KriPoZ-RR, Beitrag 59/2021

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

 

BVerfG, Beschl. v. 16.12.2021 – 1 BvR 1541/20: Der Gesetzgeber muss Vorkehrungen zum Schutz behinderter Menschen für den Fall einer pandemiebedingt auftretenden Triage treffen

Amtliche Leitsätze:

  1. Aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG ergibt sich für den Staat das Verbot unmittelbarer und mittelbarer Diskriminierung wegen Behinderung und ein Auftrag, Menschen wirksam vor Benachteiligung wegen ihrer Behinderung auch durch Dritte zu schützen.

  2. Der Schutzauftrag des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG kann sich in bestimmten Konstellationen ausgeprägter Schutzbedürftigkeit zu einer konkreten Schutzpflicht verdichten. Dazu gehören die gezielte, als Angriff auf die Menschenwürde zu wertende Ausgrenzung von Personen wegen einer Behinderung, eine mit der Benachteiligung wegen Behinderung einhergehende Gefahr für hochrangige grundrechtlich geschützte Rechtsgüter wie das Leben oder auch Situationen struktureller Ungleichheit. Der Schutzauftrag verdichtet sich hier, weil das Risiko der Benachteiligung wegen einer Behinderung bei der Zuteilung knapper, überlebenswichtiger intensivmedizinischer Ressourcen besteht.

  1. Dem Gesetzgeber steht auch bei der Erfüllung einer konkreten Schutzpflicht aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG ein Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zu. Entscheidend ist, dass er hinreichend wirksamen Schutz vor einer Benachteiligung wegen der Behinderung bewirkt.

Sachverhalt:

Die Beschwerdeführer haben Verfassungsbeschwerde gegen das Unterlassen staatlicher Maßnahmen erhoben. Verbunden war die Verfassungsbeschwerde mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Dieser zielte auf einen wirksamen Schutz der Beschwerdeführenden vor Benachteiligungen wegen ihrer Behinderung im Rahmen der gesundheitlichen Versorgung im Laufe der Coronavirus-Pandemie ab. Der Eilantrag wurde am 16.07.2020 mit Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats mit der Begründung zurückgewiesen, dass notwendige Maßnahmen nicht ergriffen werden müssten. Zu diesem Zeitpunkt sei nicht absehbar, dass die Plätze nicht ausreichen würden, um alle Behandlungsbedürftigen zu versorgen.

Entscheidung des BVerfG:

Das BVerfG nahm die Verfassungsbeschwerde an und gab ihr statt. Der Gesetzgeber habe Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG verletzt, da er es unterlassen habe, für Situationen, in denen nicht für alle intensivmedizinische Ressourcen zur Verfügung stehen würden, Vorkehrungen zu treffen. Bei der Zuteilung der Ressourcen dürfe niemand wegen einer Behinderung benachteiligt werden.

Für Menschen mit einer Behinderung liege eine besondere Gefährdung in der Corona-Pandemie vor. Es gebe ein höheres Infektionsrisiko, schwerere Erkrankungen und im Falle einer Triage könnte es wahrscheinlicher zu tödlichen Folgen kommen.

Um in der Pandemie zu vermeiden, dass Intensivmedizin knapp werde, existierten bereits zahlreiche Verordnungen und Triage-Empfehlungen. Bindende gesetzliche Regelungen für Fälle, in denen es zu einer Triage komme, würden hingegen fehlen.

Aus dem Verbot einer Benachteiligung wegen einer Behinderung aus Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG und der hier vorliegenden bestimmten Konstellation, dass der Schutz des Lebens (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) in Rede stehe, ergebe sich eine konkrete Handlungspflicht.

Der Gesetzgeber sei nun daran gehalten hierfür geeignete Vorkehrungen zu treffen. Bei der Ausgestaltung der Schutzpflicht stehe dem Gesetzgeber zwar ein Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zu, für einen wirksamen Grundrechtsschutz müssten allerdings Regelungen geschaffen werden, die schematische und stereotype Triage-Entscheidungen vermeiden, so das BVerfG. Kein zulässiges Kriterium sei die „längerfristig erwartbare Überlebensdauer.“

Anmerkung der Redaktion:

Bislang maßgeblich für die Entscheidungen von Ärzten sind die Leitlinien der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI).

