Juliane Klug: Der Gewaltschutzdiskurs und Stalking im Spannungsfeld von Kernstrafrecht und Kriminalprävention. Entwicklungslinien opferorientierter Kriminalpolitik

von Prof. Dr. Anja Schiemann 

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2017, Verlag Kovač, Hamburg, ISBN: 978-3-8300-9412-8, S. 485, Euro 129,80.

Die Arbeit von Klug wurde 2016 an der Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Bielefeld als Dissertation angenommen. Dies macht deutlich, dass die bereits in Kraft getretenen gesetzlichen Änderungen des Straftatbestands der Nachstellung gem. § 238 StGB keine Berücksichtigung finden konnten. Wer der Meinung ist, dadurch habe sich die Dissertation von Klug quasi überholt, liegt allerdings falsch. Etwas unverständlich ist jedoch der Hinweis im Vorwort, dass bei der Bearbeitung Gesetzesänderungen, laufende Gesetzgebungsverfahren, geplante Reformvorhaben sowie Rechtsprechung und statistische Erhebungen bis Dezember 2014 berücksichtigt wurden. Warum trotz Einreichung der Dissertation im Jahr 2016 ein ganzes Jahr ausgespart wurde und in der Literaturverarbeitung keine Berücksichtigung fand, erschließt sich nicht.

Der große Vorzug der Dissertation liegt dann auch weniger in der rechtlichen Darstellung der – mittlerweile überholten – Rechtslage, als vielmehr in den kriminalpräventiven Betrachtungen und dem Fokussieren des Opferschutzes vor Ort.

Klug beginnt mit einer umfangreichen Bestandsaufnahme zu den Phänomenen häusliche Gewalt und Stalking. Hierzu werden Ausmaß sowie Auswirkungen der häuslichen Gewalt anhand nationaler und internationaler Studien herausgearbeitet. Es handelt sich um ein weit verbreitetes Phänomen, da nach einer UNO-Studie jede dritte Frau in Deutschland bereits Gewalt erfahren hat. Im Anschluss stellt die Autorin Terminologie, Ausmaß, Manifestations- und Erscheinungsformen sowie Interaktions- und Verhaltensmuster des Stalkings vor. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass es keine allgemeingültige Definition des Stalkings gibt, so dass auch die juristischen Definitionen sowohl aus nationaler als auch aus internationaler Sicht sehr variantenreich sind. Kriminologisch verstehe man unter Stalking das hartnäckige und unablässige Verfolgen des Opfers durch einen Täter, der diesem nachhaltig auflauert oder auf andere Art und Weise versucht, eine Kontaktaufnahme gegen dessen Willen zu erzwingen.

Stalking umfasse eine Vielzahl von zum Teil stark heterogener Verhaltensweisen und ein komplexes Täterverhalten, dass eine gewisse Kontinuität und Häufung aufweist, wodurch der Bereich des sozialadäquaten Verhaltens verlassen werde. Den Zusammenhang zwischen Stalking und häuslicher Gewalt sieht Klug darin begründet, dass dem Stalking nicht selten gewalttätige Beziehungen vorausgegangen sind, so dass die Übergänge fließend sein können.

In einem weiteren Kapitel widmet sich Klug der gesetzestechnischen Dogmatik und strafrechtlichen Reaktionen. Sie arbeitet heraus, dass der strafrechtdogmatischen Implementation des Stalking-Straftatbestands interdisziplinär geführte Konkretisierungsansätze zum Thema häusliche Gewalt vorausgingen. „Vorreiter“ des § 238 StGB war das 2002 eingeführte „Gesetz zur Verbesserung des zivilgerichtlichen Schutzes bei Gewalttaten und Nachstellungen (Stalking) sowie zur Erleichterung der Überlassung der Ehewohnung bei Trennung“. Wichtiger Bestandteil dieses Gesetzes war das Gewaltschutzgesetz, wonach die Opfer von häuslicher Gewalt und Stalking durch die Möglichkeit zivilrechtlicher Anordnungen wirksamer geschützt werden sollten. Flankierend hierzu wurden in den Polizeigesetzen einzelner Bundesländer Normen eingefügt, die die Möglichkeit einer längerfristigen Wohnungsverweisung und ein Rückkehrverbot zum Schutz vor häuslicher Gewalt geben. Exemplarisch erörtert Klug § 34a PolG NRW. Schließlich wurde nach langer Diskussion über die Frage, ob es neben diesem neuen Regelungsinstrumentarium überhaupt noch eines eigenständigen Straftatbestands der Nachstellung bedürfe, 2007 § 238 in das StGB eingefügt und mit § 112a StPO die Möglichkeit der Anordnung einer Deeskalationshaft geschaffen. Die Rechtsprechung zu § 238 StGB a.F. wird dezidiert wiedergegeben und die kriminalpolitische Diskussion um die Umgestaltung des Stalking-Straftatbestands nachgezeichnet.

