Das AG Bielefeld hatte sich in seiner Entscheidung erstmalig mit der Frage zu beschäftigen, ob die Perforierung eines zum Geschlechtsverkehr verwendeten Kondoms einen sexuellen Übergriff nach dem neuen Sexualstrafrecht darstellt. Die Angeklagte hatte mehrere Kondome des Geschädigten mit Löchern versehen, um schwanger zu werden. In mindestens einem Fall kam es dann zum Geschlechtsverkehr mit einem so manipulierten Präservativ.
I. Grundsätzliche Straflosigkeit von Täuschungen im Sexualstrafrecht
Das neue Sexualstrafrecht wirft gerade in Täuschungskonstellationen immer wieder interessante Probleme auf. Dabei sieht das geltende Recht grundsätzlich keinen Schutz vor Täuschungen vor. § 177 Abs. 1 StGB verlangt einen der sexuellen Handlung erkennbar entgegenstehenden Willen. An diesem fehlt es, wenn das Einverständnis erschlichen wird.[1]
Gleichwohl beschäftigten Täuschungen gerade in Bezug auf die Verhütung in der Vergangenheit die Gerichte. Die Frage der Strafbarkeit des heimlichen Abziehens oder Nicht-Verwendens eines Kondoms (sog. Stealthing) dürfte dabei spätestens seit der klarstellenden Entscheidung des 3. Strafsenats geklärt sein.[2]
II. Die Strafbarkeit von Verhütungslügen de lege lata
(a) Das BayObLG, das KG und das OLG Schleswig haben die Strafbarkeit damit begründet, dass es sich bei dem Geschlechtsverkehr ohne Kondom um eine objektiv andere sexuelle Handlung handelt, die gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person vorgenommen wird.[3] Die andere Qualität der sexuellen Handlung ergebe sich daraus, dass es sich bei dem Kondom um eine mechanische Barriere handle und es durch die Nicht-Verwendung zu einem ungewollten Kontakt der Schleimhäute käme. Jedenfalls liegt nach Auffassung des KG eine weitergehende sexuelle Handlung vor, wenn es zu einer Ejakulation kommt. Straflos bleiben dagegen Verhütungslügen, die nicht mit dem physischen Sexualkontakt selbst zusammenhängen.[4] Damit ist es etwa straflos, wenn eine Person darüber täuscht, die Antibabypille einzunehmen.[5]
(b) Nach diesem Maßstab erscheint es konsequent, wenn das OLG Hamm einen sexuellen Übergriff in dem Fall bejaht, in dem ein Geschlechtspartner entgegen einer vorherigen Absprache den Geschlechtsverkehr nicht vor Ejakulation abbricht (sog. coitus interruptus), sondern bis zum Samenerguss vollzieht.[6] Auch hier kommt es durch die Berührung mit dem Ejakulat zu einer weitergehenden sexuellen Handlung, die aufgrund der vorherigen Kommunikation erkennbar nicht gewollt war.
(c) Einen vergleichbaren Fall sieht das AG Bielefeld auch in der Manipulation von Präservativen. Im von ihm zu entscheidenden Fall hatte eine Frau vor dem Geschlechtsverkehr die verwendeten Kondome in der Hoffnung perforiert, eine Schwangerschaft herbeiführen zu können. Das AG hat eine Strafbarkeit wegen sexuellen Übergriffs hauptsächlich mit dem Argument angenommen, der Geschlechtspartner hätte den Geschlechtsverkehr im Wissen um die Manipulation nicht vorgenommen und der Fall müsse dem Stealthing gleichgestellt werden.
Diese Parallele überzeugt auf Basis des bisher dargelegten Maßstabs jedoch nicht. Ein physisch anderer Charakter der sexuellen Handlung könnte hier allenfalls damit begründet werden, dass es durch einen Flüssigkeitsaustritt durch die Löcher zu einer ungewollten Berührung mit Körperflüssigkeiten des anderen kommt. Stellt man dabei jedoch auf das Ejakulat ab, das aus dem Präservativ austritt, ist dieser Kontakt seitens der Person, die das Kondom perforiert hat, gewollt. So hatte das AG Bielefeld im Fall festgestellt, dass es der Angeklagten gerade darauf ankam eine Schwangerschaft herbeizuführen und sich so an den Geschädigten zu binden. Etwas anderes könnte hier nur gelten, wenn eine dritte Person die Manipulation vornimmt, um eine nicht gewollte Schwangerschaft herbeizuführen, beispielsweise in dem – zugegebenermaßen sehr konstruiert anmutenden Fall – in dem Eltern die Kondome erwachsener Nachkommen ohne Kinderwunsch perforieren, um selbst endlich Großeltern zu werden.
