von Prof. Dr. Dr. Eric Hilgendorf
Abstract
Mit der jüngsten Reform des StVG ist es dem Gesetzgeber gelungen, eine tragfähige Grundlage für das automatisierte Fahren zu schaffen. Neben begrifflichen Festlegungen wurden vor allem Bestimmungen über die Zulässigkeit des automatisierten Fahrens eingeführt und Rechte und Pflichten des Fahrzeugführers definiert. Es handelt sich allerdings nur um eine „kleine Lösung“, der in Zukunft weitere gesetzgeberische Maßnahmen folgen müssen.
I. Automatisiertes Fahren als regulative Herausforderung
Selten hat eine technologische Entwicklung so viel öffentliche Aufmerksamkeit auf sich gezogen wie das automatisierte Fahren. Dabei überwiegen derzeit – jedenfalls in der veröffentlichten Meinung – eher die skeptischen Stimmen. In der Kakophonie von Verheißungen, Befürchtungen, Verdächtigungen und Skandalisierungen gehen Sachargumente leicht unter. Der Medienrummel um das automatisierte Fahren hat wohl zum einen damit zu tun, dass Autofahren in Deutschland nicht bloß mit Mobilität verbunden wird, sondern auch Ausdruck eines besonderen Lebensgefühls ist, in dem sich die Dokumentation des eigenen Status, Sehnsucht nach Freiheit, Freude an Sport und gelegentlich auch Lust auf Abenteuer verbinden. Automatisierung verträgt sich damit schlecht. Zum anderen sind die Umwälzungen, die die Mobilität gerade erfährt, nur ein Teil jener „Digitalen Transformation“, die seit einigen Jahren unsere gesamte Lebens- und Arbeitswelt mit offenbar steigendem Tempo verändert. Das „automatisierte Fahrzeug“ wirkt deshalb fast wie ein Phantom, auf das die Verheißungen, aber auch die mit der Digitalisierung und Automatisierung verbundenen Befürchtungen unserer Gesellschaft projiziert werden. Es liegt auf der Hand, dass es in einer solchen Lage für den Gesetz- und Verordnungsgeber nicht einfach ist, die technische Entwicklung mit der nötigen Zurückhaltung und dem erforderlichen Augenmaß zu kontrollieren und zu steuern. Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) hat es dennoch für erforderlich gehalten, bereits jetzt eine Neuregelung des StVG in die Wege zu leiten. Sie ist am 21.6.2017 in Kraft getreten.[1] Der Bundesverkehrsminister spricht vom „modernste[n] Straßenverkehrsrecht der Welt“,[2] obwohl bereits im Vorfeld der Gesetzesentwurf auf scharfe und teilweise geradezu polemische Kritik gestoßen war – überwiegend zu Unrecht, wie im Folgenden zu zeigen sein wird. Verkürzt lassen sich vier zentrale Problembereiche unterscheiden: Zulassungs- und Verhaltensrecht, zivilrechtliche Haftung, strafrechtliche Verantwortung und Datenschutz.
