KriPoZ-RR, Beitrag 43/2019

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 07.08.2019 – 4 StR 189/19: Keine analoge Anwendung des § 32 Satz 1 JGG iVm § 105 Abs. 1 JGG

Amtlicher Leitsatz:

Wird der Angeklagte (nur) wegen Taten verurteilt, die er als Erwachsener begangen hat, hatte die Staatsanwaltschaft jedoch hinsichtlich weiterer Taten, die der Angeklagte bereits als Heranwachsender begangen hatte, von einer Verfolgung gemäß § 154 Abs. 1 StPO  abgesehen, kommt eine analoge Anwendung des § 32 Satz 1 JGG iVm § 105 Abs. 1 JGG nicht in Betracht.

Sachverhalt:

Das LG Essen hat den Angeklagten wegen gewerbsmäßiger Bandenhehlerei in zwei Fällen, gewerbsmäßigen Bandenbetrugs in Tateinheit mit gewerbsmäßiger Bandenurkundenfälschung, versuchten gewerbsmäßigen Bandenbetrugs in Tateinheit mit gewerbsmäßiger Bandenurkundenfälschung und Beihilfe zum gewerbsmäßigen Bandenbetrug in Tateinheit mit gewerbsmäßiger Bandenurkundenfälschung unter Freispruch im Übrigen verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatten sich der am 17. Juni 1996 geborene Angeklagte und die weiteren Täter spätestens im April 2017 zu einer Bande zusammengeschlossen, um von anderen gestohlene Fahrzeuge mit gefälschten Zulassungspapieren gewinnbringend weiter zu veräußern. An diesen Taten hatte sich der Angeklagte in fünf Fällen als Erwachsener beteiligt, wobei er meist unterstützende und überwachende Tätigkeiten übernahm. Zur Tatzeit von zwei weiteren ähnlichen Taten war der Angeklagte allerdings noch Heranwachsender gewesen.

Diese Taten waren von der StA gemäß § 154 Abs. 1 Nr. 1 StPO eingestellt und vom LG strafschärfend berücksichtigt worden.

Der Angeklagte hat in der Revision gerügt, dass es das LG unterlassen hatte, eine zur Anwendung des Jugendstrafrechts führende analoge Anwendung des § 32 Satz 1 JGG iVm § 105 Abs. 1 JGG zu prüfen.

Entscheidung des BGH:

Der BGH verwarf die Revision als unbegründet, da weder eine direkte noch analoge Anwendung des § 32 Satz 1 JGG in Betracht komme.

Für eine unmittelbare Anwendung fehle es schon an der gemeinsamen Aburteilung der Taten.

Aber auch eine entsprechende Anwendung der Norm, wie sie der 1. Strafsenat präferiere, sei abzulehnen, da es sich bei dieser Regelung um eine Ausnahmevorschrift für den Fall der gemeinsamen Aburteilung von Taten handele, die ein Täter in unterschiedlichen Altersstufen begangen habe.

Für eine Analogie sprächen sich zwar das OLG Düsseldorf und Teile der Literatur aus, da der Gesetzgeber die aus einer möglichen Einstellung nach § 154 StPO folgende Verfahrenskonstellation nicht bedacht habe und es dem gesetzgeberischen Vereinheitlichungszweck widerspreche, wenn die Anwendung des Jugendstrafrechts von der Einstellung abhängig sei.

Allerdings sei die Gegenansicht, die auf den eindeutigen Wortlaut der Norm und die bei einer Einstellung wegfallende Grundlage für die Prüfung des Schwergewichts abstelle, aus folgenden Gründen vorzugswürdig:

Eine entsprechende Anwendung würde den klaren Normwortlaut sowohl auf der Tatbestands- als auch der Rechtsfolgenseite überdehnen. Tatbestandlich sei nämlich eine gleichzeitige Aburteilung vorausgesetzt, die bei einer Einstellung nicht gegeben sei. Als Rechtsfolge ordne § 32 Satz 1 JGG an, dass auf die verschiedenen Taten je nach Schwerpunkt einheitlich Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht anzuwenden sei. Auch dies wäre bei einer Einstellung nicht möglich, da auf die eingestellten Taten weder das Jugend- noch das Erwachsenenstrafrecht anwendbar wäre.

Damit würden sich die eingestellten Taten alleinig auf die im Erwachsenenalter begangenen Taten auswirken, was die Vorschrift gerade nicht erlaube.

Auch eine historische Auslegung komme zu diesem Ergebnis, denn der erste Entwurf der Vorschrift habe keine Einschränkung enthalten, welche dann aber im Gesetzgebungsverfahren mit dem Erfordernis der gleichzeitigen Aburteilung aufgenommen worden sei. Maßgeblich sei dafür die Bundesregierung verantwortlich gewesen, die eine Anwendung von Jugendstrafrecht auf Taten im Erwachsenenalter allein aus dem Grund, dass die früheren Verfahren noch nicht erledigt gewesen waren, verhindern wollte. Dieser Sichtweise habe sich der Rechtsausschuss angeschlossen.

Teleologisch fordere § 32 Satz 1 JGG die einheitliche Sanktionierung bei gleichzeitiger Aburteilung nicht etwa aus Gerechtigkeitsgründen oder dem Erziehungsgedanken, sondern allein aus Pragmatismus, damit die gleichzeitige Aburteilung von Taten aus unterschiedlichen Altersstufen einfacher sei.

Abschließen spreche auch sie Systematik des JGG gegen eine analoge Anwendung, da das abschließende System der §§ 31 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1, 32 Satz 1, 66 Abs. 1 und 105 Abs. 2 JGG immer voraussetze, dass die Taten der Kognitionspflicht des Tatrichters (§ 264 StPO) unterlägen. Der Tatrichter müsse also von jeder Tat die Strafbarkeitsvoraussetzungen unter allen rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkten ermittelt und geprüft haben, was bei eingestellten Taten wiederum nicht möglich sei.

 

Anmerkung der Redaktion:

Die Urteile des OLG Düsseldorf und des 1. Strafsenats, die beide eine entsprechende Anwendung der Vorschrift befürworten, finden Sie hier und hier.

Der obige Beschluss des 4. Senats ist mit der bisherigen Rechtsprechung des BGH zu Fällen, in denen der Angeklagte zu einer Jugendstrafe verurteilt worden ist und später eine Freiheitsstrafe für eine vor der Verurteilung zur Jugendstrafe begangenen Tat als Erwachsender verbüßen muss, vereinbar.

Beispiele dieser Rechtsprechung finden Sie hier und hier.

 

 

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