KriPoZ-RR, Beitrag 19/2021

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BVerfG, Beschl. v. 23.02.2021 – 2 BvR 1304/17: Klageerzwingungsverfahren ≠ Ermittlungserzwingungsverfahren

Leitsatz der Redaktion:

Gegenüber einem Klageerzwingungsverfahren ist ein Ermittlungserzwingungsverfahren nur in engen Ausnahmefällen zulässig und begründet.

Sachverhalt:

Das OLG Düsseldorf hat den Antrag des Beschwerdeführers auf Erzwingung weiterer Ermittlungsmaßnahmen nach § 172 Abs. 2 StPO abgelehnt.

Der Ablehnung lag folgendes Geschehen zugrunde:

Der Sohn des Beschwerdeführers war nach erheblichem Drogenkonsum randalierend von der Polizei aufgegriffen, in Bauchlage gefesselt und festgenommen worden. Bei der Festnahme war der Betroffene kollabiert und trotz Reanimationsversuchen später im Krankenhaus verstorben.

Die daraufhin vom Beschwerdeführer gestellte Anzeige gegen die handelnden Polizeibeamten hatte nicht zu einem Ermittlungsverfahren geführt, da nach Ansicht der StA Kleve ein Anfangsverdacht gegen die Polizeibeamten aufgrund des Obduktionsberichts und der Inaugenscheinnahme bestimmter Handyvideos nicht festzustellen gewesen sei. 

Die gegen diese Entscheidung gerichtete Beschwerde war von der Generalstaatsanwaltschaft zurückgewiesen worden.

Entscheidung des BVerfG:

Das BVerfG wies die Verfassungsbeschwerde als unzulässig zurück, da sie die Begründungsanforderungen nicht erfülle und die Zurückweisung des Antrags als unzulässig durch das OLG schon rechtmäßig erfolgt sei.

Ein Klageerzwingungsantrag sei grundsätzlich unzulässig, wenn in Bezug genommene Bestandteile in die Antragsschrift hineinkopiert würden. Der entscheidungserhebliche Sachverhalt müsse dem Gericht soweit wie möglich entscheidungsreif geliefert werden. An diesen Anforderungen müsse sich auch ein Ermittlungserzwingungsantrag als Sonderform des Klageerzwingungsantrags messen lassen, so das BVerfG.

Generell komme anstatt der Klageerzwingung eine bloße Ermittlungserzwingung nur in engen Ausnahmefällen in Betracht.

Von solch einem Ausnahmefall könne ausgegangen werden, wenn die Staatsanwaltschaft einen Anfangsverdacht aus Rechtsgründen ablehne und es deshalb unterlasse, den Sachverhalt vollständig aufzuklären.

Ein solcher Fall habe hier nicht vorgelegen, da die StA Kleve zwar (fälschlicherweise) einen Anfangsverdacht gem. § 152 Abs. 2 StPO abgelehnt habe, allerdings dennoch tatsächliche Ermittlungen geführt habe und danach zu einer Entlastung der beschuldigten Polizeibeamten gekommen war. Demnach habe es sich also um eine Einstellung mangels Tatverdachts gem. § 170 Abs. 2 StPO gehandelt. Diese sei jedoch sowohl von der StA als auch der GenStA tragfähig mit den Ermittlungsergebnissen begründet worden, sodass ein etwaiger Anspruch des Beschwerdeführers auf effektive Strafverfolgung aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und 2 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG nicht verletzt worden sei.

 

Anmerkung der Redaktion:

Bereits 2020 hatte das BVerfG entschieden, dass ein Anspruch auf effektive Strafverfolgung zur Anklageerhebung bzw. weiteren Ermittlungsmaßnahmen durch die Behörden verpflichten könne, wenn höchstpersönliche Rechtsgüter des Verletzten betroffen seien und die Einstellung des Verfahrens das Rechtsempfinden der Bevölkerung erheblich beeinträchtigen würde. Bei dem Tod des Verletzten stünde dieses Recht auch nahen Angehörigen, wie beispielsweisem den Eltern des Geschädigten, zu. Mehr dazu finden Sie im KriPoZ-RR, Beitrag 10/2020 und 05/2020.

