriften zur Prävention und Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern COM(2022) 209 final

Gesetzentwürfe: 

 

Die Europäische Kommission hat einen Verordnungsvorschlag zur Festlegung von Vorschriften für die Prävention und Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern auf den Weg gebracht. Er soll die aktuell geltende Übergangsverordnung (Verordnung (EU) 2021/1232 vom 14. Juli 2021) ablösen und hat die Harmonisierung des Binnenmarkts durch einheitliche EU-Vorschriften zur Prävention und Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern zum Ziel. Im Kern soll es um die Bekämpfung der Verbreitung von bereits bekannten und neuen Missbrauchsdarstellungen, Grooming im digitalen Raum sowie um die Unterstützung Betroffener gehen. 

Am 16. September 2022 beschäftigte sich der Bundesrat mit dem Verordnungsvorschlag und nahm auf Empfehlung der Ausschüsse (BR Drs. 337/1/22) entsprechend Stellung (BR Drs. 337/22(B)). 

 

Entwurf eines Gesetzes zur Überarbeitung des Sanktionenrechts – Ersatzfreiheitsstrafe, Strafzumessung, Auflagen und Weisungen sowie Unterbringung in einer Entziehungsanstalt

Gesetz zur Überarbeitung des Sanktionenrechts – Ersatzfreiheitsstrafe, Strafzumessung, Auflagen und Weisungen sowie Unterbringung in einer Entziehungsanstalt vom 26. Juli 2023: BGBl. I 2023, Nr. 203

Gesetzentwürfe: 

 

Das BMJ hat am 19. Juli 2022 einen Referentenentwurf zur Überarbeitung des Sanktionenrechts auf den Weg gebracht. Die Fachverbände hatten zunächst bis zum 24. August 2022 Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Stellungnahmen finden Sie hier. Der Entwurf bezieht sich auf die bereits im Koalitionsvertrag festgestellten Bereiche der Ersatzfreiheitsstrafe, Strafzumessung, Auflagen und Weisungen sowie der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB.

Zu den einzelnen Bereichen: 

  • Ersatzfreiheitsstrafe § 43 StGB

Die Ersatzfreiheitsstrafe wurde schon vielfach im Zusammenhang mit dem Schwarzfahren diskutiert. Zuletzt gab es am 16. Juni 2022 einen Vorstoß durch die Fraktion Die Linke, die einen Gesetzentwurf zur Straffreiheit für Fahren ohne Fahrschein in den Bundestag einbrachte (BT Drs. 20/2081) und damit die Diskussion um die Entkriminalisierung des Schwarzfahrens erneut ins Rollen brachte. Der Entwurf ist wortgleich zu der Initiative aus 2018 (BT Drs. 19/1115). Nähere Informationen dazu finden Sie hier.
Insgesamt seien die Zahlen der Personen, die wegen einer Geldstrafe eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen in den letzten zwei Jahren kontinuierlich gestiegen. Grundsätzlich erfülle die Ersatzfreiheitsstrafe auch ihre Funktion, da eine drohende Vollstreckung einen wesentlichen Tilgungsdruck für die Geldstrafe setze. Eine Untersuchung des Kriminologischen Dienstes NRW aus 2018 zeige, dass Zahlungsunwillige kurz vor oder noch nach Strafantritt die Geldstrafe zur Abwendung zahle. Trotzdem sei die tatsächliche Vollstreckung so weit wie möglich zu vermeiden, da bei einer kurzen Haftzeit von 30 bis 60 Tagen eine wirkliche Resozialisierung nicht zu erreichen sei. Schlimmer sei vielmehr, dass der Vollzug der Freiheitsstrafe zu einer weiteren Entsozialisiserung führen könnte, da viele Betroffene den Arbeitsplatz oder die Wohnung in dieser Zeit verlieren. Ergänzend komme hinzu, dass die Ersatzfreiheitsstrafe für die Länder erhebliche Kosten verursache. Eine bundeseinheitliche Regelung soll daher eine Reduzierung der zu vollstreckenden Ersatzfreiheitsstrafen ermöglichen. Der Entwurf sieht daher vor, den Umrechnungsmaßstab des § 43 StGB zu ändern. Künftig sollen zwei Tagessätze einem Tag Ersatzfreiheitsstrafe entsprechen. 

  • Strafzumessung § 46 Abs. 2 StGB

Straftaten, deren Motivlage sich auf das Geschlecht des Opfers oder seiner sexuellen Orientierung beziehen, sind in den letzten Jahren deutlich angestiegen. Von Gewalttaten gegen Frauen in der Partnerschaft, über Hassreden im Internet gegen lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Personen oder queere Menschen (LSBTI), die Angriffe in der analogen und digitalen Welt sind vielfältig. Bislang ermöglicht § 46 StGB „menschenverachtende“ Beweggründe strafschärfend zu berücksichtigen, worunter auch das Geschlecht oder die sexuelle Orientierung erfasst sind. Dennoch seien in der Rechtspraxis bei der Ahndung solcher Taten Defizite erkennbar. So berücksichtige bspw. die höchstrichterliche Rechtsprechung eine zeitnahe Intimbeziehung zwischen Täter*in und Opfer einer Sexualstraftat häufig nicht nur strafschärfend, sondern auch strafmildernd, was in der Vergangenheit bereits häufig durch die Literatur kritisiert worden sei. Der Entwurf sieht daher vor, „geschlechtsspezifische“ sowie „gegen die sexuelle Orientierung gerichtete“ Tatmotive bekräftigend in § 46 Abs. 2 StGB zu ergänzen, um ein klares Zeichen gegen Hasskriminalität gegen die genannten Gruppen zu setzen. Vor allem aber soll die Bedeutung der Gleichwertigkeit der Geschlechter und die Freiheit des Auslebens der sexuellen Orientierung hervorgehoben werden. 

Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann erklärte hierzu:
„Geschlechtsspezifische Gewalt muss als solche benannt und mit der notwendigen Strenge bestraft werden. Um dies sicherzustellen, werden wir das Strafgesetzbuch ergänzen. Wir werden betonen und bekräftigen, dass „geschlechtsspezifische“ Motive bei der Strafzumessung zu berücksichtigen sind. Auch in unserem Land ist das Ausmaß gerade frauenfeindlicher Gewalt erschütternd. Jeden Tag erfahren Frauen Gewalt durch Männer – weil sie sich männlichem Herrschaftswahn widersetzen. Kein Mann darf sich anmaßen, über das Leben einer anderen Frau zu bestimmen. Die Anpassung gilt auch für Taten, die sich etwa gegen die trans- oder intergeschlechtliche Identität von Menschen richten. Und auch „gegen die sexuelle Orientierung gerichtete“ Tatmotive werden wir ausdrücklich im Gesetz benennen. Wer Menschen wegen ihrer geschlechtlichen Identität oder sexuellen Orientierung angreift, handelt ebenfalls unserer Werteordnung in besonders eklatanter Weise zuwider.“

  • Auflagen und Weisungen (§§ 56c, 59a StGB, 153a StPO)

