Maren Beck: Die DNA-Analyse im Strafverfahren. De lege lata und de lege ferenda

von Prof. Dr. Michael Jasch

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Nomos-Verlag, Baden-Baden 2015, ISBN: 978-3848727063, S. 375, Euro 98.-.

Seit nunmehr 20 Jahren ist die Analyse und Verwertung menschlicher DNA-Spuren im deutschen Strafprozessrecht schon geregelt. Doch die Kontroversen um die rechtliche Ausgestaltung dieser strafprozessualen Maßnahme reißen nicht ab. Das ist verständlich und hat seine Gründe. Denn einerseits wird der Auswertung von DNA ein extrem hoher kriminalistischer Beweiswert zugesprochen, andererseits besteht gerade deshalb die Gefahr der Fehlinterpretation aufgefundener Spuren. Zudem zählen die Informationen im Trägermaterial des individuellen Erbgutes zu den persönlichsten und sensibelsten Daten, über die eine Person verfügt. Nicht nur bei staatlichen Strafverfolgern, sondern auch bei Versicherungen und Unternehmen der Privatwirtschaft stoßen diese Daten auf ein großes Interesse. In diesem Spannungsfeld zwischen dem staatlichen Strafverfolgungsinteresse, den elementaren Grundrechten der Betroffenen und den Missbrauchsgefahren wird das Auffinden der verfassungsrechtlich optimalen Regelung durch kriminalpolitische Begehrlichkeiten nicht gerade vereinfacht: Von der Idee einer Totalerfassung eines Teiles der Bevölkerung bis zu der Mahnung zu einem möglichst restriktiven Umgang mit der DNA reicht hier das Spektrum der teilweise populistischen Forderungen. 

Zu einer Versachlichung dieser Debatte beizutragen gehört zu den zentralen Zielen der Münsteraner Dissertation von Maren Beck. Dem sehr generell und sachlich formulierten Titel „Die DNA-Analyse im Strafverfahren. De lege lata et de lege ferenda“ wird die Arbeit vollkommen gerecht: Die Verfasserin unterzieht sämtliche Regelungen sowohl der DNA-Analyse in gegenwärtigen als auch für künftige Strafverfahren, der Speicherung dieser Daten sowie des genetischen Massentests einer eingehenden dogmatischen Analyse. Sich auf die verfahrensrechtliche Perspektive zu beschränken reicht ihr aus gutem Grund jedoch nicht aus. Gerade die Unkenntnis über die Möglichkeiten und Techniken der Molekulargenetik führe heute zu unklaren oder fehlerhaften Positionen hinsichtlich der rechtlichen Ausgestaltung dieser Ermittlungsmethode im Strafverfahren, meint die Autorin. Nur eine interdisziplinäre Perspektive könne daher zu einer sachlich fundierten Auseinandersetzung mit den relevanten Normen der StPO beitragen. Daher bedient sie sich einiger Arbeiten auf dem Gebiet der Molekulargenetik und zusätzlicher Informationen, die sie in einem Expertengespräch mit einer forensischen Naturwissenschaftlerin erhalten konnte, um diese für eine Kritik der geltenden Rechtslage fruchtbar zu machen.

Gerade diese Auseinandersetzung mit dem aktuellen Stand der molekulargenetischen Forschung führt die Verfasserin dazu, der Rechtsprechung und überwiegenden Rechtslehre in einem zentralen Punkt zu widersprechen: Die tradierte Unterscheidung zwischen codierenden und nicht-codierenden DNA-Abschnitten als entscheidende Grenze für die strafprozessuale Verwertbarkeit einer Beweiserhebung könne künftig nicht mehr aufrechterhalten werden, meint Maren Beck. Gestützt auf aktuelle Forschungsergebnisse im Bereich der Molekulargenetik legt die Verfasserin dar, dass heute auch bestimmte nicht-codierende Bereiche der DNA keinesfalls bloße „Junk-DNA“ darstellen. Vielmehr würden bei Betrachtung des TH01-Markers etwa deutliche Zusammenhänge zwischen diesen DNA-Bereichen und dem Risiko eines Menschen für neuropsychiatrische Erkrankungen und einem sehr frühen Herztod in der Fachwelt diskutiert. Auch eine Veranlagung zum plötzlichen Kindstod sei bereits seit 2008 anhand dieses Markers festzustellen, wobei die Verfasserin einräumt, dass dieses Krankheitsbild wohl kaum bei Tatverdächtigen in Ermittlungsverfahren anzutreffen sei. Während also nicht codierenden Bereichen durchaus Informationen entnommen werden könnten, die dem Persönlichkeitskern zuzuordnen sind, seien umgekehrt anhand des codierenden DNA-Bereich auch Merkmale zu erkennen, die die Intimsphäre eines Menschen überhaupt nicht betreffen. So verhalte es sich mit den äußeren Merkmalen einer Person wie der Augen- oder Haarfarbe, die nicht geheim gehalten werden könnten und daher der unantastbaren Intimsphäre nicht zuzuordnen seien.

