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Antisemitische Volksverhetzung – Für eine Reform der Strafbarkeit von § 130 Abs. 1 und 2 StGB

von Prof. Dr. Elisa Hoven und Alexandra Witting

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Abstract
Antisemitische Hetze ist ein anhaltendes Problem in unserer Gesellschaft; die jüngste Eskalation des Nahostkonflikts hat vor Augen geführt, wie verbreitet Hass gegen Juden weltweit, aber auch in Deutschland ist. § 130 StGB kommt dabei die wichtige Aufgabe zu, volksverhetzenden Äußerungen strafrechtliche Grenzen zu setzen. Gerade mit Blick auf antisemitische Hetze zeigen sich allerdings erhebliche praktische Probleme bei der Strafverfolgung. Auf Grundlage einer empirischen Untersuchung zur Ahndung von Volksverhetzung entwickeln die Autorinnen einen umfassenden Reformvorschlag für § 130 Abs. 1 und 2 StGB, der sowohl die bestehenden dogmatischen Schwächen beheben als auch eine sachgerechte und einheitliche Rechtsanwendung insbesondere im Umgang mit antisemitischer Hetze erleichtern soll.

Anti-Semitic incitement is a persistent issue in our society; the recent escalation of the Middle East conflict has once again highlighted the prevalence of this phenomenon worldwide, but also in Germany. The criminal offence of incitement to hatred, Section 130 of the Criminal Code, plays a crucial role in setting legal limits to incitement to hatred. However, there are practical challenges in prosecuting such crimes, particularly in the area of anti-Semitic incitement. Against this background, the authors develop, on the basis of an empirical study, a comprehensive reform proposal for the criminalisation of incitement to hatred according to Section 130 Paragraphs 1 and 2 of the Criminal Code, which aims to address the existing dogmatic weaknesses and to facilitate the appropriate and uniform application of the law.

I. Einführung: Anlass für eine Reform von § 130 Abs. 1 und 2 StGB

Der Tatbestand der Volksverhetzung in § 130 StGB ist eine der rechtspolitisch sensibelsten Vorschriften des Strafgesetzbuchs. Sie muss die verfassungsrechtliche anspruchsvolle Aufgabe erfüllen, legitime Formen auch kontroverser Meinungsfreiheit von verhetzenden Äußerungen zu unterscheiden; damit markiert sie die strafrechtlichen Grenzen für den öffentlichen Diskurs. 

Seit ihrer Einführung ist die Norm breiter Kritik ausgesetzt; sie gilt als die „vielleicht am meisten angefochtene Bestimmung des Strafgesetzbuchs“[1]. Die teilweise geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Strafvorschrift[2] sind allerdings unbegründet.[3] § 130 StGB bildet einen wichtigen Baustein im Schutz insbesondere marginalisierter Gruppen vor Hass und Hetze.

Gerade antisemitischer Hass ist in Deutschland noch immer weit verbreitet.[4] Einer aktuellen Befragung der Anti-Defamation League zufolge stimmen in Deutschland 30 % der Aussage „People hate Jews because of the way Jews behave“ zu.[5] Durch die jüngste Eskalation des Nahostkonflikts wurde antisemitischer Hass erneut befeuert. Nach den Terrorangriffen der Hamas und den Reaktionen des israelischen Militärs kam es auch in Deutschland zu Judenhass auf propalästinensischen Demonstrationen,[6] Markierungen von Häusern mit dem Judenstern[7] und Brandangriffen auf jüdische Einrichtungen[8].

Der Tatbestand der Volksverhetzung kann und soll Schutz vor verhetzenden Äußerungen bieten. Doch in der Praxis wirft die Norm – gerade im Kontext antisemitischen Hasses – einige Anwendungsprobleme auf. Die Medien berichten immer wieder kritisch über Einstellungen von Strafverfahren wegen Volksverhetzung, die für die Öffentlichkeit kaum nachvollziehbar sind oder die im Widerspruch zu Entscheidungen anderer Staatsanwaltschaften stehen.

II. Methodik

Im Rahmen eines an der Universität Leipzig durchgeführten dreijährigen Forschungsprojekts zum strafrechtlichen Umgang mit digitalem Hass wurden die verschiedenen Facetten des Phänomens aus kriminologischer, strafrechtlicher und strafprozessualer Perspektive beleuchtet. Empirische Untersuchungen über Erscheinungsformen und Verfolgungspraxis konnten eine fundierte Basis für konkrete Vorschläge für eine effektivere strafrechtliche Bekämpfung von digitalem Hass bilden.[9] Der erste Teil des Projekts widmete sich dem besseren Verständnis von Ursachen, Erscheinungsformen und Folgen digitalen Hasses; dazu wurden repräsentative Bevölkerungsbefragungen, eine Interviewstudie mit Betroffenen und Verfassern sowie eine Analyse von Hasskommentaren eingesetzt.[10] Die materiell-rechtliche Anwendungspraxis der Strafverfolgungsbehörden wurde anschließend durch eine qualitativ ausgerichtete Aktenauswertung analysiert. Von besonderem Forschungsinteresse war dabei, welche Auslegungsprobleme sich bei der Anwendung des geltenden Strafrechts zeigen, welche Regelungsdefizite existieren und wie eine sinnvolle Neuregelung der Strafnormen mit Blick auf digitalen Hass aussehen könnte.

Ein Schwerpunkt der Untersuchung lag auf dem Tatbestand der Volksverhetzung (§ 130 Abs. 1 und 2 StGB).[11]

Mehr als 300 wegen Volksverhetzung geführte Verfahren wurden in den Staatsanwaltschaften Amberg, Berlin, Freiburg, Görlitz, Hamburg und Tübingen sowie der Schwerpunktstaatsanwaltschaft zur Bekämpfung von Computer- und Datennetzkriminalität, datenschutzrechtlicher Verstöße sowie gewaltdarstellender, pornographischer und sonstiger jugendgefährdender Schriften in Cottbus ausgewertet. Der Untersuchungszeitraum erstreckte sich auf die Jahre 2016 bis 2021. Die Staatsanwaltschaften wurden im Wege des qualitativen Samplings ausgewählt, da eine Totalerhebung aufgrund der Vielzahl einschlägiger Verfahren nicht umsetzbar gewesen wäre. Um den notwendigen Grad der Generalisierung zu erreichen, sollte das Sampling die Heterogenität des Untersuchungsfeldes durch die Berücksichtigung unterschiedlicher Merkmale einfangen. Entscheidende Kriterien waren dabei zum einen die Erfahrungen einer Staatsanwaltschaft mit Fällen digitalen Hasses. Zum anderen sollte eine ausgewogene regionale Verteilung sichergestellt werden.

Für die Betrachtung antisemitischer Volksverhetzung wurden die Ergebnisse der Untersuchung ergänzt durch aktuelle Verfahren, die Gegenstand medialer Berichterstattung waren.

III. Struktur und Ratio der Volksverhetzung in § 130 Abs. 1 und 2 StGB 

Antisemitische Vorfälle Ende der fünfziger Jahre führten dazu, dass 1960 die Einführung des Tatbestandes der Volksverhetzung in § 130 StGB beschlossen wurde.[12] Zur Vermeidung des Eindrucks eines Sonderschutzes für Juden und Jüdinnen – der wiederum ausgrenzende Wirkung hätte entfalten können – entschied der Gesetzgeber, die Strafnorm nicht auf bestimmte Gruppen zu beschränken, sondern allgemein auf verhetzende Äußerungen gegen „Teile der Bevölkerung“ abzustellen.[13] Eingehegt wurde der weite Anwendungsbereich durch die zusätzlichen Voraussetzungen der Eignung zur öffentlichen Friedensstörung und des Menschenwürdeangriffs.[14]

1994 wurde § 130 StGB grundlegend reformiert und der ursprüngliche Volksverhetzungstatbestand in zwei Absätze unterteilt:[15] § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB forderte nicht länger einen Angriff auf die Menschenwürde; für § 130 Abs. 2 StGB wurde auf das Merkmal der Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens verzichtet.[16] Diese Struktur hat § 130 StGB seither beibehalten, auch wenn die Norm mehrfach verändert wurde. § 130 Abs. 1 StGB setzt eine persönliche Äußerung des Täters voraus, während Abs. 2 die öffentliche Zugänglichmachen eines verhetzenden Inhalts unter Strafe stellt. Damit gilt § 130 Abs. 2 StGB als allgemeiner Anti-Diskriminierungstatbestand, der schwere Formen diskriminierender Inhaltspropaganda sanktioniert.[17] Die Strafandrohung in § 130 Abs. 1 StGB ist höher als in Abs. 2; richtigerweise tritt Abs. 2 hinter Abs. 1 zurück, wenn sich der Täter den Inhalt zu eigen macht.[18]