II. Zum wesentlichen Inhalt des Gesetzentwurfs
Ziel des Gesetzes ist es, Rechtsgrundlagen für das hoch- und vollautomatisierte Fahren zu schaffen und so Rechtssicherheit zu gewährleisten. Damit führt die Gesetzesinitiative die im September 2015 beschlossene „Strategie automatisiertes und vernetztes Fahren – Leitanbieter bleiben, Leitmarkt werden, Regelbetrieb einleiten“[3] fort. In § 1a Abs. 1 StVG n.F. wird die Kernbestimmung formuliert: der Betrieb eines Kraftfahrzeuges mittels hoch- oder vollautomatisierter Fahrfunktion soll zulässig sein, wenn die Funktion „bestimmungsgemäß“ verwendet wird. So dürfe ein Fahrzeug etwa „nicht mittels einer automatisierten Fahrfunktion auf Landstraßen betrieben werden, wenn das System nur für den Einsatz auf Autobahnen vorgesehen ist“.[4] Der Ausdruck „bestimmungsgemäß“ stellt, wie auch das Beispiel zeigt, auf die seitens der Hersteller erfolgende Zweck- und Nutzungsbestimmung ab. Dies steht im Einklang mit der Verwendung des Wortes „bestimmungsgemäß“ in anderen rechtlichen Kontexten.[5]
Sodann folgen in Abs. 2 einige begriffliche Festlegungen. Kraftfahrzeuge mit hoch- oder vollautomatisierter Fahrfunktion im Sinne des Gesetzes sind danach solche Fahrzeuge, die über eine technische Ausstattung verfügen, die zur Bewältigung der Fahraufgabe das Kraftfahrzeug steuern kann und außerdem „in der Lage ist, während der hoch- oder vollautomatisierten Fahrzeugsteuerung den an die Fahrzeugführung gerichteten Verkehrsvorschriften zu entsprechen“. Des Weiteren muss die Fahrfunktion „jederzeit durch den Fahrzeugführer manuell übersteuerbar oder deaktivierbar“ sein, sie muss „die Erforderlichkeit der eigenhändigen Fahrzeugsteuerung durch den Fahrzeugführer erkennen“ können und in der Lage sein, dem Fahrer „das Erfordernis der eigenhändigen Fahrzeugsteuerung rechtzeitig optisch, akustisch, taktil oder sonst wahrnehmbar“ anzuzeigen. Schließlich muss das Fahrzeug die Fähigkeit besitzen, „auf eine der Systembeschreibung zuwiderlaufende Verwendung“ hinzuweisen.
Es ist bemerkenswert, dass der Gesetzgeber diese Bestimmungen nicht als Gebot formuliert, sondern in Form einer Definition eingeführt hat. Dies bedeutet, dass Fahrzeuge, die den genannten Voraussetzungen nicht entsprechen, nicht als hoch- bzw. vollautomatisierte Fahrzeuge gelten, so dass die neuen Vorschriften auf sie nicht anwendbar sind (vgl. auch § 1a Abs. 3 StVG n.F.). Es verbleibt dann bei den allgemeinen Regeln, wie sie im StVG und der StVO festgelegt sind.
Abs. 4 stellt fest, dass Fahrzeugführer auch derjenige ist, „der eine hoch – oder vollautomatisierte Fahrfunktion im Sinne des Abs. 2 aktiviert und zur Fahrzeugsteuerung verwendet, auch wenn er im Rahmen der bestimmungsgemäßen Verwendung dieser Funktion das Fahrzeug nicht eigenhändig steuert.“ Daraus folgt, dass die Bestimmungen des Straßenverkehrsrechts, die für Fahrzeugführer gelten, auch auf die Fahrer von hoch- bzw. vollautomatisierten Fahrzeugen anwendbar sind.
In § 1b StVG n.F. werden Pflichten des Fahrzeugführers bei der Nutzung hoch- oder vollautomatisierter Fahrfunktionen festgelegt: „Der Fahrzeugführer ist verpflichtet, die Fahrzeugsteuerung unverzüglich wieder zu übernehmen, (1) wenn das hoch- oder vollautomatisierte Systemen ihn dazu auffordert oder (2) wenn er erkennt oder auf Grund offensichtlicher Umstände erkennen muss, dass die Voraussetzungen für eine bestimmungsgemäße Verwendung der hoch- oder vollautomatisierten Fahrfunktion nicht mehr vorliegen.“ Es liegt auf der Hand, dass damit der Pflichtenkreis eines Fahrzeugführers nicht vollständig beschrieben wird; vielmehr gelten, da auf den Fahrer eines hoch- oder vollautomatisierten Fahrzeugs auch die übrigen Vorschriften der StVG bzw. der StVO anwendbar sind, grundsätzlich auch alle anderen für den Fahrzeugführer geltenden Bestimmungen. § 1b StVG n.F. hat im wesentlichen klarstellende Funktion.
In § 1c StVG n.F. wird eine umfassende Evaluierung der Anwendung der §§ 1a und 1b nach Ablauf des Jahres 2019 festgeschrieben.
