Die Entscheidung im Original finden Sie hier.
BGH, Beschl. v. 04.02.2021 – 4 StR 448/20: Endgültige Anordnung vorbehaltener Sicherheitsverwahrung (§ 66a Abs. 3 StGB)
Amtlicher Leitsatz:
Zu den Voraussetzungen der endgültigen Anordnung vorbehaltener Sicherungsverwahrung im Nachverfahren gemäß § 66a Abs. 3 StGB.
Sachverhalt:
Das LG Essen hat die vorbehaltene Sicherungsverwahrung gegen den Angeklagten im Nachverfahren angeordnet.
Nach den tatgerichtlichen Feststellungen habe der Verurteilte einen in seiner Persönlichkeit wurzelnden Hang zur Begehung von schwerwiegenden Raub- und Körperverletzungsdelikten, was ihn für die Allgemeinheit gefährlich mache. Die Verhältnismäßigkeit der Anordnung hatte das LG damit begründet, dass der Verurteilte für die von ihm ausgehende Gefahr weitestgehend selbst verantwortlich sei.
Entscheidung des BGH:
Der BGH hob das Urteil auf, da die tatgerichtlichen Erwägungen zur Gefährlichkeitsprognose lückenhaft seien.
Zu den Voraussetzungen der Anordnung vorbehaltener Sicherheitsverwahrung im Nachverfahren führte der Senat aus:
Eine Hangfeststellung sei in § 66a Abs. 3 Satz 2 StGB nicht gefordert, was sich aus dem klaren Wortlaut der Norm und dem Willen des Gesetzgebers ergebe, unter den sehr kontrollierten Bedingungen des Strafvollzugs gerade keine Anhaltspunkte für eine Hangfeststellung sammeln zu müssen. Dafür spreche auch, dass die vorbehaltene Sicherungsverwahrung als zweiaktiges Verfahren, bestehend aus dem Anordnungsverfahren und dem Nachverfahren, konzipiert sei. Die Frage des Hangs werde dabei vergangenheitsbezogen im Anordnungsverfahren behandelt. Je nachdem wie sicher sie beantwortet werden konnte, bestimmten sich die Anforderungen an die Gefährlichkeitsprognose im Nachverfahren, so der BGH.
Die Gefährlichkeitsprognose sei jedoch immer als umfassende Gesamtwürdigung aller prognostisch relevanten Umstände anzustellen. Also solche zählte der Senat beispielhaft auf: Täterpersönlichkeit, bisherige Legalbiographie, Haltungsänderungen durch fortschreitendes Alter, Erkrankungen des Verurteilten, Wirkungen des Strafvollzugs und etwaige dadurch bedingte Verhaltensänderungen bis zur Entscheidung des Gerichts im Nachverfahren, Wirkungen der Behandlungsangebote im Strafvollzug, konkrete Entlassungssituation und die Möglichkeit einer Gefährlichkeit mit flankierenden Auflagen und Weisungen oder Therapiemaßnahmen nach der Haft zu begegnen.
Insgesamt sei erforderlich, aber auch ausreichend, dass die Gefährlichkeitsprognose unter Einbeziehung neu hinzutretender prognoserelevanter Umstände seit Anordnung des Vorbehalts der Maßregel nunmehr eindeutig positiv begründbar sei.
Die diese Voraussetzungen erfüllenden tatsächlichen Umstände müssten in normaler Weise in den schriftlichen Urteilsgründen aufgeführt sein, also dergestalt, dass sie für das Revisionsgericht nachvollziehbar seien. Lediglich in den Fällen, in denen in der Ausgangsverurteilung sowohl Hang als auch Gefährlichkeit nur für wahrscheinlich gehalten worden seien, beständen erhöhte Darlegungsanforderungen, so der BGH. Dann sei im Einzelnen vollständig, lückenlos und nachvollziehbar darzulegen, dass und aufgrund welcher zusätzlichen Tatsachen das Gericht nun doch zu der positiven Feststellung gelangt, dass der Verurteilte für die Allgemeinheit gefährlich sei. Dabei dürften die schon aus dem Ausgangsverfahren bekannten Tatsachen nicht lediglich neu bewertet werden.
Diesen Anforderungen werde das Urteil des LG nicht gerecht, da nicht alle Anknüpfungstatsachen des Sachverständigengutachtens mittgeteilt würden sowie auch lückenlose und nachvollziehbare Feststellungen zum Haftverlauf des Verurteilten fehlten.
Anmerkung der Redaktion:
Dass eine solche vorbehaltene Anordnung der Sicherungsverwahrung selbst neben der Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe zulässig ist, entschied der BGH bereits 2018 (Beschl. v. 20.11.2018 – 4 StR 168/18).
Zu den Anforderungen an die Beweiswürdigung zur Gefährlichkeitsprognose bei einer solchen Anordnung im Nachverfahren äußerte er sich dann 2020 (Beschl. v. 01.07.2020 – 6 StR 175/20).