Neele Marleen Schlenker: § 237 StGB – Das Verbot der Zwangsheirat

von Prof. Dr. Bernd-Rüdeger Sonnen

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2016, Peter Lang GmbH, Frankfurt a. M., ISBN: 3631669232, S. 307, Euro 64,95

Als Rezensent ahnt man, welchen Herausforderungen sich die Promovendin mit den vermuteten Arbeitsschwerpunkten in den Jahren 2014 und 2015 gegenüber sah, hatte sich doch der 70. Deutsche Juristentag Hannover 2014 in seiner strafrechtlichen Abteilung dem Thema Kultur, Religion, Strafrecht – neue Herausforderungen in einer pluralistischen Gesellschaft zugewandt. Es lagen das Gutachten von Tatjana Hörnle, die Thesen zum Gutachten und zu den Referaten von Radtke, Rosenthal und Schluckebier sowie schließlich die Beschlüsse (auch) zum Tatbestand der Zwangsheirat vor. 2015 wurde dann die Bielefelder Dissertation von Lena Hildebrand, „Die Bekämpfung der Zwangsheirat in Deutschland. Eine juristische Betrachtung der gesetzgeberischen Maßnahmen im Lichte des Opferschutzes“ veröffentlicht, die ,,nur noch am Rande berücksichtigt werden“ konnte (Fußnote 29). War jetzt schon alles gesagt und die Problematik des Promotionsthemas damit weggefallen? Gleichzeitig erreichte der Zustrom von gerade auch vor aktuellen Krisen und Krieg Geflüchteten und Asylbegehrenden mit 890.000 im Jahr 2015 seinen bisherigen Höhepunkt. Müsste die Autorin angesichts der gesellschaftspolitischen Debatten daraufhin ihr Kapitel zu den außergesetzlichen Maßnahmen zur Verhinderung einer Zwangsheirat unter Präventionsaspekten mit ihrem Appell für Aufklärung und Sensibilisierung für das Thema in der Gesellschaft (S. 271-276) nicht noch verstärken?

Um das Ergebnis vorweg zu nehmen: Beide Fragen sind zu verneinen. Die Ursachen und strukturellen Besonderheiten der Zwangsheirat müssen vorgestellt, erläutert und zugleich muss aufgezeigt werden, warum sich das Phänomen nicht mit unseren Wertvorstellungen verträgt. „Dabei muss auch mit Vorurteilen aufgeräumt und einer Skepsis gegenüber fremden Kulturen entschieden entgegengetreten werden“ (S. 272) – eine Forderung, die aktuell nicht oft genug wiederholt und nur nachhaltig unterstützt werden kann. Eine gleichberechtigte Teilhabe von Migranten am Leben in der hiesigen Gesellschaft könne die Abspaltung und Flucht in Parallelgesellschaften verhindern und deswegen müssten Diskriminierungen und pauschalisierende Darstellungen von Religion, Kultur und Tradition vermieden werden (S. 275). Zwar sei das Phänomen der Zwangsverheiratung nicht auf Migranten beschränkt, dennoch hätte es in den meisten Fällen einen Auslandsbezug. Auch sei Zwangsheirat weder islamisch noch generell religiös geprägt. „Die Problematik von Zwangsverheiratungen basiert auf traditionellen und patriarchalischen Denkmustern und Machtstrukturen und kann  daher  überall  dort  vorkommen, wo  sich Menschen einen solchen Wertekonsens zu eigen machen“ (Ergebnis 3, S. 278). Das Promotionsthema ist insoweit nicht überholt, zumal Neele Marleen Schlenker auch zukunftsorientiert für eine Umgestaltung und Erweiterung der Strafbarkeit im Interesse eines verbesserten Opferschutzes plädiert.

In acht Kapiteln geht sie der zentralen Frage nach, ob das seit dem 1.7.2011 geltende „Gesetz zur Bekämpfung der Zwangsheirat und zum besseren Schutz der Opfer von Zwangsheirat sowie zur Änderung weiterer aufenthalts- und asylrechtlicher Vorschriften“ die typischen Erscheinungsformen erfasst und den Zielen gerecht wird. In Beantwortung dieser Frage beschäftigt sie sich zunächst mit soziologischen Aspekten. Zur Definition wird ein objektiv-subjektiv gemischter Ansatz vertreten. Die Gewalt- oder Machtausübung muss also nach außen hin feststellbar sein und die betroffene Person sich zur Heirat gezwungen fühlen, d.h. dass sie mit ihrer Weigerung kein Gehör findet oder es nicht wagt sich zu widersetzen, weil Eltern, Familie, Verlobte und Schwiegereltern mit unterschiedlichsten Mitteln versuchen, psychischen oder sozialen Druck sowie emotionale Erpressung auf sie auszuüben (S. 21, 23). Zwangsheirat ist insoweit „eine Form der Verheiratung, die den Betroffenen sowohl das Gefühl des Gezwungenseins vermittelt, vor allem aber auch von außen als erzwungene Handlung wahrgenommen werden kann“ (S. 28). Eine arrangierte Heirat erfüllt grundsätzlich ebenso wenig diesen Begriff wie eine zwangsweise Aufrechterhaltung einer Ehe.

