KriPoZ-RR, Beitrag 20/2023

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 7.2.2023 – 6 StR 9/23: Kein innerer Tatzusammenhang bei außerhalb der Tatausführung liegendem Verhalten

Sachverhalt:

Das LG Rostock hat den Angeklagten wegen Verstößen gegen das BtMG, Fahrens ohne Fahrerlaubnis und tateinheitlicher Urkundenfälschung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Daneben wurden Unterbringungs- und Einziehungsentscheidungen getroffen. Straferschwerend hat das LG berücksichtigt, dass „es sich bei dem Angeklagten um einen Nazi-Verblendeten handelt.“ Dies ergebe sich aus Gegenständen mit antisemitischen Inhalten, die bei der Wohnungsdurchsuchung sichergestellt worden waren. Der Angeklagte hat Rechtsmittel gegen die Entscheidung eingelegt.

Entscheidung des BGH:

Die Revision hat im Hinblick auf den Strafausspruch Erfolg. Die straferschwerende Bewertung bei der Strafzumessung sei rechtsfehlerhaft erfolgt. Grundlage gemäß § 46 Abs. 1 StGB sei die persönliche Schuld und die Bedeutung der Tat für die Rechtsordnung. Das Gesetz normiere in § 46 Abs. 2 StGB darüber hinaus, dass auch die Gesinnung des Täters Berücksichtigung finden könne. Erforderlich sei hierfür jedoch ein innerer Zusammenhang mit der Tat. „Ein außerhalb der Tatausführung liegendes Verhalten und die Lebensführung des Angeklagten müssen […] mit der Straftat zusammenhängen, auf diese Weise Schlüsse auf ihren Unrechtsgehalt zulassen oder Einblick in die innere Einstellung des Täters zu seiner Tat gewähren.“, führt der Strafsenat aus. Dies gelte ebenso vor dem Hintergrund der durch gesetzliche Normierung stärker hervorgehobenen rassistischen, fremdenfeindlichen, antisemitischen oder sonstigen menschenverachtenden Beweggründe und Ziele des Täters. Denn der Schuldgrundsatz gebiete auch hier einen zwingenden inneren Zusammenhang zur Tat. 

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer zurückverwiesen. 

Anmerkung der Redaktion:

Mit den Gesetzen zur Umsetzung von Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages vom 12.6.2015 (BGBl. I S. 925) und zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität vom 30.3.2021 (BGBl. I S. 441) wurde § 46 Abs. 2 S. 2 StGB um das Wort „antisemitische“ erweitert. Die Änderung ist am 3.4.2021 in Kraft getreten. 

KriPoZ-RR, Beitrag 19/2023

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 20.12.2022 – 2 StR 341/22: Anforderungen an mittäterschaftlichen Tatbeitrag an bandenmäßiger Urkundenfälschung

Sachverhalt:

Die Angeklagten wurden vom LG Darmstadt wegen banden- und gewerbsmäßiger Hehlerei, Urkundenfälschung und Betrugs zu mehrjährigen Freiheitsstrafen verurteilt und Einziehungsentscheidungen getroffen. Als Bandenmitglieder verschafften sich die Angeklagten ihre Einnahmen durch den Verkauf gebrauchter, manipulierter Pkws. Darüber hinaus veräußerten sie Mietfahrzeuge unter Nutzung gefälschter Papiere. Hierbei gingen die Angeklagten arbeitsteilig vor und teilten sich die Einnahmen. In den vorliegend relevanten Fällen wurden die Angeklagten in den Verkauf des Pkws nicht eingebunden. Der gesondert Verfolgte führte den Kaufvertrag durch. In einem Fall, in dem es zur Sicherstellung eines Fahrzeugs kam, berechnete das LG den Betrugsschaden unter Hinzuziehung des Nutzungsausfalls des Zeugen. Die Angeklagten legten Rechtsmittel gegen die Entscheidung ein.

Entscheidung des BGH:

Die Revisionen haben teilweise Erfolg. Die Einziehungsentscheidung und Schuldsprüche einiger Fälle weisen, laut BGH, Rechtsfehler auf. Dies betreffe insbesondere Fälle, in denen die Strafkammer von Mittäterschaft im Hinblick auf banden- und gewerbsmäßige Urkundenfälschung ausgegangen war. Zwar sei grundsätzlich eine mittäterschaftliche Begehungsweise möglich. Hierfür genüge ein fördernder Tatbeitrag. Ein solcher sei vom LG allerdings nicht festgestellt worden. Die Angeklagten seien in den aufgezeigten Fällen nicht beteiligt gewesen. Es fehlte an der erforderlichen persönlichen Einbindung bei Vertragsunterzeichnung der Pkw, sodass kein Herstellen und Gebrauchen vorliege, so der BGH. „Allein seine Einbindung in die Bandenstruktur sowie sein Wissen um die Tatbeiträge seiner Tatgenossen vermag seinen eigenen mittäterschaftlichen Tatbeitrag an der banden- und gewerbsmäßigen Urkundenfälschung nicht zu ersetzen.“, führt der Senat aus. 

