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Lauter Verrisse

von Prof. Dr. Elisa Hoven 

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Im vergangenen Jahr haben gleich zwei Rezensionen strafrechtswissenschaftlicher Qualifikationsschriften in der Online-Zeitschrift ZIS für Aufregung gesorgt. Insbesondere die Besprechung der Habilitationsschrift von Frauke Rostalski durch Carl-Friedrich Stuckenberg gibt Anlass,[1] über die Bedeutung von Rezensionen sowie die Anforderungen an Unvoreingenommenheit und Stil zu diskutieren.[2] Einige meiner Gedanken möchte ich hier skizzieren.

I. Grundlegendes

1. Macht des Rezensenten und Gefahren des Missbrauchs

In der Diskussion über Anforderungen an Rezensionen darf nicht unterschätzt werden, welche Macht der Rezensent einer Arbeit hat.

a) Deutungshoheit

Dem Rezensenten kommt eine weitreichende faktische Deutungshoheit über das besprochene Werk zu. Seine Behauptungen über formale und inhaltliche Mängel sind für den Betroffenen kaum korrigierbar. Eine Replik des Autors hat vergleichsweise geringes Gewicht; schließlich ist er oder sie – (scheinbar) anders als der Rezensent ­– kein objektiver Betrachter der Arbeit. Im Falle eines Verrisses ist der Betroffene darauf angewiesen, dass Kollegen bereit sind, sich in die Sache „einzumischen“ (was nicht wenige scheuen werden) und die Arbeit sachlich zu besprechen.

Einige Leser werden den Ausführungen eines Rezensenten nicht ungeprüft Glauben schenken, sondern sich ein eigenes Bild von der Arbeit machen. Doch unsere Terminkalender sind voll und wenn das Buch nicht unmittelbar den eigenen Interessenkreis berührt, werden sich nur wenige die Mühe machen. Die Reaktionen auf die beiden jüngsten Rezensionen haben gezeigt, dass die wenigsten Dissertationen und Habilitationsschriften von einer großen Mehrheit der Strafrechtswissenschaftler (ich nehme mich dabei keinesfalls aus) tatsächlich gelesen werden. Das ändert sich auch nicht zwingend mit Veröffentlichung der Rezension: Zustimmung zu Lothar Kuhlens Rezension äußerten auch Kollegen, die ausdrücklich angaben, die Arbeit von Cornelia Spörl gar nicht zu kennen.

Eine fehlerhafte, verzerrte oder missverstandene Wiedergabe von Inhalten und Argumentationslinien prägt daher die öffentliche Wahrnehmung der Arbeit in ganz erheblichem Maße.

b) Reichweite von Rezensionen gerade in Online-Publikationen

Rezensionen in Online-Zeitschriften wie der ZIS können eine enorme Reichweite erzielen. Zu beiden hier genannten Rezensionen entwickelten sich innerhalb weniger Stunden nach ihrer Veröffentlichung intensive Diskussionen auf Twitter.

Die Rezensionen wurden also nicht nur von der (strafrechts-)wissenschaftlichen Community als Bestandteil einer akademischen Auseinandersetzung wahrgenommen, sondern auch von einer Vielzahl von Journalisten, Politikerinnen und Studierenden. Diese können erst recht nicht beurteilen, ob der Rezensent mit seiner Beurteilung der Arbeit richtig liegt. Selbst wenn die Rezension die Arbeit grob entstellt – am betroffenen Autor bleibt etwas hängen („Die hatte doch damals diese vernichtende Rezension bekommen?“).

Wir alle investieren viel in unseren Beruf. Monographien, Aufsätze und Forschungsprojekte, an denen wir intensiv arbeiten, schaffen es nur selten in die Öffentlichkeit. Was die Öffentlichkeit aber interessiert, sind skandalträchtige Rezensionen. Der Wikipedia-Eintrag von Frauke Rostalski enthält nun mehr Informationen über die Rezension durch Carl-Friedrich Stuckenberg als über ihre Arbeit im Ethikrat oder ihre Forschung zu künstlicher Intelligenz.