Die ambulanten Maßnahmen im Rahmen der Strafaussetzung zur Bewährung und der Verfahrenseinstellungen unter Auflage sollen ausgeweitet werden. Ihnen kommt im Rahmen der Resozialisierung des Täters oder der Täterin und der spezialpräventiven Unterstützung der Lebensführung eine besondere Rolle zu. Die gelte insbesondere für die Therapieweisung im Rahmen von Gewalt- und Sexualstraftaten. Der Gesetzgeber habe daher in der Vergangenheit bereits mehrfach die Bedeutung der Therapieweisung betont und die Anordnungsmöglichkeiten ausgebaut. Verschiedene Wirksamkeitsstudien zur Therapieweisung seien zudem zu dem Ergebnis gelangt, dass gerade eine signifikante Risikominimierung bei bislang unbehandelten Straftätern dafür spreche, Therapieweisungen nicht nur für entlassene Straftäter*innen zu prüfen und anzuordnen, sondern verstärkt auch zu Beginn möglicher Deliktskarrieren, wenn eine entsprechende Straftat noch vergleichsweise milde bestraft wird, einzusetzen. Außerdem seien ambulante Therapien sogar als effektiver anzusehen als die, die im Vollzug durchgeführt werden. Daher sei es angezeigt, die Möglichkeit und Bedeutung der ambulanten Therapieweisung im Gesetz noch deutlicher hervorzuheben. Dies soll auch den Gerichten den Weg verdeutlichen, die Erteilung einer solchen Weisung öfter in Betracht zu ziehen. Der Entwurf sieht konkret vor, die Möglichkeit einer Therapieweisung im Rahmen der Strafaussetzung zur Bewährung (§ 56c StGB), der Verwarnung mit Strafvorbehalt (§ 59a StGB) und des Absehens von der Verfolgung unter Auflagen und Weisungen (§ 153a StPO) ausdrücklich zu normieren. Für die Verwarnung mit Strafvorbehalt soll zusätzlich die Möglichkeit einer Anweisung zur Erbringung gemeinnütziger Leistungen (Arbeitsauflage) geschaffen werden. 

  • Maßregelrecht – Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gem. § 64 StGB

Im Oktober 2020 wurde auf Initiative der Gesundheit- und Justizministerkonferenz durch das BMJV eine Bund-Länder Arbeitsgruppe zur Prüfung des Novellierungsbedarfs zum Recht zur Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB ins Leben gerufen. Am 13. Januar 2022 veröffentlichte das BMJ schließlich den Abschlussbericht. Er enthält einen Regelungsvorschlag, der sich stärker auf die Unterbringung von wirklich behandlungsbedürftigen und behandlungsfähigen Straftäter*innen beschränkt um die Entziehungsanstalten zu entlasten. Die Zahl der Personen, die in einer Entziehungsanstalt gem. § 64 StGB untergebracht sind, hat sich in den letzten 25 Jahren mehr als verzehnfacht (1995 waren es 373 Personen, 2020 waren es 4.677 Personen). Problematisch sei aber nicht nur die steigende Zahl der in der Entziehungsanstalt Untergebrachten sondern auch der Wandel der Struktur der Klientel. „Der Anteil an Untergebrachten mit einem Betäubungsmitteldelikt (§§ 29 bis 30 BtMG) als Einweisungsdelikt hat sich seit 1995 (9,2 %) bis 2017 (30,9 %) mehr als verdreifacht; auch der Anteil der zugrundeliegenden Körperverletzungsdelikte (§§ 223 bis 231 StGB) hat sich von 18,6 % (1995) auf 26,3 % (2017) spürbar erhöht. Gravierend ist auch der Wandel beim Anteil der voll Schuldfähigen: Während dieser 1995 noch bei 20 % lag, betrug er 2017 mit knapp 60 % (59,8 %) das Dreifache.“

In jüngster Vergangenheit wurden daher bereits viele Änderungsbedarfe diskutiert (das Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Soziale Psychiatrie finden Sie hier; sowie Beiträge von Querengässer/Berthold – Plädoyer für die Streichung der „Behandlungsprognose“ aus § 64 StGB, in: KriPoZ 2022, 8 ff. und Querengässer/Baur/Berthold – Skizze eines neuen 64 StGB, in: KriPoZ 2022, 168 ff.). Zuletzt brachte die Fraktion CDU/CSU am 11. Mai 2022 einen Gesetzentwurf zur Novellierung des Rechts der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt in den Bundestag ein (BT Drs. 20/1723). Um eine Entlastung des Maßregelvollzugs zu erreichen sieht der Entwurf zunächst vor, die Orientierung der Reststrafaussetzung am Halbstrafenzeitpunkt abzuschaffen. Damit soll in Zukunft die vorzeitige Aussetzung zur Bewährung nur noch ab dem Zweidrittelzeitpunkt möglich sein (§ 67d Abs. 5 S. 2 StGB-E). Nähere Informationen dazu finden Sie hier

Auch der Referentenentwurf sieht das geltende Recht in Teilbereichen den veränderten Gegebenheiten als nicht mehr gerecht an. Er sieht vor, die Anordnungsvoraussetzungen für die Unterbringung nach § 64 StGB-E in mehrfacher Hinsicht enger zu fassen:

    • „Der Zeitpunkt für eine Reststrafenaussetzung zum Halbstrafenzeitpunkt wird, auch für die Berechnung eines etwaigen Vorwegvollzugs der Freiheitsstrafe, an den bei der reinen Strafvollstreckung üblichen Zweidrittelzeitpunkt angepasst (§ 67 Abs. 2 und 5 StGB-E).“

„§ 67 wird wie folgt geändert: 

a) In Absatz 2 Satz 3 werden nach den Wörtern „Strafe ist“ die Wörter „in der Regel“ und nach der Angabe „Satz 1“ die Angabe „erster Halbsatz“ eingefügt. 
b) Absatz 5 Satz 1 wird wie folgt gefasst: 

„Wird die Maßregel vor der Strafe oder vor einem Rest der Strafe vollzogen, so setzt das Gericht die Vollstreckung des Strafrestes unter den Voraussetzungen des § 57 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3 und Satz 2 zur Bewährung aus, wenn zwei Drittel der Strafe erledigt sind; das Gericht kann die Aussetzung auch schon nach Erledigung der Hälfte der Strafe bestimmen, wenn die Voraussetzungen des § 57 Absatz 2 entsprechend erfüllt sind.“ 

    • In der StPO wird klarstellend die sofortige Vollziehbarkeit für Entscheidungen nach § 67d Abs. 5 S. 1 StGB normiert, mit denen die Behandlung wegen Erfolglosigkeit für erledigt erklärt wird (§ 463 Abs. 6 S. 3 StPO-E).