 

KriPoZ-RR, Beitrag 10/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BVerfG, Beschl. v. 23.01.2020 – 2 BvR 859/17: Recht auf effektive Ermittlungen zum Vorwurf der fahrlässigen Tötung bei Suizid in psychiatrischer Klinik

Leitsatz der Redaktion:

Bestehen begründete Zweifel an einem psychiatrischen Gutachten, kann die Staatsanwaltschaft im Einzelfall aufgrund des Rechts auf effektive Strafverfolgung verpflichtet sein, ein Ergänzungsgutachten einzuholen.

Sachverhalt:

Die StA Nürnberg-Fürth hatte, bestätigt von der GenStA und dem OLG Nürnberg, ein Ermittlungsverfahren wegen des Vorwurfs der fahrlässigen Tötung gegen mehrere Ärzte einer psychiatrischen Klinik gem. § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.

Gegen diese Einstellung hatte sich der Beschwerdeführer, der der Vater der verstorbenen Patienten ist, gewendet.

Die verstorbene Patientin hatte sich seit 2003 wiederholt in psychiatrischer Behandlung befunden und immer wieder versucht, sich das Leben zu nehmen. Aufgrund einer diagnostizierten schizoaffektiven bzw. schizophrenen Störung, war die Frau seit dem 11. August 2011 in stationärer psychiatrischer Behandlung in einem Krankenhaus, in dem die beschuldigten Ärzte gearbeitet hatten.

Bei einem vom Oberarzt Dr. M. genehmigten unbewachten Ausgang auf dem Klinikgelände hatte sich die Patientin von einer Treppe gestürzt und sich so das Leben genommen. Daraufhin hatte der Vater den behandelnden Oberarzt und weitere Ärzte des Klinikums wegen fahrlässiger Tötung angezeigt. Die StA Nürnberg-Fürth hatte das daraufhin eingeleitete Ermittlungsverfahren eingestellt, da ein Gutachter keinen Behandlungsfehler hatte feststellen können. Die Gewährung des Ausgangs sei eine Abwägungsentscheidung im Einzelfall gewesen und es habe keine Gewissheit bestanden, dass die Entscheidung für den Suizid der Patientin ursächlich gewesen sei.

Aufgrund des Vorwurfs, der forensische Gutachter hätte ein Gefälligkeitsgutachten gestellt, hatte der Vater eine weitere Anzeige gegen den Gutachter erstattet. Auch dieses Verfahren ist von der StA eingestellt worden, wogegen sich der Beschwerdeführer ebenfalls mit seiner Verfassungsbeschwerde richtet.

Entscheidung des BVerfG:

Das BVerfG nahm die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gab ihr statt.

Nach Ansicht des Senats sei der Beschwerdeführer durch die Einstellungsentscheidung der StA und den bestätigenden Entscheidungen der GenStA und des OLG in seinem Recht auf effektive Strafverfolgung aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 iVm Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG und seinem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt.

Aus dem Grundgesetz folge ausnahmsweise ein Anspruch auf effektive Strafverfolgung gegen eine Dritte Person, wenn eine Verletzung der Rechtsgüter Leben, körperliche Unversehrtheit, sexuelle Selbstbestimmung und Freiheit vorliege, der Einzelne nicht in der Lage sei solche Straftaten abzuwehren und ein Verzicht auf eine effektive Strafverfolgung zu einer Erschütterung des Vertrauens der Öffentlichkeit in das Gewaltmonopol des Staates zur Folge hätte.