Schließlich regelt das Gesetz die Einführung eines neuen Abschnitts über die Datenverarbeitung im Kraftfahrzeug. Im neuen § 63a StVG („Datenverarbeitung bei Kraftfahrzeugen mit hoch- oder vollautomatisierter Fahrfunktion“) heißt es dazu, dass Positions- und Zeitangaben festzuhalten sind, wenn ein Wechsel der Fahrzeugsteuerung vom menschlichen Fahrer zum technischen System oder umgekehrt erfolgt. Gespeichert werden soll auch, „wenn der Fahrzeugführer durch das System aufgefordert wird, die Fahrzeugsteuerung zu übernehmen oder eine technische Störung des Systems auftritt“, § 63a Abs. 1 S.2 StVG n.F. Die gespeicherten Daten dürfen den nach Landesrecht für die Ahndung von Verkehrsverstößen zuständigen Behörden übermittelt werden, § 63a Abs. 2 S. 1 StVG n.F.
III. Bewertung
Mit der vorstehend skizzierten Gesetzesänderung hat der Gesetzgeber zentrale Fragen des automatisierten Fahrens geregelt. Es handelt sich um eine bewusst knapp gehaltene Normierung, die lediglich derzeit besonders drängende Fragen erfasst: Begriffliche Klärungen des hoch- und vollautomatisierten Fahrens und des Begriffs des „Fahrzeugführers“; die Bestätigung der grundsätzlichen Zulässigkeit derartiger Systeme auf deutschen Straßen[6] sowie grundsätzliche Bestimmungen zu den Sorgfaltsanforderungen, die den Führern derartiger Fahrzeuge obliegen. Eine große, umfassende Lösung sämtlicher mit dem automatisierten Straßenverkehr verbundener Fragen wurde nicht angestrebt.[7]
Angesichts der vielfältigen, häufig noch gar nicht klar identifizierten Probleme im Umkreis des automatisierten Fahrens scheint mir diese Zurückhaltung nicht nur nachvollziehbar, sondern auch vernünftig zu sein. Der automatisierte Straßenverkehr ist nur ein Beispiel für die zahlreichen neuen Anwendungsmöglichkeiten autonomer technischer Systeme, wie sie sich etwa auch in der industriellen Produktion (Industrie 4.0), der Medizin (e-Health), der Service-Robotik und im Unterhaltungsbereich finden. Damit ist eine revolutionäre technische Umwälzung verbunden, die sich mit den drei Schlagworten „Digitalisierung“, „Automatisierung“ und „Vernetzung“ umschreiben lässt.
Die „Digitale Transformation“, wie dieser Vorgang oft genannt wird, enthält viele Herausforderungen für die überkommene Rechtsordnung, vom Verfassungsrecht über das zivile Haftungsrecht und Strafrecht bis hin zum Datenschutz, dem Versicherungsrecht und dem Zulassungsrecht.[8] Es wäre verfehlt zu versuchen, alle diese Fragen ausschließlich im Kontext der Mobilität lösen und regeln zu wollen, auch wenn zuzugeben ist, dass die Verwendung autonomer Systeme in Fahrzeugen derzeit technologisch einer der wichtigsten Treiber der skizzierten Entwicklung sein dürfte. Angesichts der derzeit nicht einmal ansatzweise überschaubaren Auswirkungen der Digitalisierung dürfte nur ein derartiges schrittweises Vorgehen des Gesetzgebers der Problemlage angemessen sein.
Da sich der Gesetzgeber auf eine knappe Regelung beschränkt und sich offensichtlich bemüht hat, den Problemkreis der automatisierten Mobilität in das überkommene Straßenverkehrsrecht einzufügen, bleiben die übrigen Regelungen des Straßenverkehrsrechts anwendbar und greifen auch für den Fall automatisierten Fahrens ein. Unverändert bleibt vor allem die Grundstruktur des Haftungsregimes im Straßenverkehrsrecht: Zivilrechtlich wird die Verschuldenshaftung nach § 823 BGB und § 18 StVG ergänzt durch die Gefährdungshaftung des Halters nach § 7 StVG, wonach wegen der vom Fahrzeug ausgehenden Betriebsgefahr grundsätzlich der Halter für alle entstehenden Schäden in Haftung genommen werden kann, ohne dass es auf ein Verschulden ankommt.[9] Diese Gefährdungshaftung wird durch eine Pflichtversicherung des Halters ergänzt, § 1 PflVG. Dies bedeutet, dass sich im Schadensfall der Verletzte direkt an die Versicherung des Halters wenden kann, von ihr eine Leistung erhält, und sodann die Versicherung ihrerseits versuchen wird, Rückgriff auf weitere potentielle Haftungssubjekte zu nehmen.
