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Drohungen und Tötungsaufrufe über Instant-Messaging-Dienste – Eine materiell-rechtliche Bestandsaufnahme

von Wiss. Mit. Stefan Kim

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Abstract
Der folgende Beitrag behandelt die strafrechtliche Bewertung von Aufrufen zur Gewalt und Tötung von Personen des öffentlichen Lebens in sozialen Netzwerken und Instant-Messaging-Diensten am Beispiel der App Telegram. Der Beitrag untersucht im ersten Teil, unter welchen Voraussetzungen und nach welchen Normen sich Nutzer dieses Dienstes strafbar machen können, wenn sie andere zur Tötung eines Menschen aufrufen oder eine solche Tötung selbst androhen. Darüber hinaus wird im zweiten Teil beleuchtet, welche Pflichten die Betreiber solcher Dienste treffen. Insbesondere geht es darum, ob das NetzDG auf ihre Tätigkeit anwendbar ist, und ob diese Dienste, insbesondere Telegram, als kriminelle Handelsplattformen zu qualifizieren sind, wenn in Chatgruppen die Tötung von Menschen geplant wird. Schließlich steht im Fokus, inwiefern sich die Betreiber entsprechender Netzwerke und Dienste durch aktives Tun oder Unterlassen strafbar machen können. 

The following article deals with the criminal law assessment of calls for violence and the killing of public figures in social networks and instant messaging services, using the example of the app Telegram. In the first part, the article examines under which conditions and according to which criminal provisions users of this service can be liable to prosecution if they call on others to kill a person or threaten such a killing themselves. In addition, the second part surveys the legal obligations of the operators of such services. The main Question is whether the NetzDG is applicable to their activities and whether these services, in particular Telegram, qualify as criminal trading platforms if the killing of people is planned in their chat groups. Finally, the article focuses on the extent to which the operators of these sort of networks and services can make themselves liable to prosecution through action or criminal omission.

I. Einleitung

Im Zuge der Corona-Pandemie und der damit verbundenen Einschränkungen von Grundrechten ist es zu einer zunehmenden Spaltung in der Bevölkerung Deutschlands gekommen. Wo anfangs noch Demonstrationen veranstaltet wurden, um die Ablehnung der beschlossenen Schutzmaßnahmen zu bekunden, wird nun in sozialen Medien zur Hinrichtung von Politikern aufgerufen.[1] Betroffen sind vor allem Politiker, denen die Hauptverantwortung für die erlassenen Maßnahmen zugeschrieben wird, aber auch Ärzte, die den Kurs der Regierung unterstützen.[2]

Besonders hervorzuheben und in die öffentliche Wahrnehmung gerückt ist dabei der Instant-Messaging-Dienst Telegram. Diese App ermöglicht ihren Nutzern den Austausch von Sprach- und Textnachrichten, Bildern und Videos, entweder in direkter Form oder durch öffentliche und private Chatgruppen, die bis zu 200.000 Teilnehmer umfassen können. Öffentlichen Chatgruppen kann über eine Suchfunktion leicht beigetreten werden. Dagegen muss bei privaten Chatgruppen der Nutzer von einem berechtigten Teilnehmer eingeladen werden. Daneben ist zwischen den eigentlichen Chatgruppen und sog. Kanälen zu unterscheiden. Bei Kanälen haben die Mitglieder nicht die Berechtigung eigene Nachrichten zu verfassen, sondern abonnieren lediglich die Nachrichten des Betreibers. Teilweise besteht nach dem Belieben des Betreibers die Möglichkeit, bestimmte geteilte Inhalte zu kommentieren.[3] Die Kommunikation findet also überwiegend auf einseitige Weise, d.h. in eine Richtung statt, aber die Anzahl der Teilnehmer ist unbeschränkt.[4] Zwar werden Gewaltandrohungen auch auf sozialen Plattformen wie Facebook oder Twitter gepostet. Allerdings bietet Telegram im Vergleich zu diesen Netzwerken einen wesentlich höheren Schutz vor strafrechtlicher Verfolgung, weil Telegram sich bisher weigert mit den deutschen Strafverfolgungsbehörden zu kooperieren.[5] Das führt dazu, dass die Nutzerdaten nicht herausverlangt werden können, um Tatverdächtige zu ermitteln. Es stellt sich aber zunächst die Frage, inwiefern das deutsche Strafrecht überhaupt eine effektive Antwort auf solche Tötungsaufrufe in Telegram hat. Für die Frage nach der materiell-strafrechtlichen Verantwortung für entsprechende Inhalte ist zunächst zwischen den verschiedenen Beteiligten zu unterscheiden.

Dies sind zum einen die Nutzer der App (fortan als „Nutzer“ bezeichnet). Sie können in direkten Chats mit anderen Nutzern Nachrichten austauschen, aber auch eigene Chatgruppen und Kanäle gründen. Über diese haben die Gründer umfassende Befugnisse. So können sie einzelne Nachrichten für alle Mitglieder, aber auch die gesamte Gruppe löschen und Mitglieder aus der Gruppe entfernen. Durch die Erteilung von Administratorrechten kann u.a. die Befugnis, Nachrichten zu löschen und Mitglieder zu sperren, auf weitere Teilnehmer übertragen werden.[6]

II. Strafbarkeit der Nutzer

Für das Verhalten der Nutzer kommt eine Vielzahl an Straftatbeständen in Betracht. Gerade Aufrufe zur Tötung von Menschen in großen Chatgruppen stellen die Strafverfolgungsbehörden materiell-rechtlich gesehen vor Schwierigkeiten, wohingegen die an eine individualisierte Person oder an einen kleinen Personenkreis gerichtete Aufforderung zur Tötung eine Anstiftung nach § 26 StGB bzw. eine versuchte Anstiftung nach § 30 Abs. 1 StGB zu einem Tötungsdelikt darstellen kann. Die Ausführungen werden sich deshalb hinsichtlich der Strafbarkeit der Nutzer darauf konzentrieren, inwiefern Tötungsaufrufe in größeren, öffentlichen sowie privaten Chatgruppen strafrechtlich gehandhabt werden kann.

