Die Entscheidung im Original finden Sie hier.
BGH, Urt. v. 24.04.2019 – 1 StR 81/18: Keine Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung bei Besitzbegründung nach Beendigung des Verbringungsvorgangs
Amtlicher Leitsatz:
Nur der vor Beendigung des Verbringungsvorgangs erlangte Besitz an unversteuerten Tabakwaren kann die Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO i.V.m. § 23 Abs. 1 Satz 3 TabStG begründen; der nach Beendigung des Verbringungsvorgangs begründete Besitz an unversteuerten Tabakwaren wird durch den Tatbestand der Steuerhehlerei (§ 374 Abs. 1 AO) strafrechtlich erfasst (Fortführung von BGH, Urteil vom 2. Februar 2010 –1StR 635/09 zu § 23 Abs. 1 Satz 2 TabStG nF).
Sachverhalt:
Das LG Lübeck hat die Angeklagten wegen versuchter Steuerhehlerei verurteilt.
Der Angeklagte P hatte nach den tatrichterlichen Feststellungen im Oktober 2016 zwei Container an den Bekannten V seines Freundes K vermietet, der darin ohne Wissen des Angeklagten unversteuerte Zigaretten russischer Herkunft eingelagert hatte. Im Dezember 2016 war er dann von seinem Freund K gebeten worden beim Transport der Zigaretten zu helfen. Spätestens ab diesem Zeitpunkt war ihm bekannt gewesen, was in seinem Container gelagert worden war. Dennoch hatte der Angeklagte P im Januar 2017 als Fahrer des Transport-LKW zusammen mit dem Mitangeklagten J bei der Verbringung der Zigaretten geholfen. Während dieses Transports waren die Zigaretten vom Zoll entdeckt worden.
Gegen das Urteil des LG hat der Angeklagte P Revision eingelegt. Die Staatsanwaltschaft hat zudem zuungunsten beider Angeklagten Revision eingelegt, da sie eine Verurteilung wegen Steuerhinterziehung durch Unterlassen nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO i.V.m. § 23 Abs. 1 Satz 2 und 3 TabStG oder § 370 Abs. 1 Nr. 3 AO als verwirklicht angesehen hat.
Entscheidung des BGH:
Der BGH änderte den Schuldspruch der beiden Angeklagten zu Beihilfe zur versuchten Steuerhehlerei (§ 374 Abs. 1 Var. 4, Abs. 3 AO, §§ 22, 23, 27 StGB).
Zur Revision des Angeklagten P führte der Senat aus, dass das Verhalten des P gerade nicht darauf gerichtet gewesen sei dem Vortäter der Steuerhinterziehung V Absatzhilfe zu leisten, sondern lediglich den K bei seiner Hilfe für V zu unterstützen. Für eine Absatzhilfe i.S.d. § 374 Abs. 1 Var. 4 AO sei es erforderlich, dass sich der Täter an den Absatzbemühungen des Vortäters (hier V) oder eines Zwischenhehlers in dessen Interesse und auf dessen Weisung unselbstständig beteilige und dadurch im Lager des Vortäters stehe. Werde allerdings nicht der Vortäter, sondern lediglich ein Absatzhelfer unterstützt, wie in diesem Fall, handele es sich nur um eine Beihilfe zu dessen Tat.
Auch das Wissen um die und Billigen von der notwendigerweise verwirklichten Unterstützung des V durch Ps Handlung rechtfertige keine andere Bewertung, da diese zwangsweise während der Hilfe für K mitverwirklicht worden sei und es zudem am Einvernehmen zwischen P und dem ihm unbekannten V gefehlt habe, so der BGH.
Auch die Revision der Staatsanwaltschaft führe nicht zu einer Verschärfung der Urteile gegen die Angeklagten, denn eine Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung durch Unterlassen sei nicht gegeben.
Es fehle an einer Strafbewehrung etwaiger verbrauchssteuerlicher Erklärungspflichten nach Beendigung des Verbringungsvorgangs, denn nur wer vorsätzlich seine Verpflichtung, eine Steuererklärung über ins Steuergebiet verbrachte Tabakwaren abzugeben, verletze und dadurch Steuern nicht abführe, mache sich wegen Hinterziehung der Tabaksteuer strafbar.
In diesem Fall hätten die Angeklagten den Besitz an den Zigaretten allerdings erst erlangt, nachdem der Verbringungsvorgang in deutsches Steuergebiet bereits beendet gewesen sei. Dadurch seien sie nicht Steuerschuldner nach § 23 Abs. 1 Satz 2 TabStG geworden, was somit auch keine Pflicht zur Abgabe einer Steuererklärung ausgelöst haben könne.
Steuerschuldner werde nur, wer als Lieferant oder sonstiger Beteiligter vor Beendigung des Verbringungsvorgans Besitz an den Tabakwaren erlangt habe, was sich aus dem Wortlaut und der Systematik des § 23 Abs. 1 Satz 2 TabStG ergebe. Da die Norm auf den Satz 1 bezugnehme, der die Entstehung des Steueranspruchs bei Verbringung der Tabakwaren ins Steuergebiet und erstmaliger Besitzbegründung regle, sei ersichtlich, dass mit Besitz i.S.d. § 23 Abs. 1 Satz 2 TabStG nur ein Besitz im Zusammenhang mit dem Verbringungsvorgang nach Satz 1 gemeint sein könne.
Dies stehe auch im Einklang mit der historischen und teleologischen Auslegung der Norm, denn sowohl die Richtlinie 92/12/EWG als auch die neue Systemrichtlinie (2008/118/EG), auf denen § 23 TabStG beruhe, bezweckten eine effektive, sichere und einheitliche Durchsetzung des Verbrauchsteueranspruchs in den Mitgliedstaaten. Zu diesem Zweck regle die Systemrichtlinie in Art. 33 Abs. 3, dass derjenige Steuerschuldner sei, der die Lieferung der Waren vornimmt oder in dessen Besitz sich die Waren bei der Lieferung befinden.
Schließlich ließe diese Auslegung auch keine Strafbarkeitslücken entstehen, da derjenige, der Tabakwaren illegal ins Steuergebiet verbringe nach § 370 Abs. 1 Nr. 3 AO strafbar sei. Derjenige, der die Waren nicht selbst ins Steuergebiet verbringe aber vor Beendigung des Verbringungsvorgangs Besitz begründe, nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO i.V.m. § 23 Abs. 1 Satz 2 und 3 TabStG und derjenige, der den Besitz erst nach Beendigung des Vorgangs begründe, über den Tatbestand der Steuerhehlerei nach § 374 Abs. 1 Var. 1, 2 AO.
Anmerkung der Redaktion:
Die neue Systemrichtlinie finden Sie hier.