Dieses Haftungssystem hat sich in Deutschland seit langem bewährt und bedarf auch angesichts neuer Formen der Mobilität vorerst keiner grundlegenden Änderung. Das etablierte System ist nicht bloß sozial angemessen (auch und gerade im Hinblick auf das Erstattungsinteresse des Opfers), sondern schafft auch Rechtssicherheit. Es spricht wenig dafür, ein Haftungsregime, welches sich im Rechtsbewusstsein so fest verwurzelt hat, für den Bereich des neuen automatisierten Fahrens über Bord zu werfen.[10] Es überrascht deshalb, dass der Gesetzesvorschlag der Bundesregierung in der Presse als ein „Anschlag auf den Straßenverkehr“ und geradezu als strafwürdig bezeichnet wurde.[11] Der Verfasser des Artikels behauptet, der Gesetzentwurf nehme bei einem Unfall den Menschen am Steuer in Haftung, nicht aber den Autohersteller. Dieser Vorwurf ist in mehrfacher Hinsicht irreführend: das Gesetz enthält gerade keine Neufassung des Haftungsregimes für die automatisierte Mobilität,[12] vielmehr bemüht sich der Gesetzgeber, das automatisierte Fahren in das bewährte Haftungsregime einzugliedern. Wie ausgeführt, haftet grundsätzlich der Halter auf Schadensersatz, eine Pflichtversicherung sorgt dafür, dass er auch zahlungsfähig ist, so dass der Verletzte nicht auf seinem Schaden sitzen bleibt. Hinzutreten kann in der Tat eine Haftung des Fahrers selbst, was aber keinesfalls durch den hier in Frage stehenden Gesetzentwurf neu eingeführt wurde, sondern sich bereits aus § 823 BGB und § 18 StVG ergibt.
Auch die Herstellerhaftung lässt die Neuregelung unberührt. Der Hersteller haftet nach § 823 BGB, wenn er vorsätzlich oder fahrlässig eine Ursache für einen Schaden gesetzt hat. Hinzu tritt die Haftung nach § 1 Abs. 1 S. 1 ProdHaftG.[13] Diese Grundsätze werden durch die Regelungen des Produkthaftungsgesetzes ergänzt. Und auch im Hinblick auf die strafrechtliche Verantwortung des Herstellers, also die strafrechtliche Produzentenhaftung (§§ 229, 222 StGB), führt der Gesetzentwurf keine neuen Regelungen ein. Es kann deshalb keine Rede davon sein, dass der Gesetzgeber versucht habe, die Risiken des automatisierten Fahrens auf den Fahrer abzuwälzen.[14]
Auch der Bundesrat hat sich am 10.3.2017 kritisch zum vorgelegten Gesetzentwurf geäußert.[15] Die Initiative des Bundes, die Rechtsgrundlage für das hoch- und voll automatisierte Fahren zu schaffen, wird zwar begrüßt, der Entwurf wird allerdings als unzureichend bezeichnet, zumal „die berechtigten Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher weitgehend unberücksichtigt“ geblieben seien.[16] Für die Rechtssicherheit beim Einsatz automatisierter und vernetzter Fahrzeuge bedürfe es einer weitergehenden Prüfung, welche Verordnungen und Gesetze über das Straßenverkehrsgesetz hinaus zu ändern seien.[17] Dem Bundesrat schwebte dabei also offenbar eine große Lösung vor, die allerdings aus den oben genannten Gründen sehr problematisch ist.