Auch hinsichtlich der Verurteilung wegen tateinheitlichen Betruges weise das Urteil Rechtsfehler auf. Der Vermögensschaden gemäß § 263 Abs. 1 StGB müsse spiegelbildlich zum Vermögensvorteil stehen (sog. „Kehrseitentheorie“). Ein Nutzungsausfall, wie vom LG angenommen, stelle mangels korrespondierenden Vorteils keinen Vermögensschaden dar. 

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere als Jugendkammer zuständige Strafkammer zurückverwiesen. 

Hinweisgeberschutz in der Warteschleife

von Prof. Dr. Anja Schiemann und Paula Schnabel

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Abstract
Kurz vor der Ziellinie hatte der Bundesrat das Hinweisgeberschutzgesetz gestoppt. Dabei hätte bereits im Dezember 2021 die EU-Richtlinie 2019/1937 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.10.2019 zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden,[1] in nationales Recht umgesetzt werden müssen. Die Länder haben nicht nur kritisiert, dass die vorliegende Fassung des Hinweisgeberschutzgesetzes weit über die EU-Vorgaben hinausgehe, sondern auch, dass auf die Unternehmen aufgrund der organisatorisch notwendigen Anpassungen zum Hinweisgeberschutz erhebliche Kosten zukommen. Jetzt wählt die Bundesregierung einen anderen Weg und splittet den Entwurf des Hinweisgeberschutzgesetzes in zwei Entwürfe auf. Der erste neu eingebrachte Entwurf ist weitgehend identisch mit dem im Bundesrat gescheiterten, nimmt allerdings ausdrücklich Beamte der Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände sowie der sonstigen der Aufsicht eines Landes unterstehenden Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts sowie Richterinnen und Richter im Landesdienst aus dem Anwendungsbereich aus. Durch diesen Trick, so meint die Bundesregierung, sei keine Zustimmung des Bundesrats mehr erforderlich. Zudem wird der mühsame Weg der Anrufung des Vermittlungsausschusses umgangen, der zu weiteren Verzögerungen der Umsetzung der Richtlinie führen würde. Eile ist deswegen geboten, weil die EU-Kommission wegen der fehlenden Umsetzung der Richtlinie bereits vor längerer Zeit ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet hat und Deutschland in diesem Jahr auch vor dem EuGH verklagt hat, weil es mit der Umsetzung der Richtlinie nicht vorankommt.

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Warum die „Letzte Generation“ (noch) keine kriminelle Vereinigung ist

von Prof. Dr. Dr. Milan Kuhli und Judith Papenfuß

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Abstract
Der folgende Beitrag beschäftigt sich mit der viel diskutierten Frage, ob die „Letzte Generation“ eine kriminelle Vereinigung i.S.d § 129 StGB darstellt. Der Beitrag beschreibt dazu die Struktur und Aktivitäten der „Letzten Generation“, gibt einen Überblick zu § 129 StGB und widmet sich dann der Frage, ob die mitgliedschaftliche Beteiligung in oder die Unterstützung der „Letzten Generation“ eine Strafbarkeit nach § 129 Abs. 1 StGB begründet.

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Zeugnisverweigerungsrecht für empirisch-kriminologische Forschung

von Prof. (em.) Dr. Arthur Kreuzer 

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Abstract
Anlass für den Beitrag ist eine anhängige Verfassungsbeschwerde gegen die Beschlagnahme von Forschungsdateien eines Rechtspsychologen. Der Beitrag begründet die dringliche Mahnung, unverzüglich ein strafprozessuales Zeugnisverweigerungsrecht samt Beschlagnahmeverbot für die empirisch-kriminologische Forschung zu schaffen. Ausnahmsweise anhand eigener früher Forschungserfahrung wird die Unverzichtbarkeit strikter Verschwiegenheitszusagen beispielsweise bei Intensivinterviews nachgewiesen. Nur aufgrund zugesicherter und rechtlich abgesicherter Vertraulichkeit kann man die Potenziale qualitativer Forschungsmethoden ausschöpfen. Sie ermöglichen wichtigen zusätzlichen Erkenntnisgewinn für die Wissenschaft. Vor allem bereichern sie eine wissensbasierte Kriminalpolitik und Justizpraxis. Rechtliche Überlegungen zur anhängigen Verfassungsbeschwerde werden eingebracht. Außerdem wird der sich dem Gesetzgeber aktuell stellende Handlungsbedarf aufgezeigt.