Nachdem eine Strafbarkeit damit überwiegend nicht mit einem Flüssigkeitsaustritt begründet werden kann, bleibt als Anknüpfungspunkt für den objektiv anderen Charakter der sexuellen Handlung nur noch der Flüssigkeitseintritt in das Kondom. Beim Vaginalverkehr könnte dies etwa in einem Eindringen des weiblichen Lubrikats bestehen. Für die Begründung einer Strafbarkeit hätte also nachgewiesen werden müssen, dass in das getragene Kondom Flüssigkeit eindringen kann.
(d) Der Fall offenbart damit grundsätzliche Schwächen der strafrechtlichen Regulierung von Verhütungslügen. Dadurch, dass nicht ein ungewolltes Schwangerschafts- oder Infektionsrisiko im Zentrum des § 177 Abs. 1 StGB steht, sondern eine sexuelle Handlung gegen den Willen des Opfers, kommt es für die Strafbarkeit auf Umstände des Einzelfalls an. Täuschungen über Formen der Verhütung, die in den Verantwortungsbereich von Männern fallen (Verwenden eines Kondoms, Vollzug des coitus interruptus) können eher zu einer Strafbarkeit führen als Täuschungen über Verhütungsmitteln, die von Frauen eingesetzt werden (etwa die Einnahme einer Antibabypille oder das Tragen eines Intrauterinpessars oder -systems [„Spiralen“]).
III. Begründung einer anderen sexuellen Handlung durch Schwangerschafts- und Infektionsrisiken?
Interessant ist deshalb, dass der BGH in seiner – nach der des AG Bielefeld ergangenen – Stealthing-Entscheidung die andere Qualität des Geschlechtskehrs hauptsächlich damit begründet, dass sich Kondome zur Schwangerschafts- und Infektionsverhütung eignen.[7] Allein diese Zwecksetzung vermag den Charakter der sexuellen Handlung jedoch nicht zu ändern. Würden beispielsweise ein Mann und eine Frau vereinbaren beim Vaginalverkehr zu verhüten, indem sie jeweils in Tablettenform die HIV-Prä-Expositionsprophylaxe und die Frau zusätzlich die Pille einnehmen, wäre der objektiv zwischen beiden stattfindende physische Vorgang des Vaginalverkehrs der gleiche, auch wenn eine Person ihre Medikation absprachewidrig absetzt. Der stattfindende Austausch von Körperflüssigkeiten bleibt unverändert.[8]
IV. Ausblick
De lege lata muss daher für eine Strafbarkeit nach § 177 Abs. 1 StGB weiterhin begründet werden, warum die Manipulation eines Verhütungsmittels oder die Täuschung über dessen Verwendung der sexuellen Handlung ein objektiv anderes Gepräge gibt. Das hat das AG Bielefeld in seiner Entscheidung nicht ausreichend dargelegt. De lege ferenda sollte die an sich überzeugende Haltung des BGH, die Schwangerschafts- und Infektionsverhütung als Teil der sexuellen Selbstbestimmung anzusehen, Anlass bieten, den bei den Verhütungslügen entstehenden Flickenteppich rechtspolitisch aufzuarbeiten.
[1] Vert. Hoven/Weigend, KriPoZ 2018, 156 (158); a.A. Vavra, ZIS 2018, 611 (613).
[2] BGH, NJW 2023, 701; bereits zuvor bejahend BayObLG, NStZ-RR 2022, 43; KG, JR 2021, 189 m. Anm. Geneuss/Bublitz/Papenfuß; OLG Schleswig, NStZ 2021, 619.
[3] BayObLG, NStZ-RR 2022, 43; KG, JR 2021, 189; OLG Schleswig, NStZ 2021, 619.
[4] Hoffmann, NStZ 2019, 16 (17).
[5] Renzikowski, in: MüKo-StGB, 4. Aufl. (2021), § 177, Rn. 51; Keßler, Sexuelle Täuschungen, 2021, S. 350; Neumann, M., Pönalisierung des sexuellen Übergriffs und der sexuellen Nötigung durch § 177 StGB, 2019, S. 159.
[6] OLG Hamm, NStZ-RR 2022, 276.
[7] BGH, NJW 2023, 701 m. Anm. Bauer, KriPoZ 2023, 96 ff. (in diesem Heft).
[8] Renzikowski, in: MüKo-StGB, § 177, Rn. 51.