„Nein heißt Nein“ oder „Ja heißt Ja“? Der Tatbestand der Vergewaltigung in der Richtlinie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt

von Prof. Dr. Jörg Eisele

Beitrag als PDF Version

Abstract
Artikel 5 der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt legt Mindestvorschriften für den Straftatbestand der Vergewaltigung fest. Zusätzlich zu der Frage, ob die EU überhaupt die Gesetzgebungskompetenz für einen solchen Straftatbestand besitzt, stellt sich die Frage, ob in diesem Artikel die sogenannte „Ja heißt Ja“-Lösung verankert ist und welche Bedeutung diese Lösung im Verhältnis zu der in § 177 Abs. 1 StGB geregelten „Nein heißt Nein“-Lösung hat.

weiterlesen …

KriPoZ-RR, Beitrag 66/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Urt. v. 15.07.2020 – 6 StR 7/20: Neben sexueller Nötigung kein Raum für versuchte Vergewaltigung

Leitsatz der Redaktion:

Ist der Qualifikationstatbestand des § 177 Abs. 5 StGB erfüllt, scheidet eine tateinheitliche Verurteilung wegen Versuch des Regelbeispiels des § 177 Abs. 6 Nr. 1 StGB (Vergewaltigung) aus.

Sachverhalt:

Das LG Bückeburg hat den Angeklagten – unter Freispruch im Übrigen – wegen Körperverletzung in zwei Fällen verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte der Angeklagte die Nebenklägerin geweckt, als er von der Arbeit nach Hause kam, um Geschlechtsverkehr mit ihr zu haben. Dies hatte das Opfer abgelehnt.

Daraufhin hatte der Beschuldigte sie an ihren Handgelenken festgehalten und versucht sie und sich selbst zu entkleiden sowie ihre Beine auseinander zu drücken. Es war der Zeugin jedoch gelungen, sich los zu reißen und in den Flur zu flüchten, wo der Angeklagte sie einholte und an eine Wand drückte, wodurch ihr Kopf mehrmals an die Wand schlug.

Das LG konnte sich von einer Vergewaltigung nicht überzeugen und verneinte auch eine versuchte Vergewaltigung wegen Rücktritts.

Entscheidung des BGH:

Der BGH hob das Urteil auf, da das LG den Unrechtsgehalt der Tat nicht vollumfänglich erfasst habe und daher seiner Kognitionspflicht (§ 264 StPO) nicht nachgekommen sei.

Durch das Festhalten der Handgelenkte und das Ausziehen sowie Spreizen der Beine habe der Angeklagte den Tatbestand der sexuellen Nötigung gem. §§ 177 Abs. 1 und 5 StGB verwirklicht.

Die Handlungen wiesen objektiv, also allein gemessen an ihrem äußeren Erscheinungsbild, einen eindeutigen Sexualbezug auf und der Angeklagte habe auch schon mit diesen Handlungen am Körper des Opfers begonnen. Damit habe es sich um sexuelle Handlungen gehandelt, die aufgrund des Festhaltens auch mit Gewalt verübt worden seien, sodass die Qualifikation der sexuellen Nötigung erfüllt gewesen sei.

Daneben sei jedoch für eine tateinheitlich begangene versuchte Vergewaltigung kein Raum mehr, so der BGH.

Eine versuchte Vergewaltigung komme bei Vollendung des Grundtatbestands des § 177 Abs. 1 StGB aufgrund der Ausgestaltung des § 177 Abs. 6 StGB als Strafzumessungsregel nicht in Betracht. Dies habe sich auch durch die Neufassung der Vorschrift durch das Gesetz zur Verbesserung der sexuellen Selbstbestimmung vom November 2016 nicht geändert.

Damit brauchte der Senat erneut nicht entscheiden, ob der Versuch eines Regelbeispiels überhaupt möglich ist.

 

Anmerkung der Redaktion:

§ 177 StGB war 2016 nach den Geschehnissen der Kölner Silvesternacht, denen eine breite gesellschaftliche Debatte nachfolgte, durch das Gesetz zur Verbesserung der sexuellen Selbstbestimmung neu gefasst worden. Informationen zu den Änderungen finden Sie hier.

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 58/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

KG Berlin, Beschl. v. 27.07.2020 – 4 Ss 58/20: Strafbarkeit des sog. Stealthing

Amtlicher Leitsatz:

Das sog. Stealthing erfüllt jedenfalls dann den Tatbestand des sexuellen Übergriffs gemäß § 177 Abs. 1 StGB, wenn der Täter das Opfer nicht nur gegen dessen Willen in ungeschützter Form penetriert, sondern im weiteren Verlauf des ungeschützten Geschlechtsverkehrs darüber hinaus in den Körper des bzw. der Geschädigten ejakuliert.

Sachverhalt:

Das AG Tiergarten hat den Angeklagten wegen sexuellen Übergriffs verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte der Angeklagte zunächst einvernehmlichen vaginalen Geschlechtsverkehr mit der Zeugin, nachdem diese ihm mitgeteilt hatte, nur unter Benutzung eines Kondoms mit ihm schlafen zu wollen.

