KriPoZ-RR, Beitrag 08/2023

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 13.12.2022 – 3 StR 372/22: BGH zur Strafbarkeit des „Stealthing“

Amtlicher Leitsatz:

Zum gegen den erkennbaren Willen des Sexualpartners heimlich ohne Kondom ausgeführten Geschlechtsverkehr (sogenanntes „Stealthing“).

Sachverhalt:

Der Angeklagte wurde vom LG Düsseldorf u.a. wegen sexuellen Übergriffs zu einer mehrjährigen Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt, im Übrigen freigesprochen. Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hat der Angeklagte nach einvernehmlichen Oralverkehr mit der später Geschädigten eine Kondompackung geöffnet, wobei er beabsichtigte dieses nicht zu verwenden. Der Angeklagte führte mit der Geschädigten, für die ungeschützter Geschlechtsverkehr nicht in Frage kam, bewusst ohne Kondom den Geschlechtsverkehr durch. Der Angeklagte legte gegen die Entscheidung des LG Düsseldorf wegen Verletzung formellen und materiellen Rechtsmittel ein. 

Entscheidung des BGH:

Das Rechtsmittel hat teilweise Erfolg. Wegen eines unterlassenen Hinweises auf den geänderten rechtlichen Gesichtspunkt (§ 265 Abs. 1 StPO) in einem Fall, ist die Gesamtstrafe aufzuheben. 

Im Übrigen weise die Entscheidung keine Rechtsfehler auf. Zutreffend sei das LG Düsseldorf von einem sexuellen Übergriff i.S.v. § 177 Abs. 1 StGB ausgegangen. „Stimmt eine Person Geschlechtsverkehr ersichtlich nur unter der Voraussetzung zu, dass dabei ein Kondom genutzt werde, stehen ohne Präservativ vorgenommene sexuelle Handlungen ihrem erkennbaren Willen entgegen.“, so der BGH. Maßgeblich sei demnach die konkret vorgenommene Handlung, wobei zwischen ungeschütztem und geschütztem Geschlechtsverkehr zu differenzieren sei, denn letzteres betreffe die Art und Weise und zeuge damit von anderer Qualität. Dem gehe der Schutz der Gesundheit (Übertragung von Krankheiten, Schwangerschaft) einher. Der Strafsenat verweist dabei auf die frühere Strafschärfung bei Sexualdelikten, in denen kein Kondom verwendet wurde und geht auf die Kondompflicht für den Bereich der Prostitution ein. Diese Aspekte sprächen dafür, dass die sexuelle Selbstbestimmung als geschütztes Rechtsgut nicht unterlaufen werde. 

Ein vermeintlicher Irrtum im vorliegenden Fall ändere nichts an der Bewertung. Eine Einwilligung in den ungeschützten Geschlechtsverkehr habe nicht vorgelegen. Auch brauchte ein entgegenstehender Wille nicht ausdrücklich erklärt zu werden, eine konkludierte Äußerung genüge. 

Anmerkung der Redaktion:

Zum Phänomen „Stealthing“ berichteten Andreas Wißner in der KriPoZ Heft 5/2021 und Johannes Makepeace in der KriPoZ Heft 1/2021.

Mit dem Fünfzigsten Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches – Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung vom 4. November 2016 (BGBl. I S. 2460) wurde u.a. § 177 StGB neu gefasst. Hintergründe zum Gesetzgebungsverfahren können Sie hier nachlesen. 

KriPoZ-RR, Beitrag 58/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

KG Berlin, Beschl. v. 27.07.2020 – 4 Ss 58/20: Strafbarkeit des sog. Stealthing

Amtlicher Leitsatz:

Das sog. Stealthing erfüllt jedenfalls dann den Tatbestand des sexuellen Übergriffs gemäß § 177 Abs. 1 StGB, wenn der Täter das Opfer nicht nur gegen dessen Willen in ungeschützter Form penetriert, sondern im weiteren Verlauf des ungeschützten Geschlechtsverkehrs darüber hinaus in den Körper des bzw. der Geschädigten ejakuliert.