Welches Rechtsgut § 130 Abs. 1 und Abs. 2 StGB schützen sollen, ist in der Literatur umstritten. Herrschend wird – teilweise flankiert durch den Schutz der Menschenwürde –[19] der „öffentliche Friede“ als gemeinsames Schutzgut beiden Absätze zugrunde gelegt.[20] Dabei wird der öffentliche Friede definiert als Zustand allgemeiner Rechtssicherheit, als das Gefühl der Bevölkerung, in Ruhe und Frieden leben zu können.[21]

Diese Lesart ist mit der Rechtsprechung des BVerfG allerdings kaum mehr vereinbar. In seiner „Wunsiedel“-Entscheidung hat das BVerfGgrundsätzlich bestätigt, dass die Wahrung des öffentlichen Friedens ein vom Strafrecht geschütztes Rechtsgut sein kann.[22] In Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung und der herrschenden Lehre[23] hat das Gericht allerdings strenge Anforderungen an die Legitimation strafrechtlicher Sanktionen zum öffentlichen Friedensschutz angelegt. Der Schutz vor einer Beeinträchtigung eines allgemeinen Friedensgefühls oder vor einer „Vergiftung des geistigen Klimas” lassen die Karlsruher Richter nicht ausreichen.[24] Der mit § 130 StGB verbundene Eingriff in die Meinungsfreiheit sei nur dann gerechtfertigt, wenn der öffentliche Friede als „Gewährleistung von Friedlichkeit“ verstanden werde. Bestraft werden können danach Äußerungen, „die ihrem Inhalt nach erkennbar auf rechtsgutgefährdende Handlungen hin angelegt sind, d.h. den Übergang zu Aggression oder Rechtsbruch markieren.“ Der öffentliche Friede schützt die „Aufrechterhaltung des friedlichen Miteinanders“, das durch „Appelle oder Emotionalisierungen, die bei den Angesprochenen Handlungsbereitschaft auslösen oder Hemmschwellen herabsetzen oder Dritte unmittelbar einschüchtern“, gefährdet wird. Es gehe, so das BVerfG, „um einen vorgelagerten Rechtsgüterschutz, der an sich abzeichnende Gefahren anknüpft, die sich in der Wirklichkeit konkretisieren.“

Damit verliert der „öffentliche Friede“ an selbständiger Substanz;[25] er gewinnt seinen Schutzgehalt erst durch den Rückgriff auf weitere, bereits strafrechtlich geschützte Individualrechtsgüter. § 130 Abs. 1 und 2 StGB können also nicht als Garanten für ein allgemeines gesellschaftliches Klima verstanden werden, sondern dienen dem vorgelagerten Schutz insbesondere von Leben, körperlicher Unversehrtheit und Freiheit der betroffenen Gruppenmitglieder.[26]

IV. Beobachtete Schwächen in Recht und Rechtsanwendung

Die Untersuchung hat gezeigt, dass eine Vielzahl der von den Staatsanwaltschaften wegen § 130 Abs. 1 und Abs. 2 StGB geführten Verfahren eingestellt wurde, obwohl verhetzende Inhalte dokumentiert wurden. Die Gründe dafür liegen zum einen in der derzeitigen Fassung der Norm, zum anderen in einer nicht überzeugenden Anwendung von § 130 Abs. 1 und 2 StGB.

1. Inlandsbezug des Gruppenschutzes und öffentlicher Friede

Fall 1: „Der Umstand, dass das Großgemälde bereits im Jahr 2002 im asiatischen Kulturraum entstanden ist und zuvor in anderen Ländern ausgestellt war, spricht eher dagegen, dass ein Bezug zur inländischen jüdischen Bevölkerung intendiert war, auch wenn sich Teile der hiesigen Bevölkerung – z.B. in Deutschland lebende Juden – dem Staat Israel aus nachvollziehbaren Gründen in besonderer Weise verbunden fühlen.“[27]

Fall 2: „Aus der Äußerung des Beschuldigten ‚Muss man sie abknallen! Dann ist endlich Ruhe!‘ im Hinblick auf eine Fotografie eines offenbar vor Italien liegenden Flüchtlingsbootes mit der Unterschrift ‚Italien schlägt Alarm. NGOs arbeiten mit Schleppern zusammen‘ ergibt sich keine Angriffsrichtung gegen Teile der (inländischen) Bevölkerung, so dass eine Strafbarkeit der Äußerung nach § 130 StGB bereits aus objektiven Gründen ausscheidet.“[28]  

Nach bislang geltendem Recht setzt die Strafbarkeit nach § 130 Abs. 1 StGB eine Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens voraus. Ob eine Äußerung tatsächlich geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, kann von den Gerichten nicht empirisch überprüft werden. Das Merkmal stellt sich daher faktisch als wertungsoffenes Korrektiv dar, das den Gerichten einen Spielraum bei der Einordnung von Sachverhalten als strafwürdig oder nicht strafwürdig eröffnet.[29]

Aus dem Erfordernis einer Störung des öffentlichen Friedens in Deutschland wird abgeleitet, dass sich die Äußerung grundsätzlich gegen eine in Deutschland lebende Gruppe richten muss.[30] Bei Bezugnahme auf lediglich im Ausland lebende Gruppen soll eine Strafbarkeit nur in Betracht kommen, „wenn damit zugleich feindselige Gefühle gegen in der Bundesrepublik Deutschland lebende und einen inländischen Bevölkerungsteil bildende Angehörige geweckt werden sollen.“[31]

Diese Verengung des Tatbestandes hat zur Folge, dass verhetzende Äußerungen vielfach dann nicht geahndet werden, wenn sie sich nicht oder nicht klar nachweislich gerade gegen einen in Deutschland lebenden Teil der Gruppe richten. So begründete auch die Kasseler Staatsanwaltschaft in Fall 1 ihre Einstellungsbegründung wie folgt: „Die Gruppen müssen – da die Vorschrift primär dem Schutz des innerstaatlichen öffentlichen Friedens dient – Teil der inländischen Bevölkerung sein, d.h. tatsächlich in Deutschland leben. Der Inlandsbezug gilt für alle Handlungsadressaten, da die Tatbestandsvoraussetzung der Friedensgefährdung sich auf die Bundesrepublik Deutschland bezieht.“[32]

Eine Strafbarkeit nach § 130 Abs. 2 StGB, der keine Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens voraussetzt und damit nach ganz herrschender Ansicht auch ausländische Gruppen schützt,[33] wurde im Kasseler Fall nicht geprüft. Dieses Phänomen zeigte sich auch in anderen untersuchten Verfahren: Die sich von § 130 Abs. 1 StGB unterscheidenden Tatbestandsvoraussetzungen von Abs. 2 werden teilweise falsch gelesen. Die Ursache hierfür kann darin liegen, dass kein nachvollziehbarer Grund dafür besteht, ausländische Gruppen von Abs. 1 auszunehmen, dann aber über Abs. 2 zu schützen. Hinzu tritt, dass das Schutzgut des öffentlichen Friedens häufig beiden Normabsätzen zugrunde gelegt wird; die sich aus ihm – nach herrschender Lesart – ergebenden Restriktionen werden daher auch ohne ausdrückliche Verankerung im Wortlaut in Abs. 2 hineingelesen.

In Fall 2 werden Geflüchtete auf dem Mittelmeer nicht als Gruppe erfasst. Sie erfüllen keines der konkret benannten Merkmale und sind auch nicht Teil der deutschen Bevölkerung.[34] Damit unterfallen sie weder § 130 Abs. 1 noch Abs. 2 StGB.