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Einführung zu Frederick T. Davis „Judicial Review of Deferred Prosecution Agreements – A Comparative Study“

von Prof. Dr. Carsten Momsen 

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Beitrag von Frederik T. Davis: Judicial Review of Deferred Prosecution Agreements – A Comparative Study 

Abstract
Frederick T. Davis legt eine umfassende rechtsvergleichende Studie zur Handhabung von sog. „Deferred Prosecution Agreements“ (DPA) und „Non Prosecution Agreements“ (NPA) vor. Er vergleicht aus der Perspektive des ausgewiesenen und in vielen Rechtsordnungen erfahrenen Praktikers und Wissenschaftlers die Verfahrenspraxis in den Vereinigten Staaten mit der Verfahrenspraxis acht verschiedener europäischer und außereuropäischer Länder, welche anders als die Vereinigten Staaten eine gesetzliche Regelung für D/NPAs eingeführt haben oder diese intensiv diskutieren. Deutschland ist folgerichtig nicht Bestandteil dieses Rechtsvergleichs, denn weder gibt es eine Regelung noch wird sie ernsthaft diskutiert. Obwohl Deutschland nicht der Strafrechtskultur der Leitentscheidung und des Richterrechts angehört, steht es in seiner Praxis insoweit den Vereinigten Staaten näher als die europäischen Nachbarn. Davis zeigt die Vor- und Nachteile informeller Verfahren aus der Sicht der amerikanischen Praxis auf. In dieser Einleitung werden entsprechende Überlegungen für das deutsche Rechtssystem angestellt und der Vergleich insoweit auf Deutschland als zehntes Land erstreckt.

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Die Mission der Cyberagentur in Halle – im Fokus: die Cyberresilliente Gesellschaft

von Dr. Nicole Selzer, Prof. Dr. Katja Andresen und Prof. Dr. Christian Hummert 

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Abstract
Die Agentur für Innovation in der Cybersicherheit GmbH (Cyberagentur) wurde im Jahr 2020 mit dem Ziel gegründet, innovative high-risk und high-reward Forschung im Bereich der Cybersicherheit und diesbezüglicher Schlüsseltechnologien zu fördern. Ziel der Agentur ist es, die digitale Souveränität Deutschlands und der EU sicherzustellen. Die Cyberagentur verfolgt dabei nicht nur technologische Ansätze, sondern erkennt auch die Bedeutung der Einbettung dieser technologischen Innovationen in ein sozio-technisches Ökosystem an. Der Cluster „Sichere Gesellschaft“ befasst sich mit den gesellschaftlichen Aspekten der Cybersicherheit und der Themenschwerpunkt „Cyberresiliente Gesellschaft“ insbesondere mit dem menschlichen Faktor von Cybercrime und Cybersicherheit.

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Die Spezifität von Konsens im Sexualstrafrecht – zur Strafbarkeit von Stealthing – Anmerkung zu BGH, Beschl. v. 13.12.2022 – 3 StR 372/22

von Ass. iur. Marc Bauer

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I. Einleitung

Der BGH hatte erstmalig über die Revision eines Angeklagten in einem sog. „Stealthing“-Fall zu entscheiden. Nach den Feststellungen des LGDüsseldorf hatte der Angeklagte ohne Kondom vaginalen Geschlechtsverkehr mit einer Frau vollzogen, nachdem er zuvor durch das ostentative Öffnen einer Kondompackung den Eindruck erwecken wollte, er werde ein solches benutzen. Ungeschützter Geschlechtsverkehr wäre für die Frau nicht in Frage gekommen.

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Manipulation des zum Geschlechtsverkehr verwendeten Kondoms als sexueller Übergriff – Anmerkung zu AG Bielefeld, Urt. v. 2.5.2022 – 10 Ls-566 Js 962/21-476/21

von Barbara Wiedmer 

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Das AG Bielefeld hatte sich in seiner Entscheidung erstmalig mit der Frage zu beschäftigen, ob die Perforierung eines zum Geschlechtsverkehr verwendeten Kondoms einen sexuellen Übergriff nach dem neuen Sexualstrafrecht darstellt. Die Angeklagte hatte mehrere Kondome des Geschädigten mit Löchern versehen, um schwanger zu werden. In mindestens einem Fall kam es dann zum Geschlechtsverkehr mit einem so manipulierten Präservativ.

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