1. Bedrohung, § 241 Abs. 2 StGB

Zu Problematisieren ist die Verwirklichung der Bedrohung (§ 241 Abs. 2 StGB) wenn der Täter die Tötung einer Person in einem Gruppenchat ankündigt. Die Ankündigung einer Tötung stellt eine Drohung mit der Begehung eines Verbrechens (§ 12 Abs. 1 StGB) dar, wenn sie objektiv den Eindruck der Ernstlichkeit erweckt.[7] Dies kann zweifelhaft sein, wenn die Ankündigung unkonkret bleibt, d.h. der Täter die Begehung der rechtswidrigen Tat nicht eindeutig und entschlossen äußert.[8] Darüber hinaus muss die Drohung den Bedrohten (zumindest über Dritte) auch erreichen.[9] Diese Voraussetzung dürfte in den meisten Konstellationen nicht vorliegen. Ankündigungen in Direktnachrichten sowie in privaten oder öffentlichen Chatgruppen werden nur in seltenen Fällen dem Adressaten tatsächlich zur Kenntnis gelangen, wenn dieser nicht selbst Teil einer solchen Gruppe ist. In Betracht kommt dann lediglich ein strafrechtlich relevanter Versuch (§§ 12 Abs. 1, 23 Abs. 1 StGB). Der Anwendungsbereich des § 241 Abs. 2 StGB ist deshalb in der Praxis erheblich eingeschränkt.

2. Öffentliche Aufforderung zu Straftaten, § 111 StGB

Keine Drohung, aber eine Aufforderung zur Begehung von Straftaten nach § 111 Abs. 1, 2 StGB wird begangen, wenn öffentlich zur Tötung aufgerufen wird. Die Norm selbst hat bis vor kurzem kaum eine Rolle in der justiziellen Praxis gespielt, jedoch gewinnt sie durch die zunehmende Verlagerung der Kommunikation in den digitalen Bereich an Bedeutung.[10] Ein Auffordern geht als Äußerung über das bloße Befürworten hinaus und muss objektiv geeignet sein, den Eindruck der Ernstlichkeit zu erwecken.[11] Ob dies bei Diskussionen im Internet der Fall ist, lässt sich nicht ohne weiteres sondern immer nur bezogen auf den jeweiligen Einzelfall entscheiden. Mit Blick auf die Corona-Pandemie in Deutschland haben die Schutzmaßnahmen zu einer teilweise hoch emotionalisierten Debatte geführt. Wenn in einer Chatgruppe ggf. neue Maßnahmen diskutiert werden, erscheint es nicht fernliegend, die Ernstlichkeit einer in diesem Kontext getätigten Äußerung in Frage zu stellen.[12] Darüber hinaus muss die Aufforderung auch hinreichend bestimmt hinsichtlich der Tat selbst sein.[13] Die Aufforderung zur „Bestrafung“ etwa eines Gesundheitsministers wäre noch zu unkonkret.[14]

Würde man das Vorliegen einer hinreichend bestimmten und objektiv ernsthaften Aufforderung jedoch bejahen, müsste diese öffentlich, in einer Versammlung oder durch das Verbreiten von Inhalten diffundiert werden. Dieses Kriterium dient zur Abgrenzung des Anwendungsbereichs der Norm von demjenigen der Anstiftung und der versuchten Anstiftung.[15]

Bei einer Aufforderung zur Tötung in einer Chatgruppe muss diese gegenüber einem unbestimmten Kreis von Personen geäußert werden.[16] Eine solche Unbestimmtheit kann man in größeren, öffentlich zugänglichen Chatgruppen mit hunderten oder tausenden Teilnehmern annehmen, bei denen keine Kontrolle darüber besteht, wie viele Personen die Aufforderung zu Kenntnis nehmen. Zu verneinen wäre dies in kleineren privaten Chatgruppen, die nur auf Einladung betreten werden können. Allerdings könnte in diesem Fall eine versuchte Anstiftung angenommen werden, wenn der Äußernde sich mit seiner Forderung sich an bestimmte Personen richtet.[17]

Bei einer Chatgruppe liegt auch keine Versammlung vor, da diese als räumliche Vereinigung[18] verstanden wird und dieser „Raum“ bislang nur im physischen Kontext verstanden wird.[19]

Hinsichtlich der Aufforderung durch das Verbreiten von Inhalten stellen sich mehrere Fragen. § 11 Abs. 3 StGB definiert den Begriff der Inhalte nicht näher, legt aber fest, dass diese in Verkörperungen wie Bildträgern oder Datenspeichern enthalten sein können, aber auch unabhängig von einer Speicherung durch Informations- und Kommunikationstechnik übertragen werden. Text- und Sprachnachrichten, die in Chats hochgeladen werden, werden auf Cloud-Servern des Betreibers gespeichert.[20] Die Server mit denen Telegram betrieben wird und auf denen die Textnachrichten gespeichert werden, sind Datenspeicher i.S.d. Norm. Dafür spricht auch die gesetzgeberische Intention, bei der Neufassung des § 11 Abs. 3 StGB die Übertragung durch Instant-Messaging-Dienste zu erfassen.[21] 

Schwerer zu beurteilen ist die Frage, ob auch eine Verbreitung vorliegt. Nach einem Teil der früheren Rechtsprechung beinhaltete das Verbreiten eine Übertragung des Trägers selbst.[22] Dies soll nun nicht mehr der Fall sein.[23] Allerdings soll die die Verbreitung gegenüber einem „nicht individualisierten größeren Personenkreis“ erfolgen müssen, damit die Handlung als abstrakt gefährlich eingestuft werden kann.[24] Bei öffentlichen Gruppen ist dies anzunehmen, während bei privaten Gruppen ein Verbreiten regelmäßig zu verneinen sein wird.