„In § 463 Absatz 6 Satz 3 werden vor dem Punkt am Ende die Wörter ‚; für Entscheidungen nach § 67d Absatz 5 Satz 1 des Strafgesetzbuches bleibt es bei der sofortigen Vollziehbarkeit (§§ 307 und 462 Absatz 3 Satz 2)‘ eingefügt.“

    • Eine Schärfung des Kausalitätserfordernisses zwischen „Hang“ und „Anlasstat“ soll klarstellen, dass als wesentliches Merkmal eines Hanges das Bestehen einer Substanzkonsumstörung vorliegen muss, „deren Behandlungsbedürftigkeit sich in einer dauernden und schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung, der Gesundheit, der Arbeits- oder der Leistungsfähigkeit manifestiert hat“ und ein symptomatischer Zusammenhang zwischen „Hang“ und der rechtswidrig begangenen Tat („Anlasstat“) gegeben sein muss. Zusätzlich werden die Anwendung auf die Fälle begrenzt (§ 64 S. 2 StGB-E), in denen das Erreichen des Unterbringungsziels „aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte zu erwarten ist. In Anlehnung an vergleichbare Regelungen im Strafgesetzbuch, etwa in § 63 S. 1 StGB, soll hierfür eine ‚Wahrscheinlichkeit höheren Grades‘ erforderlich sein, die durch Tatsachen belegt sein muss.“

„§ 64 wird wie folgt geändert: 

a) In Satz 1 werden die Wörter „sie im Rausch begangen hat oder die“ durch das Wort „überwiegend“ ersetzt und werden vor dem Punkt am Ende die Wörter „; der Hang erfordert eine Substanzkonsumstörung, infolge derer eine dauernde und schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung, der Gesundheit, der Arbeits- oder der Leistungsfähigkeit eingetreten ist und fortdauert“ eingefügt. 
b) In Satz 2 werden die Wörter „eine hinreichend konkrete Aussicht besteht“ durch die Wörter „aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte zu erwarten ist“ ersetzt.“

 

Am 21. Dezember 2022 hat das Bundeskabinett den vom BMJ vorgelegten Gesetzentwurf beschlossen. Der Bundesrat beschäftigte sich am 10. Februar 2023 erstmalig mit dem Entwurf. Entsprechend der Empfehlungen der Ausschüsse hat er Stellung genommen (BR Drs. 687/1/22). Insbesondere sollen bei einer Zurückstellung der Strafvollstreckung gem. § 35 BtMG therapeutische Maßnahmen ermöglicht werden. Am 15. März 2023 hat der Bundestag den Entwurf in erster Lesung beraten und im Anschluss an den federführenden Rechtsausschuss überwiesen. Dort fand am 17. April 2023 eine Anhörung statt. Eine Liste der Sachverständigen und deren Stellungnahmen finden Sie hier. Gegenstand der Anhörung war ebenfalls ein Antrag der Fraktion Die Linke zur Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafe (BT Drs. 20/4420). 

Die Experten bewerteten die Neuregelungen zur Ersatzfreiheitsstrafe unterschiedlich. Dr. Lea Babucke von der Universität Hamburg sah einen Schwerpunkt weniger bei der Ersatzfreiheitsstrafe selbst als in den im Gesetzentwurf ausgeführten flankierenden Maßnahmen um eine solche abzuwenden. Sie sprach sich gegen eine vollständige Streichung aus, betonte aber, dass die geplante Halbierung des Umrechnungsmaßstabes einer Geld- in eine Ersatzfreiheitsstrafe der richtige Weg sei. Auch Dr. Angelika Allgayer (RiBGH) forderte, mehr Augenmerk auf die Abwendung des Vollzugs im Einzelfall zu lenken. Dr. Jenny Lederer vom DAV, Rechtsanwalt Prof. Dr. Helmut Pollähne und Dr. Nicole Bögelein vom Institut für Kriminologie der Universität zu Köln ging der Entwurf jedoch nicht weit genug. „Das Vorgeschlagene ist nichts Halbes und nichts Ganzes“, so Pollähne. Die drei Experten waren sich einig, dass zwischen Zahlungsunwilligen und Zahlungsunfähigen unterschieden werden müsse. In letztem Fall sollte schlussendlich auf einen Vollzug verzichtet werden. Dr. Jenny Lederer forderte zudem eine gerichtliche Anhörung vor dem Vollzug einer Ersatzfreiheitsstrafe und zugleich eine Entkriminalisierung von Bagatelldelikten. Dr. Angelika Allgayer betonte, dass die geplanten Änderungen des Entwurfs im Bereich des Maßregelvollzugs sehr wichtig seien. Schon lange sei von forensischen Praktikern beklagt worden, dass die bestehenden Regelungen zu zu vielen und falsch Untergebrachten führten. Den Handlungsbedarf bestätigte ebenso Dr. Peter Brieger von der Aktion Psychisch Kranke e.V. Er warb schließlich dafür, über § 64 StGB intensiv „bis hin zu einer möglichen Abschaffung“ zu diskutieren. Prof. Dr. Helmut Pollähne äußerte sich zu den vorgesehenen Änderungen im Maßregelvollzug kritisch. Der Entwurf sei von einem „tendenziösen Missbrauchsdiskurs“ geprägt.Die Ausweitung von Weisungen und Auflagen bei der Bewährungsaussetzung wurde von den Experten positiv bewertet, wenngleich Brieger darauf hinwies, dass eine solche Regelung ins Leere laufe, wenn nicht genügend Behandlungsplätze für Psycho- und Sozialtherapien geschaffen würden. Die geplante Erweiterung der Strafzumessungsgründe stieß bei den Sachverständigen auf Ablehnung. Prof. Dr. Hans Kudlich von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg stellte klar, dass alle genannten Motive nach „gängiger Zumessungssystematik problemlos erfasst werden können“. Dem stimmte Richterin Allgayer zu und bezeichnete die vorgesehene Neuregelung in diesem Bereich als „symbolhafte Identitätspolitik“, für die das StGB der „falsche Ort“ sei. 

Am 24. Mai 2023 hat der Rechtsausschuss den Regierungsentwurf mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen beschlossen. Ergänzt wurde eine Regelung auf Vorschlag des Bundesrates zur Verfolgung bestimmter Straftaten (z.B. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung) im Ausland. Damit nicht nur Personen in Deutschland für solche Taten verurteilt werden können, die zum Tatzeitpunkt Deutsche sind, soll § 5 StGB ergänzt werden. Der Personenkreis soll auf diejenigen, die ihre Lebensgrundlage in Deutschland haben, erweitert werden. Außerdem soll § 40 Abs. 2 StGB auf Antrag der Koalitionsfraktionen dergestalt geändert werden, dass bei der gerichtlichen Festlegung von Geldstrafen darauf geachtet werde, „dass dem Täter mindestens das zum Leben unerlässliche Minimum seines Einkommens verbleibt“. Außerdem begrüßte der Rechtsausschuss eine gezielte Entkriminalisierung von Bagatelldelikten und sprach sich insbesondere für eine Überprüfung des § 265a StGB aus. In Bezug auf die Regelungen zur Unterbringung in einer Entziehungsanstalt soll auf Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen ein Hinweis zum Umgang mit mangelnden Sprachkenntnissen bei Beurteilungen der Behandlungsprognose ergänzt werden.