Obwohl sich der Gesetzgeber mit Inkrafttreten des neuen Stalkingtatbestands im März 2017 für die Ausgestaltung der Nachstellung als Eignungsdelikt entschieden hat, lehnt Klug dies nicht nur aus strafrechtsdogmatischen Gesichtspunkten, sondern auch vor dem Hintergrund der kriminalpolitischen Zielsetzungen ab. Sinn und Zweck der Neuregelung sei es nicht, möglichst viele Verurteilungen zu erzielen. Durch die Neufassung als Eignungsdelikt könne die Abgrenzung der Freiheitssphären von Opfer und Täter nicht angemessen gewährleistet werden. Denn im Rahmen des Straftatbestands der Nachstellung sei zu berücksichtigen, „dass dieser grundsätzlich auch sozialadäquate Verhaltensweisen umfasse, die zwar vom Opfer als lästig empfunden werden können, aber deshalb noch lange kein strafwürdiges Verhaltensunrecht darstellen müssen“ (S. 331 f.). Zudem sei die Ausgestaltung als Erfolgsdelikt als einschränkendes Korrektiv zwecks Vermeidung der Pönalisierung sozialadäquater Verhaltensweisen zu sehen.

Auch unter kriminalpräventiven Aspekten sieht die Autorin die Umwandlung des Stalking-Straftatbestandes vom Erfolgs- in ein Eignungsdelikt als problematisch an. Dadurch werde die Grenze zwischen präventivem und repressivem Handeln der Polizei noch weiter verwischt. So würde beispielsweise für das präventive Mittel der Gefährderansprache durch die Polizei kaum noch Raum bleiben, weil der „Gefährder“ durch die Vorverlagerung der Strafbarkeit viel schneller und früher den Status eines Beschuldigten erlangen würde und insoweit bei Beginn seiner ersten Vernehmung entsprechend § 136a StPO durch die Polizei zu belehren sei. Der Polizei werde es dadurch quasi unmöglich gemacht, das präventive Element der Gefährderansprache noch rechtssicher zu praktizieren (S. 384). Es bedürfe in Fällen des Stalkings aber gerade nicht einer Verschärfung und Vorverlagerung der Strafbarkeit, sondern eines Ausbaus präventiver Elemente und eines funktionierenden Kriseninterventionsmanagements. Die Autorin stellt in ihrer Arbeit Interventionsnetzwerke zum Abbau häuslicher Gewalt und Stalking vor, so z.B. BIG, KIK, HAIP und Stop-Stalking Berlin. Interventionsprojekte könnten helfen, die Rahmenbedingungen zugunsten der betroffenen Frauen zu verbessern.

Abschließend spricht sich Klug für eine Ausweitung des Opferschutzes aus, der zu einer nachhaltigen Beendigung und Reduktion von häuslicher Gewalt und Stalking führen könnte. Denn es bedürfe nicht nur in Großstädten, sondern auch in ländlichen Regionen des konsequenten und strin-genten  Ausbaus von  Interventionsnetzwerken  sowie  Täter- und Opferberatungsstellen, die interdisziplinär und multiprofessionell auch mit der Justiz zusammenarbeiten.

Neben dem Opferschutz sei zudem ein besonderer Fokus auf die adäquate Therapierung von Stalking-Tätern zu legen (S. 432).

Der Gesetzgeber hat sich nicht der Auffassung von Klug angeschlossen, sondern den Stalking-Straftatbestand vom Erfolgs- in ein potenzielles Gefährdungsdelikt umgewandelt (Kubiciel/Borutta, KriPoZ 2016, 194 [195]). Es ist nicht davon auszugehen, dass er diese Entscheidung wieder zurücknimmt. Was aber jenseits des Straftatbestands einer permanenten Verbesserung bedarf, ist der große Bereich der Kriminalprävention und des Opferschutzes vor Ort. Hier bietet die Arbeit von Klug eine wahre Fundgrube, sich mit Projekten und Netzwerken rund um die präventiven Gesichtspunkte im Bereich der häuslichen Gewalt und des Stalkings vertraut zu machen. Auch die Forderungen im Zusammenhang mit der strafrechtlichen Intervention, wie z.B. die Einrichtung von Sonderdezernaten (S. 414) oder die Forderung nach einer Beschleunigung der zivilrechtlichen Intervention (S. 419) können Denkanstöße liefern. Insofern kann die Dissertation jenseits der strafgesetzlichen – insoweit vom Gesetzgeber entschiedenen – Diskussion die Perspektive erweitern. Der Mehrwert liegt in einem Blick über die Strafrechtsgrenzen hinaus. Kriminalprävention und Opferschutz sind die Schlagworte, die dafür sorgen, dass sich die Dissertation von Klug auch nach der Reform des Stalking-Straftatbestands nicht überholt hat.

 

 

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