Es bleibt festzuhalten, dass § 111 StGB Tötungsaufrufe in öffentlichen Gruppenchats zu bestrafen vermag, aber die gleichen Aufrufe in privaten (geschlossenen) Gruppen aufgrund der Bestimmbarkeit des Adressatenkreises aus dem Anwendungsbereich der Norm fallen. Zwar könnte man argumentieren, dass das Rechtsgut des Gemeinschaftsfriedens auch nicht gestört wird, wenn die Aufforderung im „geschlossenen Kreis“ stattfindet. Allerdings können sich auch in privaten Gruppen tausende Teilnehmer aufhalten. Die faktische Bestimmbarkeit der Empfänger nimmt nach der hier vertretenen Ansicht einem hinreichend bestimmten und objektiv ernsthaften Tötungsaufruf nicht die abstrakte Gefährlichkeit, denn Breitenwirkung ist bei einem derart großen Empfängerkreis trotz der Bestimmbarkeit durchaus vergleichbar mit der Äußerung gegenüber einem unbestimmten Personenkreis.

3. Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten, § 126 Abs. 1 Nr. 3 Var. 1, 2 StGB

Möglicherweise kann § 126 StGB hier praxisgerechtere Ergebnisse erzielen. Nach § 126 Abs. 1 Nr. 3 Var. 1 und 2 StGB macht sich derjenige strafbar, der auf eine Weise, die geeignet ist den öffentlichen Frieden zu stören, einen Mord oder Totschlag androht. Ein Nutzer, der in einer Chatgruppe die Tötung eines Politikers oder eines Virologen konkret in Aussicht stellt, erfüllt die geforderte Tathandlung. Gleichwohl muss sich die Art der Androhung zusätzlich eignen, den öffentlichen Frieden zu stören.[25]

Nach herrschender Ansicht ist die Handlung in diesem Sinne geeignet, wenn sie die Sorge begründet, dass das Vertrauen der Bevölkerung in den Friedenszustand erschüttert werden könnte, oder wenn durch die Handlung ein „psychisches Klima“ geschaffen wird, in dem weitere mögliche Täter zur Begehung gleicher Taten aufgehetzt werden könnten.[26] Eine tatsächliche Gefährdung von Personen ist dagegen nicht erforderlich.[27] Das Tatbestandsmerkmal der Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens ist definitorisch schwer eingrenzbar und muss deshalb eng ausgelegt werden.[28] Anders als bei § 111 StGB kommt es nicht auf die Öffentlichkeit der Handlung selbst an.[29] Es genügt, wenn zu erwarten ist, dass die angekündigte Drohung einer „breiten Öffentlichkeit“ bekannt wird.[30] Wieder muss zwischen öffentlichen und privaten Gruppen differenziert werden. Wenn ein Nutzer die Tötung einer Person des öffentlichen Lebens in einem öffentlichen Chat ankündigt, kann diese Androhung von einer unüberschaubaren Vielzahl von Personen wahrgenommen werden. Die Drohungen, die man derzeit auf Telegram beobachten kann, können sich aber durchaus zur Erschütterung des Vertrauens in den Friedenszustand eignen, wenn man die Drohungen vor dem Hintergrund der derzeitigen sozialen Spannungen aufgrund der Pandemie kontextualisiert. Durch die Aussagen wird der Diskurs herabgewertet, Hemmungen und Tabus werden abgebaut.[31] Wenn man bedenkt, dass es bereits in der jüngeren Vergangenheit zu einem Mord an einem Politiker[32] gekommen ist, scheint die breitenwirksame Ankündigung derartiger Drohungen zur Vertrauenserschütterung durchaus relevant. Darüber hinaus wird durch die häufige Verwendung solcher Drohungen politische Gewalt normalisiert. Daher lässt sich zurzeit auch von der Schaffung eines sog. „psychischen Klimas“ sprechen, das Personen zur Begehung von Tötungsdelikten gegen Personen des öffentlichen Lebens anreizen könnte. Androhungen von Mord oder Totschlag in öffentlichen Gruppen sind deshalb nach der hier vertretenen Ansicht trotz enger Auslegung der Norm geeignet, den öffentlichen Frieden zu stören.

Bei Androhungen in privaten Chats kommt es dagegen, in Übereinstimmung mit der Auffassung der Rechtsprechung, darauf an, ob damit zu rechnen ist, dass die Drohung über den privaten Kreis hinaus an die Öffentlichkeit gelangt.[33] Hier muss stets von Fall zu Fall entschieden werden.

Im Ergebnis ist der Anwendungsbereich des § 126 Abs. 1 Nr. 3 StGB damit etwas weiter als derjenige der § 241 StGB und § 111 StGB. Zwar können über § 126 Abs. 1 Nr. 3 StGB auch Drohungen strafrechtlich verfolgt werden, die in kleineren und größeren privaten Chatgruppen geäußert werden. Andererseits birgt diese Norm aufgrund der ungenauen sprachlichen Formulierung ihrer Merkmale nicht zu unterschätzende Rechtsunsicherheiten.[34] Auch sie schafft daher für die Praxis keine befriedigende Lösung.

4. Belohnung und Billigung von Straftaten, § 140 StGB

Schließlich lohnt ein kurzer Blick auf § 140 StGB. Diese Norm richtet sich inhaltlich nicht gegen Drohungen selbst, sondern bestraft die Belohnung und Billigung bestimmter, von einer anderen Person begangener Straftaten. Reaktionen in verschiedenen Telegram-Gruppen[35] auf die Tötung von zwei Polizistenbeamten im rheinland-pfälzischen Kusel im Februar 2022 haben die Frage aufkommen lassen, wann Häme oder Schadenfreude über den Tod eines Menschen den Tatbestand des § 140 Nr. 2 StGB erfüllt. Die Tötung, die sich nach derzeitigem Stand der Ermittlungen als Mord (§ 211 StGB) darstellt, ist eine taugliche Vortat nach § 140 StGB i.V.m. § 126 Abs. 1 Nr. 3 StGB, auch wenn sie als solche noch nicht gerichtlich festgestellt und abgeurteilt worden ist.[36] Eine Billigung ist das nachträgliche Gutheißen einer solchen Tat bzw. der Ausdruck der inneren Übereinstimmung mit der Tat.[37] Bei der Auslegung entsprechender Äußerungen des Täters muss auch die Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG beachtet werden.[38] So liegt in der Regel keine strafbare Billigung vor, wenn die Äußerung sich als Ergebnis einer vertieften Auseinandersetzung mit den Geschehnissen darstellt,[39] oder die Äußerung objektiv mehrdeutig ist, sodass eine andere Interpretation der Aussage möglich ist.[40] Wenn jemand die Tat in einem Chat als „Absolut korrekt“ bezeichnet oder den Täter beglückwünscht, heißt er die Tat gut. Abgesehen von der Möglichkeit, dass diese Äußerung Teil einer längeren Diskussion sein könnte, tritt bei der pauschalen Billigung einer Straftat, die nur als Gutheißung verstanden werden kann, die Meinungsfreiheit zurück. Bzgl. der Eignung zur Friedensstörung und des Adressatenkreises gilt das bereits zu § 111 StGB und § 126 StGB Gesagte. § 140 Nr. 2 StGB ist einer Anwendung auf Äußerungen in öffentlichen Chats zugänglicher als einer solchen auf private Chats. Bei Letzteren scheitert eine Strafbarkeit zwangsläufig am Fehlen einer öffentlichen Billigung. Es liegt auch hier keine Versammlung vor. Bzgl. der Verbreitung von Inhalten gelten die Ausführungen in § 111 StGB entsprechend.