Am 22. Juni 2023 wurde der Gesetzentwurf nach einer Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses (BT Drs. 20/7026) im Bundestag angenommen. Am 7. Juli 2023 hat der Bundesrat in seiner Sitzung auf eine Anrufung des Vermittlungsausschusses verzichtet. Das Gesetz zur Überarbeitung des Sanktionenrechts – Ersatzfreiheitsstrafe, Strafzumessung, Auflagen und Weisungen sowie Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (BGBl. I 2023, Nr. 203) wurde am 2. August 2023 im Bundesgesetzblatt verkündet. Es tritt in Teilen am 1. Oktober 2023 in Kraft. Mit dem Gesetz zur Änderung des Verkehrsstatistikgesetzes und des Berufskraftfahrerqualifikationsgesetzes sowie des Gesetzes zur Überarbeitung des Sanktionenrechts – Ersatzfreiheitsstrafe, Strafzumessung und Auflagen und Weisungen sowie Unterbringung in einer Entziehungsanstalt vom 18. August 2023 (BGBl. I 2023, Nr. 218) wurde die Reform der Halbierung der Ersatzfreiheitsstrafe auf den 1. Februar 2024 verschoben. 

 

 

 

 

Entkriminalisierung von Cannabis

Gesetzentwürfe: 

 

Die Fraktion Die Linke hat am 6. Juli 2022 einen Gesetzentwurf zur Entkriminalisierung von Cannabis in den Bundestag eingebracht (BT Drs. 20/2579). Damit kommt sie SPD, Grüne und FDP zuvor, da sie aufgrund inhaltlicher Differenzen eine Verzögerung bei der Ausarbeitung eines geeigneten Konzepts durch die Koalitionsfraktionen fürchtet. Der Entwurf sieht gem. §§ 31a und 29 Abs. 5 BtMG ein Absehen von Strafe bei geringer Schuld und fehlendem öffentlichem Interesse vor. Zusätzlich soll ein § 29b BtMG eingeführt werden, der die „geringe Menge“ bundeseinheitlich festlegt und in deren Rahmen der Besitz und der Anbau von Cannabis erlaubt ist. Wer die geringe Menge von 30g bis max. 180g überschreitet, handelt ordnungswidrig. Die Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geldbuße von bis zu 25.000 EUR geahndet werden. 

 

„§ 29b – Recht auf Besitz und Ordnungswidrigkeiten 

(1) Volljährigen ist der Erwerb und Besitz von bis zu 30 g Cannabis oder Cannabisharz im Sinne der Anlage 1 zu diesem Gesetz erlaubt. 

(2) Der Anbau von bis zu drei weiblichen Cannabispflanzen für den persönlichen oder gemeinschaftlichen Eigenbedarf im Bereich des befriedeten Besitztums des oder der Anbauenden ist erlaubt. In diesem Bereich ist auch das Aufbewahren einer Jahresernte von bis zu drei Pflanzen oberhalb der in Absatz 1 genannten Grenze zulässig. 

(3) Anbau und Aufbewahrung müssen für Kinder und Jugendliche unzugänglich erfolgen. 

(4) Das Bundesministerium für Gesundheit wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates 

1. nähere Anforderungen an das befriedete Besitztum festzulegen, 

2. Vorgaben für den Anbau und die Aufbewahrung von Cannabis zu machen. 

(5) Ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig ohne Erlaubnis mehr als 30 Gramm, aber höchstens 180 Gramm Cannabis besitzt. Ordnungswidrig handelt ebenfalls, wer ohne Erlaubnis im Bereich des befriedeten Besitztums eine Jahresernte von mehr als drei Cannabispflanzen aufbewahrt oder mehr als drei weibliche Cannabispflanzen anbaut, aber eine Jahresernte von höchstens 18 Cannabispflanzen aufbewahrt oder höchstens 18 weibliche Cannabispflanzen anbaut. Die Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geldbuße bis zu 25.000 € geahndet werden.“ 

Am 15. März 2023 fand im Gesundheitsausschuss eine öffentliche Anhörung statt. Eine Liste der Sachverständigen und deren Stellungnahmen finden Sie hier. Beraten wurde neben dem Gesetzentwurf der Linksfraktion auch ein Antrag der Fraktion CDU/CSU für eine bessere Patientenversorgung mit Medizinalcannabis (BT Drs. 20/5561).

Die Experten waren sich einig, dass der Zugang zu Medizinalcannabis vereinfacht werden müssen. Der Verband der Cannabis versorgenden Apotheken beklagte, dass nur etwas zwei Drittel der Anträge auf Zugang zu Medizinalcannabis positiv beschieden würde. Johannes Horlemann von der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin wies zudem auf die fehlende Sachkenntnis unter Ärzten hin. 

Hinsichtlich der Entkriminalisierung von Cannabis waren sich die Experten jedoch fast alle einige, dass der Entwurf der Linksfraktion hierzu nicht vollends geeignet sei. Robin Hofmann von der Universität Maastricht in den Niederlanden gab zu bedenken, dass das Vorhaben des Entwurfs weder mit dem Völkerrecht, noch mit dem Europarecht zu vereinen sei. Ferner stelle sich die Frage, wie bei der Einstufung einer Menge von 30 Gramm Cannabis als geringfügig noch zwischen Konsumenten und Händlern unterschieden werden solle. Eine Legalisierung sei letztendlich einer Entkriminalisierung vorzuziehen. Justus Haucap nahm in seiner Stellungnahme Bezug zum Schwarzmarkt. Dieser sei mit einer Entkriminalisierung alleine nicht zurückzudrängen. Allerdings lasse sich bei Polizei, Justiz und Strafvollzug eine geschätzte Kosteneinsparung von rund 1,3 Milliarden Euro pro Jahr erzielen. Der Bund Deutscher Kriminalbeamter begrüßte im Grundsatz eine Entkriminalisierung von Cannabis, der Entwurf der Linksfraktion sei dahingehend aber noch etwas zu vage. Bei einer möglichen Legalisierung sollte allerdings der gesamte Herstellungs- und Vertriebsprozess legalisiert und kontrolliert werden. Hinsichtlich des Schwarzmarktes äußerte der BDK ebenfalls Bedenken. Dealer seien immer in der Lage, Drogen billiger anzubieten als offizielle Stellen. Der Deutsche Hanfverband und der Suchtforscher Heino Stöver sprachen sich für eine Entkriminalisierung von Cannabis aus, allerdings als eine Art Übergangslösung. Stöver betonte, dass damit der Schaden für die Gesellschaft und jeden Einzelnen reduziert werden könne, solange es noch kein Gesetz gebe, dass eine Legalisierung in vollem Umfang regele. Der DHV schilderte in seiner Stellungnahme in dem Zusammenhang, wie belastend ein Ermittlungsverfahren für den Konsumenten sein könne. Neben einer Hausdurchsuchung und Telekommunikationsüberwachung müsse auch mit erniedrigenden Leibesvisitationen gerechnet werden. 

