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Verkehrsdelikte mit Todesfolge – Vorschlag für eine Reform der §§ 315 ff. StGB

von Prof. Dr. Elisa Hoven und Yannis Nehrig

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Abstract
Die Strafrahmen der Verkehrsdelikte in §§ 315 ff. StGB sind nicht überzeugend aufeinander abgestimmt; insbesondere die Qualifikations- und Erfolgsqualifikationstatbestände sind unvollständig und systematisch inkonsequent. Wie ein aktueller Fall aus Thüringen zeigt, haben die normativen Defizite auch praktische Relevanz: Da §§ 315-315c StGB bislang keine Erfolgsqualifikationen für die Herbeiführung des Todes eines anderen Menschen enthalten, kann das besondere Unrecht etwa einer durch eine Trunkenheitsfahrt fahrlässig herbeigeführten Tötung nicht angemessen abgebildet werden. Die Verfasser analysieren die systematischen Schwächen des geltenden Rechts und unterbreiten einen konkreten Reformvorschlag.

The law on traffic offences in §§ 315 ff. of the German Criminal Code is highly deficient and systematically inconsistent. As a recent case from Thuringia shows, the normative deficits do have practical relevance: Since §§ 315-315c of the Criminal Code do not yet contain any qualification for causing the death of another person, the specific injustice of, for example, a death negligently caused by a drunken drive, cannot be adequately reflected in the law. The authors analyze the systematic weaknesses of the current law and submit a proposal for reform.

I. Kriminalpolitischer Anlass für Reformüberlegungen

Am 1. April 2023 geriet ein stark alkoholisierter Autofahrer, der nicht im Besitz einer Fahrerlaubnis war, auf die Gegenfahrbahn der B247 bei Bad Langensalza und tötete sieben Menschen, drei weitere wurden teilweise lebensgefährlich verletzt.[1] Der Fall hat in der Öffentlichkeit große Betroffenheit ausgelöst und den Wunsch nach einem „gerechte[n] Urteil für jemanden, der sieben Menschenleben ausgelöscht hat“.[2]

Tatsächlich können die Gerichte nach geltendem Recht lediglich eine Höchststrafe von fünf Jahren verhängen. Zwar hat die zuständige Staatsanwaltschaft angekündigt, auch wegen eines vorsätzlichen Tötungsdeliktes zu ermitteln. Doch obgleich der genaue Unfallhergang noch nicht bekannt ist, erscheint eine solche Einordnung schwierig. Alkoholbedingt verursachte Unfälle zeichnen sich in aller Regel dadurch aus, dass der Fahrer seine Fähigkeiten stark überschätzt; dass der Tod von Menschen zumindest billigend in Kauf genommen wird, ist eher fernliegend und wurde in vergleichbaren Konstellationen auch nicht bejaht.[3] Wird dem Fahrer lediglich Fahrlässigkeit zur Last gelegt, gilt ein Strafrahmen, der angesichts der Schwere der Tat und auch im systematischen Vergleich zu ähnlichen Delikten nicht angemessen ist. Der Thüringer Fall legt hier ein erhebliches Defizit in der Konzeption der §§ 315 ff. StGB offen. Auf die Schwächen der geltenden Regelung haben Kollegen bereits hingewiesen, jüngst etwa Wolfgang Mitsch.[4] Doch Änderungen im StGB nimmt der Gesetzgeber selten vor, weil ihm die Strafrechtswissenschaft systematische Mängel aufzeigt; meist öffnet erst ein in den Medien diskutierter Einzelfall die Tür für eine Reform.

II. Die geltende Rechtslage und ihre Defizite

Tötet ein alkoholisierter Fahrer – unterhalb der Grenze von § 20 StGB – im Straßenverkehr eine oder mehrere Personen, kommen eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung gemäß § 222 StGB sowie wegen Gefährdung des Straßenverkehrs nach § 315c Abs. 1 Nr. 1 lit. a StGB in Betracht. § 315c Abs. 1 StGB sieht eine Strafe von bis zu fünf Jahren vor, wenn der Täter infolge des Genusses alkoholischer Getränke nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen und dadurch Leib oder Leben eines anderen Menschen gefährdet; erfolgt die Gefährdung fahrlässig – wovon in Fällen der Alkoholisierung regelmäßig auszugehen sein wird[5] – verringert sich die Höchststrafe auf maximal zwei Jahre (Abs. 3 Nr. 1).

