Gesetzentwürfe:
- Gesetzentwurf der Fraktion die LINKE: BT Drs. 19/1689
- Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses: BT Drs. 19/14483
Am 19. April 2018 brachte die Fraktion die Linke einen Gesetzentwurf zur Streichung der Ersatzfreiheitsstrafe in den Bundestag ein (BT Drs. 19/1689).
Die Ersatzfreiheitsstrafe sei in ihrer aktuellen Konzeption ein Instrument der Diskriminierung von Einkommens- und vermögensschwachen Menschen. Da Strafe in der heutigen Rechtspraxis kein Selbstzweck sein darf, seien sämtliche Strafzwecke wie Resozialisierung, Schuldausgleich und Prävention in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen. Insbesondere die freiheitsentziehende Strafe komme als ultima-ratio nur dann in Betracht, wenn andere Mittel nicht hinreichend wirksam sind.
Ersatzfreiheitsstrafen werden überwiegend wegen Bagatelldelikten – wie bspw. „Schwarzfahren“ – gegen mittellose Personen verhängt, wenn diese die entsprechende Geldstrafe nicht zahlen können. Daher sei es notwendig, die Armutsdelikte künftig verstärkt mit sozialstaatlichen Maßnahmen zu begegnen. Dadurch könnten auch die Justizvollzugsanstalten entlastet werden.
Am 28. Juni 2018 debattierte der Bundestag erstmals über den Entwurf. Im Anschluss wurde er an den federführenden Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz überwiesen. Dort wurde der Entwurf schließlich am 20. Februar 2019 beraten.
Am 3. April 2019 fand im Rechtsausschuss eine öffentliche Anhörung statt. Eine Liste der Sachverständigen und deren Stellungnahmen finden Sie hier. Die Mehrheit der Experten sprach sich gegen eine Aufhebung der Ersatzfreiheitsstrafe aus. So wies Rechtsanwalt Ali Norouzi darauf hin, dass der Gesetzentwurf zwar auf den ersten Blick sympathisch sei, er aber eine Antwort auf die Frage schuldig bliebe, was als Alternative zur Verfügung stehe, wenn der zur Geldstrafe Verurteilte nicht fähig oder willens sei, eine gemeinnützige Arbeit zu übernehmen. Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Kubiciel betonte, dass mit dem Gesetzentwurf kein gleichwertiger Ersatz geschaffen werde. Die vorgeschlagene Alternative zur freiwilligen gemeinnützigen Arbeit verliere zudem an Strafcharakter. Gleichzeitig kritisierte er – ebenfalls wie der Entwurf – den Umrechnungsquotienten, nach dem ein Tagessatz der Geldstrafe einem Tag Ersatzfreiheitsstrafe entspricht. Hier sei eine Reduktion des Quotienten angebracht. Frank Rebmann von der Staatsanwaltschaft Heilbronn erklärte, die Ersatzfreiheitsstrafe sei ein unersetzliches und hochwirksames Instrument zur Realisierung der Geldstrafe. Ohne diese Möglichkeit bliebe das Strafrecht ein „zahnloser Tiger“, wenn eine Gruppe von vermögens- und einkommenslosen sowie arbeitsunfähigen oder -unwilligen Verurteilten im Ergebnis straffrei ausgingen. OStA Lars Burgard und Richter am BGH Prof. Dr. Markus Jäger sahen darin ebenfalls eine Preisgabe des staatlichen Strafanspruchs. Wegen einer faktischen Sanktionslosigkeit sei dadurch schon die Normgeltung vieler Straftatbestände gefährdet. Prof. Dr. Alexander Baur von der Universität Hamburg sprach sich ebenfalls gegen eine Streichung der Ersatzfreiheitsstrafe aus, plädierte aber für eine sinnvolle und konsequentere Anwendung des Opportunitätsprinzips. Bagatellkriminalität sollte auch nur dann verfolgt werden, wenn eine strafrechtliche Sanktionierung geboten sei.
Uwe Meyer-Odewald, Leiter der JVA Plötzensee, sprach sich für den Entwurf zur Streichung der Ersatzfreiheitsstrafe aus. Gemeinnützige Arbeit sei der Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe grundsätzlich vorzuziehen, da die derzeitige Lösung zulasten des Justizvollzuges und am Bedarf der Betroffenen vorbei gehe. Eine Justizvollzugsanstalt könne keine intensive Betreuung leisten, die aber für viele Einsitzende nötig sei. Zudem bestehe ein Ungleichgewicht zwischen den rund 150 EUR Kosten der JVA pro Tag und den Tagessätzen von 10 bis 15 EUR. Nicole Bögelein vom Institut für Kriminologie der Universität Köln gab zu bedenken, dass die Ersatzfreiheitsstrafe aus einem sozialen Problem resultiere. Menschen dürften schließlich nicht aus Armutsgründen im Gefängnis landen.
Auf die Frage nach einer Lösung der Problematik, konnte keiner der Experten einen „Königsweg“ nennen. Es seien persönliche Lösungen für Menschen mit persönlichen Problemen gefragt und eine Härtefallregelung bei unverschuldeter Zahlungsunfähigkeit.
Am 24. Oktober 2019 sprach sich der Rechtsausschuss in seiner Beschlussempfehlung gegen den Entwurf der Fraktion Die Linke aus (BT Drs. 19/14483). Ein entsprechender Beschluss wurde am 23. Juni 2021 ohne weitere Aussprache durch den Bundestag in einer abschließenden Beratung gefasst.