Verordnung zur Regelung der technischen und organisatorischen Umsetzung der Mitwirkungspflichten nach § 2 Absatz 1a Satz 1 Nummer 4 des Artikel 10-Gesetzes (G 10-Mitwirkungsverordnung – G 10-MitwV)

Verordnungsentwurf: 

  • Verordnung des Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat vom 12. Oktober 2021: BR Drs. 762/21

 

Am 9. Juli 2021 ist in weiten Teilen das Gesetz zur Anpassung des Verfassungsschutzrechts (BGBl. I 2021, S. 2274 ff.) in Kraft getreten. Es war Teil des von der Bundesregierung beschlossenen Maßnahmenpakets zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus. Das Gesetz beinhaltet unter anderem die Festschreibung einer ausdrücklichen Regelung zur Quellen-TKÜ. 

Zur Durchführung einer TKÜ wird eine Software auf das Endgerät der zu überwachenden Person installiert, wozu regelmäßig die Mitwirkung des Telekommunikationsunternehmens erforderlich ist. § 2 Abs. 1a S. 1 Nr. 4 des Art. 10-Gesetzes setzt hierfür bereits Unternehmenspflichten fest: 

(…) 
a) durch Mitteilung der zur Erbringung in den umgeleiteten Datenstrom erforderlichen Informationen über die Strukturen der von ihm betriebenen Telekommunikationsnetze und Telekommunikationsanlagen sowie die von ihm erbrachten Telekommunikationsdienste;

b) durch sonstige Unterstützung bei der Umleitung einschließlich der Gewährung des Zugangs zu seinen Einrichtungen während seiner üblichen Geschäftszeiten sowie der Ermöglichung der Aufstellung und des Betriebs von Geräten für die Durchführung der Maßnahme.“

Gemäß § 2 Abs. 1b des Art. 10-Gesetzes ist das BMI ermächtigt, „das Nähere zur technischen und organisatorischen Umsetzung der Mitwirkungspflichten nach Abs. 1a S. 1 Nr. 4 (durch Rechtsverordnung) zu bestimmen“. Hiervon hat es am 12. Oktober 2021 Gebrauch gemacht und einen Verordnungsentwurf zur Regelung der technischen und organisatorischen Umsetzung der Mitwirkungspflichten in den Bundestag eingebracht (BR Drs. 762/21). Am 17. Dezember 2021 beschäftigte sich der Bundesrat mit dem Verordnungsentwurf und stimmte entgegen der Empfehlung des Innen- und Wirtschaftsausschusses gegen den Vorschlag des BMI. 

 

 

 

Gesetz zur Stärkung der Impfprävention

Gesetz zur Stärkung der Impfprävention gegen COVID-19 und zur Änderung weiterer Vorschriften im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie: BGBl 2021, S. 5162 ff.

 

Gesetzesentwurf:

  • Gesetzesentwurf der Fraktionen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP: BT Drs. 20/188

 

Am 06.12.2021 haben die Fraktionen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP einen Entwurf zur Stärkung der Impfprävention und weiterer Gesetzesänderungen vorgelegt. Es soll insbesondere eine einrichtungsbezogene Impfpflicht eingeführt und der Kreis der impfberechtigten Personen erweitert werden.

Die Fraktionen sehen für Personal in Gesundheits- und Pflegeberufen eine besondere Verantwortung mit einem zugleich hohen Infektionsrisiko. Für Personen, die sich in diesen Tätigkeitsverhältnissen befänden, müsse bis zum 15. März 2022 ein entsprechender Nachweis vorliegen bzw. für neue Tätigkeitsverhältnisse ab dem 16. März 2022 ein solcher eingehen.

Darüber hinaus sieht der Entwurf vor, dass neben Ärzten auch Zahnärzte, Tierärzte sowie Apotheker mit entsprechenden fachlichen Voraussetzungen Schutzimpfungen vornehmen können, um eine schnelle Auffrischungsimpfung zu ermöglichen.

Am 08. Dezember 2021 fand eine öffentliche Anhörung im Hauptausschuss statt. Eine Liste der über 30 Sachverständigen und deren Stellungnahmen finden Sie hier.

