„Kongress Netzwerk demokratische Polizei. Forschung, Bildung, Praxis im gesellschaftlichen Diskurs.“

von Michael Rubener, M.A. 

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Am 9. und 10. September 2021 fand erstmalig der bundesweite Kongress Netzwerk demokratische Polizei     (NetDemPol) im Hannover Congress Centrum (HCC) statt. Der Kongress wurde von der Polizeiakademie Niedersachsen gemeinsam mit der Konferenz der polizeilichen Hochschulen, Fachbereiche und Akademien des Bundes und der Länder (HPK) durchgeführt.[1]

Besondere Umstände durch die Corona-Pandemie erforderten eine hybride Veranstaltung. Auch bedurfte es mehrerer organisatorischer Anpassungen im Vorfeld. Dennoch nahmen mehr als 200 Teilnehmende vor Ort im HCC sowie mehrere Hundert Gäste digital via Livestream teil. Die Online-Teilnahme beinhaltete die Möglichkeit, Fragen über einen Chat zu stellen. Der Kongress beabsichtigte eine möglichst gleichwertige Aufteilung der Gäste, Referentinnen und Referenten auf Akteure aus Polizei, Politik, Bildung und Wissenschaft.

Die Veranstaltung hatte einen konstruktiv-kritischen Austausch zwischen Wissenschaft und Polizeipraxis und die Stärkung der demokratischen Widerstandskraft[2] zum Ziel. „Die Polizeiakademie Niedersachsen und die HPK sehen den Kongress als weiteren Baustein zur Demokratiestärkung der Polizei, die nicht mit dem Ende der Tagung schließt, sondern weiterer Impulse, Anregungen, Diskussionen etc. bedarf, um den Diskurs stetig fortzusetzen“, so Dr. Martin Mauri (Leiter Studiengebiet 4 – Sozialwissenschaften und Führung, inhaltlicher Verantwortlicher des Kongresses) im Nachgang der Veranstaltung.

Im Kontext vermehrter medialer Berichterstattung zu rechtsradikalen Tendenzen in der Polizei bundesweit[3] bot der Kongress ein den Zeitgeist treffendes Programm mit inhaltlicher Orientierung an den Themenfeldern Demokratie, Radikalisierung, Interkulturalität, Diskriminierung und der Zusammenarbeit von Wissenschaft und Polizeisowie Polizei und Zivilgesellschaft. Der inhaltlichen Gestaltung des Kongresses gelang darin das Wiedererkennen der demokratische Resilienzoffensive der Polizei Niedersachsens.[4]

Dem Kongress voran stand ein Online-Planungstreffen mit interessierten Akteuren zur Identifikation lang- und mittelfristig polizeirelevanter Themen für den Kongress.

I. Begrüßung, Key Note, Impulse

Am ersten Tag folgte der Begrüßung durch u.a. den Direktor der Polizeiakademie Niedersachsen, Carsten Rose, ein Grußwort des Niedersächsischen Ministers für Inneres und Sport, Boris Pistorius. Daran schloss die erste Key Note „Demokratie schützen – Zur Rolle der Institutionen und ihrer Mitwirkenden“ von Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Andreas Voßkuhle an. Dieser ist Vorsitzender des Vereins Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V., welcher gemeinsam mit der Polizeiakademie Niedersachsen ein Bildungsangebot zu den im Verlauf des Kongresses oft erwähnten Strategiepaten/Strategiepatinnen für Demokratiearbeit in der Polizei Niedersachsen[5] entwickelte. Voßkuhle stellte heraus, dass eine große Gefahr im Eintreten von Verfassungsfeinden in den Polizeidienst liege. Selbige müssten identifiziert und entfernt werden, im Sinne einer wehrhaften Demokratie. Ebenso betonte er, die Gefahr gehe hier eher vom Rechtsextremismus als vom Linksextremismus oder dem Islamismus aus, da zuletzt Genannte nicht oder nur selten versuchten, Polizistinnen oder Polizisten zu werden. Die Strategiepaten, bald 80 innerhalb der Polizei Niedersachsen, seien ein Instrument, um in allen Inspektionen, als Teil ihres Dienstes, als Teil ihres Amtes, das Demokratiebewusstsein in der Polizei zu stärken.