Dies war zunächst vom Beschuldigten akzeptiert worden.

Bei einem Stellungswechsel hatte der Angeklagte dann jedoch heimlich und von der Zeugin unbemerkt das Kondom von seinem Glied abgezogen und danach ungeschützten Geschlechtsverkehr mit ihr vollzogen an dessen Ende er in die Vagina des Opfers ejakuliert hatte.

Entscheidung des KG Berlin:

Das KG bestätigte die Verurteilung wegen sexuellen Übergriffs nach § 177 Abs. 1 StGB.

Der Schutzzweck des § 177 Abs. 1 StGB erlaube es beiden Sexualpartnern nicht nur über das „ob“ der sexuellen Aktivitäten zu entscheiden, sondern auch über die Art und Weise, sodass letztlich ein konsensuales Verhalten beider Sexualpartner vom Gesetz nach dessen Reform im Jahr 2016 gefordert werde.

Aus dem Verhalten der Zeugin sei für den Angeklagten klar erkennbar hervorgegangen, dass sie mit dem Vollzug des Geschlechtsverkehrs nur unter Verwendung eines Kondoms einverstanden gewesen sei. Insbesondere sei dies dadurch unmissverständlich gewesen, da sie den Versuchen des Angeklagten, ungeschützt in sie einzudringen eindeutig widersprochen und diese blockiert hatte.

Das zunächst vorliegende Einverständnis habe auch nicht nach Entfernung des Kondoms fortgewirkt. Es sei gerade nicht nur auf die Penetration als solche gerichtet gewesen, sondern auf die bestimmte sexuelle Handlung des vaginalen Geschlechtsverkehrs mit Kondom. Der Geschlechtsverkehr ohne Kondom sei demnach eine neue sexuelle Handlung im Sinne des § 177 Abs. 1 StGB gewesen und nicht bloß eine Begleiterscheinung desselben Geschlechtsverkehrs.

Dabei sei der Streit, ob schon das Eindringen ohne Kondom einen sexuellen Übergriff darstellen könne, in diesem Fall nicht zu entscheiden gewesen, da zumindest die ungeschützte Ejakulation des Täters in die Vagina des Opfers eine gänzlich neue und von ihr nicht gewollte sexuelle Handlung darstelle, da sie die Prägung und Intimität des geschlechtlichen Verkehrs komplett verändere.

Auch das Argument, dass im Moment des Kondomabstreifens der entgegenstehende Wille des Opfers nicht erkennbar gewesen sei und auch der früher geäußerte Wille nicht fortwirke, da dies zu einer unzulässigen Gesamtbetrachtung führen würde, ließ das KG nicht gelten. Eine solche Ansicht würde dem Rechtsgutträger aufbürden bei jeder neuen sexuellen Handlung einen etwaigen entgegenstehenden Willen äußern zu müssen, was es ihm gerade vor dem Hintergrund des unbemerkten und sehr schnellen Wechsels der sexuellen Handlung beim Stealthing nahezu unmöglich machen würde, seine Bestimmungsmacht über die eigenen Rechtsgüter wahrzunehmen.

Abschließend wies das KG darauf hin, dass zwar tatbestandlich auch die Voraussetzungen der Vergewaltigung nach § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 StGB vorgelegen hätten, es von ihm jedoch hinzunehmen sei, dass das AG diese Strafzumessungsregel als nicht erfüllt angesehen hat.

 

Anmerkung der Redaktion:

§ 177 StGB ist durch das 50. Strafrechtsänderungsgesetz reformiert worden, wobei das Konsensprinzip eingeführt worden war. Weitere Informationen erhalten Sie hier.

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 51/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 10.03.2020 – 4 StR 624/19: Vergewaltigung per Chat

Leitsatz der Redaktion:

Für die Annahme einer Vergewaltigung ist es ausreichend, dass das Opfer die sexuellen Handlungen an sich selbst vornimmt; eine gleichzeitige Anwesenheit des Täters ist nicht erforderlich.

Sachverhalt:

Das LG Siegen hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in vier Fällen, in drei davon in Tateinheit mit Sich-Verschaffen jugendpornografischer Schriften verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte der Angeklagte sein 14-jähriges Opfer in einem Chatroom kennen gelernt und sich als 18-jähriger Musiker ausgegeben. Es war ihm gelungen, dass das Mädchen sich in ihn verliebt hatte. Mit einem Zweitaccount, den der Täter unter einer Legende geführt hatte, hatte er das Opfer glauben gemacht, er sei ein Bandkollege ihres Chatpartners und dieser wünsche sich Nacktbilder von ihr. Diesem Wunsch war die Geschädigte nachgekommen. Daraufhin hatte sich der Angeklagte einen dritten Account zugelegt, mit dem er das Opfer genötigt hatte, sich in mehreren Videotelefonaten selbst mit verschiedenen Gegenständen zu penetrieren, damit ihre Mutter nichts von den verschickten Nacktbildern erfahre.