Prof. Dr. Kiesling begrüßt die Änderungen des Entwurfes, regt jedoch an, die Impfpflicht auch auf weitere Berufsgruppen auszuweiten (Impfpflicht für das Personal an Kitas und Schulen) und eine Befristung bis Ende 2022 zu streichen. Prof. Dr. Klafki spricht sich ebenfalls für eine Verhältnismäßigkeit der Impfpflicht aus. Weder sei eine Impfpflicht per se verfassungswidrig (vgl. Masern- und Pockenimpfpflicht), noch in der konkreten Ausgestaltung des § 20a E-IfSG. Der Schutz des Lebens besonders schutzbedürftiger Bevölkerungsgruppen überwiege gegenüber den Grundrechtseingriffen der Adressaten. 

Änderungsanträge anderer Parteien wurden in der zweiten und dritten Lesung abgelehnt.

Am 09. Dezember 2021 fand im Hauptausschuss eine abschließende Beratung statt, in der nach sieben Änderungsanträge der Koalitionsfraktionen der Entwurf angenommen wurde.

Am 10. Dezember 2021 hat der Bundestag das Gesetz beschlossen und im Bundesgesetzblatt verkündet.

Vorschlag der EU-Kommission zur Ausweitung der EU-Straftatbestände auf Hetze und Hasskriminalität

Gesetzentwürfe: 

 

Die EU-Kommission hat am 9. Dezember 2021 eine Initiative (COM(2021) 777 final) vorgelegt, Hetze und Hasskriminalität in die EU-Straftatbestände aufzunehmen. Hierzu muss der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) erweitert werden, denn derzeit gibt es dafür keine Rechtsgrundlage. 

Als Gründe für die Initiative nannte die EU-Kommission: 

    • „Grenzüberschreitende Dimension von Hetze und Hasskriminalität: Hetze im Internet verbreitet sich schnell und ist für alle überall zugänglich. Die Ideologien hinter Hetze und Hasskriminalität können international entwickelt und rasch online verbreitet werden. Hasskriminalität kann von Netzwerken mit Mitgliedern aus mehreren Ländern begangen werden.
    • Hetze und Hasskriminalität als Kriminalitätsbereich: Die Kommission ist der Auffassung, dass Hetze und Hasskriminalität ein Kriminalitätsbereich sind, da ihnen ein wesentliches Merkmal gemein ist, und zwar ,Hass‘ gegen Personen oder Gruppen von Personen, die ein geschütztes Merkmal teilen (oder als dieses teilend wahrgenommen werden).
    • Hetze und Hasskriminalität als ein Bereich besonders schwerer Kriminalität: Hetze und Hasskriminalität sind besonders schwere Straftatbestände, da sie die gemeinsamen Werte und Grundrechte der EU untergraben, wie sie in den Artikeln 2 und 6 des Vertrags über die Europäische Union sowie in der Charta verankert sind. Sie haben schädliche Auswirkungen auf Einzelne, ihre Gemeinschaften und die Gesellschaft insgesamt.
    • Entwicklungen im Bereich der Kriminalität: Aufgrund verschiedener wirtschaftlicher, sozialer und technologischer Veränderungen und Entwicklungen ist eine stetige Zunahme dieser beiden Phänomene zu beobachten. Die COVID-19-Pandemie war einer der Faktoren, die zu dieser Zunahme beigetragen haben.
    • Keine Alternativen zur Erweiterung der Liste der EU-Straftatbestände: Hetze und Hasskriminalität werden in den EU-Mitgliedstaaten in unterschiedlichem Maße unter Strafe gestellt. Nur indem Hetze und Hasskriminalität in die Liste der EU-Straftatbestände aufgenommen werden, kann ein wirksamer und umfassender strafrechtlicher Ansatz auf EU-Ebene sowie ein kohärenter Schutz der Opfer solcher Handlungen ermöglicht werden.“

Damit die Kommission in einem nächsten Schritt einen Legislativvorschlag vorlegen kann, müssen zunächst die Mitgliedstaaten die Initiative billigen. Sie ist Teil des EU-Maßnahmenpakets zum Vorgehen gegen illegale Hetze, gewalttätige extremistische Ideologien und Terrorismus im Internet. 

 

 

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Strafprozessordnung

Gesetz über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Jahr 2022, zur elektronischen Erhebung der Bankenabgabe und zur Änderung der Strafprozessordnung, vom 25. März 2022: BGBl. I 2022, S. 571 ff. 

Gesetzentwürfe: 

 

Am 8. Dezember 2021 hat die Fraktion der CDU/CSU einen Gesetzentwurf zur Berichtigung des § 110d StPO in den Bundestag eingebracht (BT Drs. 20/204). 