Am 12. April 2023 hat das Bundesministerium für Gesundheit Eckpunkte eines 2-Säulen-Modells („Club Anbau & Regional-Modell“) zur kontrollierten Abgabe von Genusscannabis an Erwachsene veröffentlicht. Die erste Säule betrifft den privaten und gemeinschaftlichen, nicht-kommerziellen Eigenanbau von Cannabis. „Nicht-gewinnorientierte Vereinigungen dürfen unter engen, klar definierten gesetzlichen Rahmenbedingungen gemeinschaftlich Cannabis zu Genusszwecken anbauen und an Mitglieder für den Eigenkonsum abgeben.“ Die Rahmenbedingungen dazu sollen in einem gesonderten Gesetz geregelt werden. Wer gegen diese verstößt, soll mit Bußgeldern, Zulassungsentzug bzw. Geld-und Freiheitsstrafen (bei mehrfachen Verstößen) belangt werden können. Eine Abgabe des geernteten Cannabis (Blüten) ist ausschließlich an Mitglieder erlaubt. Es dürfen max. 25g Cannabis pro Tag, max. 50g pro Monat, max. 7 Samen oder 5 Stecklinge pro Monat abgegeben werden. Die Abgabe an Heranwachsende unter 21 Jahren ist begrenzt auf eine Menge von 30g pro Monat. Ein straffreier Besitz soll zum Eigenkonsum bis 25g möglich werden. Außerdem soll es möglich werden, Verurteilungen, die ausschließlich wegen Handlungen im Zusammenhang mit Cannabis im BZR eingetragen sind, für die das Gesetz künftig keine Strafe mehr vorsieht auf Antrag aus dem Register löschen zu lassen. „Mit Inkrafttreten des Gesetzes werden laufende Ermittlungs- und Strafverfahren zu diesen Handlungen durch die bereits in der StPO vorgesehenen Möglichkeiten beendet“, so das Eckpunktepapier. Die zweite Säule bildet ein regionales Modellvorhaben mit kommerziellen Lieferketten. „Unternehmen wird die Produktion, der Vertrieb und die Abgabe in Fachgeschäften von Genusscannabis an Erwachsene in einem lizensierten und staatlich kontrollierten Rahmen ermöglicht. Mit dieser Säule können die Auswirkungen einer kommerziellen Lieferkette auf den Gesundheits- und Jugendschutz sowie den Schwarzmarkt wissenschaftlich untersucht werden.“ Die Projektlaufzeit soll 5 Jahre betragen. Beide Säulen sollen nun in konkrete Gesetzentwürfe einfließen. 

Anfang Mai wurde ein erster „Cannabis-Entwurf der Bundesregierung“ veröffentlicht, der laut Berichterstattung bereits Ende April 2023 in die Ressortabstimmung gegeben wurde.  Am 5. Juli 2023 wurde nun der Referentenentwurf des BMG öffentlich, auf den sich die Ressorts geeinigte haben. Er betrifft die erste Säule des 2-Säulen-Modells und damit den privaten und gemeinschaftlichen, nicht-kommerziellen Eigenanbau von Cannabis. Ziel des Gesetzes ist es, „zu einem verbesserten Gesundheitsschutz beizutragen, die cannabisbezogene Aufklärung und Prävention zu stärken, den illegalen Markt für Cannabis einzudämmen sowie den Kinder- und Jugendschutz zu stärken. Zum Schutz von Konsumentinnen und Konsumenten soll die Qualität von Konsumcannabis kontrolliert und die Weitergabe verunreinigter Substanzen verhindert werden.“ 

Wesentlicher Inhalt des Entwurfs: 

  • „Begrenzung der zulässigen Besitzmenge an Konsumcannabis außerhalb von Anbauvereinigungen auf 25 Gramm.

  • Nicht-gewerbliche Anbauvereinigungen dürfen nur mit behördlicher Erlaubnis Konsumcannabis gemeinschaftlich unter aktiver Mitwirkung der Mitglieder anbauen und zum Eigenkonsum an Mitglieder weitergeben. Enge gesetzliche Rahmenbedingungen müssen eingehalten werden.

  • Einhaltung von strengen Mengen-, Qualitäts- sowie Kinder- und Jugendschutzvorgaben erforderlich, gesichert durch behördliche Kontrolle.

  • Begrenzung der Weitergabe von Konsumcannabis in Anbauvereinigungen: Weitergabe nur an volljährige Mitglieder mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland, verbunden mit einer strikten Pflicht zur Überprüfung der Mitgliedschaft und des Alters.

  • Konsumverbot von Cannabis in und in einer Schutzzone von 250 Metern Abstand zum Eingangsbereich von Anbauvereinigungen, Schulen, Kinder- und Jugendeinrichtungen, Kinderspielplätzen sowie in öffentlich zugänglichen Sportstätten.

  • Begrenzte Weitergabemengen mit besonderer Begrenzung der Weitergabe an Heranwachsende mit einer Begrenzung des zulässigen THC-Gehalts auf zehn Prozent.

  • Weitergabe von Konsumcannabis in kontrollierter Qualität und nur in Reinform, d.h. Marihuana oder Haschisch.

  • Allgemeines Werbe- und Sponsoringverbot für Konsumcannabis und für Anbauvereinigungen.

  • In begrenztem Umfang zulässiger privater Eigenanbau mit Pflicht zum Schutz des privat angebauten Konsumcannabis vor dem Zugriff durch Kinder und Jugendliche sowie Dritte.

  • Stärkung der Prävention: Präventionsmaßnahmen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) sowie in den Anbauvereinigungen Information und Beratung durch Präventionsbeauftragte mit nachgewiesenen Sachkenntnissen und Kooperation mit lokalen Suchtberatungsstellen.“

Bei Nichteinhaltung der Cannabis-Umgangsformen sieht § 36 Abs. 1 CanG als Strafvorschrift bei vorsätzlicher Begehung eine  Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe vor. Im Vergleich dazu beträgt der Strafrahmen des Grundtatbestands des § 29 BtMG Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe. Absatz 2 sieht eine Strafbarkeit des Versuchs vor, Absatz 3 regelt den besonders schweren Fall mit einer Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren und Absatz 4 enthält eine Qualifikation, die die Tat zum Verbrechen heraufstuft. Um wirksamer gegen die organisierte Kriminalität vorgehen zu können, entspricht § 37 CanG der Kronzeugenregelung des § 31 BtMG. Aufgrund ihrer geringen Schwere – im Vergleich zu den Straftaten – werdenVerstöße gegen Kontroll- und Meldepflichten als Ordnungswidrigkeiten (§ 38 CanG) geahndet. Hier fallen Geldbußen bis zu 30.000 EUR an. 

Die Verbände hatten bis zum 24. Juli 2023 Gelegenheit zur Stellungnahme (die Stellungnahmen finden Sie hier).

Die zweite Säule des 2-Säulen Modells bildet ein regionales Modellvorhaben mit kommerziellen Lieferketten. „Der Gesetzentwurf zu Säule 2 folgt im zweiten Halbjahr 2023 und wird voraussichtlich der Europäischen Kommission zur Prüfung vorgelegt werden“, so das BMG. 

Am 16. August 2023 hat das Bundeskabinett den Referentenentwurf zum kontrollierten Umgang mit Cannabis verabschiedet. Gesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach:

„Das Cannabisgesetz markiert einen Wendepunkt einer leider gescheiterten Cannabisdrogenpolitik. Ziel ist, den Schwarzmarkt und die Drogenkriminalität zurückzudrängen, das Dealen mit gestreckten oder toxischen Substanzen einzudämmen und die Konsumentenzahlen zu drücken. Für Jugendliche bleibt der Konsum verboten, für junge Erwachsene soll er nur bedingt möglich sein. Diese Einschränkung ist notwendig, denn Cannabis schadet besonders dem noch wachsenden Gehirn. Um zu verhindern, dass Heranwachsende trotzdem konsumieren, starten wir bereits jetzt eine Aufklärungskampagne. Niemand darf das Gesetz missverstehen. Cannabiskonsum wird legalisiert. Gefährlich bleibt er trotzdem.“

Der Regierungsentwurf enthält im Vergleich zum Referentenentwurf eine wesentliche Änderung. Während im Referentenentwurf noch eine unentgeltliche Weitergabe von privat angebautem Cannabis an volljährige Personen möglich war, ist dies nun nur noch innerhalb von Anbauvereinigungen möglich. 