Die Beschränkung von § 130 Abs. 1 StGB auf inländische Gruppen ist sowohl nach dem Wortlaut der Norm als auch mit Blick auf ihre Ratio weder zwingend noch überzeugend. Dient die Strafbarkeit der Volksverhetzung richtigerweise dem vorgelagerten Schutz von Individualrechtsgütern, so ist es nicht erforderlich, dass sich die verhetzende Äußerung gerade gegen einen in Deutschland lebenden Teil der Gruppe richtet. Hass gegen Juden in Israel oder gegen Geflüchtete außerhalb der deutschen Grenzen kann auf die im Inland lebenden Mitglieder der Gruppe zurückwirken und ihre Rechtsgüter gefährden. Denn gruppenbezogenen Äußerungen ist ein besonderer Botschaftscharakters immanent: Entsprechende Äußerungen entfalten über die konkret benannte Teilgruppe hinaus Wirkkraft bezüglich aller anderen Personen, die den entsprechenden Identifikationsfaktor teilen.[35] Die jüngsten Ereignisse zeigen, dass sich die Wut auf israelische Juden aufgrund des Nahostkonflikts auch in Hass gegenüber Juden in Deutschland manifestiert. Ein Ausschluss der Strafbarkeit ist jedenfalls dann nicht schlüssig, wenn zwar unmittelbare Äußerungsadressaten Gruppenmitglieder außerhalb Deutschlands sind, aber Teile derselben Gruppe im Inland wohnen.[36]

Fall 2 macht zudem deutlich, dass der Gruppenschutz in § 130 StGB nicht überzeugend ausgestaltet ist. Die Verbreitung eines verhetzenden Inhalts gegen „Geflüchtete im Mittelmeer“ wäre auch nach § 130 Abs. 2 StGB nicht strafbar, da – selbst wenn man für Abs. 2 richtigerweise keinen Inlandsbezug verlangt – keine der dort genannten Gruppen adressiert wird. Anders verhielte es sich, wenn sich der Inhalt auf „muslimische Geflüchtete“ beziehen würde; sie könnten als religiöse Gruppe grundsätzlich von Abs. 2 erfasst werden. Ein sachlicher Grund für eine solche Differenzierung ist nicht ersichtlich.

2. Das Verkennen antisemitischer Hetze insbesondere bei der Verwendung von Chiffren

Fall 3: Ein die Äußerung „Guckt wer eure Brunnen vergiftet, wer euren Geist vernebelt und unsere Nachbarn schuldig spricht. Steht auf und fragt eure Eltern die Regierung nach der Wahrheit. Entscheidet welchen Menschen ihr leben wollt.“  betreffendes Verfahren wird durch die Staatsanwaltschaft eingestellt. Als Begründung führt sie unter anderem aus: „Die vorliegende Äußerung richtet sich […] nicht eindeutig gegen einen bestimmten Bevölkerungsteil. Sie könnte sich gegen den jüdischen Bevölkerungsteil richten. Dieser ist aber nicht ausdrücklich benannt.“

Fall 4: Der Landesvorsitzende der vom niedersächsischen Verfassungsschutz beobachteten Partei „Die Rechte“ beschimpfte mehrere (nicht jüdische) Medienvertreter:innen u.a. als „Judenpresse“ und „Judenpack“. Das Verfahren wurde von der zuständigen Staatsanwaltschaft zunächst mit der Begründung eingestellt, dass die Äußerung des Täters gegen Journalisten gerichtet gewesen sei, die keine geschützte Gruppe darstellen würden.[37]

Ein häufig beobachtetes Phänomen ist die Verwendung antisemitischer Chiffren oder Codes, die etwa für die Verschwörungserzählungen des „Modernen Antisemitismus“ typisch sind.[38] Der Ermittlung des tatsächlichen Sinngehaltes der Äußerung aufgrund der konkreten Begleitumstände kommt hier maßgebliche Bedeutung zu. Im seinem Lagebild Antisemitismus 2020/21 stellte das Bundesamt für Verfassungsschutz fest, Antisemitismus werde „heutzutage tendenziell weniger in offener und unverstellter Form nach außen getragen […], sondern mehr oder weniger camoufliert, chiffriert und codiert“.[39]

Sind Strafverfolgungsbehörden und Gerichte mit dieser Problematik nicht vertraut, besteht die Gefahr, dass sie am Wortlaut der Äußerung festhalten, ohne sich mit ihrer wahren Bedeutung auseinanderzusetzen.[40] Täter können so durch geschickte Formulierungen eine Strafbarkeit umgehen. So überzeugt in Fall 3 die Einstellung mit der angegebenen Begründung nicht. Aus der Perspektive eines verständigen Dritten hätte es nahegelegen, die Bezugnahme auf „Brunnenvergifter“ als ein bekanntes Codewort für Juden zu verstehen – handelt es sich dabei doch um ein seit Jahrhunderten verwendetes antisemitisches Stereotyp.[41]

Ein weiteres Problem zeigt sich in Fall 4: In der Auslegung von § 130 Abs. 1 StGB werden Kommunikationspartner und angegriffene Gruppe verwechselt. Erst nachdem das Verfahren zwei Mal eingestellt und nur aufgrund öffentlichen Drucks wieder aufgenommen worden war, erkannte die zuständige Staatsanwaltschaft, dass nicht allein die angesprochenen Journalisten, sondern auch und gerade die Gruppe der Juden und Jüdinnen beschimpft worden war.[42]

Eine mögliche Erklärung dieser Missverständnisse ist darin zu sehen, dass in der geltenden Gesetzesfassung allein die geschützten Gruppen genannt werden und nicht die Stoßrichtung der abwertenden Äußerung. Damit kann aus dem Blick geraten, dass antisemitische Hetze strafrechtlich relevant sein kann, auch wenn die Äußerung nicht explizit an die Gruppe der Jüdinnen und Juden adressiert ist. Eine ausdrückliche Nennung der Angriffsrichtung in § 130 StGB – etwa „antisemitisch“ oder „rassistisch“ – würde einen klaren Fokus auf den diskriminierenden Charakter der Äußerung legen.

Dass es im Übrigen dem Strafgesetzbuch insgesamt an einem schlüssigen und überzeugenden Gruppenschutzkonzept fehlt, wird insbesondere in der Zusammenschau mit § 192a StGB deutlich.[43] So wurde in § 192a StGB der Bereich der durch die Volksverhetzung geschützten Gruppen um durch „ihre Weltanschauung, ihre Behinderung oder ihre sexuelle Orientierung bestimmte Gruppe[n]“ erweitert, die in § 130 StGB nicht ausdrücklich, sondern als Bevölkerungsteil geschützt werden.[44] Die Gesetzesbegründung macht dabei jedoch nicht deutlich, welcher Logik die Festlegung der Gruppen folgt. In Betracht kommen vor allem zwei Ansätze: Der Schutz von Gruppen aufgrund besonderer identitätsprägender Merkmale oder die Beschränkung auf marginalisierte Gruppen mit strukturellen Diskriminierungserfahrungen.[45] § 130 und § 192a StGB setzen allerdings keines dieser Modelle konsequent um. Stellt man auf feststehende, identitätsprägende Merkmale ab, so wären etwa die ethnische Herkunft und die Behinderung zu erfassen, nicht aber die Weltanschauung; bei einer Erfassung allein marginalisierter Gruppen wären hingegen die in der Gesetzesbegründung ausdrücklich erwähnten Katholiken[46] auszunehmen, die derzeit in Deutschland keine strukturelle Diskriminierung erleben.

3. Uneinheitliche Anforderungen an die Öffentlichkeit von Äußerungen und Inhalten

In den Medien wird immer wieder von Fällen geschlossener rechtsextremer Polizeichats berichtet, in denen volksverhetzende Inhalte verschickt werden.[47] Ermittlungsverfahren gegen die Beteiligten werden häufig mit der Begründung eingestellt, dass die Taten nicht öffentlich begangen bzw. Inhalte nicht „verbreitet“ wurden.

Vor dem Hintergrund der weiten Rechtsprechung des BGH zur Eignungsklausel in Abs. 1 und den Tatbestandsmerkmalen in Abs. 2 muss die restriktive Handhabung durch die Staatsanwaltschaften verwundern.[48]

Ausreichend für Abs. 1 ist es, wenn „nach den konkreten Umständen damit zu rechnen ist, daß der Angriff einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wird”.[49] Nach der Rechtsprechung kann hierfür selbst eine Äußerung gegenüber einer Einzelperson ausreichen, wenn der Täter damit rechnen musste, dass die Person an die Öffentlichkeit gehen wird. Dies ist nach Ansicht des BGH in einer frühen Entscheidung aus dem Jahr 1987 bereits anzunehmen „in Fällen der Zuschrift an eine Zeitungsredaktion oder an einen nicht näher eingegrenzten Kreis von Privatpersonen, von deren Diskretion nicht auszugehen ist, aber auch an einen unmittelbar Betroffenen, wenn anzunehmen ist, daß er sich aus Sorge um das Opfer oder aus Empörung über die Drohung an die Öffentlichkeit wendet“.[50] Heute dürfte eine Strafbarkeit nach § 130 Abs.1 StGB etwa insbesondere dann in Betracht kommen, wenn ein einzelner Influencer oder Youtuber adressiert wird, bei dem anzunehmen ist, dass er sich öffentlich mit Diskriminierung oder Rassismus auseinandersetzt.[51] Vor dem Hintergrund des relativ hohen Strafrahmens von § 130 Abs. 1 StGB darf die Anwendung der Norm allerdings nicht überdehnt werden. Äußerungen gegenüber eng umgrenzten Personenkreisen müssen von einer Strafbarkeit ausgenommen sein; anderenfalls ließe sich jede Individualbeleidigung in eine Volksverhetzung umdeuten.[52]

