Die Entscheidung im Original finden Sie hier.
BGH, Beschl. v. 29.01.2020 – 4 StR 605/19: Revisionsrechtliche Prüfung von Erziehungsmaßregeln auch bei rechtsfehlerfreiem Schuldspruch
Amtlicher Leitsatz:
Das Revisionsgericht hat auf eine unbeschränkt eingelegte und auch sonst zulässige Revision die vorinstanzlich angeordneten Erziehungsmaßregeln und Zuchtmittel ohne die Beschränkung in § 55 Abs. 1 Satz 1 JGG auch dann auf Rechtsfehler zu überprüfen, wenn es den Schuldspruch unangetastet lässt.
Sachverhalt:
Das LG Dessau-Roßlau hat den jugendlichen Angeklagten wegen Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung zu 150 Stunden gemeinnütziger Arbeit verurteilt.
Hiergegen richtete sich die unbeschränkt eingelegte Revision des Angeklagten, mit der er ebenfalls den Umfang der ihm erteilten Auflagen rügt.
Nach Ansicht des Generalbundesanwalts könne der BGH diese jedoch nicht prüfen, da § 55 Abs. 1 Satz 1 JGG den Prüfungsumfang des Revisionsgerichts einschränke.
Entscheidung des BGH:
Der BGH widersprach dem Generalbundesanwalt und geht von einer umfassenden Prüfungskompetenz aus.
Aus § 337 StPO und § 2 Abs. 2 JGG ergebe sich eine umfassende Prüfungspflicht des Revisionsgerichts, wenn das Rechtsmittel zulässig und unbeschränkt eingelegt worden sei.
Eine Beschränkung dieses Prüfungsumfangs sei nur aufgrund einer besonderen gesetzlichen Regelung möglich. Eine solche stelle § 55 Abs. 1 Satz 1 JGG jedoch nicht dar, da der Beschwerdeführer ausdrücklich auch gegen den Schuldspruch vorgegangen sei. Zudem sei die Norm als Ausnahmevorschrift eng auszulegen und ihrem Wortlaut daher keine weitergehende Beschränkung zu entnehmen. Dies sei auch vor dem Hintergrund der Garantie eines effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) geboten.
Anmerkung der Redaktion:
Ein Urteil im Jugendstrafverfahren kann nicht dadurch angefochten werden, dass der Revisionsantrag sich ausschließlich gegen Art oder Umfang der verhängten Erziehungsmaßregel wendet: BGH, Beschl. v. 10.07.2013 – 1 StR 278/13.
Sein Angriffsziel muss der Revisionsführer bei Revision gegen ein Zuchtmittelurteil klar benennen: OLG Hamm, Beschl. v. 07.02.2017 – III-5 RVs 6/17.
Eine Umgehung des § 55 Abs. 1 Satz 1 JGG kann nicht durch lediglich formale Angreifung des Schuldspruchs erfolgen: OLG Nürnberg, Beschl. v. 30.03.2016 – 1 OLG 8 Ss 49/16.