Am 29. September hat sich der Bundesrat erstmals zu dem Regierungsentwurf geäußert. Die Ausschüsse hatten hierzu Empfehlungen vorgelegt (BR Drs. 367/1/23). Zudem hat der Freistaat Bayern einen Antrag für eine ablehnende Stellungnahme des Bundesrates für das CanG eingebracht (BR Drs. 367/2/23). Er fand jedoch keine erforderliche Mehrheit im Plenum. Der Bundesrat hat abschließend entsprechend seiner Abstimmung Stellung genommen. Er kritisierte u.a. die vorgesehenen Kontroll- und Vollzugsaufgaben für die Länder und forderte, keine zusätzlichen Personal- und Finanzbedarfe zu erzeugen. Ein weiterer Kritikpunkt war der unzureichende Schutz von Kindern und Jugendlichen. Hier sollen Mindeststandards für die Erstellung von Gesundheits- und Jugendschutzkonzepten festgelegt und im weiteren Gesetzgebungsverfahren auf ihre Praxistauglichkeit überprüft werden. Hinsichtlich der geplanten Anhebung von Grenzwerten im Straßenverkehr fordert die Länderkammer Maßnahmen zur Verkehrsunfallprävention. Des Weiteren wurden Strafbarkeitslücken aufgezeigt. 

In Ihrer Gegenäußerung geht die Bundesregierung auf die Kritik des Bundesrates ein (BT Drs. 20/8763). Einen erhöhten Vollzugsaufwand sieht sie nicht, da mit einer Gesamtzahl von 3.000 Anbauvereinigungen erst nach fünf Jahren gerechnet werden müsse. Daher bleibe ausreichend Zeit, die personellen Ressourcen und Sachmittelkapazitäten anzupassen. Hierzu könnten eingesparte Mittel eingesetzt werden, die durch weniger Strafanzeigen und Strafverfahren zu erwarten seien. Hinsichtlich des mangelnden Gesundheits- und Jugendschutzes, der durch die Länderkammer kritisiert wurde, entgegnete die Bundesregierung, dieser werde durch die Aufklärung und Prävention sowie durch die gesetzlichen Vorgaben für die Anbauvereinigungen gewährleistet. Auch hinsichtlich der THC-Grenzwerte im Straßenverkehr äußerte sich die Regierung zuversichtlich. Eine interdisziplinäre Expert:innengruppe des Bundesverkehrsministeriums sei damit befasst, Grenzwerte zu ermitteln, die die Sicherheit im Straßenverkehr ausreichend wahren. 

Am 18. Oktober 2023 wurde der Gesetzentwurf erstmals im Bundestag debattiert und im Anschluss zur weiteren Beratung an die Ausschüsse überwiesen. Am 6. November 2023 fand im federführenden Gesundheitsausschuss eine Anhörung statt. Eine Liste der Sachverständigen und deren Stellungnahmen finden Sie hier. Die Expert:innen der Ärztefachverbände sprachen sich durchgehend gegen die Legalisierung von Cannabis aus. Die Konsumprävalenz und die damit einhergehenden gesundheitlichen und gesellschaftlichen Probleme, seien durch die vorgesehenen Regelungen nicht zu bremsen. Ferner sei der Kinder- und Jugendschutz weder ausreichend, noch könne er bei dem hohen Kontrollaufwand wirksam durch die ohnehin überlasteten Behörden umgesetzt werden. Cannabis sei keine harmlose Droge, sondern fördere eine körperliche Abhängigkeit und berge das Risiko von Psychosen. Der Deutsche Richterbund betonte, dass von einer Entlastung der Justiz nicht ausgegangen werden dürfe, da weiterhin der Handel und die unerlaubte Einfuhr von Cannabis unter Strafe stehen. Darüber hinaus sei mit weiteren Straftaten zu rechnen, wie dem Missbrauch von Anbauvereinigungen. Die Neue Richtervereinigung hingegen begrüßte das Vorhaben der Legalisierung von Cannabis sah aber beim Gesetzentwurf Optimierungsbedarf. So seien die Grenzwerte der nicht geringen Menge nicht transparent, da sie weder dem Wortlaut des Gesetzes noch dem Schutzzweck zu entnehmen sind. Ebenso seien die 200-Meter-Konsumverbotszonen für die Konsumierenden nicht ersichtlich. Dem stimmte der Branchenverband Cannabiswirtschaft zu und betonte zugleich, dass sich der illegale Markt, der auf kommerzielle Zwecke und damit auf dauerhafte Abhängigkeiten ausgerichtet sei, nicht durch eine Legalisierung zurückdrängen lasse. Der Bundesverband für akzeptierende Drogenarbeit und humane Drogenpolitik sprach sich für eine Legalisierung von Cannabis aus, ebenso wie der Deutsche Hanfverband. Dies sei richtig und längst überfällig. Nur 12 % der Konsument:innen seien Intensivnutzer, die anderen Gelegenheitskonsument:innen. Auch andere Expert:innen sahen in der Legalisierung von Cannabis einen Paradigmenwechsel in der Drogenpolitik. Eine strafrechtliche Verfolgung von Cannabis-Konsument:innen seit nicht sinnvoll, vielmehr müsse mehr Hilfe zur Reduzierung des Konsums zu Verfügung gestellt werden. Auch die Gewerkschaft der Polizei forderte mehr Präventionsarbeit, allerdings hinsichtlich der Verkehrssicherheit. Diese werde in Bezug auf den Cannabiskonsum bisher vernachlässigt. Erforderlich seien niedrige THC-Grenzwerte, um den Straßenverkehr nicht zu gefährden. 