Erscheinungsformen sind der „Heiratsimport“, meistens Frauen, die aus dem Herkunftsland nach Deutschland verheiratet werden („Importbräute“), „Ferienverheiratung“ bzw. Heiratsverschleppung und Zwangsverheiratung zwecks Einwanderung. Bei den Ursachen der Zwangsheirat geht es zunächst um den Kontext von Religion und Kultur, dann um Homosexualität als Ursache von Zwangsheirat, Verheiratung aus wirtschaftlichen Gründen und (geringere) Bildung. Im Ergebnis stellt sich Zwangsheirat häufig als eine Form der Unterdrückung dar mit einem Bündel von Motiven wie etwa, eine bessere finanzielle und aufenthaltsrechtliche Stellung zu erreichen, Traditionsbewusstsein zu stärken und Betroffene nach den Regeln der kulturellen Gemeinschaft zu disziplinieren, um „Verwässerungen eigener Moralvorstellungen“  durch einen zu freizügigen Lebensstil vorzubeugen (S. 61).

Zu Umfang und Struktur der Zwangsheirat in Deutschland gibt es nur wenig verlässliche Daten. Die PKS 2012 erfasst 56 Fälle von Zwangsheirat bei 90 Tatverdächtigen (TV), 2013 = 62 bei 99 TV und 2014= 58 bei 80 TV. Vermutet wird ein großes Dunkelfeld. Die vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in Auftrag gegebene Studie „Zwangsverheiratung in Deutschland“ (2011) hat die Kenntnisse von 1.500 Beratungs- und Schutzeinrichtungen für Menschen, die von Zwangsheirat bedroht oder betroffen sind, ausgewertet und individuelle Beratungsfälle in 100 Einrichtungen analysiert. Vor allem Mädchen und junge Frauen fühlten sich zu 71% von Zwangsheirat bedroht und 29% waren gegen ihren Willen verheiratet. Die Berliner Kriseneinrichtung Papatya berichtet, dass Opfer der Zwangsheirat zu 68% noch minderjährige Mädchen sind, von denen 80% vorher misshandelt oder missbraucht worden sind, von denen 30% Suizidabsichten äußerten (BT-Drs. 16/1035, S. 6). Nicht bestätigt werden konnten in dieser Studie Schätzungen von 30.000 Zwangsverheirateten pro Jahr ebenso wenig wie die Behauptung, dass von den über 21.000 Personen, die 2001 im Wege der Familienzusammenführung aus der Türkei nach Deutschland gekommen sind, „mindestens die Hälfte“ in mehr oder weniger erzwungenen Ehen eingebunden sind. Das Ausländerzentralregister verzeichnete im Juli 2016 = 1.475 verheiratete Jugendliche, davon 361 unter 14 Jahren und 120 Vierzehn- oder Fünfzehnjährige.

Nach der Beschäftigung mit soziologischen Faktoren bildet dann die Rechtslage zur Zwangsheirat auf den Seiten 89 – 210 den umfangreichsten Teil der Dissertation. Die Strafwürdigkeit (Stellenwert des geschützten Rechtsguts und Sozialschädlichkeit der Verletzungshandlung) werden von der Verfasserin eindeutig bejaht. Geschützte Rechtsgüter sind das Recht auf freie Eheschließung, eine selbstbestimmte Partnerwahl und durch die Erweiterung in Abs. 2 auch das Recht auf körperliche Freiheit und die freie Bestimmung des Aufenthaltsortes (S. 279). Hinsichtlich der Strafbedürftigkeit im Sinne der kriminalpolitischen Erforderlichkeit werden dagegen wegen fehlender Effizienz Bedenken geäußert (reines Symbolstrafrecht, freilich nicht so deutlich wie von Lena Hildebrand, die die Vermutung äußert, „der Gesetzgeber wollte unter dem Deckmantel des Opferschutzes ausländerrechtliche und politische Interessen durchsetzen“). Folgerichtig stellt Neele Marleen Schlenker  Überlegungen  zur  Erweiterung der Strafbarkeit an, die schließlich auch unter Berücksichtigung österreichischer und schweizerischer Regelungen auch „eheähnliche Verbindungen“ erfassen und um die Formulierung „unter Ausnutzung einer Lage, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist“ ergänzt werden sollte. Sie schlägt folgende Reform vor:

§ 237 StGB – Nötigung zur Eheschließung; Zwangsehe

(1)  Wer eine andere Person rechtswidrig

1. mit Gewalt, 
2. durch Drohung mit einem empfindlichen Übel,
3. unter Ausnutzung einer Lage, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos oder bedingt durch den Aufenthalt in einem fremden Land hilflos ausgeliefert ist,

zur Eingehung, Aufrechterhaltung oder Unterlassung einer Ehe oder eheähnlichen Verbindung nötigt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. Rechtswidrig ist die Tat, wenn die in Abs. 1 Satz 1 Nummer 1-3 benannten Handlungen zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen sind. 

(2) Ebenso wird bestraft, wer zur Begehung einer Tat nach Abs. 1 den Menschen durch Gewalt, Drohung mit einem empfindlichen Übel oder durch List ins Ausland verbringt oder veranlasst, sich dorthin zu begeben, oder davon abhält, von dort zurückzukehren.

(3) Der Versuch ist strafbar.

(4) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe.

Die überzeugend gelungene Hannoveraner Dissertation von Neele Marleen Schlenker behält durch diesen Änderungsvorschlag zum Verbot der Zwangsheirat auch zukünftig ihre praktische und kriminalpolitische Bedeutung.

 

 

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