Darauf folgte ein Beitrag zum „Wesen einer demokratischen Polizei“ durch Herrn Dr. Dirk Götting, dem Leiter der Forschungsstelle für Polizei- und Demokratiegeschichte der Polizeiakademie Niedersachsen.

II. Forschung und Polizei. Projekte, Studien, Thesen

Ab der zweiten Tageshälfte bestand die Möglichkeit, an mehreren parallelen Veranstaltungen teilzunehmen. Diese umfassten Vorträge der Themenfelder Diskriminierungstendenzen (darunter Prof. Dr. Tobias Singelnstein) und Organisationskultur (darunter Prof. Dr. Rafael Behr). In letzterem genannten Vortrag wurde, initiiert aus dem Publikum, die Frage diskutiert, ob Cop Culture grundsätzlich negativ zu beurteilen sei. Behrverneinte dies und führte dazu den Vergleich zu Leitbildern auf: diese seien auch gut, aber nicht praktikabel. Die Handlungen innerhalb Cop Culture hingegen seien praktikabel, aber nicht menschenrechtskonform. Als Lösung bewarb er unterschiedliche Kulturen durch Leitungen ‚von außen‘ zu etablieren und diese nicht aus ihrer Mitte zu rekrutieren.

Darauf folgten parallel durchgeführte Panels zu den Themen Rassismus, Antisemitismus, Sexismus, sowie Gender/LSBTIQ. Die Referentin zum Themenfeld Antisemitismus, Dr. Sarah Jadwiga Jahn, , stellte ein Defizit im Verständnis von Antisemitismus fest. Selbiges müsse über ‚nur‘ eine Deliktorientierung hinaus betrachtet werden. Eine Unterscheidung zwischen klassischem und israelfeindlichen Antisemitismus reiche nicht. Dazu beschrieb sie anhand des Beispiels #Pizzagate[6] wie Stereotype oder politische Hintergründe, aus der Mitte der Gesellschaft, durch soziale Medien, ‚real‘ werden und letztlich zu strafrechtlicher Handlung führen können. Mit Blick auf das zeithistorische Bewusstsein stellt sie dazu die offene Frage, ob Polizistinnen und Polizisten nun jedes Pizzastück (Teil von Verschwörungstheorien) kennen müssten, um Antisemitismus zu identifizieren.

Als vorletzten offiziellen Programmpunkt boten die Referentinnen Prof. a.d.PA Dr. Daniela Klimke, Prof. a.d.PA Dr. Astrid Jacobsen, Dr. Michaela Wendekamm, und Sabine Jacobi, M.A., einen Ausblick auf das derzeitige und zukünftige Zusammenspiel von Forschung und polizeilichem Handeln an. Ein Thema, dass sich in mehreren Key Notes, Wortbeiträgen und Workshops wie ein roter Faden durch die gesamte Veranstaltung zog.

III. Messe

Der letzte Programmpunkt des Tages stellte eine Besonderheit dar. Hier wurden in einem Erlebnisgang aktuelle Projekte und Initiativen der Polizeien sowie der Forschung ausgestellt. Teils fanden sich an den Ständen die Referentinnen und Referenten des Tages ein. Zu besuchen waren Infostände zu ca. 30 Themen, an denen man sich im Austausch mit den Verantwortlichen über aktuelle Projektstände, der derzeitigen Situation bestimmter Thematiken/Problemfelder und zukünftiger Vorhaben informieren konnte.

Jeweils mit mehreren Themen vertreten waren u.a. die Polizeien Hamburg, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, die Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin sowie die Deutsche Hochschule der Polizei Münster, darunter auch ein Messestand des Projektes „Motivation, Einstellung & Gewalt im Alltag von Polizeivollzugsbeamten (MEGAVO)“[7]. Selbiger bot Informationsmöglichkeiten zum Projektablauf, den unterschiedlichen Ansätzen der quantitativen und qualitativen Datenerhebung sowie zur Auswahl der Forschungsorte. Ebenfalls vertreten war das neu gegründete Forschungsinstitut Sächsisches Institut für Polizei- und Sicherheitsforschung (SIPS) mit einer Vorstellung gegenwärtig laufender Forschungsinitiativen.