Die Koalitionsfraktionen haben sich am 27.11.2023 auf zahlreiche Änderungen des CanG verständigt. Unter anderem:

  • Die Konsumverbotszonen rund um Schulen, Kindergärten, Spielplätze und Anbauvereinigungen werden nun nicht mehr mit 200 Metern angegeben. Der Konsum von Cannbis ist nunmehr „in Sichtweite“ dieser Einrichtungen verboten. Damit soll der kritisierte Kontrollaufwand für die Polizei verringert und mehr Klarheit für Konsumierende geschaffen werden.
  • Der privaten Eigenanbau von bis zu drei Cannabispflanzen ist weiterhin erlaubt. Kritisiert wurde in dem Zusammenhang, dass aus dieser Menge mehr als die erlaubten 25 g Cannabis zum Eigenkonsum gewonnen werden können. Daher wurde die erlaubte Menge aus dem Eigenanbau auf 50 g erhöht.
  • Wer geringfügig mehr als die erlaubte Menge Cannabis besitzt, dem drohte nach dem Regierungsentwurf eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe. Künftig soll dies lediglich als Ordnungswidrigkeit geahndet werden. Die geringe Menge wurde auf bis zu 30 g im öffentlichen Bereich und bis zu 60 g im privaten festgelegt.
  • Ebenso wurde der Bußgeldrahmen von 30.000 EUR bis 100.000 EUR auf 10.000 EUR bis maximal 30.000 EUR abgesenkt.
  • Wer Minderjährige zum Handel oder zum Anbau von Cannabis anstiftet, dem droht künftig eine Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren (besonders schwerer Fall). Bei einer gewerbsmäßigen Abgabe von Cannabis an Minderjährige wurde die Mindeststrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe auf zwei Jahre heraufgesetzt. Dies gilt ebenfalls für bandenmäßiges Vorgehen oder den Gebrauch von Schusswaffen.
  • Die §§ 100a ff. StPO sollen in Bezug auf cannabisbezogene Straftaten bei den Ermittlungsmaßnahmen Ergänzungen erfahren.
  • Bezüglich des THC-Grenzwertes im Straßenverkehr soll bis zum 31. März 2024 durch das Bundesministerium für Verkehr und Digitales ein Vorschlag unterbreitet werden. Zudem soll die Fahrerlaubnisverordnung dahingehend geändert werden, dass der nur gelegentliche Konsum von Cannabis nicht zu einer MPU führt.
  • Die Entkriminalisierung von Cannabis soll am 1. April 2024 in Kraft treten. Die Regelungen rund um die Anbauvereinigungen erst am 1. Juli 2024.

Am 23. Februar 2024 votierten die Abgeordneten mit 407/226 Stimmen (4 Enthaltungen) für das Cannabisgesetz. Der Gesundheitsausschuss hatte zuvor eine Beschlussempfehlung vorgelegt (BT-Drs. 20/10426). Anträge der CDU/CSU (BT-Drs. 20/8735) und der AfD (BT-Drs. 20/8869), die Legalisierung von Cannabis zu stoppen, fanden keine Mehrheit. 

Am 22. März 2024 hat sich der Bundesrat mit dem CanG beschäftigt. Von der Möglichkeit, den Vermittlungsausschuss anzurufen, wurde kein Gebrauch gemacht. 

 

 

 

 

 

 

Durchführung der Verordnung (EU) 2021/784 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2021 zur Bekämpfung der Verbreitung terroristischer Online-Inhalte und zur Änderung weiterer Gesetze

Gesetz zur Durchführung der Verordnung (EU) 2021/784 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2021 zur Bekämpfung der Verbreitung terroristischer Online-Inhalte und zur Änderung weiterer Gesetze vom 21. Juli 2022: BGBl. I 2022, S. 1182 ff.

Gesetzentwürfe: 

 

Die Verordnung (EU) 2021/784 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2021 zur Bekämpfung der Verbreitung terroristischer Online-Inhalte ist am 7. Juni 2021 in Kraft getreten und gilt ab dem 7. Juni 2022. Mit ihr soll der Missbrauch von Hostingdiensten zur Verbreitung terroristischer Inhalte bekämpft werden. Sie muss als unmittelbar geltendes Unionsrecht nicht in nationales Recht umgesetzt werden, aber um die Verpflichtungen ordnungsgemäß erfüllen zu können, sind bundeseinheitliche gesetzliche Durchführungsbestimmungen erforderlich. Hierzu hat die Bundesregierung am 4. Mai 2022 einen Gesetzentwurf (BT Drs. 20/1632) in den Bundestag eingebracht, der insbesondere Regelungen zu Zuständigkeiten und Befugnissen der beteiligten deutschen Behörden sowie zur nationalen Ausgestaltung der Ordnungswidrigkeitsbestimmungen enthält. Darüber hinaus nennt der Entwurf die in der Verordnung vorgesehenen Sanktionen in Form von Bußgeldvorschriften. Außerdem sind Änderungen im BKAG und im NetzDG vorgesehen. 

Am 20. Mai 2022 beschäftigte sich erstmal der Bundesrat mit dem Regierungsentwurf. Der federführende Ausschuss für Innere Angelegenheiten, der Ausschuss für Kulturfragen und der Wirtschaftsausschuss sprachen ihre Empfehlung aus, zu dem Gesetzentwurf gemäß Art. 76 Abs. 2 GG Stellung zu nehmen (BR Drs. 159/1/22). Nachdem der Bundestag das Gesetz am 23. Juni 2022 in dritter Lesung beschloss, billigte der Bundesrat den Entwurf schließlich in seiner letzten Plenarsitzung vor der Sommerpause am 8. Juli 2022. 
 
Das Gesetz zur Durchführung der Verordnung (EU) 2021/784 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2021 zur Bekämpfung der Verbreitung terroristischer Online-Inhalte und zur Änderung weiterer Gesetze vom 21. Juli 2022 (BGBl. I 2022, S. 1182 ff.) wurde am 26. Juli 2022 im Bundesgesetzblatt verkündet. Art. 1 bis 5 treten i bereits am Tag nach seiner Verkündung in Kraft. Im Übrigen tritt die Neuregelung am 1. November 2022 in Kraft. 

 

 

 

Vorschlag für eine Empfehlung des Rates zur operativen polizeilichen Zusammenarbeit

Richtlinienvorschläge: 

 

Am 8. April 2022 beschäftigte sich der Bundesrat mit dem Vorschlag für eine Empfehlung des Rates zur operativen polizeilichen Zusammenarbeit. Damit soll nicht nur die polizeiliche grenzüberschreitende Zusammenarbeit, sondern auch die des Zolls durch die Festlegung gemeinsamer Standards verbessert werden. 

Im Einzelnen: 

  • „Präzisierung und Angleichung der Einsatzregeln für grenzüberschreitende Strafverfolgungsmaßnahmen zur Überwachung und Festnahme von Kriminellen und Terroristen bei der Observation, der Nacheile, gemeinsamen Streifen und sonstigen gemeinsamen Einsatzformen über nationale Hoheitsgebiete hinweg.

  • Fernzugang zu eigenen Datenbanken durch Polizeibeamtinnen und -beamte, wenn diese in anderen Mitgliedstaaten tätig werden, und Nutzung sicherer Kommunikationsmittel, die auch in einem grenzüberschreitenden Kontext funktionieren.

  • Ausweitung der Rolle der bestehenden Zentren für die Zusammenarbeit von Polizei und Zoll, die zu gemeinsamen Polizeidienststellen ausgebaut werden sollen, die nicht nur Informationen austauschen, sondern auch gemeinsame Streifen und sonstige gemeinsame Einsatzformen auf der Grundlage gemeinsamer Risikoanalysen planen, unterstützen und koordinieren können.

  • Einsatz gezielter gemeinsamer Streifen und sonstiger gemeinsamer Einsatzformen in bestimmten Grenzgebieten innerhalb der EU auf der Grundlage vorheriger Analysen, um die Schleusung von Migranten zu bekämpfen und den illegalen Aufenthalt von Migranten und die grenzüberschreitende Kriminalität im Zusammenhang mit irregulärer Migration zu verhindern und aufzudecken sowie um Menschenhandel zu bekämpfen und Opfer zu identifizieren und zu schützen.