Auch die Auslegung des „Verbreitens“ eines Inhaltes im Sinne von § 130 Abs. 2 StGB durch die Gerichte ist grundsätzlich weit. „Verbreiten“ wird verstanden als das Zugänglichmachen für einen größeren – nicht notwendigerweise öffentlichen – Personenkreis, der für den Täter nach Anzahl und Individualität nicht mehr kontrollierbar ist.[53] Hier kann ebenfalls die Weiterleitung des Inhaltes an eine Einzelperson genügen, wenn die Weitergabe des Inhaltes an einen nicht mehr kontrollierbaren Kreis durch die Einzelperson vom Willen des Täters umfasst ist oder er wegen der konkreten Einzelfallumstände mit einer Weitergabe rechnet (Kettenverbreitung); [54] zu einer tatsächlichen weiteren Verbreitung muss es nicht kommen.[55]

Obwohl der BGH also eine öffentlichkeitsfähige Handlung genügen lässt,[56] ist in der staatsanwaltschaftlichen und instanzgerichtlichen Praxishäufig ein restriktiverer und uneinheitlicher Umgang mit dem Öffentlichkeitsbezug in § 130 Abs. 1 und 2 StGB zu beobachten. So wurde in den Medien von einem Fall berichtet, in dem gegen einen SEK-Beamten, der in einem Chat mit 14 Mitgliedern volksverhetzende Inhalte geteilt hatte, ein Strafbefehl erlassen wurde.[57] In einem Berliner Fall nahm die Staatsanwaltschaft einen Verdacht wegen Volksverhetzung bei einer Polizei-Chatgruppe an, die aus 12 Personen bestand.[58] Demgegenüber stellte die Staatsanwaltschaft Münster ein Verfahren wegen eines fehlenden Öffentlichkeitsbezugs ein, das wegen verhetzender Inhalte in einem Chat unter 21 Polizisten geführt worden war.[59] In einer Chatgruppe mit 10 Mitgliedern wies das Landgericht Frankfurt die Anklage gegen fünf Polizisten ebenfalls ab.[60]

V. Vorschlag für eine Neuregelung von § 130 Abs. 1 und 2 StGB

Die Untersuchung der Strafverfahren wegen antisemitischer Inhalte hat Defizite in Formulierung und Anwendung von § 130 Abs. 1 und 2 StGB gezeigt. Durch den hier vorgestellten Reformvorschlag sollen bestehende dogmatische Schwächen der Vorschrift behoben werden. Zugleich kann durch eine transparentere Formulierung eine sachgemäße und einheitliche Rechtsanwendung erleichtert werden.

1. Regelungsvorschlag

2. Erläuterung

a) Streichen der Eignungsklausel in § 130 Abs. 1 StGB-E

Die weitreichendste Neuerung des Formulierungsvorschlags besteht im Verzicht auf die Eignung zur Störung des „öffentlichen Friedens“ als strafbarkeitsbegründendes Merkmal in § 130 Abs. 1 StGB.

Anders als häufig angenommen, entfaltet das Merkmal keine relevante Begrenzungsfunktion mit Blick auf die Erheblichkeitsschwelle einer Äußerung.[61] Die Anforderungen an die Tathandlung – Aufstacheln zum Hass, Aufforderung zu Gewaltmaßnahmen – sind so formuliert, dass sie Bagatellen von vornherein ausschließen. Es lässt sich kein Fall denken, in dem eine Äußerung die Grenze zur Aufstachelung zum Hass überschreitet, sie aber gleichzeitig nicht so schwer wiegen soll, dass sie geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu bedrohen. In der Praxis hat sich gezeigt, dass das Merkmal der Eignung zu Friedensstörung nur auf zwei Ebenen zu Strafbarkeitseinschränkungen führt: Für die Öffentlichkeitsfähigkeit der Äußerung und für die Begrenzung auf inländische Gruppen. 

Während die Öffentlichkeitsfähigkeit der Äußerung durch eine Neuformulierung des Tatbestandes (s. unten d) Rechnung getragen werden kann, soll eine Beschränkung auf Gruppen im Inland gerade aufgegeben werden. Wie dargelegt, blendet diese Restriktion Rückwirkungseffekte aus und führt zu inkonsistenten Ergebnissen. Durch den Verzicht auf die Eignung zur Friedensstörung werden nicht nur  bestehende Schutzlücken geschlossen; es kann zugleich die Vereinbarkeit mit Art. 10 der von der EU-Kommission vorgeschlagenen Richtlinie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt sichergestellt werden.[62] Nach Art. 10 der Richtlinie sollen die Mitgliedstaaten dafür Sorge tragen, dass „die vorsätzliche Aufstachelung zu Gewalt oder Hass gegen eine nach biologischem oder sozialem Geschlecht definierte Gruppe von Personen oder gegen ein Mitglied einer solchen Gruppe durch die Verbreitung von diese Aufstachelung enthaltendem Material mittels Informations- und Kommunikationstechnologien, unter Strafe gestellt wird.“[63] Im Gegensatz zum Rahmenbeschluss des Rates 2008/913/JI zur strafrechtlichen Bekämpfung bestimmter Formen und Ausdrucksweisen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit[64] enthält die Richtline keinen Vorbehalt mehr, der den Mitgliedstaaten gestattet, tatbestandlich eine Eignung zur Friedensstörung vorauszusetzen.[65]

Die Streichung der Eignung zur öffentlichen Friedensstörung ist im Übrigen auch dann sinnvoll, wenn die Friedensstörung als Schutzgut der Norm zugrunde gelegt wird. Das hinter einer Strafvorschrift stehende Schutzinteresse kann wertungsoffener sein als seine Umsetzung in der konkreten Tatbestandsformulierung. Merkmale einer Strafnorm müssen den Anforderungen an die verfassungsrechtliche Bestimmtheit genügen. Der Begriff der öffentlichen Friedensstörung erweist sich als Einfallstor für kriminalpolitische Wertungen; zur klaren Konturierung eines in das sensible Grundrecht der Meinungsfreiheit eingreifenden Tatbestandes ist das Merkmal denkbar ungeeignet.

b) Neuordnung der Angriffsobjekte in § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB-E

Der bisherige abschließende Verweis auf bestimmte Gruppen wird durch die Formulierung „nationale, religiöse, durch ihre ethnische Herkunft, Behinderung, sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität… bestimmte Gruppe“ ersetzt und durch den Zusatz „oder ein vergleichbares Merkmal“ geöffnet. Der Begriff der „ethnischen Herkunft“ soll in Zukunft so ausgelegt werden, dass alle Fälle rassistischer Äußerungen, die bisher in Anknüpfung an die „rassische“ Herkunft erfasst wurden, weiterhin strafbar bleiben.[66] Geflüchtete Menschen, Ausländer oder Menschen mit Migrationsgeschichte sollen künftig als durch ein „vergleichbares Merkmal“ bestimmte Gruppe erfasst werden können. Damit ist ein Bezug gerade zu dem in Deutschland lebenden Teil der Gruppe ­– der sich hier bislang auch aus der Formulierung „Teil der Bevölkerung“ ergab – nicht mehr erforderlich.

Durch das Erfordernis der Vergleichbarkeit des Merkmals zu den anderen explizit genannten wird deutlich, dass eine besondere Identitätsprägung, die auch durch eine Fremdzuschreibung von außen erfolgen kann, erforderlich ist. Eine objektivierte Bewertung kann durch eine Orientierung an dem (mit Blick auf die Formulierung selbst nicht unproblematischen) speziellen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 3 GG sowie den „Quasi-Diskriminierungsverboten“[67] erfolgen. Durch die Ergänzung der Adressierung eines Einzelnen wegen der Zuschreibung zu einer Gruppe bzw. einem Bevölkerungsteil wird zudem der Tatsache Rechnung getragen, dass Betroffenen, etwa wegen des äußeren Erscheinungsbildes, durchaus auch falsche Zugehörigkeiten zugeschrieben werden.[68]

c) Der differierende Schutzbereich der § 130 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB-E

Die Neufassung differenziert in Abs. 1 klarer zwischen Nr. 1 und Nr. 2. Erreichen Äußerungen die Qualität von § 130 Abs.1 Nr. 1 StGB, so werden sämtliche in Nr. 1 genannte Gruppen geschützt. Ein Aufstacheln zum Hass oder die Aufforderung zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gefährdet die Rechtsgüter von Gruppenmitgliedern unabhängig etwa von ihrem Anteil an der Bevölkerung.[69] Anders verhält es sich bei Beschimpfungen unterhalb dieser Schwelle. Hier ist – auch im Lichte der Meinungsfreiheit – eine besondere Strafbarkeit nur dann sinnvoll, wenn sie an eine historisch oder strukturell verfestigte Benachteiligung anknüpft.[70] Daher normiert Nr. 2 ausdrücklich die Art und Weise der Herabwürdigung und sanktioniert „menschenverachtende, insbesondere antisemitische, rassistische oder sexistische“ Kollektivbeleidigungen.[71] Damit wird zugleich dem skizzierten Problem entgegengewirkt, dass abwertend-diskriminierende Äußerungen wegen eines unklaren oder bewusst verdeckten Bezugs zur Gruppe nicht strafrechtlich verfolgt werden. Auf Grundlage des geänderten Wortlautes ist zu erwarten, dass verhetzende Äußerungen durch Verwendung antisemitischer Chiffren auch ohne einen expliziten Verweis auf Jüdinnen und Juden künftig bestraft werden.