Mit dem Gesetz zurVerbesserung des strafrechtlichen Schutzes gegen sogenannte Feindeslisten, Strafbarkeit der Verbreitung und des Besitzes von Anleitungen zu sexuellem Missbrauch von Kindern und Verbesserung der Bekämpfung verhetzender Inhalte sowie Bekämpfung von Propagandamitteln und Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen vom 14. September 2021 (BGBl. I 2021, S. 4250 ff. ) wurde in Art. 2 auch eine Änderung des § 110d StPO (Besonderes Verfahren bei Einsätzen zur Ermittlung von Straftaten nach den §§ 176e und 184b des Strafgesetzbuches) vorgenommen. Dort ist nunmehr in § 110d Abs. 1 S. 1 StPO für Einsätze die Zustimmung des Gerichts erforderlich, sofern es sich um eine entsprechend § 176e Abs. 5 StGB begangene Tat nach § 176e Abs. 1 StGB handelt (sog. Keuschheitsproben). Durch die fehlenden Bezugnahme auf § 176e Abs. 3 StGB wurde der Richtervorbehalt nicht auf alle Tathandlungen des § 176e Abs. 5 StGB erstreckt. Zudem wurde in § 110d S. 1 StPO fälschlicherweise nicht auf § 184b StGB, sondern auf § 184 StGB verwiesen, in dem zusätzlich die falsche Fassung des Gesetzes zugrunde gelegt wurde. Richtigerweise muss der Verweis in § 110d S. 1 StPO lauten: § 184b Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 2, 4  und S. 2 StGB. Diese Fehler sollen nun korrigiert werden.

§ 110d S. 1 StGB soll wie folgt gefasst werden:

„Einsätze, bei denen entsprechend § 176e Absatz 5 oder § 184b Absatz 6 des Strafgesetzbuches Handlungen im Sinne des § 176e Absatz 1 und 3 oder § 184b Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, 2 und 4 und Satz 2 des Strafgesetzbuches vorgenommen werden, bedürfen der Zustimmung des Gerichts.“ 

Am 16. Februar 2022 beschäftigte sich der Rechtsausschuss mit der Berichtigung des § 110d StPO. Die Mehrheit stimmte für einen Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen zum ERP-Wirtschaftsplangesetz (BT Drs. 20/336) in den der Entwurf der Fraktionen CDU/CSU aufging. Letzteren erklärte der Rechtsausschuss daraufhin einstimmig für erledigt. Am 17. Februar 2022 wurde das ERP-Wirtschaftsplangesetz in der Fassung des Wirtschaftsausschusses (BT Drs. 20/736) im Bundestag verabschiedet. Am 11. März 2022 stimmte auch der Bundesrat für den Entwurf. 

Das Gesetz über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Jahr 2022, zur elektronischen Erhebung der Bankenabgabe und zur Änderung der Strafprozessordnung wurde am 25. März 2022 im Bundesgesetzblatt verkündet (BGBl. I 2022, S. 571 ff. ) und tritt am Tag nach seiner Verkündung in Kraft. 

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 58/2021

Die Entscheidung im Original finden Sie hier

 

BGH, Urteil v. 11.11.2021 – 4 StR 511/20: Zum Rennbegriff und der Zurechnung von durch unmittelbar von anderen Rennteilnehmern verursachten konkret eingetretenen Gefahren im Sinne des § 315d StGB

Amtliche Leitsätze:

  1. Ein Kraftfahrzeugrennen im Sinne des § 315d Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB ist ein Wettbewerb zwischen wenigstens zwei Kraftfahrzeugführern, bei dem es zumindest auch darum geht, mit dem Kraftfahrzeug über eine nicht unerhebliche Wegstrecke eine höhere Geschwindigkeit als der andere oder die anderen teilnehmenden Kraftfahrzeugführer zu erreichen. Dabei macht es keinen Unterschied, ob die Teilnehmer zueinander in Bezug auf die Höchstgeschwindigkeit, die höchste Durchschnittsgeschwindigkeit oder die schnellste Beschleunigung in Konkurrenz treten.
  2. § 315d Abs. 2 StGB ist ein eigenhändiges Delikt. Ein Teilnehmer an einem nicht erlaubten Kraftfahrzeugrennen im Sinne des § 315d Abs. 1 Nr. 2 StGB erfüllt den Qualifikationstatbestand des § 315d Abs. 2 StGB in objektiver Hinsicht deshalb nur, wenn er durch sein eigenes Fahrverhalten während der Rennteilnahme eine konkrete Gefahr für eines der genannten Individualrechtsgüter verursacht und zwischen seinem Verursachungsbeitrag und dem Gefährdungserfolg ein innerer Zusammenhang besteht.