Die Wirkungen einer (Online-)Rezension sind auch deshalb so groß, weil der Text noch lange Zeit später abrufbar ist. Noch in vielen Jahren werden sich Studierende, die bei einem betroffenen Autor Vorlesung haben, die Rezension zuspielen. Natürlich kann der Rezensierte seinen Studierenden ein anderes Bild seiner Person entgegensetzen. Aber: Jedes Semester aufs Neue gegen den Vorwurf wissenschaftlicher Unzulänglichkeit arbeiten zu müssen, ist anstrengend.

Aus der weiten Verbreitung des Textes, seiner fortwährenden Verfügbarkeit im Internet und aus der Tatsache, dass er das Bild der Arbeit und des Autors in Wissenschaft und Öffentlichkeit maßgeblich prägen kann, ergibt sich eine erhebliche Macht des Rezensenten. Ein seriöser Wissenschaftler wird sich dieser Verantwortung bewusst sein und sich selbst zu Mäßigung, Ausgeglichenheit und Fairness anhalten. Doch jede machtvolle Stellung kann missbraucht werden – und auch bei Rezensionen besteht die Gefahr, dass unter dem Deckmantel der Wissenschaftsfreiheit ein Kollege persönlich beschädigt werden soll. Anlass dafür kann es auch unter Fachkollegen geben: etwa eine nicht erhaltene Stelle, Enttäuschung darüber, nicht zu einer Tagung eingeladen oder nicht zitiert worden zu sein, ein ablehnendes Gutachten in einem Bewerbungsverfahren oder bei einem Drittmittelantrag.

2. Bedeutung von Rezensionen für die Wissenschaft

Die Antwort auf die Frage, ob und welche Anforderungen an Rezensionen zu stellen sind, hängt auch davon ab, worin der wissenschaftliche Wert einer Rezension liegt.

In der Diskussion um „Verrisse“ wird immer wieder betont, dass Rezensionen einen wesentlichen Beitrag zur akademischen Diskussion und zum „wissenschaftlichen Fortschritt“ (Schulze-Fielitz) leisten.[3] Ich bin hier ein wenig skeptischer. Die Rezension ermöglicht keinen wissenschaftlichen Austausch; sie setzt der Arbeit – die den meisten Lesern nicht bekannt sein wird – einseitig die Position des Rezensenten entgegen. Der Autor kann auf Kritik nicht direkt reagieren; damit kommen ein fruchtbarer Widerstreit der Argumente und eine Überprüfung von Thesen im kontroversen Diskurs gerade nicht zustande. Für eine ernsthafte wissenschaftliche Auseinandersetzung braucht man daher meiner Ansicht nach andere, neue Formate. Weshalb stellt ein Privatdozent seine Habilitationsschrift nicht nach ihrer Veröffentlichung in einem für alle Strafrechtslehrer und -lehrerinnen zugänglichen Online-Meeting vor? Hier könnte auf Augenhöhe – und nicht in der „Prüfer“-Rolle des Rezensenten – über die Ideen des Autors kritisch diskutiert werden.

Einen Beitrag zur Fortentwicklung der Wissenschaft kann eine Rezension jedenfalls dann nicht leisten, wenn sie sich nicht konstruktiv mit den Gedanken des Autors befasst, sondern persönliche Angriffe und eine Liste vermeintlicher Fehler präsentiert. Eine solche Rezension treibt die wissenschaftliche Auseinandersetzung nicht voran, sondern beendet eine sachliche Diskussion. Was die Strafrechtswissenschaft braucht, ist meiner Ansicht nach das Gegenteil: In der Sache kritische und kontroverse Diskussionen, die aber höflich und mit wechselseitigem Respekt geführt wird. Wissenschaftliche Kritik sollte keine Gräben aufreißen, sondern – im Gegenteil – Wissenschaftler miteinander ins Gespräch bringen. Die Freude an wissenschaftlicher Kontroverse setzt aber einen höflichen und konstruktiven Umgang voraus. Gegenseitige Schmähungen bringen hingegen die Wissenschaft nicht voran.