Durch die Neufassung erübrigt sich auch der Rückgriff auf das vage Tatbestandsmerkmal des Menschenwürdeangriffs.[72] Bei den durch § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB erfassten Fällen verhetzender, menschenverachtender Diskriminierung, die durch beschimpfen, böswilliges verächtlichmachen oder verleumden erfolgen müssen, wird die durch das Merkmal vorausgesetzte Eingriffsschwere stets gewährleistet; der Zusatz ist daher obsolet.[73]

§ 130 StGB ermöglicht gegenüber der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten in § 111 Abs. 2 StGB eine erhöhte Strafe. Nach § 111 Abs. 2 StGB wird mit Geldstrafe oder bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe bestraft, wer (erfolglos) zu einer rechtswidrigen Straftat auffordert. Diese Strafandrohung wird bei einer Aufforderung gegenüber Gruppen oder Bevölkerungsteilen i.S.v. § 130 Abs. 1 Nr. 1 Var. 2 StGB auf eine Mindestfreiheitsstrafe von drei Monaten angehoben. Dem bloßen Wortlaut nach findet sich in § 130 StGB keine vergleichbare Regelung für die Billigung oder Androhung von Straftaten. Zwar sollten solche Äußerungen bereits de lege lata unter § 130 Abs. 1 Nr. 1 Var. 1 (Aufstacheln zum Hass) oder Nr. 2 (Beschimpfen etc.) subsumiert werden können. Um jedoch die Gefahr eines fehlerhaften Umkehrschlusses aus der fehlenden ausdrücklichen Erwähnung der Handlungsvarianten zu vermeiden, wird ihre Tatbestandsmäßigkeit in § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB-E klargestellt.

d) Die Öffentlichkeitsfähigkeit der Tatbegehung

Die Tathandlung nach Abs. 1 muss geeignet sein, „einem nicht überschaubaren oder kontrollierbaren Personenkreis die unmittelbare oder mittelbare Kenntnisnahme der Äußerung zu ermöglichen“; Abs. 2 Nr. 1 übernimmt diese Formulierung bei nicht zu eigen gemachten Äußerungen. Diese Regelung führt die Rechtsprechung des BGH zur Öffentlichkeitsfähigkeit und Kettenverbreitung von Äußerungen fort.[74] Für die Verwirklichung des Tatbestandes ist es danach ausreichend, dass die Tathandlung geeignet ist, einem nicht überschaubaren oder kontrollierbaren Personenkreis mittelbar oder unmittelbar zur Kenntnis zu gelangen. Damit können auch Äußerungen in kleineren Kreisen und sogar gegenüber Einzelpersonen erfasst werden, wenn die Weitergabe an einen unüberschaubaren Personenkreis billigend in Kauf genommen wird. Dies richtet sich nach einer verständigen Würdigung der konkreten Umstände des Einzelfalles und muss vom Vorsatz des Täters getragen sein. Die lediglich abstrakte – und fast immer gegebene – Möglichkeit der Weitergabe einer Äußerung auch bei einer Kommunikation in eng verbundenen Gruppen reicht nicht aus.

Auch wenn die Neufassung die Maßstäbe für die Beurteilung des erforderlichen Öffentlichkeitsbezugs präzisiert, verbleiben in der Praxis notwendig Spielräume. Für die Überschaubarkeit und Kontrollierbarkeit eines Personenkreises sind neben der Größe des Empfängerkreises etwa auch die persönliche Verbundenheit zwischen den Beteiligten einzubeziehen. Äußerungen auch auf geschlossenen Parteiveranstaltungen oder in Polizeichats, deren Mitglieder nicht eng persönlich verbunden sind, unterfallen damit nach der hier vorgeschlagenen Lesart dem Tatbestand der Volksverhetzung.[75]

Als Reaktion auf die strafrechtlich bislang unzureichende Erfassung rechtsextremer Polizeichats hat das Land Nordrhein-Westfalen im September 2023 einen Entwurf für einen neuen Straftatbestand in § 341 StGB vorgestellt, der Elemente der Volksverhetzung mit der besonderen Verantwortung von Amtsträgern verbindet.[76]

§ 341 StGB

(1) Wer als Amtsträger im Zusammenhang mit der Dienstausübung in einer Weise, die geeignet ist, das Vertrauen der Allgemeinheit in rechtstaatliches Handeln von Behörden oder sonstigen Stellen der öffentlichen Verwaltung zu erschüttern,

    1. die in § 130 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 oder Absatz 4 bezeichneten Inhalte (§ 11 Absatz 3) gegenüber einer anderen Person äußert oder einer anderen Person zugänglich macht oder
    1. im Inland Kennzeichen einer der in § 86 Absatz 1 Nummer 1, 2 und Nummer 4 bezeichneten Parteien, Vereinigungen oder Organisationen verwendet,

 wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Wird der Öffentlichkeitsbezug in § 130 StGB nach dem hier unterbreiteten Vorschlag neu ausgestaltet, wäre eine solche Vorschrift zur Schließung von Strafbarkeitslücken nicht mehr erforderlich. Dies gilt vor allem deshalb, weil § 341 StGB-E in seiner jetzigen Entwurfsfassung die Eignung zur Erschütterung des Vertrauens der Allgemeinheit voraussetzt und damit selbst einen – nicht näher konturierten – Öffentlichkeitsbezug herstellt.[77] Nach dem Wortlaut bezieht sich die „Weise, die geeignet ist, das Vertrauen der Allgemeinheit…zu erschüttern“ auf das Prädikat „äußern“ und nicht auf den Inhalt. Selbst wenn diese Einschränkung im Zuge eines Gesetzgebungsverfahrens gestrichen würde – denn die Vertrauenserschütterung beschreibt in erster Linie die Intention der Norm, bewirkt aber keine eigenständige Strafbarkeitsbegrenzung –, bliebe es dabei, dass unter Berücksichtigung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zu beleidigungsfreien Räumen[78] eine gewisse Gruppengröße erreicht werden müsste. In diesem Fall würde jedoch regelmäßig § 130 StGB-E mit seinem weiten Verständnis der Öffentlichkeitsfähigkeit greifen. Sinnvoller wäre es daher, den § 341 StGB-E als Qualifikationstatbestand auszugestalten, der den besonderen Gefahren eines öffentlichen Vertrauensverlustes in die Rechtsstaatlichkeit behördlichen Handelns Rechnung trägt.

VI. Fazit und Ausblick

Angesichts der dramatischen Ereignisse in Israel und im Gaza-Streifen hat der Bundesjustizminister zu Recht angemahnt, nicht „in Aktionismus“ zu verfallen.[79] Überhastete Gesetzgebung in einer politisch emotionalisierten Situation kommt selten zu langfristig überzeugenden Ergebnissen.[80] Allerdings werfen aktuelle Debatten nicht selten auch ein Schlaglicht auf bestehende Defizite (straf-)rechtlicher Regelungen. Der Tatbestand der Volksverhetzung wird seit Langem kritisiert; die hier durchgeführte Studie belegt erhebliche Defizite in Formulierung und Anwendung der Norm. Die Diskussion um einen besseren Schutz vor antisemitischer Hetze sollte daher tatsächlich zum Anlass genommen werden, das geltende Recht zu reformieren und § 130 Abs. 1 und 2 StGB transparenter und schlüssiger zu gestalten.