III. Pflichten und Strafbarkeit der Betreiber

Bei sozialen Medien ist die strafrechtliche Verantwortlichkeit der Nutzer der Dienste nur ein Teilaspekt. Zu thematisieren ist auch, welche Anforderungen an das Verhalten der Betreiber dieser Dienste gestellt werden. Außerstrafrechtliche Lösch- und Meldepflichten gehen stets strafrechtlicher Ahndung vor („ultima ratio“ des Strafrechts). Derartige Pflichten sind auf strafrechtlicher Ebene im Rahmen einer Strafbarkeit durch Beihilfe relevant. Wenn kein aktives Tun vorliegt ist im Rahmen des Unterlassens eine Garantenstellung erforderlich. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) sieht eine Vielzahl von Pflichten für soziale Netzwerke vor. Ob dieses Gesetz im Fall von Telegram aber überhaupt anwendbar ist, und sich eine Garantenstellung daraus herleiten lässt, ist fraglich  

1. Pflichten der Betreiber nach dem NetzDG

Nach § 1 Abs. 1 NetzDG gelten die Vorschriften für Telemediendiensteanbieter, die mit Gewinnerzielungsabsicht Plattformen im Internet betreiben, die dazu bestimmt sind, dass Nutzer beliebige Inhalte mit anderen Nutzern teilen oder der Öffentlichkeit zugänglich machen. Die nach § 1 Abs. 1 NetzDG erforderliche Einstufung der Plattform als Telemedium[41] liegt bei Telegram nur teilweise vor. Zwar handelt es sich bei dieser App um einen elektronischen Kommunikations- und Informationsdienst i.S.v. § 1 Abs. 1 des Telemediengesetzes (TMG), da Telegram den Austausch von Nachrichten und Inhalten ermöglicht. Jedoch sieht die Norm Ausnahmen vor. Es handelt sich bei Telegram zwar nicht um Telekommunikationsgestützte Dienste nach § 3 Nr. 63 TKG, da die Inhaltsleistung nicht während der Telekommunikation erbracht wird.[42] Es fehlt auch an einem Verbreiten von Angeboten in Bewegtbild und Ton entlang eines Sendeplans, weshalb Rundfunk nach § 2 Abs. 1 S. 1 des Rundfunkstaatsvertrags (RStV) ausscheidet. Mehrere Funktionen der Telegram App, nämlich Direktchats, Gruppenchats und private Kanäle fallen aber letztendlich aus dem Anwendungsbereich der des NetzDG heraus, weil es sich um einen interpersonellen Telekommunikationsdienst nach § 3 Nr. 61 lit. b TKG handelt, der nicht unter den Begriff der Telemedien fällt. Die Richtlinie, auf der die Neufassung des TKG beruht, definiert interpersonelle Kommunikationsdienste gem. Art. 2 Nr. 5 der Richtlinie über den europäischen Kodex für die elektronische Kommunikation als in der Regel gegen Entgelt erbrachte Dienste, die einen interpersonellen und interaktiven Informationsaustausch über elektronische Kommunikationsnetze zwischen einer endlichen Zahl von Personen ermöglichen. Dabei werden die Empfänger von den Personen bestimmt, die die Kommunikation veranlassen oder daran beteiligt sind. Telegram ermöglicht den Austausch von Nachrichten und Inhalten nach Belieben des Senders. Es steht den Nutzern frei, welchen Gruppen sie beitreten und welche Kanäle sie abonnieren. Durch die Begrenzung von Chatgruppen auf maximal 200.000 Mitglieder ist die Zahl der Teilnehmer begrenzt. Allerdings gilt dies nicht für Kanäle, da es dort keine Beschränkung für die Anzahl der Abonnenten gibt.[43] Öffentliche wie private Chatgruppen auf Telegram fallen also unter den Begriff des interpersonellen Kommunikationsdienstes und stellen gem. § 1 Abs. 1 S. 1 TMG i.V.m. § 3 Nr. 61 lit. b) TKG keine Telemedien dar, wie von § 1 Abs. 1 NetzDG vorausgesetzt.

Bei öffentlichen Kanälen werden Informationen elektronisch vermittelt. Dies geschieht zwar überwiegend einseitig, ist aber insoweit unerheblich, weil der Begriff nach der gesetzgeberischen Intention als weit gefasster Oberbegriff zu verstehen ist.[44] Öffentliche Kanäle in Telegram sind deshalb Telemedien.