Insbesondere wurde angemahnt, aus Gründen der Rechtssicherheit den Begriff der „bestimmungsgemäßen Verwendung“ in § 1a StVG-Entwurf genauer zu definieren. Es solle überprüft werden, ob die Vorgaben des Herstellers zur Verwendungsbestimmung verbindlich erfolgen müssten und auf welche Vorgaben des Herstellers der Fahrzeugführer sich verlassen dürfe.[18] Diese Anregungen sind durchaus nachvollziehbar, es wird aber nicht hinreichend berücksichtigt, dass es sich bei dem Konzept der “bestimmungsgemäßen Verwendung“ um ein im Recht bereits seit langem immer wieder verwendetes Konzept handelt.[19] Überdies ist schwer zu sehen, wie eine alternative gesetzliche Regelung hätte aussehen können, da viele der Funktionen, die autonome Systeme im Fahrzeug in Zukunft übernehmen werden, heute noch gar nicht absehbar sind.
In der Fachliteratur wurde das Erfordernis der „Wahrnehmungsbereitschaft“ wegen seiner relativen Unbestimmtheit kritisiert.[20] Immerhin macht das Gesetz aber deutlich, dass der Fahrer so wahrnehmungsbereit bleiben muss, dass er seinen Übernahmepflichten nach § 1b Abs. 2 StVG n.F. nachkommen kann. Welcher Aufmerksamkeitsgrad erforderlich ist, um im Einzelfall wahrnehmungsbereit zu bleiben, hängt vom Einzelfall ab und ist nicht vorab normierbar. Allerdings überrascht es, dass der Gesetzgeber sich nicht zum Verhältnis der neuen Regelung zu § 23 Abs. 1a StVO (Handynutzungsverbot) geäußert hat; man wird anzunehmen haben, dass unter den Voraussetzungen von § 1 lit. a StVG n.F., also bei Nutzung eines hoch- oder vollautomatisierten Fahrsystems, der § 23 Abs. 1 lit. a StVO nicht gilt.
Kritisiert wurde auch, dass es an einer eindeutigen Definition fehle, wann genau die Übernahme der Fahrzeugsteuerung erfolgen müsse und in welcher Weise die Übernahmeaufforderung zu erfolgen habe.[21] Des Weiteren wurde angemahnt, zu konkretisieren, was unter „offensichtlichen Umständen“ im Sinne von § 1b StVG n.F. verstanden werden soll. Denkbar sei etwa die Einfügung von Regelbeispielen. Weiter heißt es: „In diesem Zusammenhang bittet der Bundesrat auch um Prüfung, ob nicht eine Konkretisierung angezeigt ist, was Fahrzeugführerinnen und Fahrzeugführer bei einem Einsatz von hoch- und vollautomatisierten Fahrsystemen in Abhängigkeit vom Automatisierungsgrad des Kraftfahrzeuges tun dürfen und lassen müssen.“[22] Auch hier ist allerdings fraglich, wie der Gesetzgeber diesen Anforderungen hätte nachkommen sollen. Grundsätzlich gilt die Regel des § 1 Abs. 1 StVO, wo „ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht“ vorgeschrieben werden. Im Übrigen gilt, dass Sorgfaltspflichten für den konkreten Einzelfall bestimmt werden müssen; dies ist Aufgabe der Rechtsprechung.
Der Bundesrat erläutert seine Kritik an dem Rekurs auf „offensichtliche Umstände“ damit, dass nicht geregelt sei, „welchen Grad an Aufmerksamkeit Fahrzeugführerinnen und Fahrzeugführer beim Einsatz von hoch- und vollautomatisierten Fahrsystemen an den Tag zu legen haben.“[23] Es sei nicht erkennbar, ob sie das System die ganze Zeit zu überwachen hätten – dann seien auch schon Umstände als „offensichtlich“ anzusehen wie nicht rechtzeitig erkannte Verkehrszeichen, oder ob das System nur teilweise überwacht werden müsse – dann seien lediglich Umstände wie etwa plötzlicher Schneefall offensichtlich. Würden sich schließlich Fahrzeugführer für die Dauer des hoch- oder vollautomatisierten Fahrens gänzlich abwenden dürfen, dann „wären erst Umstände … wie das Blinken sämtlicher Warnleuchten in dem Fahrzeug“ offensichtlich.[24]
Die Kritik trifft einen wunden Punkt: Die „Offensichtlichkeit“ eines Ereignisses dürfte in der Tat vom Grad der vorgeschriebenen Aufmerksamkeit abhängen, jedenfalls dann, wenn man auf die Offensichtlichkeit für den konkreten Fahrer abstellt. Der Gesetzgeber ging dagegen wohl eher von einem objektiven Maßstab von „Offensichtlichkeit“ aus. „Offensichtlich“ bedeutet dann so viel wie „für einen durchschnittlichen Fahrer eindeutig erkennbar“. Ein Bezug auf eine derartige Maßfigur ist im Recht, gerade bei der Bestimmung von Sorgfaltspflichten, durchaus weit verbreitet und hat sich im Großen und Ganzen bewährt. Beim automatisierten Fahren, einem Bereich, in dem gesicherte Erfahrungswerte über die unterschiedlichen Fähigkeiten von Fahrzeugführen noch fehlen, ist der Rekurs auf eine Maßfigur des durchschnittlichen Fahrers und darauf, was für einen solchen Fahrer „offensichtlich“ ist, nicht besonders aussagekräftig.