1. Überblick

§ 315-315c StGB sanktionieren verschiedene gefährliche Verhaltensweisen im Verkehr. Die Struktur der Delikte ist im Kern identisch: Durch eine besonders gefährliche Verhaltensweise im oder für den Verkehr wird – vorsätzlich oder fahrlässig – eine konkrete Gefahr für Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert verursacht. Anders konzipiert ist § 315d StGB, der in Abs. 1 als abstraktes Gefährdungsdelikt ausgestaltet ist und die konkrete Gefährdung von Rechtsgütern erst in Abs. 2 regelt.

Auffällig ist hier, dass § 315 Abs. 1 StGB einen höheren Strafrahmen (sechs Monaten bis zu zehn Jahren) vorsieht als die Parallelvorschriften in §§ 315a-d StGB (Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe). Eine Begründung für diese Abweichung findet sich in den Gesetzgebungsmaterialien nicht,[6] obwohl der Bundesrat auf einen einheitlichen Strafrahmen für die Absätze 1 der §§ 315-315c StGB hinwirken wollte.[7]

§ 315 und 315a StGB beziehen sich auf den Bahn-, Schiffs- und Luftverkehr, §§ 315b-315d StGB den Straßenverkehr und, über § 315e StGB, den Schienenbahnverkehr. Innerhalb der Straßenverkehrsdelikte wird zwischen der Angriffsrichtung der gefährlichen Verhaltensweise differenziert: § 315b StGB erfasst grundsätzlich[8] den gefährlichen Eingriff von außen, während § 315c StGB gefährliches Verhalten im fließenden und ruhenden Straßenverkehr sanktioniert.[9] § 315d StGB normiert den speziellen Fall der Veranstaltung von oder Teilnahme an illegalen Kraftfahrzeugrennen.

Die §§ 315 ff. StGB enthalten verschiedene Qualifikations- und Erfolgsqualifikationstatbestände sowie unterschiedliche Strafrahmen für vorsätzliche und fahrlässige Begehungsweisen, in allen Tatbeständen mit Blick auf die Herbeiführung der Gefahr, in §§ 315-315c auch in Bezug auf das gefährliche Verhalten.

2. Inkonsistente Regelung von Erfolgsqualifikation

a) Keine Erfolgsqualifikationen in §§ 315a und 315c StGB

Gefährliches Verhalten im Verkehr birgt naturgemäß das Risiko erheblicher Rechtsgutsverletzungen. § 315 StGB (in Abs. 3 Nr. 2) und § 315b (durch Verweis in Abs. 3 auf § 315 StGB) sehen daher eine Erfolgsqualifikation für die schwere Gesundheitsschädigung eines anderen Menschen oder eine Gesundheitsschädigung einer großen Zahl von Menschen vor. § 315d Abs. 5 StGB listet zusätzlich den Tod eines anderen Menschen auf.

Wenig schlüssig erscheinen hier die unterschiedlichen Strafrahmen: § 315 Abs. 3 StGB sieht für die Verursachung einer schweren Gesundheitsschädigung eines anderen Menschen oder eine Gesundheitsschädigung einer großen Zahl von Menschen einen Strafrahmen von einem Jahr bis zu fünfzehn Jahren vor. Die Verweisung in § 315b Abs. 3 StGB senkt die Höchststrafe hingegen auf zehn Jahre ab und sieht zudem einen minder schweren Fall vor (sechs Monate bis fünf Jahre). § 315d Abs. 4 StGB übernimmt den geringeren Strafrahmen von § 315b Abs. 3 StGB, obwohl hier auch die tödliche Folge erfasst wird.