Die Unterscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 103, 21), das allein die Analyse der codierenden DNA als dem Kernbereich der Person und damit als absolut unzulässigen Eingriff in die grundgesetzlich garantierte Menschenwürde einstuft, sei damit hinfällig. Angesichts der heutigen naturwissenschaftlichen Möglichkeiten wäre es angemessener, diese Unterscheidung aufzugeben und im Hinblick auf den Schutz der betroffenen Personen allein anhand der Sensibilität der jeweils gewonnenen Informationen zu differenzieren. Eine derartige Einzelfallbetrachtung würde die forensische Arbeit künftig jedoch nicht unbedingt einfacher machen.

Hinsichtlich der Untersuchung von aufgefundenem Spurenmaterial spricht sich Beck folglich dafür aus, künftig auch äußere Merkmale des Spurenverursachers wie dessen Haar- und Augenfarbe sowie seine ethnische Zugehörigkeit anhand des DNA-Materials bestimmen zu dürfen (S. 340), wie es in den Niederlanden und den USA bereits möglich ist. Konsequent werden auch die potentiell positiven Auswirkungen einer solchen Möglichkeit auf die heikle Problematik der DNA-Reihenuntersuchungen gemäß § 81 h StPO gesehen: Sind erst einmal phänomenologische Merkmale einer gesuchten Person bekannt, so könnte auch der Adressatenkreis und damit die Streubreite einer Reihenuntersuchung von Anfang an deutlich eingegrenzt werden. Eine dadurch verbesserte Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes wäre insbesondere dann wichtig, wenn sich der Gesetzgeber de lege ferenda für eine Abschaffung der Freiwilligkeit einer Teilnahme an derartigen Massenuntersuchungen entscheiden sollte – wofür sich die Verfasserin ausspricht.  

Nicht überzeugend ist allerdings die Forderung der Verfasserin nach einer Streichung des Richtervorbehalts (§ 81 f StPO) für molekulargenetische Untersuchungen in laufenden Ermittlungen gemäß § 81 e StPO. Der Gesetzgeber sollte, so meint sie, „de lege ferenda von Schutzvorschriften absehen, die das Verfahren unnötig verlängern und verkomplizieren, aber keinen rechtsstaatlichen Gewinn veranlassen“ (S. 341).  Weder die historische Auslegung des Gesetzes noch die Betrachtung der Eingriffsintensität oder des Prüfungsumfanges würden die Beteiligung des Richters in diesem Fall erforderlich machen. Den Sorgen in der Bevölkerung über einen potentiellen Eingriff in die Kernbereichsinformationen der Person könne eher mit einer besseren Aufklärung über den Ablauf des Verfahrens und der Untersuchung, insbesondere die Zweckbindungsklausel, begegnet werden. Mit anderen unter dem Richtervorbehalt stehenden Maßnahmen der Strafprozessordnung sei die DNA-Analyse nicht vergleichbar. So würde diese in wesentlich geringerem Maße in die Privatsphäre des Betroffenen eingreifen als etwa die akustische Wohnraumüberwachung. Gleichzeitig will Beck die besondere Eilkompetenz von Staatsanwaltschaft und Polizei mit dem plausiblen Argument streichen, zu einer realen Eilbedürftigkeit der DNA-Analyse könne es praktisch nie kommen, nachdem es bereits zuvor zu einer Entnahme von Körperzellen unter Beachtung der Voraussetzungen des § 81 a StPO gekommen ist. Insgesamt läuft diese Position darauf hinaus, die DNA-Analyse in laufenden Strafverfahren allein einer exekutiven Anordnungskompetenz zu unterstellen und damit die in den vergangenen Jahren ohnehin schon deutlich ausgeweitete Verpolizeilichung des Ermittlungsverfahrens weiter voran zu treiben. Wenig berücksichtigt wird hier leider die grundsätzliche Bedeutung einer Überwachung des Ermittlungsverfahrens durch einen unabhängigen, nicht von eigenen Ermittlungsinteressen geleiteten Richter, die durchaus einem „rechtsstaatlichen Gewinn“ gleichkommt. Diskutiert werden hätte hier auch, ob der Wegfall des Richtervorbehaltes wegen der damit einhergehenden Verfahrenserleichterung nicht zu einer erheblichen Zunahme von Grundrechtseingriffen dieser Art durch Polizei und Staatsanwaltschaft führen würde – und ob dies wünschenswert sein kann.        