Man wird die in § 1b StVG n.F. festgelegte Regel so zu interpretieren haben, dass der Führer eines Fahrzeugs mit automatisierten Funktionen sich grundsätzlich darauf verlassen darf, dass das Fahrzeug bei bestimmungsgemäßem Gebrauch ordnungsgemäß, d.h. im Einklang mit den Vorschriften des Straßenverkehrsrechts, fährt. Diese Vermutung greift erst dann nicht mehr rein, wenn im konkreten Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass ein sicheres Fahren mit dem automatisierten System nicht mehr möglich ist. Damit wird dem Fahrer eine Regel vorgegeben, deren Praktikabilität nicht schon daran scheitert, dass die Rechtsprechung dazu noch keine Kasuistik hat erarbeiten können.
Der Bundesrat drückte sein Bedauern darüber aus, „dass der Gesetzentwurf keinerlei Spezialregelung für die Herstellerhaftung von Fahrzeugen mit hoch- und vollautomatisierten Fahrsystemen“ enthält. Es bleibe „gänzlich unberücksichtigt, dass die Autohersteller für das einwandfreie Funktionieren der von ihnen entwickelten und in Verkehr gebrachten automatisierten Assistenzsysteme verantwortlich sind.“[25] Stattdessen, so der Bundesrat, würden die Verbraucherinnen und Verbraucher durch zusätzliche Pflichten, aber auch durch „die zu erwartende Prämienerhöhung im Bereich der Kfz-Haftpflichtversicherung ungebührlich hoch belastet.“[26]
Diese Ausführungen können nicht überzeugen. Wie bereits oben ausgeführt, lässt der Entwurf die Herstellerhaftung unangetastet. Hersteller können schon im Rahmen der überkommenen Produkt- und Produzentenhaftung in Anspruch genommen werden, wenn sie vorsätzlich oder fahrlässig einen Schaden verursacht haben. Hinzu kommen die Regelungen im Produkthaftungsgesetz. Es ist davon auszugehen, dass nach Einführung automatisierter Systeme im Pkw die Schadenersatzverpflichtungen von Herstellern nicht ab, sondern zunehmen werden, weil sie es sind, die die potentiell fehlerträchtigen technischen Systeme gestalten. Auch im hier vorgestellten Gesetz werden die Hersteller mittelbar in die Pflicht genommen, indem an die Programmierung von automatisierten Fahrsystemen detaillierte Anforderungen gestellt werden (§ 1a Abs. 2 StVG). Warum es zu einer rechtlichen Haftungsverringerung oder gar einer Haftungsfreistellung von Herstellern kommen sollte, wie es der Bundesrat offenbar befürchtet hat, ist unerfindlich. Auch für eine Erhöhung der Versicherungsbeiträge spricht derzeit wenig.