 

[1]      Ostendorf/Kuhli, in: NK-StGB, 6. Aufl. (2023), § 130 Rn. 2 unter Verweis auf v. Hippel, Die Anreizung zum Klassenkampf, Vergleichende Darstellung des Deutschen und Ausländischen Strafrechts, Besonderer Teil, II. Band, 1906, S. 48.
[2]      Vgl. Ostendorf/Kuhli, in: NK-StGB, § 130 Rn. 8a sowie Krauß, in: LK-StGB, 13. Aufl. (2021), § 130 Rn. 20 m.w.N.
[3]      Krauß, in: LK-StGB, § 130 Rn. 21 m.w.N.
[4]      World Jewish Congress, The 2022 WJC Report on Anti-Semitism in Germany, 2022, online abrufbar unter; https://wjc-org-website.s3.amazonaws.com/horizon/assets/5qfkool9/220127-wjc-anti-semitism-survey-germany.pdf (zuletzt abgerufen am 3.1.2024);  Bundesamt für Verfassungsschutz, Lagebild Antisemitismus 2020/21, 2022, insb. S. 54 ff. (Herv. durch die Verf.), online abrufbar unter: https://www.verfassungsschutz.de/SharedDocs/publikationen/DE/allgemein/2022-04-lagebild-antisemitismus.pdf?__blob=publicationFile&v=3 (zuletzt abgerufen am 3.1.2024).
[5]      Online abrufbar unter: https://global100.adl.org/country/germany/2023 (zuletzt abgerufen am 3.1.2024).
[6]      Vgl. nur Kehlbach, Tagesschau v. 19.10.2023, online abrufbar unter: https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/meinungsfreiheit-pro-palaestina-demos-100.html (zuletztabgerufen am 3.1.2024).
[7]      Krappitz, Frankfurter Rundschau v. 15.10.2023, online abrufbar unter: https://www.fr.de/politik/antisemitismus-krieg-israel-berlin-polizei-davidstern-judenstern-vandalismus-zr-92578690.html (zuletzt abgerufen am 3.1.2024).
[8]      Tagesschau v. 18.10.20202, Jüdische Einrichtungen mit Molotow-Cocktails angegriffen, online abrufbar unter: https://www.tagesschau.de/inland/regional/berlin/rbb-juedische-einrichtungen-mit-molotow-cocktails-angegriffen-100.html (zuletzt abgerufen am 3.1.2024).
[9]      Das Projekt wurde von der Verf. Hoven geleitet und vom Bundesministerium der Justiz gefördert. Die Verf. Witting promoviert im Rahmen des Forschungsprojekts.
[10]    S. zu den Ergebnissen Hoven, Forschungsgruppe g/d/p Hass im Netz – Ergebnisse einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage, 2022, online abrufbar unter: https://www.jura.uni-leipzig.de/fileadmin/prins_import/dokumente/dok_20220829123452_ae0b27c451.pdf (zuletzt abgerufen am 3.1.2024) sowie dies., Hate Speech – Ergebnisse einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage, 2020, online abrufbar unter:  https://www.jura.uni-leipzig.de/fileadmin/Fakultät_Juristen/Professuren/Hoven/gdp_Ergebnisse_HateSpeech_Kurz
bericht.pdf (zuletzt abgerufen am 3.1.2024); Heuser/Witting, in: Hoven, Das Phänomen „Digitaler Hass“, 2023, S. 37; Hestermann/Hoven/Autenrieth, KriPoZ 2021, 204 und Haim/Hoven, Journal of Quantitative Description: Digital Media Vol. 2 2022, 1.
[11]    Die untersuchten Verfahrensakten betrafen zudem Verfahren zu den Ehrschutzdelikten (§§ 185 ff. StGB), der Bedrohung (§ 241 StGB), der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten (§ 111 StGB), der Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten (§ 126 StGB) und der Belohnung und Billigung von Straften (§ 140 StGB).
[12]    6. StrÄndG v. 30.6.1960, BGBl. I, S. 478.
[13]    So Streng, in: FS Lackner, 1987, S. 501 (523).
[14]    Vgl. Streng, in: FS Lackner, 1987, S. 501 (504 f., 523), der kritisiert, dass hierbei nicht erörtert wurde, welche Relevanz die Eignungsklausel neben der Voraussetzung des Menschenwürdeangriffs überhaupt entfalten kann. Abgesehen von der Funktion einer Erheblichkeitsschwelle, die auch schon der Voraussetzung des Angriffs auf die Menschenwürde zukommt, habe ein weiterer Grund für die Aufnahme der Eignungsklausel lediglich darin bestanden, „allerintimste“ Äußerungen nicht unter Strafe stellen zu wollen. Streng kommt zu dem Ergebnis, dass der Eignungsklausel nur noch Bedeutung im Hinblick auf die Öffentlichkeitsfähigkeit der Tathandlung zukommt, Streng, in: FS Lackner, 1987, S. 501 (503, 516).
[15]    VerbrBG v. 28.10.1994, BGBl. I, S. 3186 (3187).
[16]    BT-Drs. 12/6853, S. 24.
[17]    Schäfer/Anstötz, in: MüKo-StGB, Bd. 3, 4. Aufl. (2021), § 130 Rn. 62; König/Seitz, NStZ 1995, 1 (3); Sternberg-Lieben/Schittenhelm, in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. (2019), § 130 Rn. 12.
[18]    BGH, NJW 2001, 624 (626); BGH, NStZ 2015, 512 (513); Kindhäuser/Hilgendorf, in: LPK-StGB, 9. Aufl. (2022), § 130 Rn. 15; Hilgendorf/Kusche/Valerius, Computer- und Internetstrafrecht, 3. Aufl. (2022), § 3 Rn. 120. Vgl. vertieft und m.w.N. Hörnle, NStZ 2002, 113 (116 f.).
[19]    Rackow, in: BeckOK-StGB, 58. Ed. (1.08.2023), § 130 Rn. 11; Kindhäuser/Hilgendorf, in: LPK-StGB, § 130 Rn. 1; Schäfer/Anstötz, in: MüKo-StGB, § 130 Rn. 2 f.; Heger, in: Lackner/Kühl/Heger, StGB, 30. Aufl. (2023), § 130 Rn. 1; Krauß, in: LK-StGB, § 130 Rn. 2, 8, 10; Krupna, in: Dölling/Duttge/Rössner/Krupna, StGB, 5. Aufl. (2022), § 130 Rn. 1; Knauer, ZStW 126 (2014), 305 (330 f.); Foerstner, Kollektivbeleidigung, Volksverhetzung und „lex Tucholsky“, 2002, S. 171.
[20]    Für einen ausschließlichen Schutz des öffentlichen Friedens Sternberg-Lieben/Schittenhelm, in: Schönke/Schröder, StGB, § 130 Rn. 1a und Wehinger, Kollektivbeleidigung – Volksverhetzung, 1994, S. 81 ff. Die h.M. betrachtet den öffentlichen Frieden nicht nur als Schutzgut von § 130 Abs. 1 StGB, sondern – trotz der dort fehlenden Erwähnung – auch von Abs. 2.; kritisch: Sternberg-Lieben/Schittenhelm, in: Schönke/Schröder, StGB, § 130 Rn. 1a; Krauß, in: LK-StGB, § 130 Rn. 10. Teilweise wird lediglich die Menschenwürde als alleiniges unmittelbares (Streng, in: FS Lackner, 1987, S. 501 [506 ff.]) oder zumindest primäres Schutzgut genannt (Stegbauer, Rechtsextremistische Propaganda im Lichte des Strafrechts, 2000, S. 163 ff.; Ostendorf/Kuhli, in: NK-StGB, § 130 Rn.  4 f.).
[21]    Ähnlich schon RGSt 15, 116 (117); st. Rspr. vgl. BGH, NJW 2005, 689, 691 m.w.N.; Schäfer/Anstötz, in: MüKo-StGB, § 130 Rn. 22.
[22]    BVerfG, NJW 2010, 47 (52 f.).
[23]    Vgl. m.w.N. Krauß, in: LK-StGB, § 130 Rn. 72.
[24]    BVerfG, NJW 2010, 47 (52 f.). Trotzdem auf die Vergiftung des öffentlichen Klimas abstellend: Schäfer/Anstötz, in: MüKo-StGB, § 130 Rn. 22.
[25]    So bereits zuvor Fischer, Öffentlicher Friede und Gedankenäußerung, 1986, S. 530 ff., 632 ff. Vgl. anstatt vieler weiterer zudem Hörnle, Kultur, Religion, Strafrecht – Neue Herausforderungen einer pluralistischen Gesellschaft, Gutachten C zum 70. Deutschen Juristentag, 2014, S. C 27, die die Konstruktion als „überflüssig“ bezeichnet und Timm (Rostalski), Gesinnung und Straftat: Besinnung auf ein rechtsstaatliches Strafrecht, 2012, S. 239, die von „Verschleierungstendenzen“ spricht.