Für die Anwendbarkeit des NetzDG müsste die Telegram FZ LLC sodann ein Diensteanbieter i.S.d. des § 1 Abs. 1 NetzDG sein. Dies ist der Fall, wenn bei ihr die elektronische Informationsbereitstellung im Vordergrund steht.[45] Die App bietet lediglich Räume, um den Informationsaustausch zwischen den Nutzern bereitzustellen. Telegram selbst beteiligt sich nicht am Informationsaustausch. Die Bereitstellung der eingespeisten Informationen steht im Vordergrund, so dass die Telegram FZ LLC als Diensteanbieter zu qualifizieren ist. Die Kanäle dienen dazu, mit den Abonnenten Inhalte zu teilen. Eine Plattform i.S.d. § 1 Abs. 1 S. 1 NetzDG liegt vor. Fraglich ist, ob die Ausnahme nach § 1 Abs. 1 S. 2 Var. 1 NetzDG greift. Danach handelt es sich bei Plattformen die zur Individualkommunikation bestimmt sind nicht um soziale Netzwerke, sodass das Gesetz auf sie keine Anwendung findet. Bei Chatgruppen könnte dies noch angenommen werden, allerdings findet bei den öffentlichen Kanälen keine individuelle Kommunikation statt. Durch ein Abonnement können Inhalte des Kanalbetreibers empfangen werden, ohne dass der Abonnent darauf antworten kann. Darüber hinaus weiß auf der anderen Seite der Betreiber eines öffentlichen Kanals nicht, welche Personen die geteilten Inhalte zur Kenntnis nehmen. Deshalb handelt es sich jedenfalls bei öffentlichen Kanälen nicht um eine individuelle Form der Kommunikation. Die Ausnahme in § 1 Abs. 2 NetzDG greift daher nicht. Auch eine Gewinnerzielungsabsicht lässt sich bejahen. Zwar ist die Nutzung nicht entgeltlich, jedoch hat die App seit letztem Jahr damit begonnen, in einigen größeren Kanälen Werbung zu schalten, um den Betrieb der App zu finanzieren.[46]

Öffentliche Kanäle von Telegram sind also im Ergebnis als soziale Netzwerke nach § 1 Abs. 1 NetzDG anzusehen und unterfallen deshalb grundsätzlich dem Anwendungsbereich des NetzDG. Laut einer Umfrage von Statista nutzten im Juli 2019 bereits 7,8 Millionen Deutsche Telegram.[47] Diese Zahl hat seitdem, auch aufgrund der Corona-Pandemie, immer weiter zugenommen.[48] Da die in § 1 Abs. 2 NetzDG festgelegte Untergrenze von 2 Millionen Nutzern überschritten ist, greift auch die Ausnahmeregelung nicht.

Die Betreiber treffen in Bezug auf die öffentlichen Kanäle aber dennoch Pflichten. Zentral sind hierfür die §§ 3 und 3a NetzDG. Nach § 3 NetzDG muss der Anbieter eines sozialen Netzwerks ein Verfahren bereitstellen, in dem Beschwerden über rechtswidrige Inhalte geteilt werden können. Der Begriff der rechtswidrigen Inhalte wird in § 1 Abs. 3 NetzDG definiert und verweist auf zahlreiche Tatbestände aus dem StGB, darunter auch §§ 111, 126 und 140 StGB. Der Aufruf und die Androhung von Mord oder Totschlag sind damit rechtswidrige Inhalte i.S.d. NetzDG.

Wird eine Beschwerde über einen solchen Inhalt übermittelt, muss der Betreiber unverzüglich prüfen, ob der Inhalt tatsächlich gegen die Rechtslage verstößt und diesen dann innerhalb bestimmter Fristen löschen. Durch die Delegierung der Prüfungspflicht auf den Betreiber können rechtswidrige Inhalte zwar schneller entfernt werden, allerdings ist im Hinblick auf Normen wie § 140 StGB zu befürchten, dass die Betreiber unter öffentlichem Druck im Zweifel gegen die Meinungsfreiheit entscheiden werden und ein Overblocking stattfindet.[49] Grundsätzlich sollen rechtswidrige Inhalte innerhalb von 7 Tagen gelöscht oder gesperrt und der Inhalt für einen bestimmten Zeitraum zu Beweiszwecken gesichert werden. Darüber hinaus ist der Betreiber nach § 3a NetzDG verpflichtet ein Verfahren einzurichten, um dem Bundeskriminalamt Inhalte zu übermitteln, die gemeldet, von ihm als rechtswidrig eingestuft wurden und mindestens einen der in § 3a Abs. 2 Nr. 3 NetzDG genannten Tatbestände erfüllt. Darunter befinden sich die §§ 241, 126 und 140 StGB. Flankiert werden diese Pflichten von mehreren Bußgeldtatbeständen in § 4 Abs. 1 NetzDG, die u.a. Versäumnisse bezüglich der Verfahren in den §§ 3, 3a NetzDG sanktionieren. In der Praxis scheint die Abläufe derzeit nicht überall zu funktionieren, da laut Angaben des Betreibers keine Übermittlungen an das BKA zur Strafverfolgung stattfinden.[50] Da Telegram FZ LLC seinen Sitz in Dubai hat, ist es auch bis vor kurzem nicht gelungen, das Unternehmen zur Einhaltung der Vorschriften des NetzDG zu bewegen. Mittlerweile hat das Unternehmen angekündigt, zukünftig mit den deutschen Behörden zusammenarbeiten zu wollen.[51] Es bleibt abzuwarten, ob dies zu einer Veränderung der derzeitigen Lage auf Telegram führen wird.

2. Beihilfe, § 27 StGB

Nähme man das Vorliegen einer Haupttat nach §§ 111, 126, 140 StGB an, stellt sich die Frage, ob eine Hilfeleistung in Form eines aktiven Tuns oder eines Unterlassens auf Seiten der Betreiber vorliegt. 