IV. Polizeiliche Bildung, demokratische Werte, gesellschaftliche Herausforderungen

Eingeleitet durch die Key Note „Freiheit: wozu? Von Sicherheit und Freiheit in einer digitalisierten, demokratischen Gesellschaft, von Marina Weisband[8], begann der zweite Tag des Kongresses. Daran schloss der Vortrag „Zusammenarbeit von Polizei und Zivilgesellschaft“ von Dr. Michael Parak, Geschäftsführer des Vereins Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V., an. Dieser bewarb die Zusammenarbeit der Polizei mit zivilgesellschaftlichen Akteuren, im Sinne davon externes Knowhow, welches partiell nicht in Organisationen abzurufen ist, aktiv durch Externe einzubinden. Darin hob er den politischen Willen[9], wie auch die schon vorhandene abrufbare Expertise hervor.

Darauffolgend luden sechs parallele Workshops zur Teilnahme ein. Die Inhalte waren: 1) Der aktuelle gesellschaftliche Diskurs zum Thema Rassismus und Vorurteile, 2) Polizei, Demokratie und Menschenrechte, 3) Erleben eines interkulturellen Trainings (aktive Teilnahme), 4) Polizeiliche Kulturen, 5) Offener Diskussionsraum, 6) Demokratische Resilienz in der Personalauswahl. Die Ergebnisse wurden im Anschluss für alle zugänglich in der Niedersachsenhalle vorgestellt.[10]

V. Demokratiestärkung, Polizeiliche Führungs- und Organisationsaufgabe

Den Themen Führung, Demokratie und Radikalisierung widmeten sich in diesem Programmpunkt die in der Niedersachsenhalle gehaltenen Vorträge „Ist die offene Gesellschaft in Gefahr? Zur Rolle von Führungskräften im Wettbewerb der Narrative“, „Demokratiestärkung als Führungsaufgabe“, „Die Verhinderung von Radikalisierungsgefahren als besondere Herausforderung für moderne polizeiliche Führung“, welche in eine offene Diskussion zu Demokratiestärkung als polizeiliche Führungs- und Organisationsaufgabe übergingen.

VI. Praxistransfer und Ausblick

Der letzte inhaltliche Tagespunkt des Kongresses, „Round Table Transferstrategien und praxisorientierte Nutzbarmachung“, diente der genaueren Betrachtung der Zusammenarbeit Wissenschaft und Polizeipraxis. In einem Gruppengespräch[11] wurde konstruktiv diskutiert in wie weit wissenschaftliche Erkenntnisse ihren Weg in das alltägliche polizeiliche Handeln finden können, oder was diese Transferleistung erschwert. In diesem Kontext wurden die Themenfelder Führung (Wie lebt man demokratische Haltung vor?), Fortbildung (insbesondere interkulturelle Sensibilisierung und externe Partner), Ausbildung (Demokratiebewusstsein vermitteln, nicht nur ‚auswendig lernen‘) und Zusammenarbeit von Polizei und Zivilgesellschaft (bestehende Bildungsangebote nutzen und aktiv suchen) berührt.

Den Abschluss des Kongresses bildete die Verabschiedung durch den Direktor der Polizeiakademie Niedersachsen, Carsten Rose mit der Sprecherin und dem Sprecher der HPK, Prof. Dr. Sabrina Schönrock (Berlin) und Friedel Durben (Rheinland-Pfalz). 

VII. Fazit

Eingangs der Veranstaltung eröffnete Carsten Rose damit, dass die Polizei die Institution ist, die Gewalt ausübt und es deshalb wichtig sei, dies beforschen zu lassen. Auch zukünftig werden die Polizeien als Organisationsform, wie auch Polizistinnen und Polizisten, nicht aus dem Fokus des gesellschaftlichen und medialen Interesses rücken. Die Forderung nach Transparenz, sowie nach Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Polizei, wurde im Laufe des Kongresses gleichermaßen von Akteuren aus Theorie und Praxis, Forschung und polizeilichen Handelns, wiederholt.

