14. Güstrower Herbstgespräche – „Wenn Menschen sterben wollen“

von RAin Melanie Steuer

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„Der Arzt ist weder Techniker noch Heiland, sondern Existenz für Existenz, vergängliches Menschenwesen, im anderen, mit dem anderen und in sich selbst die Würde und die Freiheit zum Sein bringend und als Maßstab anerkennend.“ (Karl Jaspers, 1932)

Mit diesen Worten brachte der Psychiater und Philosoph Karl Jaspers bereits 1932 die Rolle des Arztes und damit das Zwischenmenschliche in der Medizin in bemerkenswerter Deutlichkeit auf den Punkt. Diesen Gedanken aufgreifend, fanden am 19. September 2020 die 14. Güstrower Herbstgespräche zum Thema „Wenn Menschen sterben wollen“ unter Einbeziehung der jüngsten Entscheidung des BVerfG zur (geschäftsmäßigen) Suizidassistenz vom 26.2.2020 (BVerfG, NJW 2020, 905 ff.) statt. Das BVerfG hat den 2015 eingeführten § 217 StGB für verfassungswidrig erklärt, mit der Begründung, dass durch die Regelung die Möglichkeiten einer assistierten Selbsttötung faktisch weitgehend entleert würden.  Das Urteil veranschaulicht, dass bei der medizinischen Versorgung am Lebensende in zugespitzter Weise Fundamentalwerte unserer Gesellschaft zusammentreffen: das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen, das gesamtgesellschaftliche Interesse an einem effektiven Schutz menschlichen Lebens, das ethische Selbstverständnis der Ärzteschaft, die sozialen Bindungen des Einzelnen innerhalb seiner Familie (in kulturell unterschiedlicher Ausprägung) und a priori die Menschenwürde. Im Rahmen dieser Online-Konferenz wurde die Thematik aus ärztlicher, ethischer, juristischer und gesellschaftlicher Perspektive aufgegriffen und anhand der substantiellen Werte Würde und Freiheit näher durchleuchtet, wobei insbesondere der praktischen Relevanz besondere Bedeutung beigemessen wurde.

Vor dem Hintergrund der aktuellen rechtspolitischen Debatten, die bislang jedenfalls kein widerspruchsfreies Gesamtkonzept erkennen lassen, und aufgrund der hochkarätigen Referenten wunderte es nicht, dass die vom Initiator der jährlich stattfinden Güstrower Herbstgespräche, PD Dr. med. habil. Stefan G. Schröder (Chefarzt der Klinik für Allgemeinpsychiatrie und -psychotherapie am KMG Klinikum Güstrow), moderierte Veranstaltung mit rund 250 Teilnehmern aus unterschiedlichen Fachrichtungen auf breites Interesse stieß. „Leben in Autonomie und selbstbestimmtes Sterben sind Ausdruck der verfassungsrechtlich garantierten Menschenwürde und Maßstab allen staatlichen Handelns.“ Mit diesen einleitenden Worten betonte die Ministerin für Soziales, Integration und Gleichstellung des Landes Mecklenburg-Vorpommern, Stefanie Drese, in ihrem Grußwort zu Beginn der Veranstaltung, dass die Entscheidung des BVerfG vom 26. Februar 2020 erst den Auftakt zu einer gesamtgesellschaftlichen Diskussion, in deren Mittelpunkt der Mensch als Subjekt mit seiner Würde stehe, bilde. Im ersten Vortrag des Tages unter dem Titel „Beihilfe zur Selbsttötung aus ethischer Sicht“ widmete sich sodann der Theologe Prof. Dr. em. Wilfried Härle, Universität Heidelberg, der Kernfrage, welche rechtlichen und organisatorischen Regelungen im hiesigen Kontext verantwortbar seien, und richtete den Fokus insoweit auf die Bedeutung von menschenwürdigem Sterben. Die steigende Lebenserwartung und der medizinische Fortschritt werfen mit Blick auf die unterschiedlichen Erscheinungsformen des Sterbens vielfältige Probleme auf, die vor allem das ärztliche Berufsethos, aber auch das Recht und überdies sozialwissenschaftliche Gesichtspunkte tangieren, so Härle, und verwies dabei auf das bestehende Spannungsverhältnis zwischen dem durch das Grundgesetz geschützten Lebensrecht (Art. 2 Abs. 2 GG) einerseits und dem Selbstbestimmungsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) andererseits. Nach kurzer Darstellung der aus seiner Sicht bestehenden Ambivalenz des Terminus Selbsttötung, skizzierte er die wissenschaftliche Suizidforschung, die sich nach dem 2. Weltkrieg von Wien aus entwickelt habe. Daran anknüpfend stellte er das Verhältnis von Suizidversuchen und erfolgreichen Suiziden dar und führte diesbezüglich erläuternd aus, dass die Gründe für Suizidgedanken meist tiefe existentielle Dimensionen annehmen würden. Seiner Auffassung nach sei der Suizidversuch inzident bereits auf ein Scheitern ausgelegt und stelle vielfach – ob bewusst oder unbewusst – einen Hilferuf oder „Schrei nach menschenwürdigem Leben“ dar, um die Umgebung auf sich aufmerksam zu machen. Generell könne man sagen, dass nur etwa 5% der Suizidversuche letztlich auch zum Tod fuhren würden. Dies unterstellt, wäre die Tätigkeit von „Sterbehilfevereinen“ geradezu kontraproduktiv, so Härle. Dennoch müsse (sozial)ethisch gesehen das Sterben grundsätzlich zugelassen werden, insbesondere wenn der Betroffene für sich zu dem Ergebnis käme, dass sein Zeitpunkt gekommen sei. Das medizinisch Mögliche dürfe nicht gegen den (selbstbestimmten) Willen des Sterbewilligen angewendet werden.  Nach  Auffassung  von  Härle  erscheint  ein fließender Übergang von kurativer Medizin zur Palliativmedizin in Form eines Therapiewechsels sinnvoll.