Diese Voraussetzungen seien hier gegeben. Auch dem Beschwerdeführer stehe, als Vater der Geschädigten, ein solcher Anspruch zu, da es sich bei dem Vorwurf der fahrlässigen Tötung um eine erhebliche Straftat gegen das Leben handele. Bei solchen erheblichen Straftaten gegen gewichtige Rechtsgüter, könne der Anspruch auf effektive Strafverfolgung auch durch enge Familienangehörige geltend gemacht werden, so das BVerfG.

Die Einschätzung des Sachverständigen, seien lückenhaft und widersprüchlich gewesen. Zum einen sei nicht belegt, dass ein beobachteter Ausgang das Vertrauen der Patientin erschüttert und so eine Therapie erschwert hätte. Ein solcher hätte den Suizid jedoch eventuell verhindern können. Zum anderen habe die StA nicht umfänglich aufgeklärt, ob die Patientin beim Verlassen der Station noch eigenverantwortlich hatte handeln können oder bereits zum Suizid entschlossen gewesen sei. Somit seien die Annahmen, die zur Einstellung des Ermittlungsverfahrens geführt hätten, teilweise spekulativ gewesen, so das BVerfG.

Schließlich sei der Beschwerdeführer auch in seinem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt, da das OLG den Antrag auf Weiterführung der Ermittlungen und Einholung eines Ergänzungsgutachtens an den Maßstäben zur Erhebung der öffentlichen Klage gemessen habe. Es habe also auf den genügenden Anlass (vgl. § 174 Abs. 1 StPO) abgestellt. Dem tatsächlich gestellten Antrag hätte jedoch bereits zugestimmt werden müssen, wenn der Sachverhalt in zentralen Punkten nicht hinreichend aufgearbeitet gewesen sei, so das BVerfG.

Damit sei die StA verpflichtet gewesen zumindest ein Ergänzungsgutachten in Auftrag zu geben, um den Suizid der Patientin hinreichend aufzuklären.

 

Anmerkung der Redaktion:

Bereits im Januar 2020 hatte das BVerfG einer Verfassungsbeschwerde wegen Verletzung des Anspruchs auf effektive Strafverfolgung stattgegeben. Auch bei diesem Verfahren hatte es sich um Ermittlungen gegen Ärzte einer psychiatrischen Klinik in Zusammenhang mit einer Zwangsfixierung gehandelt. Den entsprechenden KriPoZ-RR Beitrag finden Sie hier.

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 05/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BVerfG, Beschl. v. 15.01.2020 – 2 BvR 1763/16: Begründete Verfassungsbeschwerde gegen die Einstellung eines Ermittlungsverfahrens, das eine Zwangsfixierung zum Gegenstand hatte

Leitsatz der Redaktion:

Unterlässt es ein Gericht, die durch eine Fixierung entstandenen Tatfolgen gewissenhaft aufzuklären, um eine staatsanwaltschaftliche Einstellung gemäß § 153 Abs. 1 Satz 2 StPO zu überprüfen, verletzt es damit den Anspruch auf effektive Strafverfolgung des Fixierten aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG.

Sachverhalt:

Die Beschwerdeführerin war vom Pferd gestürzt und aufgrund dieses Unfalls in die Universitätsklinik in Kiel eingeliefert worden. Dort war ein Schädel-Hirn-Trauma diagnostiziert und die Patientin zur weiteren Beobachtung stationär aufgenommen worden.

Gegen ärztlichen Rat hatte sie am nächsten Morgen das Krankenhaus verlassen wollen, was von zwei herbeigerufenen Polizeibeamten verhindert worden war. Gegen ihren Willen war die Beschwerdeführerin dann aufgrund ärztlicher Anordnung an ihr Krankenbett fixiert worden. Ein Amtsarzt ordnete anschließend die weitere zwangsweise Fixierung und Beobachtung in der Neurologie des Universitätsklinikums nach dem schleswig-holsteinischen PsychKG an. Diese Anordnung war von einer Richterin am AG genehmigt worden. Die Einweisung und Fixierung der Patientin gegen ihren fehlerfrei gebildeten Willen war rechtswidrig gewesen, was später vom LG und VG Kiel festgestellt worden war.

