Gesetzentwürfe:
- Gesetzentwurf der Fraktion CDU/CSU: BT-Drs. 20/12085
Die Fraktion CDU/CSU hat einen Gesetzentwurf zur Verbesserung des Opferschutzes, insbesondere für Frauen und verletzliche Personen in den Bundestag eingebracht. Er wurde am 4. Juli 2024 in erster Lesung debattiert und im Anschluss an den federführenden Rechtsausschuss zur weiteren Beratung überwiesen. Nach Ansicht der Fraktion habe der Staat die Verpflichtung, verletzliche Personen besonders zu schützen. In den vergangenen Jahren nahm die Zahl der Opfer häuslicher Gewalt immer mehr zu. Sie betrifft alle Formen körperlicher, sexueller oder psychischer Gewalt – also beispielsweise Mord, Totschlag, Vergewaltigung, Körperverletzung und Freiheitsberaubung – und umfasst familiäre sowie partnerschaftliche Gewalt, bei der am häufigsten Frauen betroffen sind. Die Dunkelziffer sei hoch, weil viele Betroffenen eine Anzeige scheuten. Dies zeige eine Dunkelfeldbefragung des LKA Niedersachsen zu verschiedenen Kriminalitätsformen mit Schwerpunktsetzung von Paarbeziehungen. Es sei davon auszugehen, dass jede dritte Frau in Deutschland „mindestens einmal imLeben Opfer von Gewalt wird und jede vierte Frau Gewalt im Zusammenhang mit ihrer Partnerschaft erlebt.“ Viele Fälle seien von einer Eskalationsspirale gekennzeichnet. Zu ihrer Durchbrechung sei eine bessere Durchsetzung und „Überwachung von Näherungsverboten durch den Einsatz einer elektronischen Aufenthaltsüberwachung“ nötig. Auf diese Wiese möchte die Fraktion Täter häuslicher Gewalt sowie Stalker stoppen. Sich an Schwachen, Hilflosen und Wehrlosen zu vergreifen, sei niederträchtig und feige, werde aber gerade nicht bei Mord, beim schweren Raub und der gefährlichen Körperverletzung berücksichtigt. Daher sieht der Gesetzentwurf vor, bei der gefährlichen Körperverletzung, dem schweren Raub und bei Mord als neues Qualifikations- bzw. Mordmerkmal „unter Ausnutzung der körperlichen Überlegenheit“ einzufügen, um Gewalttaten zum Nachteil von Kindern, Frauen, Senioren und Menschen mit Behinderungen angemessen zu bestrafen. Flankierend soll § 211 StGB sprachlich angepasst werden.
Außerdem soll angepasst werden:
- Strafrahmen für Gruppenvergewaltigungen: die gemeinschaftliche Tatbegehung soll in § 177 Abs. 8 StGB verschoben werden, womit sie eine Mindeststrafe von 3 bis 5 Jahre Freiheitsstrafe erhält
- ungewollte Schwangerschaft soll als Tatfolge zur Qualifikation in § 177 Abs. 7 StGB hinzugefügt werden
- § 223 StGB soll eine Mindeststrafe von 3 Monaten erhalten (für geringfügige Taten soll ein minder schwerer Fall eingefügt werden)
- Ahndung von Körperverletzungen mittels einer Waffe oder eines Messers als Verbrechen, gleichzeitige Anhebung des Strafrahmens auf ein Jahr bis zu 15 Jahren Freiheitsstrafe
- die Höchststrafe der Nachstellung soll auf 5 Jahre erhöht und der Katalog der besonders schweren Fälle erweitert werden, so dass gegen Täter, die zugleich einer in § 4 S. 1 GewSchG bezeichneten (vollstreckbaren) Anordnung oder Verpflichtung zuwiderhandeln, auch die Anordnung der Untersuchungshaft wegen Wiederholungsgefahr (§ 112a Abs. 1 Nr. 1 StPO) möglich wird
- Einführung der „elektronischen Fußfessel“ im GewSchG
- Erhöhung der Höchststrafe nach dem GewSchG von 2 auf 5 Jahre