  • Einrichtung einer Koordinierungsplattform zusammen mit der Kommission und Europol, um gemeinsame Streifen und sonstige gemeinsame Einsatzformen in der gesamten EU zu unterstützen, um die öffentliche Ordnung und Sicherheit aufrechtzuerhalten und zu verbessern, um Kriminalität zu verhindern oder die Bekämpfung spezifischer Kriminalitätswellen an wichtigen Orten oder zu bestimmten Zeiten (zum Beispiel touristische Gebiete, wichtige kriminelle Knotenpunkte, Feriensaison) zu unterstützen sowie um Unterstützung bei Massenveranstaltungen (zum Beispiel große Sportveranstaltungen, internationale Gipfeltreffen) oder bei Katastrophen und schweren Unglücksfällen zu leisten.

  • Ausweitung gemeinsamer Aus- und Fortbildungsprogramme sowie gemeinsamer Austauschprogramme für Polizeischülerinnen und -schüler sowie lebens- langes Lernen für Beamtinnen und -beamte, die an der operativen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit beteiligt sind, sowie Entwicklung eines umfassenden europaweiten gemeinsamen Aus- und Fortbildungsprogramms für die operative grenzüberschreitende Zusammenarbeit, um eine echte EU- Polizeikultur zu etablieren.“

Der Ausschuss für Innere Angelegenheiten empfahl dem Bundesrat entsprechend Stellung zu nehmen (BR Drs. 4/1/22). 

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über den automatisierten Datenaustausch für die polizeiliche Zusammenarbeit („Prüm II“) und zur Änderung der Beschlüsse 2008/615/JI und 2008/616/JI des Rates sowie der Verordnungen (EU) 2018/1726, 2019/817 und 2019/818 des Europäischen Parlaments und des Rates

Richtlinienvorschläge: 

 

Am 8. April beschäftigte sich er Bundesrat mit dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über den automatisierten Datenaustausch für die polizeiliche Zusammenarbeit („Prüm II“) und zur Änderung der Beschlüsse 2008/615/JI und 2008/616/JI des Rates sowie der Verordnungen (EU) 2018/1726, 2019/817 und 2019/818 des Europäischen Parlaments und des Rates (BR Drs. 34/22). Ziel der Kommission ist es, über einen automatisierten Datenaustausch die polizeiliche Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten über die Grenzen hinweg zu verbessern. Dies beinhaltet ebenso die Zusammenarbeit mit EUROPOL. 

„Folgende Maßnahmen sind vorgesehen:

  • Bereitstellung einer technischen Lösung für einen effizienten automatisierten Datenaustausch zwischen den Strafverfolgungsbehörden, um sie auf einschlägige Daten hinzuweisen, die in der nationalen Datenbank eines anderen Mitgliedstaats verfügbar sind,

  • Sicherstellung, dass allen zuständigen Strafverfolgungsbehörden mehr einschlägige Daten, in Bezug auf die Datenkategorien, aus nationalen Datenbanken in anderen Mitgliedstaaten zur Verfügung stehen,

  • Sicherstellung, dass den Strafverfolgungsbehörden einschlägige Daten, insbesondere in Bezug auf die Datenquellen, aus den Europol-Datenbanken zur Verfügung stehen,

  • Gewährleistung eines effizienten Zugriffs der Strafverfolgungsbehörden auf die tatsächlichen Daten, die einem „Treffer“ entsprechen und in der nationalen Datenbank eines anderen Mitgliedstaats abrufbar sind,

  • Schaffung eines zentralen und durch eu-LISA gehosteten Routers, an den die mitgliedstaatlichen Datenbanken angebunden werden und der als Verbindungspunkt zwischen den Mitgliedstaaten fungiert,

  • Erweiterung der Datenkategorien um Gesichtsbilder und bestimmte biografische Daten aus Kriminalakten,

  • Schaffung von Abfragemöglichkeiten für Daten zu Vermissten und nicht identifizierten Verstorbenen,

  • Regelung von Folgeprozessen, einschließlich der Übermittlung von Kerndaten, Anwendung des sogenannten UMF-Formats (universelles Nachrichtenformat – Universal Message Format – UMF) als Standard für den automatisierten Datenaustausch und Verwendung des von Europol bereitgestellten Verfahrens SIENA (von Europol verwaltete Netzanwendung für sicheren Datenaustausch – SIENA).

  • Einbindung von Europol und Verfügbarmachung biometrischer Daten von Drittstaaten zum Abgleich im Prüm-Verfahren.“

 

Der Ausschuss für Innere Angelegenheiten empfahl dem Bundesrat zu der Vorlage entsprechend Stellung zu nehmen (BR Drs. 34/1/22). 

 

 

Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den strafrechtlichen Schutz der Umwelt und zur Ersetzung der Richtlinie 2008/99/EG COM(2021) 851 final

Richtlinienvorschläge:

 

Am 8. April 2022 beschäftigte sich der Bundesrat mit dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den strafrechtlichen Schutz der Umwelt und zur Ersetzung der Richtlinie 2008/99/EG COM(2021) 851 final. Mit der Richtlinie soll die Ermittlung und Strafverfolgung im Bereich der Umweltkriminalität verbessert und hierdurch der Schutz der Umwelt verstärkt werden. Umweltkriminalität birgt häufig das Problem grenzüberschreitender Sachverhalte. Daher sollen die umweltstrafrechtlichen Regelungen der Mitgliedsstaaten angeglichen werden. Im Vergleich zur vorherigen Richtlinie (2008/99/EG) sieht der Vorschlag daher neue Straftatbestände vor und erweitert d Saktionsvorgaben für natürliche und juristische Personen. 

Folgende Maßnahmen sind im Einzelnen vorgesehen:

  • Einsatzhindernisse von Polizeibeamten*innen durch unterschiedliche Regelungen auf dem Gebiet eines anderen Mitgliedstaates sollen durch die Festlegung gemeinsamer Standards beseitigt werden.
  • Sicherstellung des Fernzugriffs für Polizeibeamte*innen auf eigene Datenbanken, wenn sie in anderen Mitgliedsstaaten tätig werden. Darüber hinaus Bereitstellung von sicheren Kommunikationsmitteln, die grenzüberschreitend funktionieren.
  • Ausbau der gemeinsamen Zentren von Polizei und Zoll zu gemeinsamen Dienststellen mit gemeinsamen Einsatzformen im Grenzgebiet.
  • Gemeinsame Einätze zur Bekämpfung von Schleusungskriminalität und Menschenhandel.
  • Einrichtung einer Koordinierungsplattform für die Mitgliedsstaaten. 
  • Einrichtung von Austausch-, Aus- und Fortbildungsprogrammen zur Förderung einer gemeinsamen EU-Polizeikultur.

Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union, der Ausschuss für Innere Angelegenheiten, der Rechtsausschuss, der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit, der Verkehrsausschuss und der Wirtschaftsausschuss empfahlen dem Bundesrat zu dem Richtlinienvorschlag Stellung zu nehmen (BR Drs. 27/1/22). Diese wird direkt an die Kommission übermittelt. 

 

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