Und noch ein Satz zum wissenschaftlichen Wert: Wenn nicht mehr über den Inhalt der Kritik diskutiert, sondern nur über etwaige persönliche Hintergründe spekuliert wird, ist eine Rezension dem Bild der Strafrechtswissenschaft in der Öffentlichkeit gewiss nicht förderlich. Wir können kaum wollen, dass unser Fach nicht wegen seiner Inhalte, sondern aufgrund von „Skandalen“ wahrgenommen wird.

II. Welche Anforderungen sind an Rezension und Rezensenten zu stellen?

1. Wann sollte eine Rezension nicht übernommen werden?

Aufgrund der besonderen Machtsituation des Rezensenten sollte eine Rezension dann nicht übernommen werden, wenn man sich dem Werk oder dem Autor nicht mit der notwendigen Offenheit und Sachlichkeit nähern kann. Wer – aus welchen Gründen auch immer – Groll gegen den Autor des Werks hegt, sollte selbstverständlich nicht rezensieren. Ich bin skeptisch, ob sich hier verbindliche Richtlinien formulieren lassen. Jeder Herausgeber (dazu unter III.) sollte aber gerade bei besonders lobenden und bei besonders kritischen Rezensionen sehr genau hinschauen, ob sich aus den konkreten Umständen Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Rezensent die Arbeit aus sachfremden Gründen so wie geschehen bewertet hat. 

2. „Stil“ von Rezensionen

Polemik ist für einen Wissenschaftler kein gutes Stilmittel. Es ist hinlänglich bekannt, dass ein Argument nicht dadurch besser wird, dass man es mit Ärger oder Verachtung vorträgt. Meiner Ansicht nach gebietet der Respekt gegenüber Fachkollegen einen zurückhaltenden Umgang mit Überspitzungen und Ironie. Die Position von Schulze-Fielitz, der sich gegenüber einer solchen Rhetorik zwar kritisch äußert, sie aber als Herausgeber letztlich hinnehmen will, [4] überzeugt mich daher nicht. Jeder Wissenschaftler sollte über so viel Demut verfügen, zu wissen, dass auch er keine „Wahrheiten“, sondern nur die eigene Sicht auf die Arbeit eines anderen (der in diese Arbeit in alle Regel viel Zeit und „Herzblut“ gesteckt hat) präsentiert.

Eine Rezension nimmt ein konkretes Werk in den Blick. Auf dieser Basis sind allgemeine Aussagen über die Person des Autors in aller Regel unzulässige Verallgemeinerungen – und schlicht anmaßend. Eine Grenze wird jedenfalls dann überschritten, wenn die Rezension zur Schmähschrift wird, den Autor herabwürdigt, persönlich angreift oder mit Unterstellungen arbeitet.

3. Besondere Verantwortung gegenüber Nachwuchswissenschaftlern

Eine besondere Verantwortung haben Rezensenten gegenüber Nachwuchswissenschaftlern. Neben die oben skizzierten Faktoren tritt hier noch eine Machtasymmetrie zwischen Rezensent und Autor. Die Stimme eines „gestandenen“ Professors hat wesentlich größeres Gewicht als die eines noch nicht berufenen Habilitanden oder gar der eines Doktoranden. Ein Verriss kann eine wissenschaftliche Karriere beenden.[5] Er wird in jedem Berufungsverfahren zur Sprache kommen und ein schwerer Stein in dem ohnehin schon anstrengenden Weg zur Professur sein. Diese Wirkungen dürfen natürlich nicht dazu führen, dass Arbeiten von Nachwuchswissenschaftlern nicht mehr kritisch rezensiert werden; in einigen Fällen mag eine „Qualitätskontrolle“ durchaus sinnvoll sein. Aber: Sie gebieten gerade im Tonfall eine besondere Mäßigung und Behutsamkeit. Zudem sollten allgemeine Diskussionen über die Qualität von Qualifikationsschriften nicht auf dem Rücken eines einzelnen Doktoranden oder Habilitanden ausgetragen werden. Wer hier auf Missstände hinweisen will, sollte dies auf einer breiteren Basis tun.