Daran anknüpfend vertiefte Prof. Dr. jur. Dr. h.c. mult. Paul Kirchhof (Richter des Bundesverfassungsgerichts a.D. und Seniorprofessor distinctus der Universität Heidelberg) in seinem Vortrag „Verfassungsrechtlicher Lebensschutz und Selbstbestimmung des Menschen“ das bereits von Härle angesprochene Spannungsverhältnis zwischen diesen beiden essenziellen Werten anhand der Bundesverfassungsgerichtsentscheidung zu § 217 StGB. Dabei betonte er zunächst, dass das BVerfG keine Entscheidungen über die Sinnhaftigkeit und Qualität der menschlichen Existenz treffe, sondern die Verfassungsmäßigkeit bestimmter Normen beurteile. Die Entscheidung, das eigene Leben beenden zu wollen, könne zwar wohlbedacht, sorgfältig erwogen und damit Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts sein, die Wirklichkeit sei jedoch zumeist eine andere: Sich das Leben nehmen zu wollen, stelle sich vielfach als Hilferuf aufgrund von Depressionen, Liebeskummer, negativer Ereignisse, … dar. So habe auch das BVerfG in seiner Entscheidung darauf verwiesen, dass in rund 90% der tödlichen Suizidhandlungen psychische Störungen vorliegen, in etwa 80-90% der gescheiterten Suizidversuche die Betroffenen ihren Entschluss als Fehlentscheidung bewerten würden. Insoweit seien Gesellschaft und Staat in die Pflicht genommen, Menschen, insbesondere auch Suizidwillige, zu schützen und ihnen aus ihrer Einsamkeit und Verzweiflung herauszuhelfen, sie gleichsam aber nicht in ihrer Freiheit zu beschränken. Das Recht selbst biete Hilfe zum Leben, nicht jedoch zum Sterben. Unterdessen werde kein Anspruch auf Suizidhilfe gegenüber einem anderen Menschen begründet, der diesen Anspruch erfüllen müsse. Die Gewissensfreiheit könne, so Kirchhof, einen Menschen hindern, bei einer Selbsttötung mitzuwirken, und gebe keine Herrschaft über das Leben anderer. Das geltende Recht verstehe den Suizid als Möglichkeit selbstbestimmten Sterbens, zugleich verpflichte es aber auch den Staat, das Leben des Suizidwilligen zu schützen. Der Gesetzgeber stehe nunmehr vor der Aufgabe, für den Sterbewilligen wie auch den Sterbehelfer Rechtssicherheit zu schaffen. Dazu gehöre u.a. auch, sich von alten Traditionen wie der Differenzierung zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe zu verabschieden und den Fokus auf die Frage nach dem eigentlichen Auftrag des Arztes zu richten. Letztlich dürfe die Frage um Suizidbeihilfe nicht zur Endsozialisierung der Gesellschaft führen, daher sei es primäre Aufgabe des Rechts, einen klaren Rahmen vorzugeben, ergänzend müssten Beratungs-, Hilfs- und Begleitkonzepte entwickelt bzw. erweitert werden. Als möglichen Lösungsweg favorisiert Kirchhof ein „eigenes Gesetz zum Sterben“ außerhalb des Strafrechts, welches Entscheidungshilfen, aber auch eindeutige Voraussetzungen normiert. Dabei dürfe es aber keinesfalls eine Pflicht zur Mitwirkung an einer Selbsttötung eines anderen geben.