[26]    Altenhain, in: Matt/Renzikowski, StGB, 2. Aufl. (2020), StGB § 130 Rn. 3 m.w.N.
[27]    Staatsanwaltschaft Kassel, Presseinformation v. 17.04.2023 – Mitteilung über die Ablehnung der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens im Zusammenhang mit Ausstellungen von Kunstwerken auf der Documenta 15, S. 14 (die Pressemitteilung liegt den Verf. vor).
[28]    Jugendschutz- und Medienkompetenzbericht, Der Ton wird härter. Hass, Mobbing und Extremismus. Maßnahmen, Projekte und Forderungen, 2019, S. 104, online abrufbar unter:  https://www.lfk.de/fileadmin/PDFs/Publikationen/Studien/Jugendschutz-_und_Medienkompetenzbericht/jugendschutz-und-medienkompetenzbericht-2019.pdf (zuletzt abgerifen am 3.1.2024).
[29]    Sehr kritisch bereits Fischer, Öffentlicher Friede und Gedankenäußerung, 1986, S. 631 ff.
[30]    Ostendorf/Kuhli, in: NK-StGB, § 130 Rn. 18; vgl. auch BT-Drs. 12/6853, S. 24.
[31]    Schäfer/Anstötz, in: MüKo-StGB, § 130 Rn. 31.
[32]    Staatsanwaltschaft Kassel, Presseinformation v. 17.4.2023 – Mitteilung über die Ablehnung der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens im Zusammenhang mit Ausstellungen von Kunstwerken auf der Documenta 15, S. 13.
[33]    Schäfer/Anstötz, in: MüKo-StGB, § 130 Rn. 63; Sternberg-Lieben/Schittenhelm, in: Schönke/Schröder, StGB, § 130 Rn. 12/13; Krauß, in: LK-StGB, § 130 Rn. 85 f. Gegen eine Ausdehnung auf ausländische Gruppen allerdings Fischer, StGB, 69. Aufl. (2022), § 130 Rn. 16; auch sehr kritisch und entschieden dagegen, dass auf jeglichen Inlandsbezug verzichtet werden kann, Heinrich, ZJS 2017, 625 (629 f.), der anführt, dass unklar sei, was dann noch als Schutzgut des Abs. 2 verbleibe. Zudem bestehe ein innerer Widerspruch, da der Gesetzgeber in Abs. 2 auf das Tatbestandsmerkmal nur verzichtet habe, weil eine Einzelfallprüfung entbehrlich sei.
[34]    Vgl. OLG Hamm (4. Strafsenat), Beschl. v. 7.9.2017 – 4 RVs 103/17; Galetzka/Krätschmer, MMR 2016, 518 (519).
[35]    Vgl. zu diesem Botschaftscharakter auch schon Heuser/Witting, in: Hoven, Das Phänomen „Digitaler Hass“, 2023, S. 37 (45) und Schmidt/Witting, KriPoZ 2023, 190 (192) im Kontext der Beleidigungsdelikte. Vgl. allgemeiner zu Botschaftsverbrechen anstatt vieler und m.w.N. Mangold/Payandeh/Schmidt, Strafrechtlicher Schutz vor Diskriminierung und Hasskriminalität, Handbuch Antidiskriminierungsrecht, 2022, S. 881 (887).
[36]    Eine restriktive Auslegung der Norm könnte mit Blick auf das Schutzgut allenfalls dann vertretbar sein, wenn in Deutschland keine Mitglieder der Gruppe leben, der Hass also keine Gefahren für Rechtsgüter im Inland bedeuten kann. Eine solche Konstellation dürfte angesichts der globalen Verflechtungen faktisch keine Rolle spielen.
[37]    LTO v. 27.2.2023, online abrufbar: https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/braunschweig-staatsanwaltschaft-ermittlungen-eingestellt-rechtsextremer-rechte-partei-volksverhetzung-beleidigung-judenpack-judenpresse/ (zuletzt abgerufen am 3.1.2024).
[38]    RIAS Bayern, „Das muss man auch mal ganz klar benennen dürfen“ – Verschwörungsdenken und Antisemitismus im Kontext von Corona, 3. Aufl. (2023), S. 15 ff., https://report-antisemitism.de/analysis/. Vgl. zu den verschiedenen Erscheinungsformen von Antisemitismus, die allerdings nicht eindeutig voneinander zu trennen sind und teilweise auch unterschiedliche Bezeichnungen tragen, Liebscher/Pietrzyk/Lagodinsky/Steinitz, NJOZ 2020, 897; s. auch zu Antisemitismus als Herausforderung in der Polizeiarbeit und -bildung Frommer/Jahn, Kriminalistik 2023, S. 36.
[39]    Bundesamt für Verfassungsschutz, Lagebild Antisemitismus 2020/21, 2022, S. 17 (Herv. durch die Verf.), online abrufbar unter:  https://www.verfassungsschutz.de/SharedDocs/publikationen/DE/allgemein/2022-04-lagebild-antisemitismus.pdf?__blob=publicationFile&v=3 (zuletzt abgerufen am 3.1.2024). Eine umfassende Darstellung antisemitischer Codes findet sich etwa bei: Amadeu Antonio Stiftung, deconstruct antisemitism! Antisemitische Codes und Metaphern erkennen, 2021, online abrufbar unter: https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/wp-content/uploads/2021/11/210922_aas_broschuere-da-105x148_web_doppelseiten.pdf (zuletzt abgerufen am 3.1.2024); s. zudem Landes-Demokratiezentrum Niedersachsen, Leitfaden zum Erkennen antisemitischer Straftaten, 2021, online abrufbar unter: https://ldz-niedersachsen.de/html/download.cms?id=
150&datei=LDZ-Leitfaden-Antisemiti-%20sche_Straftaten-A4-DRUCK-uncoated-v2-150.pdf&fbclid=IwAR11t2VHifqTfLxq-MDOkxyZ51ey-%20La6N7UFQ0xZvKwVWekVXVvhOVUkKp14 (zuletzt abgerufen am 3.1.2024).
[40]    S. auch zu Antisemitismus als Herausforderung in der Polizeiarbeit und -bildung Frommer/Jahn, Kriminalistik 2023, 36.
[41]    Vgl. Landes-Demokratiezentrum Niedersachsen, Leitfaden zum Erkennen antisemitischer Straftaten, 2021, S. 20; Bundesamt für Verfassungsschutz, Lagebild Antisemitismus 2020/21, 2022, S. 17.  Vgl. zur Äußerung „Tod und Hass den Zionisten“ als in Ansehung des konkreten Kontexts verwendete Chiffre für Juden und Jüdinnen AG Essen, Urt. v. 30.01.2015 – 57 Cs 631/14.
[42]    Staatsanwaltschaft Braunschweig, Presseinformation v. 28.6.2023, Nach antisemitischen Äußerungen: Staatsanwaltschaft erhebt Anklage wegen Volksverhetzung und Beleidigung, online abrufbar unter: https://staatsanwaltschaft-braunschweig.niedersachsen.de/startseite/aktuelles/presseinformationen/nach-antisemitischen-ausserungen-staatsanwaltschaft-erhebt-anklage-wegen-volksverhetzung-und-beleidigung-223368.html (zuletzt abgerufen am 3.1.2024).
[43]    S. schon Hoven/Witting, NStZ 2022, 589 (595).
[44]    Sternberg-Lieben/Schittenhelm, in: Schönke/Schröder, StGB, § 130 Rn. 4.
[45]    Zu dieser Diskussion ausführlich: KriPoZ Sonderheft „Digitaler Hass“ 2023, 184; s. insbesondere die Beiträge von Rostalski/Weiss (199 ff.) und Schmidt/Witting (190 ff.).
[46]    Vgl. BT-Drs. 19/31115, S. 14.
[47]    Am 29. September und 6. Oktober 2023 widmete der Satiriker Jahn Böhmermann dem rechtsextremen Frankfurter Polizei-Chat „Itiotentreff“ im ZDF Magazin Royale sogar eine zweiteilige Sendung, online abrufbar unter: https://www.zdf.de/comedy/zdf-magazin-royale/zdf-magazin-royale-vom-29-september-2023-102.html und https://www.zdf.de/comedy/zdf-magazin-royale/zdf-magazin-royale-vom-6-oktober-2023-100.html (zuletzt abgerufen am 3.1.2024).
[48]    Jüngst sehr detailliert zum Verbreiten von Inhalten in geschlossenen Chatgruppen Lund, NStZ 2023, 641, der sich richtigerweise für eine differenzierte Einzelfallbetrachtung ausspricht.