    Nebentäterschaft kann vorliegen, wenn ein und derselbe Gefährdungserfolg von mehreren Rennteilnehmern herbeigeführt wird. Dies setzt voraus, dass sich die Rennteilnehmer in derselben kritischen Rennsituation befinden und zwischen den jeweiligen Mitverursachungsbeiträgen und dem konkreten Gefährdungserfolg ein örtlicher und zeitlicher Zusammenhang besteht.

Sachverhalt:

Das LG Arnsberg hat den Angeklagten H. wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens mit Todesfolge in Tateinheit mit vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs und den Angeklagten P. wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatten sich beide Angeklagte zu einem spontanen Autorennen verabredet, um Beschleunigungsverhalten und Geschwindigkeiten zu vergleichen. Der Angeklagte H. versuchte den Angeklagten P. aus einer Kurve heraus zu überholen. Dabei kam es zu einer Kollision mit einem entgegenkommenden vollbesetzten Fahrzeug, woraufhin eine Person starb und die übrigen Insassen teilweise schwer verletzt wurden.

Entscheidung des BGH:

Der BGH änderte den Schuldspruch bezüglich des Angeklagten P. ab, indem er den Schuldspruch um den Vorwurf der fahrlässigen Tötung und der fahrlässigen Körperverletzung in vier Fällen ergänzte und den Strafausspruch aufhob.

Die Revisionen der Angeklagten sowie die weiter gehende Revision der Staatsanwaltschaft verwarf der BGH.

Das LG habe zutreffend angenommen, dass der Angeklagte P. an einem nicht erlaubten Kraftfahrzeugrennen im Sinne von § 315d Abs. 1 Nr. 2 StGB teilnahm. Hierbei komme es nicht auf die „Startmodalitäten“ an, sodass es keiner vorherigen ausdrücklichen Absprache bedarf. Vielmehr kann diese auch spontan und konkludent erfolgen. Der Wille des Gesetzgebers bestätige dieses.

Zur Erfüllung des Qualifikationstatbestandes des § 315d Abs. 2 StGB für einen Teilnehmer müsse eine konkrete Gefahr und ein innerer Zusammenhang zwischen Verursachungsbeitrag und Gefährdungserfolg vorliegen. Die sich allein aus dem Rennverhalten der anderen Teilnehmer ergebende konkrete Gefahr begründe jedoch keine mittäterschaftliche Zurechnung.

Eine Nebentäterschaft hingegen verlange, dass der Gefährdungserfolg von mehreren Rennteilnehmern herbeigeführt wird. Ein solcher setze Folgendes voraus:

  1. Dieselbe Rennsituation
  2. Verursachungsbeitrag
  3. Derselbe konkrete Gefährdungserfolg
  4. Örtlicher und zeitlicher Zusammenhang zwischen 2. und 3.

Dies führe dazu, dass jeder Rennteilnehmer für sich den objektiven Tatbestand des § 315d Abs. 2 StGB erfüllt habe, wie der BGH im vorliegenden Fall entschieden hat.

 

Anmerkung der Redaktion:

§ 315d StGB ist am 13.10.2017 durch das Sechsundfünfzigste Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches in Kraft getreten.

Der neu eingefügte Straftatbestand wurde zur Erweiterung der Sanktionsmöglichkeiten gegen illegale Autorennen in das StGB eingefügt. Zuvor wurden die Rennen als Ordnungswidrigkeiten geahndet.