Systematisch nicht begründbar ist es, dass § 315a StGB und § 315c StGB keine entsprechenden Erfolgsqualifikationen enthalten. Es erschließt sich nicht, weshalb schwere Folgen sanktioniert werden können, wenn sie aus einem externen Eingriff in den Straßenverkehr resultieren, nicht aber, wenn die Ursache eine Trunkenheitsfahrt ist. Dieses Defizit führt im „Thüringer Fall“ zu dem oben skizzierten problematischen Ergebnis – das Unrecht der schweren Folge kann in einem Schuldspruch nach § 315a und c StGB also nicht berücksichtigt werden.

b) Keine Erfolgsqualifikation für die Todesfolge

Das größte Defizit besteht jedoch darin, dass die §§ 315-315c StGB keine Erfolgsqualifikation für die Herbeiführung des Todes eines anderen Menschen vorsehen.[10] Normativ wird also die Tatsache, dass der Tod eines Menschen nicht auf einem einfach sorgfaltswidrigen Verhalten, etwa einer geringfügigen Überschreitung der Geschwindigkeitsgrenze, sondern auf einer vorsätzlichen Trunkenheitsfahrt beruht, nicht abgebildet.[11] Dabei besteht gerade in der Verknüpfung des erhöhten Handlungsunrechts mit dem Eintritt der schweren Folge eigenes Unrecht. Der Gesetzgeber hat dies in anderen Bereichen des Strafgesetzbuchs konsequent umgesetzt. Delikte wie die Körperverletzung, die Freiheitsberaubung oder die Aussetzung sehen einen erhöhten Strafrahmen vor, wenn der Täter hierdurch mindestens fahrlässig den Tod eines Menschen herbeiführt.

Wolfgang Mitsch hat bereits darauf hingewiesen, dass es „wohl kein Mensch“ verstehe, weshalb die Bestrafung eines tödlichen Steinwurfs von einer Autobahnbrücke nur als „Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr mit Verursachung einer ‚schweren Gesundheitsschädigung eines anderen Menschen‘ […] und nicht als Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr ‚mit Todesfolge‘ strafbar“ sein soll.[12] Das Problem verschärft sich allerdings noch: § 315 Abs. 3 StGB erfasst seinem Wortlaut nach ausschließlich (schwere) Gesundheitsschädigungen. Ganz überwiegend wird davon ausgegangen, dass die Erfolgsqualifikation im Falle der Tötung eines Menschen nicht eingreift;[13] die schwere Gesundheitsschädigung ist kein notwendiges Durchgangsstadium für den Tod. Zudem zeigt die ausdrückliche Regelung tödlicher Folgen in anderen Vorschriften – etwa auch in § 315d StGB –, dass es sich um unterschiedliche Erfolge handelt und sich eine Gleichsetzung mit der Gesundheitsschädigung verbietet. Dies führt zu dem erstaunlichen Ergebnis, dass demjenigen eine härtere Strafe droht, der das Opfer schwer an der Gesundheit schädigt, als demjenigen, der es sofort tötet. Der unmittelbar tödliche Steinwurf von der Autobahn würde also nicht einmal von § 315b Abs. 3 i.V.m. § 315 Abs. 3 StGB erfasst werden. In der Kommentarliteratur wird dieses Ergebnis zu Recht als eines der „Strafrahmenrätsel“ des 6. StrRG bezeichnet.[14]

Besonders deutlich wird der systematische Bruch mit Blick auf den neu eingeführten § 315d StGB, das Verbot der illegalen Kraftfahrzeugrennen. In § 315d Abs. 5 StGB sieht die Norm einen Strafrahmen von bis zu zehn Jahren vor, wenn der Täter durch das Rennen den Tod eines anderen Menschen verursacht. Wenig überzeugend ist hier die Gleichsetzung von Tod und schwerer Gesundheitsschädigung; die Beeinträchtigung des Lebens stellt schließlich einen deutlich intensiveren Eingriff in die Rechtsgüter des Verletzten dar.

