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KriPoZ-RR, Beitrag 15/2019

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BVerfG, Beschl. v. 09.07.2019 – 1 BvR 1257/19: Verurteilung als faktischer Versammlungsleiter verstößt nicht gegen Analogieverbot und Schuldprinzip

Leitsatz der Redaktion:

Eine strafrechtliche Verwarnung unter Strafvorbehalt gegen den faktischen Leiter einer unangemeldeten Versammlung verstößt weder gegen das Analogieverbot aus Art. 103 Abs. 2 GG noch gegen das Schuldprinzip aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG.

Sachverhalt:

Das AG Heilbronn und bestätigend das OLG Stuttgart haben den Angeklagten wegen Durchführung einer nicht angemeldeten Versammlung (§ 26 Nr. 2 VersammlG) schuldig gesprochen.

Der Beschwerdeführer hatte mit vier weiteren Aktivisten eine nicht angemeldete Demonstrationsveranstaltung abgehalten, bei der sich zwei Teilnehmer von einer Brücke abgeseilt und ein Banner zwischen sich aufgespannt hatten. Die Kletterausrüstung hatten sie ihrem Plan entsprechend mitgebracht und auch die Presse vorab über die Demonstration informiert. Der Beschwerdeführer hatte während der Veranstaltung beim Aufspannen des Banners geholfen, per Funk Anweisungen an die sich abseilenden Teilnehmer gegeben und auch das Ende der Versammlung bestimmt. Dieser Ansage waren alle Teilnehmer sofort nachgekommen.

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen das Urteil des AG Heilbronn und den Beschluss des OLG Stuttgart und rügt eine Verletzung der Versammlungsfreiheit, des strafrechtlichen Analogieverbots und des Schuldprinzips, da er nicht zum förmlichen Leiter der Versammlung bestimmt worden sei und ihm die Durchführung somit nicht entgegengehalten werden könne.

Entscheidung des BVerfG:

Das BVerfG nahm die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an. Zur Begründung führte es aus:

Ein Verstoß gegen das in Art. 103 Abs. 2 GG festgelegte strafrechtliche Analogieverbot sei nicht gegeben. Zwar sei der in § 26 VersammlG verwendete Begriff des Leiters ein unbestimmter Rechtsbegriff, die Auslegung durch das AG, wonach auch der faktische und nicht förmlich bestimmte Leiter einer Versammlung als Leiter im Sinne der Vorschrift anzusehen sei, überschreite jedoch nicht die Wortlautgrenze. Auch die anderen Bestimmungen des Versammlungsrechts ergäben keine zwingende abweichende Bewertung bei der Auslegung, sondern bestätigten im Gegenteil die Auslegung des AG.

Ebenso wenig sei ein Verstoß gegen das Schuldprinzip festzustellen, da § 26 Nr. 2 VersammlG gerade nicht auf die unterlassene Anmeldung der Versammlung sondern auf ihre Durchführung abstelle. Während das Unterlassen der Anmeldung dem Leiter gegebenenfalls nicht vorgeworfen werden könne, so sei er jedenfalls für seine Mitwirkung in leitender Funktion an der Versammlung verantwortlich und hätte diese jederzeit unterlassen können.

Die vom AG Heilbronn gewählte Auslegung des § 26 Nr. 2 VersammlG sei schließlich auch mit Art. 8 Abs. 1 GG vereinbar, denn sie sei geeignet einer Aushöhlung des Anmeldegebots aus § 14 Abs. 1 VersammlG bei nur geringer und damit verhältnismäßiger Einschränkung der Versammlungsfreiheit entgegenzuwirken. Die Gefahr einer Sanktionierung der bloßen Teilnahme an einer Versammlung wohne ihr gerade nicht inne, da die faktische Leitereigenschaft durch eindeutig erkennbare äußere Tatsachen begrenzt werde.

Anmerkung der Redaktion:

In der Literatur wird eine Bestrafung des sog. faktischen Versammlungsleiters teilweise wegen Verstoßes gegen das Analogieverbot abgelehnt (so z.B. Breitbach, NJW 1984, 841-846).

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