Die Entscheidung im Original finden Sie hier.
BGH, Beschl. v. 02.06.2021 – 3 StR 61/21: Hawala-Netzwerk ist kriminelle Vereinigung, wenn überindividuelles Interesse am Fortbestehen existiert
Amtliche Leitsätze:
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Bei einer ein Hawala-System betreibenden Organisation kann es sich um eine kriminelle Vereinigung im Sinne des § 129 Abs. 2 StGB handeln. Insbesondere kann nach den konkreten Tatumständen ein über individuelle Einzelinteressen hinausgehendes übergeordnetes gemeinsames Interesse am Fortbestand des Hawala-Systems bestehen.
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Die Übermittlungen von Geldbeträgen im Rahmen eines Hawala-Systems stellen grundsätzlich Finanztransfergeschäfte nach § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 ZAG dar.
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Das wiederholte Erbringen von Zahlungsdienstleistungen innerhalb eines einheitlichen Betriebes ist als eine Tat im Rechtssinne zu werten.
Sachverhalt:
Das LG Mannheim hat den Angeklagten wegen Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung in 124 Fällen, jeweils in Tateinheit mit der vorsätzlichen unerlaubten Erbringung von Zahlungsdienstleistungen verurteilt.
Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte sich der Angeklagte als sog. Einsammler am Hawala-System beteiligt. Dieses System ermöglicht einen beleglosen und schwer nachzuvollziehenden Geldtransfer über Ländergrenzen hinweg, indem das Geld vom Sender an einen Einsammler übergeben wird, der dann einen Kontakt im Zielland anweist, das Geld an den Empfänger auszuzahlen. Eine staatliche Genehmigung der BaFin wird von den Betreibern des Systems bewusst nicht angestrebt, da sich das System jeglicher staatlicher Kontrolle entziehen wolle, so der BGH.
Der Angeklagte hatte bei einer Vielzahl von Einzahlstellen Gelder von Hawala-Kunden abgeholt und sie innerhalb des Netzwerks weitergeleitet und dafür eine monatliche Vergütung von 700€ bis 1500€ erhalten. Dafür war er auch in die WhatsApp-Gruppe des Netzwerks aufgenommen worden und hatte zum Teil auch als deren Buchhalter fungiert.
Entscheidung des BGH:
Der BGH bestätigte die Entscheidung des LG im Wesentlichen, änderte jedoch die konkurrenzrechtliche Bewertung ab.
Das LG habe das konkrete Hawala-Netzwerk zurecht als kriminelle Vereinigung im Sinne des § 129 Abs. 2 StGB eingeordnet. Im Bereich der organisierten Wirtschaftskriminalität sei es insbesondere erforderlich, dass der Zusammenschluss ein übergeordnetes gemeinsames Interesse verfolge, das über das Interesse an der Begehung der konkreten Straftaten zur persönlichen Bereicherung hinausgehe, so der BGH. Der Beweiswürdigung des LG sei es zu entnehmen, dass es neben der finanziellen Bereicherung durch die Gebühren (welches als gemeinsames Interesse nicht genügt hätte) bei den Mitgliedern der Vereinigung gerade auch ein gemeinsames unabhängiges Interesse am Fortbestand des Hawala-Systems als Ganzes gegeben habe. Dies habe sich laut dem LG bereits aus dem Umfang und dem Ausmaß der grenzüberschreitenden Organisationsstrukturen ergeben, die darauf gerichtet seien, ein vor der Kontrolle durch staatliche Institutionen geschütztes Schattenfinanzsystem zu errichten und zu erhalten. Das könne auch aus der Höhe der Geldbeträge geschlossen werden, die innerhalb kürzester Zeit über das System versendet worden seien (über acht Millionen Euro). Dieses weitergehende Interesse rechtfertige die Einordnung als kriminelle Vereinigung.
Der Angeklagte habe sich zudem gemäß § 63 Abs. 1 Nr. 4, § 10 Abs. 1 Satz 1, § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 ZAG strafbar gemacht, indem er als Mittäter vorsätzlich Zahlungsdienste ohne Erlaubnis erbracht habe, so der BGH.
Im Rahmen der konkurrenzrechtlichen Bewertung widersprach der BGH dem LG allerdings. Die Mitwirkung des Angeklagten am Hawala-System sei nicht als mehrere Einzeltaten, sondern als eine tatbestandliche Handlungseinheit zu werten.
Dies begründet der BGH zum einen mit dem Wortlaut der Norm, die schon im Plural von Zahlungsdiensten spreche. Zum anderen sei nur die gewerbsmäßige Erbringung von Zahlungsdiensten strafbar, was per Definition schon mehrfache Finanztransaktionsgeschäfte erfordere.
Anmerkung der Redaktion:
§ 63 ZAG wurde zuletzt am 17. Juli 2017 geändert, weil die Zweite Zahlungsdiensterichtlinie der EU umgesetzt werden musste. Die Richtlinie sollte den Schutz der Nutzer von Zahlungsdiensten im Binnenmarkt verbessern und Regelungen für den digitalen Zahlungsverkehr schaffen.