Stephanie-Alexandra Meier: § 238 StGB Nachstellung/Stalking – Eine polizeiliche Sicht nach 6 Jahren

von Prof. Dr. Anja Schiemann

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2015, Diplomica Verlag, Hamburg, ISBN: 978-3-95850-845-3, S. 132, Euro 44,99.

Gerade im Hinblick auf die aktuellen Gesetzesentwürfe zur Verbesserung des Schutzes gegen Nachstellung vom BMJV vom 15.2.2016 und vom Bundesrat vom 26.3.2016 (BT-Dr. 193/1/14) erschien es interessant, einen Einblick in die polizeiliche Sicht zur Wirksamkeit der bisherigen Regelung des § 238 StGB zu erhalten.

Meier legt – vermutlich – eine Bachelorarbeit vor, die leider relativ oberflächlich bleibt, was allerdings auch der begrenzten Zeit geschuldet ist, die der Autorin zur Bearbeitung zur Verfügung stand. Dennoch, der Umfang täuscht schon deswegen, weil die Verlagsangabe von 132 Seiten sich auch auf den Anlagenteil bezieht, der Ausarbeitungsteil von 57 Seiten ist dagegen recht überschaubar.

Die spannenden Forschungsfragen, ob durch die geltende Rechtslage ein wirksamer Schutz für die Opfer von Stalking erreicht wurde und was zu der hohen Einstellungsquote führt, verliert sich zunächst in etwas unübersichtlichen Begriffsklärungen und einem kriminalpolitischen Abriss zum Wandel des Themas Stalking. Die Schilderung der rechtlichen Auslegungsprobleme der Tatbestandsmerkmale und deren Konkretisierung durch die Rechtsprechung erfolgt äußerst knapp.

Die Ausführungen zur polizeilichen Kriminalstatistik machen deutlich, dass im Vorfeld bei der Staatsanwaltschaft ein hoher Anteil der Nachstellungs-/Stalkingfälle eingestellt wird (S. 21). Die folgenden Darstellungen zu Täter- und Opfertypologie und Modus Operadi lassen die Frage aufkommen, inwieweit diese Angaben zielführend für die Forschungsfragestellung sind. So bleibt nur noch wenig Raum für die Wiedergabe zweier Studien (S. 28 ff.) und dem eigentlichen Kern der Arbeit, nämlich die Beantwortung der Forschungsfrage unter Auswahl der qualitativen Analysemethode in Form von Experteninterviews (S. 34 ff.).

Es wurden sieben Experteninterviews aus unterschiedlichen Zielgruppen geführt, dem Weißen Ring, der Rechtsanwaltschaft, Familienrichter, Staatsanwaltschaft, Sachbearbeiter der Polizei im Bereich häuslicher Gewalt und Stalking, Opferschutzbeauftragte der Polizei und Opfer. Schade ist, dass jeweils nur mit einer Person aus diesen Zielgruppen ein Interview geführt wurde. So ist eine Generalisierbarkeit dieser Aussagen nicht möglich.

Insgesamt wurde nach Ansicht der befragten Experten durch Schaffung des § 238 StGB eine Gesetzeslücke geschlossen. Negativ wird allerdings die hohe Einstellungsquote beurteilt. Dies läge zum einen an der unzureichenden Schulung von Polizeibeamten, die Handlungen nicht  detailgenau dokumentieren würden. Zum anderen würden die Tatbestandsvoraussetzungen, insbesondere die hohe Hürde des Erfolgseintritts, häufig einer Strafbarkeit von Nachstellungshandlungen entgegenstehen. Positiv hebt Meier hervor, dass die Polizei durch die Einführung des § 238 StGB mehr Handlungssicherheit erhalten hat und begleitende Maßnahmen zur Verhinderung von Gewalteskalationen ergreifen kann (S. 53).

Als Fazit ihrer Arbeit fordert Meier die Umgestaltung des § 238 StGB vom Erfolgsdelikt in ein Eignungsdelikt, um eine Senkung der Einstellungsquote zu erreichen. Genau diese Umwandlung vom Erfolgs- in ein Eignungsdelikt wird in den beiden Gesetzesentwürfen vorgenommen, da die Erfahrungen der Praxis gezeigt hätten, dass der Tatbestand in einer nicht unerheblichen Zahl strafwürdiger Fälle eine Verurteilung nicht ermöglicht (BR-Dr. 193/1/14, S. 1). Insofern werden diese Erfahrungen der Praxis durch die von Meier ausgewerteten Interviews und Statistiken bestätigt.

Durch die Umwandlung des § 238 StGB in ein Gefährdungsdelikt soll nicht mehr länger entscheidend sein, ob die Tat eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung des Opfers verursacht hat, sondern „nur“ noch, ob sie geeignet ist, eine solche Beeinträchtigung herbeizuführen. Ob diese Ausweitung dann auch in der Praxis zu einer häufigeren Verurteilung wegen Nachstellung führt, bleibt abzuwarten. Hierfür müsste sicherlich auch die Bearbeitungspraxis optimiert und die Dokumentation der Tathandlungen verbessert werden (S. 55).

Unter Hinweis auf das Bremer Modell spricht sich Meier für eine interdisziplinäre Zusammenarbeit im Sinne von Netzwerkarbeit aus, um einen wirksamen Opferschutz zu erreichen (S. 56). Beratungs- und Hilfsmöglichkeiten in Verbindung mit Gefährderansprachen könnten hier präventiv wirksam werden und bereits im Vorfeld deeskalierend wirken.

Insofern ist die gesetzliche Neuregelung ein repressiver Schritt, der andere präventive Interventionsmöglichkeiten nicht entbehrlich macht. Es bleibt abzuwarten, ob einer der Gesetzesentwürfe umgesetzt wird. Zusätzlich zur Neuformulierung des § 238 StGB fordern beide Entwürfe, das für Taten der Nachstellung die Einordnung als Privatklagedelikt aufgehoben wird. Darüber hinaus sieht der Referentenentwurf des BMJV noch eine Einfügung in das FamFG und eine Anpassung der Strafvorschrift des § 4 GewSchG vor.

Nach diesen Gesetzesentwürfen könnte man meinen, die Arbeit von Meier sei überholt. Dies wäre jedoch zu voreilig. Schließlich setzen beide Entwürfe das um, was Meier fordert. Daneben liegt der Mehrwert der Arbeit in dem Einblick in die polizeiliche Bearbeitungspraxis und der Forderung nach einer Optimierung der Zusammenarbeit und Aktenführung. Diese Forderung bleibt auch nach einer Neufassung der gesetzlichen Regelung zur Nachstellung weiter aktuell.

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