3. Vorsätzliche Gefahrenherbeiführung als (zu strenge) Voraussetzung für die Erfolgsqualifikation

Die Grundtatbestände der §§ 315-315c StGB sowie § 315d Abs. 2 StGB setzen nicht nur Vorsatz bezüglich des gefährlichen Verhaltens voraus, sondern auch Vorsatz im Hinblick auf die konkrete Gefährdung der geschützten Rechtsgüter.[15] Die fahrlässige Herbeiführung der Gefahr wird in späteren Absätzen der Normen gesondert geregelt und mit einem geringeren Strafrahmen versehen (§§ 315 Abs. 5, 315a Abs. 3 Nr. 1, 315b Abs. 4, 315c Abs. 3 Nr. 1, 315d Abs. 4 StGB). Für diese Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombinationen, bei denen der Täter den Handlungsteil der Norm vorsätzlich und den Gefährdungsteil fahrlässig herbeiführt,[16] gelten allerdings die bestehenden Erfolgsqualifikationen der §§ 315 Abs. 3 Nr. 2, 315b Abs. 3, 315d Abs. 5 StGB nicht; sie verweisen ausschließlich auf die Vorsatz-Vorsatz-Varianten.

Das bedeutet Folgendes: Ein Täter, der ein illegales Rennen fährt, dem aber kein konkreter Gefährdungsvorsatz nachweisbar ist, kann für den Eintritt einer tödlichen Folge nicht im Rahmen der Straßenverkehrsdelikte (sondern allein über die fahrlässige Tötung) belangt werden. Das Erfordernis des Gefährdungsvorsatzes engt den Anwendungsbereich der Erfolgsqualifikationen erheblich ein,[17] zumal bei den Gerichten nach wie vor – insbesondere mit Blick auf die dann ebenfalls in Kauf genommene Eigengefährdung des Fahrers – Zurückhaltung bei der Annahme von Vorsatz besteht.[18] Diese Restriktion scheint ein gerade im Rahmen von § 315d StGB bislang noch unterschätztes Problem zu sein.

Die Voraussetzung vorsätzlicher Gefährdung geht auch mit Blick auf die Natur der Erfolgsqualifikation – die einen vorsätzlichen gravierenden Sorgfaltspflichtverstoß mit der fahrlässigen Erfolgsherbeiführung verbindet – zu weit. Zwar könnte man vorbringen, dass sich §§ 315 ff. StGB etwa von der Körperverletzung mit Todesfolge dadurch unterscheiden, dass das normativ beschriebene Fehlverhalten im Verkehr als solches nur abstrakt gefährlich ist und sich das strafwürdige Unrecht erst im Zusammentreffen mit der – vorsätzlich oder fahrlässig – herbeigeführten Gefährdung ergibt, die dann auch Grundlage einer Erfolgsqualifikation bleiben muss. Aber: Der eingetretene Erfolg ersetzt nach der Logik des Delikts das Gefährdungselement; aus dem Verhaltensunrecht folgt nun nicht mehr nur eine konkrete Gefahr, sondern ein Schaden. Es ist daher systematisch nicht überzeugend, wenn trotz des Eintritts der schweren Folge weiterhin ein Vorsatz hinsichtlich der Gefahrenherbeiführung verlangt wird. Im Übrigen wird auch bei den Brandstiftungsdelikten die Erfolgsqualifikation an ein für die Rechtsgüter abstrakt gefährliches Handeln geknüpft, § 306c StGB i.V.m. § 306 Abs. 1 bzw. § 306a Abs.1 StGB.

Das vorsätzliche Fehlverhalten ist daher hinreichender Anknüpfungspunkt für die schwere Folge; sie trägt die Gefahr für den Eintritt erheblicher Risiken in sich und muss nicht durch einen zusätzlichen Gefährdungsvorsatz flankiert werden.[19]

4. Zwischenfazit

Die Strafrahmen der §§ 315 ff. StGB sind nicht überzeugend aufeinander abgestimmt. Insbesondere die Qualifikations- und Erfolgsqualifikationstatbestände sind unvollständig und systematisch inkonsequent.

Die §§ 315 ff. StGB enthalten bislang keine Erfolgsqualifikation für die Herbeiführung des Todes eines anderen Menschen. Dies hat zur Folge, dass das besondere Unrecht etwa einer durch eine Trunkenheitsfahrt fahrlässig herbeigeführten Tötung durch das Strafrecht nicht erfasst wird. In unserem Ausgangsfall bleibt es bei einer Gefährdung des Straßenverkehrs und einer fahrlässigen Tötung, dem Täter droht eine Höchststrafe von fünf Jahren. 