- Angleichung der Voraussetzungen für die Anordnung einer audiovisuellen Vernehmung nach § 247a StPO für minderjährige Zeugen an die Voraussetzungen der Entfernung des Angeklagten aus dem Sitzungssaal nach § 247 StPO
Am 4. Dezember 2024 fand im Rechtsausschuss eine öffentliche Anhörung statt. Eine Liste der Sachverständigen und deren Stellungnahmen finden Sie hier. Der Fraktionsentwurf stieß bei den Expert:innen überwiegend auf Kritik. Dilken Çelebi vom Deutschen Juristinnenbund hielt den Gesetzentwurf für ineffektiv und symbolhaft und bezeichnete ihn „in Teilen für verfassungsrechtlich bedenklich“. Sie erläuterte, dass Strafschärfungen kriminologisch betrachtet nicht den gewünschten generalpräventiven Effekt hätten. Insbesondere das neue Mordmerkmal sei verfassungsrechtlich bedenklich und verstoße gegen das Bestimmtheitsgebot. Ähnlich sah dies Prof. Dr. Jörg Kinzig von der Universität Tübingen. Auch er kritisierte, dass der Entwurf keine evidenzbasierte Kriminalpolitik im Sinn habe. „Wie eine derart repressive Vorgehensweise zu einem besseren Opferschutz beitragen kann, wird leider nicht begründet“, so Kinzig. Die Gleichung „höhere Strafen gleich weniger Strafen“ gehe nicht auf. Dem schloss sich Holger-C. Rohde vom Deutschen Anwaltverein an und erinnerte an das Ultima-Ratio-Prinzip des Strafrechts. Aus seiner Sicht müssten erst einmal Vollzugsdefizite gestoppt werden. Prof. Dr. Jörg Eisele von der Universität Tübingen begrüßte hingegen den Vorschlag, die Körperverletzung mit gefährlichen Gegenständen als Verbrechen zu ahnden und bei der Nachstellung eine Strafschärfung vorzunehmen. Um das Mordmerkmal „unter Ausnutzung einer körperlichen Überlegenheit“ zielgenauer und auf das Opfer auszurichten, schlug er vor, stattdessen die Formulierung „Ausnutzung einer Schutzlosigkeit des Opfers“ zu nutzen. Für Undine Segebarth von der Gewerkschaft der Polizei ging der Entwurf nicht weit genug. Eine elektronische Aufenthaltsüberwachung sei nur dann effektiv, wenn das Opfer auch über einen Näherungsalarm gewarnt werden könne. Sie sprach sich dafür aus, das vorgeschlagene Gewaltschutzgesetz noch vor Ende der Legislaturperiode zu verabschieden. Für die Wichtigkeit von Prävention und Täterarbeit warb Isabella Spiesberger von der Bundesarbeitsgemeinschaft Täterarbeit HG e.V. Die zur Verfügung stehenden Strafrahmen würden schon jetzt nicht ausgeschöpft, weshalb eine Strafrahmenerhöhung nicht zielführend sei. Dies sah Dorothea Hecht von der Frauenhauskoordinierung e.V. ähnlich. „Strafverschärfungen sind nicht die Antwort auf Femizide und Gewalt an Frauen. Das Strafrecht setzt viel zu spät an. Die Verurteilung zum Mord macht eine getötete Frau nicht wieder lebendig“, so Hecht. Rainer Wendt von der Deutschen Polizeigewerkschaft betonte ebenfalls die Wichtigkeit von Opferschutz und Prävention. Er verwies auf die steigenden Opferzahlen und begrüßte daher die vorgeschlagenen Strafschärfungen. Er kritisierte, dass man jahrzehntelang „Verständnis und Nachsicht“ mit Tätern gehabt habe. Die Beauftragte für den Opferschutz des Landes Nordrhein-Westfalen, Barbara Havliza sprach sich für eine Stärkung der Hilfe- und Beratungsangebote für Opfer aus. Sie sah zudem Bedarf in der Ausweitung der psychosozialen Prozessbegleitung.