Als Beihilfe durch aktives Tun könnte man schon das „Betreiben“ der App betrachten. Dadurch dass die jeweiligen Mitarbeiter die Server warten, wird es den Nutzern ermöglicht, Straftaten zu begehen. Dabei stellt sich auch die Frage, ob das deutsche Strafrecht überhaupt Anwendung finden kann. Das Entwicklungsteam der App hat seinen Standort in Dubai.[52] Das deutsche Strafrecht gilt nach § 3 StGB für alle Taten die im Inland begangen werden. Daher stellt sich die Frage, wo eine Teilnahme durch die Betreiber begangen werden könnte. Nach § 9 Abs. 2 S. 1 StGB ist die Teilnahme sowohl an dem Ort begangen, an dem die Tat begangen wurde, als auch dort wo die Beihilfehandlung vorgenommen wurde oder vorgenommen hätte werden müssen. Wenn ein Nutzer in Deutschland einen strafbaren Tötungsaufruf oder eine Drohung äußert, ist die Tat nach § 9 Abs. 1 StGB im Inland begangen und damit auch die Beihilfe gem. § 9 Abs. 2 S. 1 StGB.[53] Das Verhalten der Mitarbeiter gehört zu ihrer berufstypischen Pflicht und führt zum Streit über die Bewertung neutraler Handlungen.[54] Die ausführliche Behandlung dieses Problems würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen. Nach der Ansicht des Verfassers würde es sich in diesem Fall noch um eine sozialadäquate Handlung handeln.  Unabhängig davon wie man die Einzelfragen entscheidet, ist im subjektiven Tatbestand zu beachten, dass die Privilegierung aus § 10 Abs. 1 TMG entfällt,[55] da es sich nur bei den öffentlichen Kanälen um Telemedien i.S.d. § 1 Abs. 1 TMG handelt. Falls die Taten nicht in diesen Kanälen begangen werden, reicht bedingter Vorsatz aus.

Ein strafrechtlich relevantes Unterlassen (§ 27 StGB) könnte man annehmen, wenn die Mitarbeiter es unterlassen, einen gemeldeten Beitrag zu prüfen bzw. zu löschen. Es stellt sich dann die Frage, woraus sich die nach § 13 StGB erforderliche Garantenstellung der Mitarbeiter ergibt.[56] Zu beachten ist, dass das NetzDG und das TMG aus den oben besprochenen Gründen wiederum nur dann Anwendung finden, wenn Taten der Nutzer in öffentlichen Kanälen begangen werden. Bezüglich dieser könnte man an eine Garantenstellung aus § 3 Abs. 2 Nr. 1-3 NetzDG denken, da dem Betreiber die Pflicht auferlegt wird, rechtswidrige Inhalte unverzüglich zu löschen oder zu sperren. Gegen eine strafrechtliche Verortung des Verhaltens spricht aber die Bußgeldvorschrift in § 4 Abs. 1 Nr. 3 NetzDG, die eine Sanktion vorsieht, für den Fall, dass der Betreiber die Löschung versäumt. Bestünde eine Garantenstellung, könnte man auf §§ 30 und 130 OWiG zurückgreifen, um eine Sanktion zu verhängen, ohne diese Norm bemühen zu müssen.[57] Die Systematik der Norm spricht deshalb gegen eine Garantenstellung aus dem Gesetz.

3. Betreiben krimineller Handelsplattformen im Internet, § 127 StGB 

Nennenswert ist schließlich noch das Betreiben krimineller Handelsplattformen (§ 127 StGB). Die Norm richtet sich primär gegen den Handel mit illegalen Waren und Dienstleistungen,[58] aber denkbar sind neben allgemeinen Aufrufen auch konkrete Tötungsabsichten,[59] die, wenn zumindest versucht, in den Katalog des § 127 Abs. 1 Nr. 1 StGB („Verbrechen“) fallen. Auch hier stellt sich die Frage, ob das deutsche Strafrecht anwendbar ist, da die Server im Ausland betrieben werden. Gem. § 5 Nr. 5a lit. b StGB gilt das deutsche Strafrecht nur, wenn die Handelsplattform den Zweck verfolgt, rechtswidrige Taten in Deutschland zu ermöglichen oder zu fördern, und der Täter Deutscher ist oder seine Lebensgrundlage im Inland hat. Mangels Informationen über die Staatsangehörigkeit und die persönlichen Verhältnisse des Entwicklerteams kann bzgl. dieser Voraussetzung keine Aussage getroffen werden. Ob die Handelsplattform es bezweckt, rechtswidrige Taten im Inland zu ermöglichen oder zu fördern, kann nicht beantwortet werden ohne zuerst festzustellen, dass die App überhaupt den Zweck verfolgt derartige Taten zu ermöglichen und zu fördern. Daher soll der Vollständigkeit halber zunächst die Norm auf ihre restliche Anwendbarkeit hin geprüft werden, um sodann am Ende der Prüfung auf die Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts zurückzukommen.

Eine Handelsplattform ist „jede virtuelle Infrastruktur im frei zugänglichen wie im durch technische Vorkehrungen zugangsbeschränkten Bereich des Internets, die Gelegenheit bietet, Menschen, Waren, Dienstleistungen oder Inhalte anzubieten oder auszutauschen“ (§ 127 Abs. 2 StGB). Fraglich ist zunächst, ob Telegram Teil des Internets nach dieser Definition ist, da es nicht browserbasiert ist. Nach der Begründung des Gesetzgebers müssen die Plattformen i.S.v. § 127 StGB nicht unbedingt browserbasiert sein, es sind auch administrierte Chatgruppen umfasst.[60] Telegram ist mit der Möglichkeit, Gruppen und Kanäle zu gründen, in denen man dann eigene Inhalte teilen und auf fremde Inhalte zugreifen kann, eine virtuelle Infrastruktur.

Ein Betreiben, kann das ursprüngliche Bereitstellen der Plattform sein, aber auch die aktive Pflege der Plattform durch administrative Tätigkeit, um die Plattform technisch in Stand zu halten.[61] Die Telegram-App wird derzeit von den Mitarbeitern der Telegram FZ LLC zumindest technisch betreut. Die Plattform wird in diesem Sinne also betrieben.