Der Verzicht auf eine Erfolgsqualifikation für tödliche Folgen ist bereits deshalb nicht begründbar, weil massives Fehlverhalten im Verkehr typischerweise erhebliche Gefahren für das Leben anderer Personen birgt.[20] Die bestehende innere Verbindung zwischen dem Handlungs- und dem Erfolgsunrecht, das durch Erfolgsqualifikationen hergestellt wird,[21] wird im Gesetz nicht abgebildet.

III. Reformvorschlag und Ausblick

Die Landesregierungen von Bayern und Nordrhein-Westfalen haben in BR-Drs. 256/20 und BR-Drs. 850/21 bereits einen Entwurf für die Änderung von § 315 Abs. 3 StGB in den Bundesrat eingebracht. Der Vorschlag wies in die richtige Richtung, enthielt jedoch keine Verweisung in § 315c StGB, so dass der Thüringer Fall hiervon nicht erfasst gewesen wäre. Es bietet sich an, nicht § 315 Abs. 3 StGB punktuell zu ergänzen, sondern für die Straßenverkehrsdelikte eine einheitliche Regelung mit abgestuften Strafrahmen für die verschiedenen (Erfolgs-)Qualifikationen vorzusehen. Es wird der folgende Regelungsvorschlag unterbreitet:

§ 315g StGB

(1) Mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer eine Tat nach §§ 315 Abs. 1 oder Abs. 5[22], 315a Abs. 1 oder Abs. 3 Nr. 1, 315b Abs. 1 oder Abs. 4, 315c Abs. 1 oder Abs. 3 Nr. 1, 315d Abs. 2 oder 4 begeht und dabei

  1. in der Absicht handelt,
    a) einen Unglücksfall herbeizuführen oder
    b) eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verde-
    cken, oder
  2. durch die Tat eine schwere Gesundheitsschädigung eines anderen Menschen oder eine Gesundheitsschädigung einer großen Zahl von Menschen verursacht.

In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren.

(2) Verursacht der Täter durch eine Handlung nach Abs. 1 den Tod eines anderen Menschen, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr.

Die vorgeschlagene Regelung schafft für alle Verkehrsdelikte[23] einheitliche Regelungen der Qualifikation (Abs. 1 Nr. 1) und Erfolgsqualifikation (Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2). Dabei wird auf die bestehende Formulierung in § 315 StGB zurückgegriffen.

Der Anwendungsbereich der Erfolgsqualifikationen wird durch den Verweis auf Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombinationen erweitert. Sie gilt also auch dann, wenn der Täter ohne Gefährdungsvorsatz gehandelt hat. Auf diese Weise wird verhindert, dass die schwere Folge trotz vorsätzlicher Herbeiführung einer abstrakten Gefährdungslage allein wegen eines fehlenden (oder nicht mit Gewissheit nachweisbaren) Gefährdungsvorsatzes unberücksichtigt bleiben muss. Reine Fahrlässigkeitskonstellationen werden hingegen ausgeschlossen, sie können durch § 222 StGB angemessen erfasst werden.

Absatz 2 enthält einen erhöhten Strafrahmen für die zumindest fahrlässige Herbeiführung einer tödlichen Folge. Dadurch wird eine empfindliche Lücke im bisherigen Regelungsmodell geschlossen, und zugleich der Widerspruch aufgelöst, dass § 315 Abs. 3 Nr. 2 StGB eine schwere Gesundheitsschädigung, nicht aber der Tod straferschwerend berücksichtigt. Da die Tötung eines Menschen schwerer wiegt als eine Gesundheitsschädigung, sehen § 315g Abs. 1 und 2 StGB-E abgestufte Strafrahmen vor.