Sachverhalt:

Das AG Tiergarten hat den Angeklagten wegen sexuellen Übergriffs verurteilt.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte der Angeklagte zunächst einvernehmlichen vaginalen Geschlechtsverkehr mit der Zeugin, nachdem diese ihm mitgeteilt hatte, nur unter Benutzung eines Kondoms mit ihm schlafen zu wollen.

Dies war zunächst vom Beschuldigten akzeptiert worden.

Bei einem Stellungswechsel hatte der Angeklagte dann jedoch heimlich und von der Zeugin unbemerkt das Kondom von seinem Glied abgezogen und danach ungeschützten Geschlechtsverkehr mit ihr vollzogen an dessen Ende er in die Vagina des Opfers ejakuliert hatte.

Entscheidung des KG Berlin:

Das KG bestätigte die Verurteilung wegen sexuellen Übergriffs nach § 177 Abs. 1 StGB.

Der Schutzzweck des § 177 Abs. 1 StGB erlaube es beiden Sexualpartnern nicht nur über das „ob“ der sexuellen Aktivitäten zu entscheiden, sondern auch über die Art und Weise, sodass letztlich ein konsensuales Verhalten beider Sexualpartner vom Gesetz nach dessen Reform im Jahr 2016 gefordert werde.

Aus dem Verhalten der Zeugin sei für den Angeklagten klar erkennbar hervorgegangen, dass sie mit dem Vollzug des Geschlechtsverkehrs nur unter Verwendung eines Kondoms einverstanden gewesen sei. Insbesondere sei dies dadurch unmissverständlich gewesen, da sie den Versuchen des Angeklagten, ungeschützt in sie einzudringen eindeutig widersprochen und diese blockiert hatte.

Das zunächst vorliegende Einverständnis habe auch nicht nach Entfernung des Kondoms fortgewirkt. Es sei gerade nicht nur auf die Penetration als solche gerichtet gewesen, sondern auf die bestimmte sexuelle Handlung des vaginalen Geschlechtsverkehrs mit Kondom. Der Geschlechtsverkehr ohne Kondom sei demnach eine neue sexuelle Handlung im Sinne des § 177 Abs. 1 StGB gewesen und nicht bloß eine Begleiterscheinung desselben Geschlechtsverkehrs.

Dabei sei der Streit, ob schon das Eindringen ohne Kondom einen sexuellen Übergriff darstellen könne, in diesem Fall nicht zu entscheiden gewesen, da zumindest die ungeschützte Ejakulation des Täters in die Vagina des Opfers eine gänzlich neue und von ihr nicht gewollte sexuelle Handlung darstelle, da sie die Prägung und Intimität des geschlechtlichen Verkehrs komplett verändere.

Auch das Argument, dass im Moment des Kondomabstreifens der entgegenstehende Wille des Opfers nicht erkennbar gewesen sei und auch der früher geäußerte Wille nicht fortwirke, da dies zu einer unzulässigen Gesamtbetrachtung führen würde, ließ das KG nicht gelten. Eine solche Ansicht würde dem Rechtsgutträger aufbürden bei jeder neuen sexuellen Handlung einen etwaigen entgegenstehenden Willen äußern zu müssen, was es ihm gerade vor dem Hintergrund des unbemerkten und sehr schnellen Wechsels der sexuellen Handlung beim Stealthing nahezu unmöglich machen würde, seine Bestimmungsmacht über die eigenen Rechtsgüter wahrzunehmen.

Abschließend wies das KG darauf hin, dass zwar tatbestandlich auch die Voraussetzungen der Vergewaltigung nach § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 StGB vorgelegen hätten, es von ihm jedoch hinzunehmen sei, dass das AG diese Strafzumessungsregel als nicht erfüllt angesehen hat.

 

Anmerkung der Redaktion:

§ 177 StGB ist durch das 50. Strafrechtsänderungsgesetz reformiert worden, wobei das Konsensprinzip eingeführt worden war. Weitere Informationen erhalten Sie hier.

 

 

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