III. Verantwortlichkeit von Schriftleitern

Schriftleiter tragen die Verantwortung dafür, dass sie keine Rezensionen veröffentlichen, die offensichtlich aus sachfremden Gründen geschrieben wurden oder die persönliche Herabwürdigungen, Diffamierungen oder Unterstellungen enthalten.

Wer hiergegen mit der Wahrung der Wissenschaftsfreiheit argumentiert, sollte sich überlegen, ob er selbst es als Ausdruck dieser Freiheit verstehen würde, wenn über ihn eine Rezension erschiene, in der ihm über fast 20 Seiten fehlendes Denkvermögen attestiert, nationalsozialistische Rhetorik vorgeworfen und die Habilitationswürdigkeit abgesprochen wird.[6] Eine solche Rezension leistet keinen Beitrag zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung, sondern zielt auf die Schädigung des Autors ab; sie ist nicht Ausdruck der Wissenschaftsfreiheit, sondern gefährdet sie. Für solche Verrisse darf es in Fachzeitschriften keinen Raum geben – auch wenn „Skandalrezensionen“ viele Klicks bescheren. Mit „Zensur“ hat eine Kontrolle wissenschaftlicher Redlichkeit nichts zu tun.

IV. Fazit

Eine kritische Auseinandersetzung mit der Arbeit von Fachkollegen ist wichtig; nur so können Thesen in Frage gestellt und Argumentationen geschärft werden. Ich bin nicht überzeug, dass die Rezension hierfür das beste Mittel ist. Sie lässt den Autor weitgehend hilflos zurück und bringt keine Diskussion in Gang. Neue, digitale Formate sind weitaus besser geeignet, um einen kritischen Austausch zu ermöglichen.

Es ist in meinen Augen ein Gebot der Fairness, der Arbeit von Fachkollegen mit Respekt zu begegnen (Respekt meint nicht ohne Kritik – ganz im Gegenteil). Wer meint, einen Kollegen polemisch angreifen zu müssen, diskreditiert sich selbst. Nicht veröffentlicht werden sollten aber Rezensionen, die erkennbar Ausdruck einer persönlichen Abneigung sind oder die Minimalanforderungen (keine persönlichen Herabwürdigungen, Diffamierungen oder Unterstellungen) nicht einhalten.

 

[1]      Stuckenberg, ZIS 2021, 279.
[2]      Damit möchte ich die beiden Rezensionen ausdrücklich nicht auf eine Stufe stellen. Die Rezension von Kuhlen ist insbesondere mit Blick auf die zentralen Punkte der Unvoreingenommenheit und des Stils nicht zu beanstanden.
[3]      Schulze-Fielitz, Rezensierte (Verwaltungs-)Rechtswissenschaft, in: Martin Burgi (Hrsg.), Zur Lage der Verwaltungsrechtswissenschaft, 2017, S. 179 – 204 (der Text liegt mir aufgrund der aktuell eingeschränkten Nutzbarkeit der Bibliotheken nur als Word-Dokument vor, sodass die Angabe der konkreten Seitenzahl nicht möglich ist).
[4]      Schulze-Fielitz, Rezensierte (Verwaltungs-)Rechtswissenschaft, in: Martin Burgi (Hrsg.), Zur Lage der Verwaltungsrechtswissenschaft, 2017, S. 179 – 204.
[5]      Frau Spörl hat ihr Habilitationsprojekt mittlerweile aufgegeben.
[6]      So geschehen in der Rezension von Stuckenberg, ZIS 2021, 279 (280, 292, 297).

 

 

 

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