Schließlich müsste sich auch der Zweck der Plattform auf die Ermöglichung oder Förderung von Taten nach § 127 Abs. 1 Nr. 2 StGB richten. Telegram könnte die Intention verfolgen, die Begehung von Straftaten nach § 127 Abs. 1 Nr. 1 StGB i.V.m. §§ 211 StGB oder 212 StGB zu fördern. Dies kann jede Handlung sein, die die Herbeiführung des späteren Erfolgs objektiv begünstigt.[62] Durch das Betreiben der App stellt der Betreiber zwar einen Raum zur Verfügung, in dem die Beteiligten ihre Tötungsabsichten besprechen und optimieren können, so dass ein möglicher späterer Erfolg objektiv gefördert wird. Diese Förderung müsste aber auch der Zweck der App (Plattform) sein. Ob dies der Fall ist, muss anhand objektiver Indizien ermittelt werden.[63] Telegram selbst ist über die herkömmlichen App-Stores erreichbar und nicht im Darknet verortet. Dagegen spricht auch, dass die App in ihrem Aufbau nicht zwangsläufig die Begehung krimineller Aktivitäten vorsieht. Zwar wird es dem Nutzer erleichtert anonym zu bleiben, da kein Klarname, sondern lediglich die Telefonnummer zur Registrierung angegeben werden muss. Allerdings ist die anonyme Nutzung nicht zwingend und auch die Verschlüsselung ist teilweise schwächer als bei anderen vergleichbaren Instant-Messaging-Diensten.[64] Ferner sollen Plattformen, die ein rechtmäßiges Geschäftsmodell verfolgen, nach der gesetzgeberischen Intention gar nicht erst in den Anwendungsbereich des Tatbestandes fallen.[65] Der Betreiber von Telegram erzielt dadurch, dass Nutzer in der App Morde planen, keinen Gewinn. Der Gewinn wird durch das Schalten von Werbung in großen öffentlichen Kanälen erzielt. In Anbetracht aller Argumente kann demnach nicht davon ausgegangen werden, dass Telegram den Zweck hat, die Begehung von Straftaten zu ermöglichen oder zu fördern. § 127 Abs. 1 S. 1 StGB ist aus diesem Grund nicht anwendbar. Infolgedessen kann auch nicht die Rede davon sein, dass die App die Ermöglichung solcher Taten im Inland zum Zweck hat. Mangels Einschlägigkeit des § 5 Nr. 5a lit. b StGB ist das deutsche Strafrecht schon gar nicht anwendbar.

IV. Fazit

Im Hinblick auf die Nutzer von sozialen Netzwerken und Instant-Messaging-Diensten ergibt sich ein gespaltenes Bild. Zwar ist die strafrechtliche Verfolgung von Tötungsaufrufen und Drohungen in öffentlichen Chats und Kanälen ohne größere Probleme möglich (§§ 126, 111 StGB).

Bei privaten Chats fällt der Nachweis der konturenlosen Voraussetzungen einzelner Tatbestandsmerkmale, wie etwa der Eignung zur Friedensstörung (§ 126 Abs. 1 StGB) wesentlich schwerer. Man könnte anführen, dass eine Strafbarkeit für Äußerungen in solchen Gruppen nicht erforderlich ist, da es aufgrund der Überschaubarkeit des Personenkreises nicht zu einer Friedensstörung kommt. Andererseits erscheint die Unterscheidung von strafbaren Tötungsaufrufen und solchen, die nicht strafbar sind, in Chats mit tausenden Mitgliedern anhand ihrer Zugänglichkeit willkürlich.

Die Betreiber der App machen sich nach der hier vertretenen Ansicht durch das Betreiben der Plattform und die Unterlassung der Löschung von rechtswidrigen Inhalten nicht der Beihilfe zu Haupttaten ihrer Nutzer strafbar. Es liegt im Regelfall auch nicht der Betrieb einer kriminellen Handelsplattform i.S.v. § 127 StGB vor.

 

