Johann Sieber: Sanktionen gegen Wirtschaftskriminalität. Eine vergleichende Untersuchung der repressiven, präventiven und schadenskompensierenden Normensysteme zur Verhinderung von Wirtschaftskriminalität in Unternehmen

von Prof. Dr. Anja Schiemann 

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2018, Duncker & Humblot, Berlin, ISBN: 978-3-428-15476-0, S. 577, Euro 109,90.

Vor dem aktuellen kriminalpolitischen Hintergrund, dass das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz in diesem Jahr einen Referentenentwurf zum Verbandssanktionenrecht vorlegen wird, ist die Dissertation von Sieber hochinteressant. Denn in diesem umfassenden Werk werden die Grundlagen und Zusammenhänge des deutschen Sanktionensystems im Hinblick auf Wirtschaftskriminalität ermittelt, um Sanktionsdefizite zu benennen und die erforderlichen Fortentwicklungen anzustoßen (S. 40).

Dazu wird in einem ersten Schritt der Frage nach den historischen Ursprüngen und zentralen Entwicklungen der Wirtschaftskriminalität und des Wirtschaftsstrafrechts nachgegangen. Dieser historische Rückblick verdeutlicht das Spannungsfeld aus rein reaktiver Regulierung einerseits und liberal orientierter Zurückhaltung andererseits. In welche Richtung der Gesetzgeber tendiert, hängt laut Verfasser entscheidend von äußeren Faktoren wie der Stabilität der wirtschaftlichen Lage, den Veränderungen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen aber auch aktuellen gesellschaftlichen Faktoren ab (S. 90). Sieber kritisiert, dass sich der Gesetzgeber bei der Wahl der Mittel zur Wirtschaftssteuerung und zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität hauptsächlich des Sanktionsinstrumentariums des Strafrechts bedient habe. Wegen des ultima-ratio-Gedankens sei diese Wahl bedenklich, soweit zivil-, verwaltungs- oder ordnungswidrigkeitenrechtliche Reglementierungen gleichermaßen der Wirtschaftskriminalität entgegenwirken könnten. Insofern macht es sich der Verfasser zur Aufgabe, eine vergleichende Betrachtung der Sanktionierungsmöglichkeiten gegen wirtschaftskriminelles Fehlverhalten anzustellen, um so die Forschungslücke in Bezug auf außerstrafrechtliche Bekämpfungsmöglichkeiten der Wirtschaftskriminalität zu schließen (S. 97).

Dazu analysiert Sieber in seinem Hauptkapitel der Dissertation die unterschiedlichen Regelungssysteme und ihre Sanktionsmöglichkeiten (S. 98-393). Er beginnt mit dem Kriminalstrafrecht und arbeitet heraus, dass sich Kriminalsanktionen zur Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität mit diversen Schwierigkeit konfrontiert sehen. So begegnen zum einen die bekannten strafrechtlichen Zurechnungskategorien bei der Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität erheblichen Problemen. Zum anderen werden der Unterlassungshaftung im Unternehmensbereich enge Grenzen gesetzt.

Da sich die Begründung individueller strafrechtlicher Verantwortlichkeit im Unternehmenskontext als problembehaftet und schwierig darstelle, sei es umso wichtiger, bei der Sanktionierung von Wirtschaftskriminalität verstärkt auf spezifisch gegen Unternehmen gerichtete Maßnahmen zurückzugreifen.

Im Ordnungswidrigkeitenrecht schließe § 130 OWiG effektiv die Zurechnungslücke für Handlungen von Unternehmensmitarbeitern, denen keine Leitungsaufgaben zukomme. Hier träfe nämlich den Unternehmensinhaber eine Aufsichtspflicht, so dass über § 130 OWiG zahlreiche Verstöße auf untergeordneter Unternehmensebene erfasst werden können, die ansonsten mangels Zugehörigkeit zum Täterkreis des § 30 OWiG zu einer Sanktionsfreiheit des Unternehmens führen würden. Zudem seien die Tatbestandsvoraussetzungen des § 130 OWiG im Vergleich zu den strafrechtlichen Tatbeständen weiter ausgestaltet. Sieber spricht sich gleichwohl mit guten Gründen dafür aus, § 130 OWiG nicht zur Straftat herauf zu stufen. Demgegenüber sei als Anknüpfungspunkt für die Sanktionierung in erster Linie das Unternehmen und nicht der verantwortlich Handelnde zu favorisieren und hier eine effektive Gewinnabschöpfung zu betreiben.