Auf Basis der vorgeschlagenen Norm könnte künftig nicht nur für tödliche Folgen bei Trunkenheitsfahrten wie im Thüringer Fall ein schuldangemessenes Urteil erzielt werden; die Vorschrift behebt die systematischen Defizite der Strafrahmen in §§ 315 ff. StGB und bildet das besondere Unrecht eines massiven Fehlverhaltens im Verkehr mit schweren Folgen für andere Personen sachgerecht ab. Wolfgang Mitsch hat die Forderung nach einer – deutlich umfassenderen – Reform erfolgsqualifizierter Delikte mit (zu) großer Vorsicht vorgetragen. Gerechtfertigt wird die Initiative damit, dass „keine einzige zusätzliche Straftat geschaffen“ werde; denn schließlich sei es „Kerngeschäft der Strafrechtswissenschaft […], die Hypertrophie des Strafrechts zu beklagen.“[24] Dieser Selbstbeschränkung der Strafrechtswissenschaft ist klar entgegenzutreten. Geht die Forderung nach einer Erweiterung des Strafrechts auf den Wunsch zurück, schwere Delikte adäquat zu sanktionieren, so entspricht dies dem Wesen des Strafrechts. Dessen elementare Aufgabe ist der gerechte Ausgleich von Schuld – und die gerechte Strafe ist nicht die mildeste, sondern die für das begangene Unrecht angemessene. Kerngeschäft der Strafrechtswissenschaft ist daher nicht eine kriminalpolitisch einseitige Missbilligung jeder Erweiterung des Strafrechts, sondern eine kritische und sachliche Betrachtung bestehender Vorschriften, auch unter dem Blickwinkel der systematischen Schlüssigkeit und angemessenen Unrechtserfassung. Werden nicht begründbare  Regelungslücken  festgestellt, so obliegt es einer konstruktiven Strafrechtswissenschaft, Lösungen zu unterbreiten – mag dies nun eine Ausdehnung des Strafrechts zur Folge haben oder nicht.

 