[1]      Online abrufbar unter: https://www.rnd.de/politik/telegram-hunderte-toetungsaufrufe-in-chats-dokumentiert-GJWHRWIB6UTO656LRZJTCR3VGA.html (zuletzt abgerufen am 21.3.2022).
[2]      Online abrufbar unter: https://www.tagesschau.de/investigativ/ funk/todesdrohungen-telegram-101.html (zuletzt abgerufen am 21.3.2022).
[3]      Beispielhaft hierfür ist der Corona-Infokanal des Bundesministeriums für Gesundheit.
[4]      Online abrufbar unter: https://telegram.org/faq (zuletzt abgerufen am 21.3.2022).
[5]      Online abrufbar unter: https://www.wiwo.de/politik/ausland/staatsanwalt-ueber-umstrittenen-messengerdienst-aus-unserer-sicht-spricht-seh-viel-dagegen-telegram-abzuschalten/28052446.html (zuletzt abgerufen am 21.3.2022).
[6]      Siehe hierzu: https://telegram.org/faq (zuletzt abgerufen am 21.3.2022).
[7]      Rengier, § 27 Rn. 2.
[8]      „Sie werden keine ruhige Stunde […] haben” reicht nicht aus, um eine Bedrohung anzunehmen, vgl. BGH, NJW 1962, 1830 (1830).
[9]      BGH, NStZ-RR 2013, 375 (377); Valerius, in: BeckOK-StGB, (Stand: 1.2.2022), § 241 Rn. 2.
[10]    Bosch, MüKo-StGB, 4. Aufl. (2021), § 111 Rn. 4.
[11]    BGH, NJW 1984, 1631 (1631).
[12]    So auch: Ostendorf/Frahm/Doege, NStZ 2021, 529 (532).
[13]    Fischer, StGB, 69. Aufl. (2022), § 111 Rn. 7 m.w.N.
[14]    Fischer, StGB, § 111 Rn. 8.
[15]    BT-Drs. IV/650, S. 464; Heger, in: Lackner/Kühl, StGB, 29. Aufl. (2018), § 111 Rn. 1.
[16]    Hambel, ZJS 2019, 10 (11).
[17]    Heger, in: Lackner/Kühl, StGB, § 111 Rn. 1.
[18]    Fahl, in: SSW-StGB, 4. Aufl. (2019), § 111 Rn. 4.
[19]    Vgl. auch BGH, NJW 2005, 689 (691).
[20]    Online abrufbar unter: https://telegram.org/faq (zuletzt abgerufen am 21.3.2022).
[21]    BT-Drs. 19/19859, S. 2.
[22]    OLG Frankfurt a.M., NStZ 1999, 356 (358).
[23]    BT-Drs. 19/19859, S. 2.
[24]    Bosch, MüKo-StGB, § 111 Rn. 23.
[25]    Eine tatsächliche Störung des Friedens ist nicht notwendig, BGH, NJW 1987, 1898 (1898).
[26]    BGH, NStZ 2010, 570 (570); NStZ-RR 2011, 273 (274); Fischer, StGB, § 126 Rn. 9.
[27]    Esser, in: Hornung/Müller-Terpitz, Rechtshandbuch Social Media, 2. Aufl. (2021), Kap. 8 Rn. 32.
[28]    Esser, in: Esser/Tsambikakis, Pandemiestrafrecht, 2020, § 4 Rn. 34 m.w.N.
[29]    BGH, NStZ-RR 2011, 273 (274).
[30]    BGH, NStZ-RR 2011, 273 (274); OLG Frankfurt a.M., BeckRS 2019, 38712 Rn. 15.
[31]    Online abrufbar unter: https://www.rnd.de/politik/morddrohungen-bei-telegram-soziologe-sieht-messenger-als-enthemmungsmaschi ne-M4VH3VXINH62BDLLHEJGQREZ34.html (zuletzt abgerufen am 21.3.2022).
[32]    Online abrufbar unter: https://www.zeit.de/thema/walter-luebcke (zuletzt abgerufen am 21.3.2022).
[33]    BGH, NStZ 2010, 570 (570); krit. Nagler, StV 2020, 178 (178).
[34]    Esser (Fn. 28).
[35]    Online abrufbar unter: https://www.saarbruecker-zeitung.de/saarland/telegram-nutzer-feiern-doppelmord-an-saarlaendischen-polizisten-i
-kusel_aid-65844603 (zuletzt abgerufen am 21.3.2022).
[36]    Die Tat muss aber versucht oder vollendet worden sein, vgl. Hohmann, MüKo-StGB, § 140 Rn. 7.
[37]    BGHSt, 22, 282 (286).
[38]    LG Hamburg, NStZ 2020, 737 (737).
[39]    OLG Karlsruhe, Beschl. v. 11.5.2017 – 2 Rv 9 Ss 177/17.
[40]    OLG Hamm, BeckRS 2019, 33542 Rn. 12.
[41]    Liesching, in: Erbs/Kohlhaas-NetzDG, 238. EL (2021), § 1 Rn. 2.
[42]    Martini, BeckOK-TMG, § 1 Rn. 14.
[43]    Online abrufbar unter: https://telegram.org/faq#f-was-ist-der-unterschied-zwischen-gruppen-und-kanalen (zuletzt abgerufen am 21.3.2022).
[44]    BT-Drs. 16/3078, S. 13.
[45]    BT-Drs. 18/12356, S. 18.
[46]    Online abrufbar unter: https://www.pcwelt.de/news/Telegram-fuehrt-Werbung-ein-was-das-fuer-Nutzer-bedeutet-11124369.html (zuletzt abgerufen am 21.3.2022).
[47]    Online abrufbar unter: https://www.messengerpeople.com/de/weltweite-nutzer-statistik-fuer-whatsapp-wechat-und-andere-messenger/ (zuletzt abgerufen am 21.3.2022).
[48]    Online abrufbar unter: https://de.statista.com/infografik/26390/umfrage-zur-nutzung-des-telegram-messengers-in-deutschland/ (zuletzt abgerufen am 21.3.2022).
[49]    Laut einer Studie der HTWK ist dies bereits zu beobachten, abrufbar unter: https://fim.htwk-leipzig.de/no_cache/fakultaet/details-allgemeine-nachrichten/artikel/3880/ (zuletzt abgerufen am 21.3.2022).
[50]    „Bis zum heutigen Tag haben wir 0 Byte Nutzerdaten an Dritte weitergegeben“, abrufbar unter: https://telegram.org/faq (zuletzt abgerufen am 21.3.2022).
[51]    Online abrufbar unter: https://www.handelsblatt.com/politik/ deutschland/innere-sicherheit-umstrittener-messengerdienst-telegram-will-mit-deutschen-behoerden-kooperieren/28037814.html (zuletzt abgerufen am 21.3.2022).
[52]    Online abrufbar unter: https://telegram.org/faq/de (zuletzt abgerufen am 21.3.2022).
[53]    Probleme bei der Beihilfe ergeben sich, wenn Gefährdungsdelikte wie §§ 111, 126 StGB auch im Ausland begangen würden, vgl. Esser, in: Hornung/Müller-Terpitz, Kap. 8 Rn. 11 ff.
[54]    Ein Überblick über den Meinungsstand findet sich bei Joecks/Scheinfeld, MüKo-StGB, 4. Aufl. (2020), § 27 Rn. 54 ff; Die Bereitstellung einer Plattform wird noch nicht als strafwürdig eingestuft, LG Karlsruhe, StV 2019, 400 (401).
[55]    Wie von der Norm verlangt, speichert Telegram Chats auf Cloud-servern, abrufbar unter: https://telegram.org/faq (zuletzt abgerufen am 21.3.2022).
[56]    Zur Garantenstellung bei Teilnehmern: Krüger, ZIS 2011, 1 (2).
[57]    Eckel/Rottmeier, NStZ 2021, 1 (6).
[58]    Kulhanek, BeckOK-StGB, § 127 Rn. 1 ff.
[59]    Online abrufbar unter: https://www.zdf.de/nachrichten/politik/corona-leugner-sachsen-kretschmer-mordplaene-telegram-100. html (zuletzt abgerufen am 21.3.2022).
[60]    BT-Drs. 19/28175, S. 15.
[61]    Kulhanek, BeckOK-StGB, § 127 Rn. 20 ff.
[62]    Kulhanek, BeckOK-StGB, § 127 Rn. 33.
[63]    Eine Auflistung findet sich bei: Kulhanek, BeckOK-StGB § 127    Rn. 37; s. auch BT-Drs. 19/28175, S. 15.
[64]    Online abrufbar unter: https://www.heise.de/tipps-tricks/Wie-sicher-ist-Telegram-5048425.html#rechts (zuletzt abgerufen am 21.3.2022).
[65]    BT-Drs. 19/28175, S. 15.

 

 

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