Im Anschluss hatte er dem Opfer mit diesem Account vorgespiegelt, dass er selbst von einer kriminellen japanischen Organisation erpresst werde und diese weitere Bilder und Videos von ihr gefordert hatte. Gegen ihren ausdrücklich erklärten Willen hatte der Angeklagte das Opfer dann dazu gebracht weitere Bilder und Videos anzufertigen, in denen sie verschiedene sexuelle Handlungen an sich vorgenommen hatte, die teilweise auch Schmerzen verursacht hatten.

Entscheidung des BGH:

Der BGH bestätigte die Verurteilung wegen Vergewaltigung.

Der besonders schwere Fall nach § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 StGB erfasse mit seinem Wortlaut auch sexuelle Handlungen des Opfers an sich selbst, was sich aus den Gesetzgebungsmaterialien ergebe.

Ebenso sei es nicht erforderlich, dass der Täter räumlich anwesend sei.

Zwar stelle die Warnung vor Bestrafungen durch die „Japaner“ keine Drohung mit einem empfindlichen Übel nach § 177 Abs. 2 Nr. 5 StGB dar, da das Opfer geglaubt hatte, der Täter habe auf den Eintritt dieses Übels keinen Einfluss. Jedoch habe der Täter dadurch den Grundtatbestand des § 177 Abs. 1 Alt. 2 StGB verwirklicht. Eine letztlich freiwillige Anfertigung der Bilder und Videos durch das Opfer komme ebenfalls nicht in Betracht, da sie ausschließlich von der durch den Angeklagten erzeugten Angst motiviert worden sei und ihr Entschluss damit vollständig fremdbestimmt gewesen sei.

 

Anmerkung der Redaktion:

Das Sexualstrafrecht in §§ 177 ff. StGB war 2016 reformiert worden. Informationen zur Reform erhalten Sie hier.

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 34/2019

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 02.07.2019 – 2 StR 130/19: § 241 StGB tritt hinter § 177 StGB zurück, wenn die Drohung zur Durchführung der sexuellen Handlung eingesetzt wird

Leitsatz der Redaktion:

Die Reform des § 177 StGB hat keine Auswirkungen auf das Konkurrenzverhältnis zu § 241 StGB.

Sachverhalt:

Das LG Köln hat den Angeklagten u.a. wegen versuchter Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung in drei Fällen, in einem Fall in weiterer Tateinheit mit Bedrohung verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte der Angeklagte nachts eine junge Frau überwältigt, die gerade ihre Wohnungstür hatte aufschließen wollen. Er hatte sie gewaltsam von der Tür weggezogen, sie nach Gegenwehr ihrerseits gegen ein Geländer geschleudert und weitere Hilferufe der Geschädigten durch eine Todesdrohung zu unterbinden versucht.

Nachdem er sie in ein Gebüsch geführt und nochmals gedroht hatte sie „abzustechen“, wurde eine Zeugin auf das Geschehen aufmerksam, was den Angeklagten zur Flucht veranlasst hatte, ohne den Geschlechtsverkehr vollziehen zu können.

Entscheidung des BGH:

Der BGH änderte das Urteil dahingehend, dass die tateinheitliche Verurteilung wegen Bedrohung entfällt.

Der Tatbestand der Bedrohung trete hinter der sexuellen Nötigung oder Vergewaltigung gesetzeskonkurrierend zurück, wenn die Todesdrohung Tatmittel der sexuellen Nötigung sei und der Ermöglichung der sexuellen Handlung diene. Gleiches gelte auch für den Versuch der Vergewaltigung.

Die Änderung des § 177 StGB vom 4. November 2016 ändere an dieser Rechtsprechungspraxis nichts, da das Tatbestandsmerkmal der qualifizierten Drohung zwar in einen Qualifikationstatbestand überführt worden sei, sich inhaltlich allerdings nicht verändert habe.

Anmerkung der Redaktion:

Diese konkurrenzrechtliche Betrachtung wurde vom BGH am 23. April 2002 entwickelt (1 StR 95/02).

§ 177 StGB wurde im November 2016 durch das Fünfzigste Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches („Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung“) reformiert. Eine Chronologie des Gesetzgebungsverfahrens finden Sie hier.

Prof. Hörnle, die ebenfalls als Sachverständige im Gesetzgebungsverfahren tätig war, ordnete die geplanten Änderungen in der KriPoZ kritisch ein. Den Beitrag finden Sie hier. Einen weiteren Beitrag zum neuen Sexualstrafrecht von Dr. Papathanasiou finden Sie hier.

 

 

Unsere Webseite verwendet sog. Cookies. Durch die weitere Verwendung stimmen Sie der Nutzung von Cookies zu. Informationen zum Datenschutz

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen.
Wenn Sie diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwenden oder auf "Akzeptieren" klicken, erklären Sie sich damit einverstanden.

Weitere Informationen zum Datenschutz entnehmen Sie bitte unserer Datenschutzerklärung. Hier können Sie der Verwendung von Cookies auch widersprechen.

Schließen