Trotz dessen, dass durchaus kritische Konfrontationen im Diskurs ausgetragen wurden (u.a. der Vorwurf des strukturellen Rassismus), wurde dennoch immer eine konstruktive Ebene bewahrt oder zu dieser zurückgefunden.

Der Kongress zeigte im Spannungsfeld zwischen Transparenz und institutionellem Vertrauen, u.a. am Beispiel der Strategiepatinnen und -paten der Polizei Niedersachsen, wie gute Kooperation funktionieren kann und bewarb diese aktiv zu suchen und fortzusetzen. Deutlich dazu beigetragen hat, so ist anzunehmen, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sich in gemischten Arbeitsgruppen von Akademikerinnen und Akademikern, Polizistinnen und Polizisten sowie zivilgesellschaftlichen Akteuren fanden und austauschten. Dies ist als die Stärke eines solchen Kongressformates herauszustellen.

 

[1]      Die Ergebnisse werden in einem Tagungsband beim Verlag für Polizeiwissenschaft publiziert. Den Kongress begleitete ein Künstler, welcher die verbalisierten Inhalte durch Skizzen in Echtzeit visualisierte. Ebenfalls angekündigt wurde ein Impressionsfilm bestehend aus Eindrücken, Beiträgen und Wortmeldungen.
[2]      Carsten Rose, Direktor der Polizeiakademie Niedersachsen, während der Veranstaltungseröffnung (9.9.2021).
[3]      Beispielhaft aufgeführt: rechtsextreme Chats von Polizeiangehörigen in u.a. Hessen und Nordrhein-Westfalen, die Neustrukturierung des Spezialeinsatzkommandos (SEK) der Polizei Hessen in diesem Kontext, der Verdacht rechter Vergangenheit eines Professors der Bundespolizeiakademie, weiter wurde der Bundestag befragt u.a. in BT-Drs.19/7245 zu Erkenntnissen über Rechtsextremismus in Polizeibehörden sowie in BT-Drs. 19/26734 zur Umsetzung des Maßnahmenpakets des Kabinettsausschusses zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus.
[4]      Hierzu Nds. LT-Drs.  18/7926; Antwort auf die Anfrage der Abgeordneten Julia Willie Hamburg und Susanne Menge (GRÜNE); Nds. LT-Drs. 18/7641.
[5]      Hierzu Jahresbericht 2020 Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V., sowie Nds. LT-Drs.18/7926, im Nachgang einer Anfrage der Abgeordneten Julia Willie Hamburg und Susanne Menge (GRÜNE); Nds. LT-Drs. 18/7641.
[6]      Siehe u.a. https://taz.de/Verschwoerungstheorie-ueber-Clinton/!5364337/ (zuletzt abgerufen am 23.9.2021).
[7]      Hierzu www.polizeistudie.de.
[8]      Politikerin und Publizistin, ehemalige politische Geschäftsführerin des Bundesvorstands der Piratenpartei.
[9]      Hierzu Austausch mit zivilgesellschaftlichen Bildungsinitiativen Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung/Antwort (hib 969/2021, vom 20.8.2021), online abrufbar unter: https://www.bundestag.de/presse/hib/855468-855468 (zuletzt abgerufen am: 23.9.2021).
[10]    Ebenso wurden im Nachgang der Veranstaltung erste gesammelte Erkenntnisse sowie die graphischen Visualisierungen (s. Fn. 1) an die Teilnehmer digital übersandt.
[11]    Teilnehmerinnen und Teilnehmer: Prof. Sandra Schmidt (Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin), Dr. Michael Parak (Geschäftsführer Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V.), Johann Kühme, (Präsident der Polizeidirektion Oldenburg), Kathrin Hartmann (Hessische Hochschule für Polizei und Verwaltung), Michael Rubener(Moderation).

 

 

 

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