[49]    BGH, NJW 1979, 1992; BGH, MMR 2001, 228 (230); BGH, NStZ 2007, 216 (217); BGH, NStZ 2010, 570 (bzgl. § 126 StGB).
[50]    BGH, NJW 1987, 1898. Ähnlich hat das OLG Hamburg entschieden. Dort hatte die Mitarbeiterin eines Fahrkartenschalters der S-Bahn einem Algerier laut zugerufen „Euch Ausländer sollte man vergasen wie die Juden.”  Diesen Zuruf ließ das OLG Hamburg für die Annahme einer Volksverhetzung genügen; OLG Hamburg, MDR 1981, 71; vgl. auch, Schäfer/Anstötz, in: MüKo-StGB, § 130 Rn. 25.
[51]    Hoven/Witting, NStZ 2022, 589 (591).
[52]    Hörnle, NStZ 2002, 113 (117).
[53]    BGH, NStZ 2017, 405 (406); Rackow, in: BeckOK-StGB, § 130 Rn. 27.
[54]    Vgl. BVerfG, NJW 2012, 1498 (1500); Schäfer/Anstötz, in: MüKo-StGB, § 130 Rn. 74.
[55]    BGH, NStZ 2017, 405 (406) m. krit. Anm.  Rackow. Ob in diesen Fällen dolus eventualis ausreicht oder dolus directus 1. Grades erforderlich ist, wurde vom BGH allerdings ausdrücklich offengelassen.
[56]    Hörnle, NStZ 2002, 113 (117); ebenfalls Streng, in: FS Lackner, 1987, S. 501 (516).
[57]    Gegen den Strafbefehl legte der Beamte Einspruch ein, Nowaczyk, Volksverhetzung im Polizeichat, FAZ v. 16.12.2022, online abrufbar unter: https://www.faz.net/aktuell/rhein-main/frankfurt/sek-beamter-wegen-volksverhetzung-in-chat-vor-gericht-18541171.html (zuletzt abgerufen am 3.1.2024).
[58]    Peter, Ermittlungen gegen Berliner Polizisten – Dritte rechte Chatgruppe, taz v. 14.07.2021, online abrufbar unter: https://taz.de/Ermittlungen-gegen-Berliner-Polizisten/!5786938/ (zuletzt abgerufen am 3.1.2024).
[59]    NDR v.  26.6.2023, online abrufbar unter: https://www.rnd.de/panorama/sek-chats-in-muenster-strafrechtliche-verfahren-eingestellt-6MJRQEUKQ5NSJBFZQUDUPJCPKU.html (zuletzt abgerufen am 3.1.2024).
[60]    Borufka, Rechtsextreme Chatgruppe: Landgericht lässt Anklage gegen Polizisten nicht zu, Hessenschau v. 1.3.2023, online abrufbar unter: https://www.hessenschau.de/panorama/rechtsextreme-chatgruppe-landgericht-laesst-anklage-gegen-frankfurter-polizisten-nicht-zu-v3,chatgruppe-gericht-100.html (zuletzt abgerufen am 3.1.2024); s. zur aktuellen Bewertung durch die Generalstaatsanwaltschaft FAZ v. 11.7.2023, Polizeichats könnten doch strafbar sein, Nr. 158, S. 1.
[61]    Das Merkmal wird in der Literatur kritisch gesehen, vgl. Fischer, StGB, § 130 Rn. 13 b ff. m.w.N.; Krauß, in: LK-StGB, § 130 Rn. 83 m.w.N.
[62]    Allerdings wurden zu Recht Bedenken an der Kompetenz der EU zum Erlass einer solchen, das Strafrecht gestaltenden Richtlinie auf Basis von Art. 83 Abs. 1 AEUV geäußert; Heger, KriPoz 2022, 273 (275).
[63]    Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt v. 8.3.2022, COM 2022, 105 final – 2022/0066 (COD), S. 43, online abrufbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52022PC0105&from=EN (zuletzt abgerufen am 3.1.2024).
[64]    Der Rahmenbeschluss erlaubte eine Einschränkung zur Störung der öffentlichen Ordnung. Deutschland hatte bei der Umsetzung der Richtlinie ausdrücklich davon Gebrauch gemacht und klargestellt, dass der verwendete Begriff „öffentlicher Friede“ dem des im Rahmenbeschluss verwendeten Begriffs der „öffentlichen Ordnung“ genüge; BT-Drs. 17/3124, S. 8; vgl. auch Hellmann/Gärtner, NJW 2011, 961 (964).
[65]    Vgl. schon Hoven, ZRP 2022, 118 (120 f.).
[66]    Vgl. im Kontext eines Reformvorschlags zu § 192a StGB Beck/Nussbaum, KriPoZ 2023, 218 (228).
[67]    Bspw. wird die fehlende Nennung der sexuellen Orientierung in Art. 3 Abs. 3 GG derzeit noch durch den Allgemeinen Gleichheitssatz in Form der Quasi-Diskriminierungsverbote aufgefangen, vgl. Kischel, in: BeckOK-GG, 56. Ed. (15.8.2023), Art. 3 Rn. 129 ff., 231.
[68]    Dazu auch schon Heuser/Witting, in: Hoven Das Phänomen „Digitaler Hass“, 2023, S. 37 (44).
[69]    Hiernach werden etwa auch Deutsche von Nr. 1 geschützt; zum Streit siehe: Mitsch, JR 2011, 380.
[70]    Vgl. nur Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, 2005, S. 127 ff. S. zum Widerspruch zwischen der Rechtsprechung zur Kollektivbeleidigungsfähigkeit und § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB auch bereits Hoven/Witting, NStZ 2022, 589 (592). Zu dem Vorschlag einer teleologischen Reduktion der Volksverhetzung auf marginalisierte Gruppen vgl., Schmidt, in: Mangold/Payandeh/Schmidt, Strafrechtlicher Schutz vor Diskriminierung und Hasskriminalität, Handbuch Antidiskriminierungsrecht, 2022, S. 881 (915 f.).
[71]    Vgl. zu einer entsprechenden Formulierung im Kontext eines Vorschlages für eine Reform der Beleidigungsdelikte, um den Schutz Angehöriger diskriminierter Gruppen vor Hassrede zu verbessern, Schmidt/Witting, KriPoZ 2023, 190 (193, 195).
[72]    Dazu, dass die Rechtsprechung bislang kein einheitliches Bild bietet, vgl. Krauß, in: LK-StGB, § 130 Rn. 55; Schäfer/Anstötz, in: MüKo-StGB, § 130 Rn. 56.
[73]    Vgl. Hoven/Witting, NStZ 2022, 589 (593) bzgl. des entsprechenden Tatbestandsmerkmals in § 192a StGB und BVerfG, NZA 2020, 1704 (1706) m. zust. Anm. Metz.
[74]    BGH, NJW 1987, 1898; BGH, NStZ 2017, 405.
[75]    Vgl. auch Lund, NStZ 2023, 641 (644 ff.) bzgl. der Inhaltsverbreitung zu den weiteren in die Einzelfallbetrachtung einzubeziehenden Aspekten des Zwecks der Gruppe, der Art der Inhalte und des Kommunikationsverhaltens der Mitglieder.
[76]    Gesetzesantrag des Landes Nordrhein-Westfalen, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Verbot volksverhetzender Inhalte und verfassungswidriger Kennzeichen im Zusammenhang mit der Dienstausübung, BR-Drs. 449/23.
[77]    Das Merkmal erscheint nicht weniger vage als die Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens und sollte daher nicht zur Voraussetzung eines Straftatbestandes werden.
[78]    Vgl. nur BVerfG, NStZ 2021, 439 (439 f.) zu in einem Brief enthaltenen beleidigenden Äußerungen eines Strafgefangenen.
[79]    Kolter/Suliak, LTO v. 24.10.2023, online abrufbar unter:  https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/antisemitismus-antisemitisch-israel-palstina-hamas-poseck-union-cdu-volksverhetzung/ (zuletzt abgerufen am 3.1.2024).
[80]    „Im Strafrecht, in dem das Recht und die Sittlichkeit in engerer Beziehung stehen als in den übrigen Rechtsgebieten, ist die Gefahr besonders groß, daß in der sittlichen Entrüstung über eine Tat Rechtssätze aufgestellt werden, die einer nüchternen Betrachtung nicht standhalten“, Grünwald, ZStW 76 (1964), 1 (14) und Hoven, MschrKrim 2017, 161 (175); Hoven, KriPoZ 2018, 2 (7); Hoven, Neue Kriminalpolitik 2018, 393 (401 f.).

 

 

 

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