Aufgrund dieses Vorgangs hatte die Beschwerdeführerin später Anzeige gegen den behandelnden Stationsarzt, einen Pfleger, den herbeigerufenen Amtsarzt und die Richterin am AG gestellt.

Alle daraufhin eröffneten Ermittlungsverfahren waren von der StA eingestellt worden. Gegen diese Einstellungsentscheidung und die im Klageerzwingungsverfahren erlassenen nicht abhelfenden Beschlüsse hat die Beschwerdeführerin das BVerfG angerufen.

Entscheidung des BVerfG:

Das BVerfG gab der Verfassungsbeschwerde statt und sah es als begründet an, dass die Beschwerdeführerin durch die staatsanwaltschaftlichen Einstellungsentscheidungen und die bestätigenden gerichtlichen Beschlüsse  in ihrem Recht auf effektive Strafverfolgung aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt worden ist.

Zwar bestehe in der deutschen Rechtsordnung grundsätzlich kein Anspruch auf die Strafverfolgung eines Dritten. In Ausnahmefällen – z.B. bei erheblichen Straftaten gegen das Leben, die persönliche Freiheit oder die körperliche Unversehrtheit – könne sich ein solcher Anspruch jedoch als Konkretisierung der staatlichen Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG ergeben.

Dies sei nötig, da in solchen Fällen nur durch eine effektive Strafverfolgung das Vertrauen des Einzelnen in das Gewaltmonopol des Staates bewahrt werden könne. Eine unterbleibende Strafverfolgung würde ansonsten zu einem allgemeinen Klima der Rechtsunsicherheit führen, so das BVerfG.

Einen Anspruch auf Erhebung der öffentlichen Klage, könne aus diesem Grundrecht jedoch nicht zwingend abgeleitet werden. Das effektive und ergebnisoffene Führen eines Ermittlungsverfahrens sei in den meisten Fällen ausreichend.

Da sich das OLG im vorliegenden Fall nicht im gebotenen Umfang mit den tatsächlichen Voraussetzungen der Einstellung durch die StA nach § 153 StPO und § 170 Abs. 2 StPO befasst habe, sei dadurch der Anspruch der Beschwerdeführerin auf effektive Strafverfolgung verletzt worden.

Das Gericht habe weder die im Rahmen des § 153 StPO erforderlichen lediglich geringen Tatfolgen hinreichend festgestellt, noch habe es bei der Auslegung des Merkmals des öffentlichen Verfolgungsinteresses den möglicherweise bestehenden Anspruch auf effektive Strafverfolgung der Beschwerdeführerin berücksichtigt.

Diese Tatsachenfragen hätten im Klageerzwingungsverfahren durchaus der Prüfungskompetenz des OLG unterlegen.

Lediglich in Bezug auf die Richterin am AG sei die Verfassungsbeschwerde offensichtlich unbegründet, da die richterliche Entscheidung nicht den Tatbestand der Rechtsbeugung erfüllt habe.

 

Anmerkung der Redaktion:

Im Juli 2018 hatte das BVerfG entschieden, dass die 5-Punkt- sowie 7-Punkt-Fixierung von nicht nur kurzer Dauer eine Freiheitsentziehung darstelle, die nur aufgrund einer richterlichen Anordnung zulässig sei.

Das Urteil finden Sie hier.

Daraufhin wurde das „Gesetz zur Stärkung der Rechte von Betroffenen bei Fixierungen im Rahmen von Freiheitsentziehungen“ erlassen und auf Länderebene wurden die verschiedenen PsychKG angepasst. Informationen zu den Gesetzesvorhaben und eine Übersicht bezüglich der verschiedenen Bundesländer finden Sie hier und hier.

 

 

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