IV. Einige Hinweise auf weitergehende Problemfelder
Es liegt auf der Hand, dass das neue Gesetz nicht sämtliche mit der neuen Mobilität verbundenen Probleme zu lösen vermag. Ein erstes, besonders virulentes Problemfeld ist die Cyberkriminalität: Da das automatisierte Fahrzeug der Zukunft zumindest temporär mit dem Internet verbunden sein wird, liegt die Vermutung nahe, dass sich die Internetkriminalität in Zukunft auch auf den Straßenverkehr ausweiten dürfte. Gegenmaßnahmen sollten zuallererst im Bereich der Technik gesucht werden. Strafrechtlich sind die Urheber der Attacken zur Verantwortung zu ziehen, soweit man ihrer habhaft werden kann. Potentielle Verantwortungssubjekte sind aber auch die Hersteller der Pkw, die in der Pflicht stehen, ihre Systeme so sicher zu gestalten, dass Angriffe soweit wie möglich (und zumutbar) verhindert werden. Die Reichweite der damit angesprochenen Haftung für Sabotagesicherheit dürfte nicht nur im Strafrecht, sondern auch im Zivilrecht zu den großen Themen der Zukunft gehören.
Man sollte aber auch daran denken, die Provider in Haftung zu nehmen, wenn ihre technischen Angebote dafür verwendet werden, den Straßenverkehr anzugreifen. Die in den §§ 7 ff. TMG vorgesehene Haftungsprivilegierung der Provider beruht v.a. auf der Zielsetzung, den Geschäftsverkehr im Internet nicht durch unklare strafrechtliche Risiken zu behindern. Die Straftaten, an die man in der Anfangszeit des Internet dachte, waren etwa die Unterstützung der Verbreitung von extremistischer Propaganda oder von Pornographie. Die Straftaten, die im Straßenverkehr drohen, könnten erheblich schwerwiegender sein, bis hin zur Verursachung von Massenkarambolagen mit Dutzenden von Toten. Man wird deshalb fragen dürfen, ob die Haftungsprivilegierungen der Provider noch unverändert zeitgemäß sind.
Ein drittes Problemfeld, das durch das neue Gesetz nicht geregelt wurde, in Zukunft jedoch geregelt werden sollte, ist die Zuordnung nicht personenbezogener Daten. Es wird in der Öffentlichkeit oft übersehen, dass das überkommene Datenschutzrecht nur für personenbezogene Daten (§ 3 BDSG) gilt. Daten ohne Personenbezug fallen nicht darunter. Sie werden aber auch vom Sachenrecht nicht erfasst, da Daten keine Sachqualität aufweisen. Folge ist, dass die Zuordnung von nicht personenbezogenen Daten außerordentlich unklar ist. Dass „Abziehen“ solcher Daten aus dem Pkw ist rechtlich bislang kaum reguliert. Angesichts der Tatsache, dass derartige Daten mittlerweile einen erheblichen ökonomischen Wert besitzen können (man denke nur an nicht personenbezogene technische Daten über den Motorenverschleiß relativ zu den gefahrenen Kilometern oder dem durchschnittlichen Fahrtempo), stellt sich die Frage, ob derartige Daten nicht originär dem Halter des Fahrzeugs zugeordnet werden sollen, in dessen Wagen sie immerhin entstehen. Der Halter würde dadurch in die Lage versetzt, mit den Daten zu handeln, eine Ermächtigung zu privatautonomem Verhalten, die in einer sozialen Marktwirtschaft nicht unangemessen erscheint.
Ein letzter Problembereich, dem sich der Gesetzgeber in Zukunft zu stellen haben wird, ist die internationale Rechtsangleichung. So wie die Technik international ist und auch die Fahrzeuge grenzüberschreitend unterwegs sein werden, so müssen auch die rechtlichen Vorgaben einander angenähert werden.
Darüber hinaus stellen sich noch viele andere Zukunftsprobleme, vor allem im Zusammenhang mit selbstlernenden Systemen, also Systemen, die in der Lage sind, im Betrieb (d.h. im Straßenverkehr) ihr Programm auf der Grundlage von Erfahrungen zu verändern.[27] Eine derartige Technik würde es denkbar erscheinen lassen, dass im Verkehr Fahrzeuge mit unterschiedlicher Prägung unterwegs sind. Die dadurch aufgeworfenen Rechtsfragen sind von einer Klärung, geschweige denn Lösung aber noch so weit entfernt, dass ein Tätigwerden des Gesetzgebers auf absehbare Zeit nicht in Frage kommt.