Anders beurteilt die Verfasserin den Richtervorbehalt bei DNA-Erhebungen für die Zwecke künftiger Strafverfahren gemäß § 81 g StPO. Aufgrund der Speicherung dieses Musters in der Datenbank des Bundeskriminalamtes sei diese Maßnahme als deutlich eingriffsintensiver einzuschätzen und daher am Richtervorbehalt festzuhalten. Reformbedürftig erscheinen der Autorin jedoch unter anderem die sehr weiten Anordnungsvoraussetzungen der Analyse. Insbesondere die Möglichkeit, eine DNA-Speicherung auch bei wiederholt begangenen, aber nur geringfügigen Anlasstaten, die „im Unrechtsgehalt einer Straftat von erheblicher Bedeutung gleichstehen“ (§ 81 Abs. 1 Satz 2 StPO), sollte aus dem Gesetz gestrichen werden da einerseits ein Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz vorliege, andererseits die Gleichstellung von qualitativem Unrecht und quantitativer Deliktsbegehung mit dem System des Straf- und Strafverfahrensrecht nicht vereinbar sei (S. 342). Zudem sei diese umfangreiche Speicherungsmöglichkeit der DNA-Profile von Wiederholungstätern im Bereich der geringfügigen und mittelschweren Kriminalität auch kriminologisch nicht begründbar, stellt Beck zu Recht fest. 

Sehr ermittlungsfreundlich positioniert sich Maren Beck in Bezug auf den so genannten DNA-Massentest. Die Reihenuntersuchung gem. § 81 h StPO möchte sie de lege ferenda als Zwangsmaßnahme ausgestalten, da sich nach ihrer Einschätzung die Effektivität dieser Ermittlungsmaßnahme und die Freiwilligkeit einer Teilnahme an ihr gegenseitig ausschließen würden (S. 295). Diese Position ist insofern überraschend, als der Kreis der Tatverdächtigen auch bei freiwilligen Massentests durch diese Maßnahme immerhin erheblich eingeschränkt werden kann und sich in der Ermittlungspraxis bislang stets eine extrem hohe Teilnahmebereitschaft in der Bevölkerung gezeigt hat, sobald die Strafverfolgungsbehörden einen Massentest angekündigt haben. Doch die Verfasserin versucht nachzuweisen, dass eine gesetzliche Verpflichtung zur Teilnahme weder gegen die Unschuldsvermutung noch gegen die Menschenwürde verstößt und überdies mit der Systematik der StPO kompatibel ist. Da die Ermittlungsmaßnahme nach geltendem Recht ohnehin nur bei besonders schweren Verbrechen zulässig ist, sei sie auch als Zwangsmaßnahme mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vereinbar.

Bei der gesetzlichen Regelung von „Beinahetreffern“, bei denen ein DNA-Test auf die Spur eines leiblichen Verwandten des Teilnehmers an einer Reihenuntersuchung führt (dazu: BGH NStZ 2013, 242; BVerfG 2 BvR 616/13), spricht sich Beck allerdings klar gegen eine Verwertung dieser Analyseergebnisse aus (S. 343). Darin läge eine bedenkliche Umgehung des Zeugnisverweigerungsrechts von Angehörigen. Zudem sei die Verwertung von lediglich ähnlichen DNA-Profilen auch aus naturwissenschaftlicher Sicht abzulehnen, da hier mit mehr Ungenauigkeiten gearbeitet werden würde. Die Bundesregierung geht mittlerweile in beiden Fragen einen anderen Weg als Beck ihn vorschlägt: Zumindest der im Juni 2016 vorgestellte Referentenentwurf des Justizministeriums für ein Gesetz zur effektiveren Ausgestaltung des Strafverfahrens sieht weiterhin eine Freiwilligkeit des Tests vor, erstreckt diesen jedoch auf Verwandte gerader Linie sowie in der Seitenlinie bis zum dritten Grad.

Maren Beck hat mit ihrer Studie eine ausgesprochen detailreiche und argumentativ vielschichtige Arbeit über das gesamte Regelungssystem der DNA-Untersuchung vorgelegt. Der von ihr erarbeitete Gesetzesvorschlag skizziert ein gut durchdachtes, wenn auch im Hinblick auf die Ausweitung exekutiver Befugnisse zu weitgehendes System der DNA-Analyse. Die Arbeit ist jedem zu empfehlen, der sich rechtswissenschaftlich mit dieser umstrittenen Ermittlungsmethode auseinandersetzt. Darüber hinaus bietet insbesondere der naturwissenschaftliche Teil auch allen Praktikern im Bereich der Justiz und der Ermittlungsbehörden einen wertvollen Überblick über die Technik und die aktuellen Möglichkeiten der forensischen DNA-Analyse. Mag man auch mit einigen Positionen, die eine Präferenz für das Strafverfolgungsinteresse gegenüber den Bürgerrechten erkennen lassen, nicht übereinstimmen, so bietet dieses Werk doch einen ausgesprochen wertvollen Fundus an Argumenten und Informationen über den Streitstand und die Problematik der DNA-Analyse für die Zwecke der Strafverfolgung.

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