Der Verfasser arbeitet die deutlichsten Unterschiede zwischen den Sanktionsregimen zwangsläufig bei den zivilrechtlichen Sanktionsvoraussetzungen heraus. Allerdings spiele die Verhängung von Schadensersatz gegen Täter der unteren Unternehmensebene in der Praxis eine sehr untergeordnete Rolle. Demgegenüber hafte insbesondere der Vorstandshaftung gem. § 93 Abs. 2 S. 1 AktG ein positiv-generalpräventiver Nebeneffekt an. Denn die Managerhaftung stärke aufgrund des erhöhten persönlichen Haftungsrisikos das Interesse an rechtmäßigem Verhalten. Im Hinblick auf den Umfang der Kontroll- und Überwachungspflichten von Vorstandsmitgliedern könne man sich an der zu § 130 OWiG entwickelten Rechtsprechung orientieren. Im Gegensatz zum Kriminal- und Ordnungswidrigkeitenrecht orientiere sich der Umfang der drohenden Sanktion streng am verursachten Schaden und sei aufgrund der Grundsätze des innerbetrieblichen Schadensausgleichs auch nicht nach oben beschränkt.

Der bedeutsamste Konzeptionsunterschied der Rechtsregime komme auf der Sanktionsebene gegen Unternehmen zum Tragen. Denn im Zivilrecht erfolge gerade kein Durchgriff auf den Handelnden, d.h. es erübrigen sich die oftmals schwierigen und aufwendigen Feststellungen einer individuellen Zuwiderhandlung bzw. der Nachweis einer konkreten Anknüpfungstat. Insofern sei zivilrechtlicher Schadensersatz unmittelbar und direkt von der juristischen Person zu leisten. Dies sei der größte Vorteil des zivilrechtlichen Sanktioneninstruments.

In seiner umfangreichen vergleichenden Untersuchung, die hier nur angerissen werden konnte, kommt Sieber zu dem Ergebnis, dass das Nebeneinander hoheitlicher und privater Sanktionierung von Wirtschaftskriminalität zu einem komplexen Regelungspluralismus geführt hat. Diese unterschiedlichen Sanktionssysteme stünden dabei in einem gegenseitigen Wettbewerbs- und Konkurrenzverhältnis, da zwischen ihnen weder eine hierarchische Ordnung noch eine absolute Rechtseinheit bestehe. Daher seien Kollisionen zwischen den unterschiedlichen Sanktionssystemen systemimmanent. Die Wirksamkeit der verschiedenen Sanktionsmechanismen ergebe sich nicht aus einer rein kumulativen Anwendung, sondern daraus, dass sie je nach Einzelfall nur spezielle Teilbereiche eines unerwünschten Verhaltens erfassen und damit gerade aufgrund ihrer Alternativität besonders wirksam seien.

Allerdings gerate das Kriminalstrafrecht bei der Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität an seine funktionalen Grenzen. Zudem gäbe es Disharmonien in Bezug auf die einzelnen Sanktionen des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts, da hier divergierende Prinzipien, wie z.B. Brutto- oder Nettoprinzip gelten würden. Daher empfiehlt Sieber, zur Sicherstellung einer effektiven Vermögensabschöpfung auch bei der ordnungswidrigkeitenrechtlichen Geldbuße das Nettoprinzip durch das Bruttoprinzip zu ersetzen. Dies würde nicht nur die Wirkung der ordnungswidrigkeitenrechtlichen Geldbuße erhöhen, sondern auch der Notwendigkeit einer stetigen Anhebung des Bußgeldrahmens durch den Gesetzgeber entgegenwirken. So nachvollziehbar hier auch der Wunsch Siebers nach einer höheren Abschöpfung im Bereich der Wirtschaftskriminalität ist, bleibt doch zu bedenken, dass das Bruttoprinzip im Rahmen der Geldstrafe nicht unumstritten ist, führt es doch zu sozialen Ungerechtigkeiten bei zu Geldstrafe verurteilten Geringverdienern, die nicht selten nicht in der Lage sind, ihre Strafe zu bezahlen und dann Ersatzfreiheitsstrafe antreten müssen. Dieses Dilemma sollte man nicht aus den Augen verlieren, wenn man auf in der Regel liquide Wirtschaftskriminelle und die Unternehmen blickt.

Die Einführung eines „echten“ Unternehmensstrafrechts sieht der Verfasser kritisch an. Der Vorteil der Anwendung des Legalitätsprinzips werde vermutlich durch die fehlenden personellen und materiellen Ressourcen der Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden negiert. Zu vermuten sei, dass auf die Einstellungsvorschriften der §§ 153a ff. StPO ausgewichen werde.