KONTAKT
schriftleitung@kripoz.de

Herausgeber
Prof. Dr. Gunnar Duttge
Prof. Dr. Bernd Heinrich
Prof. Dr. Anja Schiemann

Schriftleitung
Wiss. Mit. Sabine Horn

Redaktion (national)
Dr. Alexander Baur
Prof. Dr. Gunnar Duttge
Prof. Dr. Sabine Gless
Prof. Dr. Bernd Hecker
Prof. Dr. Martin Heger
Prof. Dr. Bernd Heinrich
Prof. Dr. Gabriele Kett-Straub
Prof. Dr. Florian Knauer
Prof. Dr. Michael Kubiciel
Prof. Dr. Otto Lagodny
Prof. Dr. Carsten Momsen
Prof. Dr. Helmut Satzger
Prof. Dr. Anja Schiemann
Prof. Dr. Edward Schramm
Prof. Dr. Dr. Markus Thiel
Prof. Dr. Mark Zöller

Redaktion international
Prof. Dr. Wolfgang Schomburg
Prof. Dr. Dres. h.c. Makoto lda
Prof. Neha Jain
Prof. Dr. Doaqian Liu
Prof. Dr. Dr. h.c. Francisco Munoz-Conde
Prof. Dongyiel Syn PhD
Prof. Dr. Davi Tangerino
Prof. Dr. Sheng-Wei Tsai
Prof. Dr. Merab Turava
Prof. Dr. Dr. h.c. Yener Ünver

 

 

 

 

 

 

 

 

Vorschläge des Kriminalpolitischen Kreises zu kriminalpolitischen Reformen in der Legislaturperiode 2021-2025

vorgelegt von Mitgliedern des Kriminalpolitischen Kreises

Beitrag als PDF Version 

Der Kriminalpolitische Kreis (KriK) besteht seit 2017. Er setzt sich aus 35 deutschen Hochschullehrerinnen und Hochschullehrern für Strafrecht und Kriminologie zusammen, die besonders an der Reform des Straf- und Strafverfahrensrechts interessiert sind. Näheres über den KriK findet sich auf der Website www.kriminalpolitischerkreis.de.

weiterlesen …

Ein Jahrhundert Werbeverbot – historische Erwägungen zur Legitimation des § 219a StGB

von Kira Scholler

Beitrag als PDF Version 

Abstract
Der folgende Beitrag beschäftigt sich mit der aktuellen Debatte um das Verbot der Werbung des Schwangerschaftsabbruchs gem. § 219a StGB, wobei der Fokus auf der historischen Auslegung des § 219a StGB und deren Auswirkungen auf die Legitimation des § 219a StGB in der heutigen Zeit liegt. Während sich die Diskussion bisher ganz überwiegend auf die Entstehungsgeschichte des § 219a StGB in der Weimarer Zeit und dem Nationalsozialismus bezog, zielt die vorliegende Abhandlung darauf zu zeigen, dass erste Entwürfe bereits im Jahr 1913 während der wilhelminischen Kaiserzeit im Rahmen des Strafrechtskommissionsentwurfs entwickelt worden sind. Der Vergleich der Erwägungen im vergangenen Jahrhundert demonstriert, dass unter heutiger Betrachtung mit § 219a StGB kein mit der Konzeption des Strafrechts als Rechtsgüterschutz vertretbares Schutzkonzept im Sinne des ultima-ratio-Vorbehalts verfolgt wird. Zudem spricht eine kriminalpolitische Gesamtschau der Historie gegen das Werbeverbot.

weiterlesen …

Jenseits der Beleidigung unter Kollektivbezeichnung? – Überlegungen zur Verhetzenden Beleidigung gem. § 192a StGB

von Wiss. Mit. Maximilian Nussbaum 

Beitrag als PDF Version 

Abstract
Jüngst fügte der Gesetzgeber den Ehrschutzdelikten § 192a StGB hinzu, um eine Strafbarkeitslücke im Bereich der nicht individualisierten und nicht-öffentlichen Konfrontation bestimmter Gruppenangehöriger mit verhetzenden Inhalten zu schließen. Der folgende Beitrag will eine erste Analyse der neuen Vorschrift im Hinblick auf ihr Schutzkonzept, die einzelnen Tatbestandsmerkmale und ihr Verhältnis zu den sonstigen Beleidigungsdelikten bieten.

weiterlesen …

Unsere Webseite verwendet sog. Cookies. Durch die weitere Verwendung stimmen Sie der Nutzung von Cookies zu. Informationen zum Datenschutz

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen.
Wenn Sie diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwenden oder auf "Akzeptieren" klicken, erklären Sie sich damit einverstanden.

Weitere Informationen zum Datenschutz entnehmen Sie bitte unserer Datenschutzerklärung. Hier können Sie der Verwendung von Cookies auch widersprechen.

Schließen