[1]      Locke, Fünf 19-Jährige unter den sieben Todesopfern, FAZ v. 2.4.23, online abrufbar unter: https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/ungluecke/sieben-tote-bei-schwerem-unfall-in-thueringen-darunter-fuenf-19-jaehrige-18794674.html (zuletzt abgerufen am 13.4.23); Volkmann/Klaus, Sieben Tote bei Unfall in Thüringen: Fünf Teenager unter Opfern, Verursacher ohne Führerschein und vermutlich unter Alkohol, Thüringer Allgemeine v. 2.4.23, online abrufbar unter: https://www.thueringer-allgemeine.de/regionen/bad-langensalza/unfall-sieben-tote-b-247-bad-langensalza-thueringen-ohne-fuehrerschein-alkoholeinfluss-id238050323.html (zuletzt abgerufen am 13.4.23).
[2]      Volkmann, Nach schrecklichem Unfall in Bad Langensalza: Freunde der Opfer fordern „gerechtes Urteil“, Thüringer Allgemeine v. 12.4.23, online abrufbar unter: https://www.thueringer-allgemeine.de/regionen/muehlhausen/nach-schrecklichem-unfall-in-bad-langensalza-freunde-der-opfer-fordern-gerechtes-urteil-id238129341.html (zuletzt abgerufen am 13.4.23).
[3]      BGH, NStZ 2020, 602 (605) Rn. 32; NStZ-RR 2019, 343 (344).
[4]      Mitsch, ZIS 2019, 234 (239 ff.). Außerdem: Puppe, ZIS 2017, 439 (443); Walter, NJW 2017, 1350 (1353).
[5]      BGH, NStZ-RR 1998, 150; Pegel, in: MüKo-StGB, Bd. 6, 4. Aufl. (2022), § 315c Rn. 108.
[6]      BT-Drs. 13/8587 S. 51, S. 89.
[7]      BT-Drs. 13/8587 S. 72.
[8]      Zur Ausnahme des verkehrsfremden Inneneingriffs siehe Pegel, in: MüKo-StGB, § 315b Rn. 41 ff.
[9]      Rengier, Strafrecht BT II, 24. Aufl. (2023), § 44 Rn. 2.
[10]    BGH, Urt. v. 25.4.2019 – 4 StR 442/18 Rn. 30; Pegel, in: MüKo-StGB, § 315 Rn. 94; Zieschang, in: NK-StGB, 6. Aufl. (2023), § 315 Rn. 67.
[11]    Die Strafrahmenanhebung bei einem erfolgsqualifizierten Delikt beruht gerade auf dem Gedanken, dass die fahrlässige Erfolgsherbeiführung auf einem vorsätzlichen Grunddelikt beruht, das die abstrakte Gefahr einer schweren Folge bereits in sich trägt, vgl. Roxin/Greco, Strafrecht AT, Bd. 1, 5. Aufl. (2020), § 10 Rn. 108; Steinberg, JuS 2017, 970 (971); Sternberg-Lieben/Schuster, in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. (2019), § 18 Rn. 1.
[12]    Mitsch, ZIS 2019, 234 (239 f.).
[13]    BGH, Urt. v. 25.04.2019 – 4 StR 442/18, Rn. 30; Fischer, StGB, 70. Aufl. (2023), § 315 Rn. 24; König, in: LK-StGB, Bd. 17, 13. Aufl. (2021), § 315 Rn. 122; Pegel, in: MüKo-StGB, § 315 Rn. 94; Renzikowski, in: Matt/Renzikowski, StGB, 2. Aufl. (2020), § 315 Rn. 26; Wolters, in: SK-StGB, 9. Aufl. (2016), § 315 Rn. 14; Zieschang, in: NK-StGB, § 315 Rn. 67.
[14]    König, in: LK-StGB, § 315 Rn. 122.
[15]    BGH, NJW 2016, 1109; Zieschang, in: NK-StGB, § 315 Rn. 47.
[16]    Rengier, Strafrecht AT, 14. Aufl. (2022), § 55 Rn. 6 f.
[17]    Ausführlich zu den Folgen im Rahmen des § 315d Abs. 5 StGB siehe Rengier, in: FS Kindhäuser, 2019, S. 779 (792).
[18]    BGH, NStZ-RR 1997, 18; NStZ-RR 2019, 343 (344); NStZ 2020, 602 (605) Rn. 32; Rengier, BT II, § 44 Rn. 27.
[19]    Im Gesetzesentwurf des Bundesrates zu § 315d Abs. 5 StGB war vorgesehen, für die Erfolgsqualifikation die Verwirklichung einer Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombination ausreichen zu lassen, BT-Drs. 18/10145, S. 5 (der Gesetzesantrag von Nordrhein-Westfalen und Hessen verzichtete sogar gänzlich auf den Gefährdungsteil, vgl. BR-Drs. 362/16, S. 1 f.).  Weshalb der Ausschuss des Bundestages für Recht und Verbraucherschutz diesem Vorschlag nicht gefolgt ist, geht aus seinem Bericht nicht hervor (Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz, BT-Drs. 18/12964, S. 7.)
[20]    So bereits die Empfehlung des Rechtsausschusses des Bundesrats zum 6. StrRG, BR-Drs. 164/2/97 S. 49 f. und der Vorschlag des Bundesrates zum 6. StrRG, BT-Drs. 13/8587 S. 72 f., 89, jedoch beschränkt auf die leichtfertige Erfolgsherbeiführung. In der Literatur: Mitsch, ZIS 2019, 234 (239); Paeffgen, in: NK-StGB, § 18 Rn. 138; Puppe, ZIS 2017, 439 (443); Walter, NJW 2017, 1350 (1353).
[21]    Roxin/Greco, AT I, § 10 Rn. 108; Sternberg-Lieben/Schuster, in: Schönke/Schröder, StGB, § 18 Rn. 1.
[22]    Da § 315 Abs. 3 und § 315b Abs. 3 StGB durch die Neuregelung überflüssig werden würden, müsste der Verweis bei Streichung der Absätze dann § 315 Abs. 4 und § 315b Abs. 3 StGB in Bezug nehmen.
[23]    Es erscheint nicht erforderlich, den bislang höheren Strafrahmen für § 315 StGB beizubehalten. Zwar kann das Ausmaß der Gefahren durch eine Beeinträchtigung der Sicherheit des Bahn-, Schiffs oder Luftverkehrs in der Tat besonders erheblich sein (siehe BT-Drs. 4/651, S. 24); dieses Ergebnis ist allerdings nicht zwingend und hängt maßgeblich von der konkreten Form der Eingriffshandlung ab. Werden im Einzelfall weitreichende Risiken für andere begründet, kann dem in der konkreten Strafzumessung Rechnung getragen werden.[24]    Mitsch, ZIS 2019, 234 (239).

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