Sieber hebt die Bedeutung des Ordnungswidrigkeitenrechts bei der Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität hervor. Es fungiere nicht mehr nur als „kleine Schwester“ des Kriminalstrafrechts, sondern erfülle bei der Sanktionierung von Unternehmensdelinquenz inzwischen seine Aufgabe als „erfahrenes Familienoberhaupt“. Das Ordnungswidrigkeitenrecht sei flexibler als das Kriminalstrafrecht und sei eine einzigartige Möglichkeit, gegen Unternehmen selbst Geldbußen zu verhängen.

Im Bereich des Zivilrechts sei die Sanktionswirkung von Klagen durch Privatparteien prinzipiell geeignet, staatliche Sanktionen effektiv zu ergänzen. Zudem sei das Präventionspotential von Schadensersatzansprüchen gegen Unternehmen und verantwortlich Handelnde nicht zu unterschätzen. Gleichwohl sei vor überzogenen Erwartungen an das Zivilrecht als Steuerungsinstrument zu warnen, da dessen Wirkkraft zumindest dann stark eingeschränkt sei, wenn es um die Verletzung von Kollektivgütern gehe, eine völlige Vermögenslosigkeit des Schädigers zu befürchten sei oder es auf Seiten des Geschädigten zu Streu- und Bagatellschäden komme.

Zudem stellten Bußgelder einen Schaden i.S. der §§ 249 ff. BGB dar, so dass hier Wertungswidersprüche bestehen, die de lege lata nur durch eine teleologische Reduktion des § 93 Abs. 2 AktG zu beheben wären. Insofern spricht sich Sieber für eine Neuregelung im Rahmen des § 30 OWiG aus, dem ein Absatz 2b einzufügen sei: „Für Geldbußen, die die juristische Person oder die Personenvereinigung auf Grund dieses Gesetzes treffen, ist ein Innenregress ausgeschlossen. Dies gilt nicht im Falle einer vorsätzlichen Straftat“ (S. 460).

Eine solche Regelung hätte laut Sieber den Vorteil, dass die Qualität des zugrundeliegenden Verschuldens maßgeblich berücksichtigt würde. Der Verfasser fordert eine stärkere Rückbesinnung auf das Kriminalstrafrecht im Bereich der Wirtschaftskriminalität, da nur die Kriminalstrafe in der Lage sei, einen deutlichen Verhaltensappell an den Einzelnen zu richten. Er formuliert am Ende seiner Arbeit „rechtspolitische Impulse“ für den Gesetzgeber. Empfohlen wird die Beibehaltung des ordnungswidrigkeitenrechtlichen Sanktionsinstrumentariums zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität. Man darf hier durchaus den Blick in die Zukunft wagen, dass das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz in seinem Referentenentwurf kein Unternehmensstrafrecht verfolgen, sondern eine Modifizierung des Unternehmenssanktionenrechts anstreben wird. Ich hoffe dagegen nicht, dass sich die Forderung Siebers nach einer Übernahme des Bruttoprinzips auch für die Unternehmensgeldbuße durchsetzen wird. Vielmehr ist die Bemessung von Geldstrafe und Geldbuße zunächst einer umfassenden Überprüfung zu unterziehen. An deren Ende kann dann allerdings durchaus eine Umkehrung der Prinzipien im Kriminalstraf- und Ordnungswidrigkeitenrecht stehen. Allerdings sind voreilige gesetzgeberische Schnellschüsse zu vermeiden.

Eine weitere rechtspolitische Forderung des Verfassers ist es, dass die im Kriminalstrafrecht festgestellten Lücken den Gesetzgeber nicht dazu verleiten dürfen, schwerstes Kriminalunrecht herabzustufen und im Rahmen vereinfachter Verfahrensabläufe als Verwaltungssanktion zu ahnden. Ich denke, dass auch dies nicht passieren wird. Der  Gesetzgeber  tut  gut daran, am Dualismus zwischen

Kriminal- und Ordnungswidrigkeitenrecht festzuhalten. Die Gründe hierfür benennt Sieber in seiner Dissertation ausführlich und treffsicher. Insofern bietet dieses Werk eine wertvolle Grundlagenarbeit für die Diskussion rund um die zukünftige Ausgestaltung der Sanktionierung von Wirtschaftskriminalität – sei es für den Täter im Unternehmen oder für das Unternehmen an sich. Dass der Gesetzgeber bei dieser „Gratwanderung“ (S. 467) von der Schaffung eines echten Unternehmensstrafrechts absehen sollte, ist eine Empfehlung, die nur unterstrichen werden kann.

 

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