KriPoZ-RR, Beitrag 75/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Urt. v. 30.06.2020: 3 StR 377/18: § 105 Abs. 3 Satz 2 JGG beim Versuch und Verzicht auf Verwertungsverbot des § 252 StPO

Amtliche Leitsätze:

  1. Die Anwendung des Strafrahmens gemäß § 105 Abs. 3 Satz 2 JGG ist auch möglich, wenn der Mord nicht vollendet, sondern nur versucht ist.

  2. Zum (Teil-)Verzicht eines Zeugen auf das Verwertungsverbot des § 252 StPO.

Sachverhalt:

Das LG Lüneburg hat die Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und unerlaubter Ausübung der tatsächlichen Gewalt über Kriegswaffen verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatten die Angeklagten geplant den Nebenkläger zu töten, weil dieser eine Beziehung mit der Schwester des einen Angeklagten führt, was die beiden als Kränkung der Familienehre empfunden hatten.

Sie hatten das Opfer daraufhin vor die Tür gelockt, wo sie ihm mit einer Maschinenpistole in die Brust geschossen hatten, was der Nebenkläger jedoch letztlich überlebt hatte. Nur aufgrund von Ladehemmungen, konnten die Angeklagten ihren Plan nicht bis zum Ende ausführen.

Im Anschluss daran hatte der Nebenkläger im Krankenhaus gegenüber der Polizei und später dem Ermittlungsrichter eine Aussage getätigt. Nach der Heirat mit der Schwester des Angeklagten hatte er sich auf sein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 StPO berufen, jedoch die Verwertung seiner richterlichen Vernehmung gestattet, nicht aber die der polizeilichen Vernehmung. Das LG hat dennoch den Beweisantrag bezüglich der polizeilichen Vernehmung abgelehnt, da der Verzicht auf das Verwertungsverbot des § 252 StPO nicht die polizeiliche Vernehmung umfasse.

Entscheidung des BGH:

Diese Entscheidung bestätigte der BGH. Es sei unzulässig gewesen, die polizeiliche Vernehmung in den Prozess einzuführen, da sich der Nebenkläger wirksam auf sein Zeugnisverweigerungsrecht gem. § 52 StPO berufen habe und daher der Polizeibeamte nicht im Prozess vernommen werden durfte. § 252 StPO garantiere nicht nur einen Verzicht auf die Verlesung des Protokolls der Vernehmung, sondern auch auf eine Vernehmung der Verhörsperson im Prozess. Eine Entscheidung über die Möglichkeit eines (Teil-)Verzichts auf das Verwertungsverbot sei hier nicht geboten gewesen, da sich bei einer etwaigen Unwirksamkeit ein umfassendes Verwertungsverbot bezüglich der polizeilichen Vernehmung ergeben hätte. Dies ergebe sich daraus, dass der Zeuge nicht in Kenntnis der Reichweite seiner Entscheidung auf das Verwertungsverbot verzichtet habe. Im Gegenteil wollte er gerade von diesem Recht Gebrauch machen und keinen Zugriff auf alle früheren Aussagen zulassen. Sollte nun ein Teilverzicht rechtlich als unzulässig anzusehen sein, könne dieser Irrtum dem Zeugen nicht angelastet werden und im Zweifelsfall sei seine gesamte Aussage unverwertbar, so der BGH. Da das LG hier von einer Unverwertbarkeit der polizeilichen Vernehmung ausgegangen sei und die Verwertung der richterlichen Vernehmung nicht gerügt worden sei, müsse diese Streitfrage aber letztlich nicht entschieden werden.

Im Weiteren führte der BGH aus, dass die Anwendung des Strafrahmens des § 105 Abs. 3 Satz 2 JGG für den heranwachsenden Angeklagten nicht auf Bedenken stoße. Es entspreche der Regelungstechnik, dass ein Verweis auf eine Strafnorm auch ihren strafbaren Versuch und etwaige weitere Erscheinungsformen erfasse. Beispielsweise gelte die Zuweisung von Verbrechen des Mordes an das Schwurgericht gem. § 74 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 GVG auch für versuchte Morde.

Aus der Gesetzesbegründung ergebe sich nichts Anderes, sodass auch versuchte Mordstraftaten genauso schwer wiegen können, wie ein vollendeter Mord. Daher sei die Anwendung des § 105 Abs. 3 Satz 2 JGG unproblematisch möglich gewesen.

 

Strikte Beweisverwertungsverbote – Ein Gebot des Rechtsstaats

von RA Dr. Till Müller-Heidelberg, Wiss. Mit Mara Kunz, RiLG Dr. Holger Niehaus, unter Mitarbeit von Prof. Dr. Fredrik Roggan 

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Abstract
Im Koalitionsvertrag der CDU/CSU-SPD-Regierung vom 14. März 2018 heißt es unter der Überschrift „Pakt für den Rechtsstaat“ im Unterpunkt „Verfahrensrecht“, dass die Koalitionäre „die systematische Kodifizierung der Regeln zur Zulässigkeit von Beweiserhebung und -verwertung“ prüfen wollen. In der Tat zeigt ein Blick auf den gegenwärtigen Rechtszustand, dass Reformbedarf besteht. Ob der Gesetzgeber sein anspruchsvolles Vorhaben angehen oder gar umsetzen wird, darf mit Interesse verfolgt werden.

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