[1] BGBl. I 2017, S. 1648.
[2] Pressemitteilung des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur 065/2017 vom 21.5.2017.
[3] http://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Publikationen/DG/broschuere-strategie-automatisiertes-vernetztes-fahren.html (zuletzt abgerufen am 6.7.2017).
[4] Gesetzentwurf der Bundesregierung, BR-Drs. 69/17 vom 27.1.2017, S. 13 f. Im Internet unter http://www.bundesrat.de/SharedDocs/beratungsvorgaenge/2017/0001-0100/0069-17.html (zuletzt abgerufen am 6.7.2017).
[5] Vgl. etwa die Definition des „Ingebrauchnehmens“ eines Fahrzeugs in § 248b StGB als „bestimmungsgemäße Benutzung als Fortbewegungsmittel“, Kindhäuser, StGB – Lehr- und Praxiskommentar, 7. Auflage (2017), § 248b Rn. 7.
[6] Einen Überblick über das aktuelle Zulassungsrecht geben Arzt/Ruth-Schumacher, NZV 2017, 57 ff. Zur Änderung des Wiener Übereinkommens, welche die bis dahin bestehenden Probleme aus Art. 8, 13 WÜ beseitigt hat, siehe nur Lutz, DAR 2016, 55 f.; gegen die Zulässigkeit hoch- und vollautomatisierter Systeme weiterhin von Bodungen/Hoffmann, InTeR 2017, 85 ff.
[7] Noch knapper mein eigener Normierungsvorschlag in meinem Gutachten für den 53. Verkehrsgerichtstag in Goslar, vgl. Hilgendorf, Automatisiertes Fahren und Recht, in: Deutscher Verkehrsgerichtstag. Veröffentlichung der auf dem 53. Deutschen Verkehrsgerichtstag vom 28. bis 30. Januar 2015 in Goslar, 2015, S. 55 – 72 (Fn. 57).
[8] Hilgendorf, Recht und autonome Maschinen. Ein Problemaufriß, in: ders./Hötitzsch, Das Recht vor den Herausforderungen der modernen Technik. Beiträge der 1. Würzburger Tagung zum Technikrecht im November 2013, S. 11 – 40 (15 ff.).
[9] Greger, in: ders./Zwickel, Haftungsrecht des Straßenverkehrs. Handbuch und Kommentar, 5. Aufl. (2014), § 3 Rn. 1, zum Hintergrund ebenda, § 1 Rn. 36 ff.
[10] So auch König, NZV 2017, 249 (251), der zu Recht vor „Aktionismus“ warnt.
[11] Süddeutsche Zeitung vom 27.1.2017, http://www.sueddeutsche.de/auto/autonomes-fahren-ein-gesetz-wie-ein-anschlag-auf-den-strassenverkehr-1.3350581 (zuletzt abgerufen am 6.7.2017).
[12] So auch Müller, InTeR 2017, S. 61.
[13] König, NZV 2017, 249 (251).
[14] So aber Süddeutsche Zeitung vom 27.1.2017 (Fn. 11).
[15] Entwurf eines Gesetzes … zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes – BT-Drs. 18/11300 – Stellungnahme des Bundesrates und Gegenäußerung der Bundesregierung, BT-Drs. 18/11543, S. 1 ff.
[16] A.a.O., S. 2.
[17] A.a.O.
[18] BT-Drs. 18/11534 (Fn. 15), S. 3 f.
[19] S.o. Fn. 5.
[20] So etwa Schirmer, NZV 2017, 253 (255). Der Autor behandelt noch die Entwurfsfassung, seine Argumente lassen sich aber mit nur geringen Anpassungen auf die Endfassung des Änderungsgesetzes übertragen.
[21] BT-Drs. 18/11534 (Fn. 15), S. 6.
[22] A.a.O.
[23] A.a.O.
[24] BT-Drs. 18/11534 (Fn. 15), S. 7.
[25] A.a.O., S. 13.
[26] A.a.O.
[27] Davon zu unterscheiden sind (einfache) lernende Systeme, bei denen Lerninput und Lernergebnis überprüft werden.