Prof. Dr. jur. Gunnar Duttge, Direktor der Abteilung für strafrechtliches Medizin- und Biorecht an der Juristischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen, warf in seinem Vortrag zum Thema „Braucht die Beihilfe zum Suizid strafrechtliche Grenzen?“ einen kritischen Blick auf die weit verbreitete Ansicht, alles müsse mit Hilfe des Strafrechts geregelt werden. Nach anschaulicher Darstellung, worin denn die eigentliche strafrechtliche Zwecksetzung in Abgrenzung zum moralisch-religiösen Standpunkt bestehe, zeigte Duttge die Verfassungswidrigkeit des § 217 StGB („ein Paradebeispiel für illegitimen Paternalismus“) auf. Die wesentliche Zukunftsaufgabe bestehe nunmehr darin, Türen und Optionen nicht von vornherein mit dem Schwert des Strafrechts zu verschließen. Eine solche „Individualisierung“ sozialer Problemlagen, die einem Menschen das hoffnungsfrohe Weiterleben unmöglich zu machen drohen, wäre auch in besonderer Weise sachwidrig und unfair. Damit sei eine „prozeduralisierende Lösung“ im Sinne einer nicht von vornherein zweckwidrigen Tabuisierung vorprogrammiert, die zwei zentrale Ziele gleichermaßen optimierend anzustreben habe: Einerseits dürfe sie eine realistische Perspektive nicht vollständig verschließen, wenn „mündige“ Menschen kraft ihres freiverantwortlichen Entschlusses ihr Leben auf selbstbestimmte Weise beschließen wollen; andererseits müsse sie aus Gründen des hochrangigen Lebensschutzes eine effektive Evaluierung und Kontrolle gewährleisten, damit auch nur jene diesen Weg gehen, die sich tatsächlich „autonom“ und irreversibel hierzu entschlossen haben. Für die mutmaßliche (große) Mehrheit bedürfe es zugleich organisatorischer Vorkehrungen, dass suizidale Personen, die lediglich appellhaft suizidale Bestrebungen zeigen, professionell versorgt würden. Als Fazit lasse sich festhalten: Ebenso wie es keinen standardisierten Ausgang aus dem Leben gebe, dürfe sich auch die Fürsorge nicht in einer standardisierten Fürsorge erschöpfen. Ein rechtssicherer Rahmen, der angemessene Wege und Entscheidungen ermögliche, sei allerdings unverzichtbar.

Im Anschluss befasste sich der Medizinethiker Prof. Dr. med. Giovanni Maio, Universität Freiburg, mit der Frage, ob Beilhilfe zum Suizid mit dem ärztlichen Standesethos vereinbar sei, und verwies insoweit auch auf die gesamtgesellschaftliche Verantwortung, die dieser Thematik immanent sei. Um diese Frage beantworten zu können, müsse man sich bewusstmachen, dass die Medizin nicht unfehlbar sei und es kein Leben um jeden Preis gebe; sie dürfe das Sterben nicht behindern. Elementares Grundverständnis der Medizin sei es, den Willen des Menschen zu respektieren, auch wenn dieser aus medizinischer Sicht unvernünftig erscheine, und damit auch den Tod hinzunehmen, nicht jedoch diesen herbeizuführen. Die Suizidbeihilfe als ärztliche Aufgabe zu sehen ist nach Auffassung von Maio zweifelhaft, denn das „ärztliche Können“ zeichne sich dadurch aus, dass der Arzt sein konkretes Ziel zu umschreiben vermag. Ärztliches Handeln knüpfe somit an eine vorherige ärztliche Indikationsstellung an. Die Suizidbeihilfe habe als primäres Sinnziel jedoch nur den Tod im Blick, mithin fehle es dem Grunde nach an einer Indikation, so dass der Wille eines Patienten nicht unproblematisch umgesetzt werden könne. Damit sei aber nicht gemeint, dass die ärztliche Suizidbeihilfe in jedem Fall als „unärztlich“ zu qualifizieren sei; Einzelfälle würden zeigen, dass diese durchaus auch stattfindet. Aber bedeutet dies im Umkehrschluss zugleich, dass sie deshalb auch in den ärztlichen Aufgabenbereich gehöre? Hier müsse man differenziert vorgehen: Wenn Menschen ihren Lebensmut verlieren, so sei dies nicht allein Aufgabe des Arztes, sich diesen Menschen anzunehmen, vielmehr müsse man sich als Gesellschaft darum bemühen, ihnen neue Perspektiven zu eröffnen, so Maio. Viele Menschen fühlen sich im Kranksein entwertet und in unserer Gesellschaft nutzlos. Deshalb dürfe die Medizin hier nicht als Dienstleistungsgewerbe für einen assistierten Suizid angesehen werden, sondern müsse in dem fürsorglichen Engagement für diese Menschen liegen. Aus ärztlicher Sicht sei es erforderlich, sich für die Hintergründe zu interessieren, warum jemand aus dem Leben scheiden wolle; insofern liege die ärztliche Aufgabe vielmehr darin, sich für die Not anderer zu interessieren, ohne zu bevormunden. In diesem Sinne müsse die Suizidprävention weiter verstärkt werden. Abschließend hält Maio fest, dass (ärztliche) Beilhilfe zum Suizid mitnichten eine triviale Aufgabe sei und keinesfalls zur Regel werden dürfe, sondern stets eine in jedem Einzelfall zu rechtfertigende Ausnahme bleiben müsse.

Der stellvertretende Direktor der psychiatrischen Universitätsklinik Innsbruck, Prof. Dr. med. Eberhard A. Deisenhammer, analysierte sodann rechtsvergleichend die Position der Psychiatrie im Rahmen des assistierten Suizids und positionierte sich zu deren stärkeren Beachtung im hiesigen Kontext. Das Recht auf Selbstbestimmung des Einzelnen habe in den vergangenen Jahrzehnten einen hohen Stellenwert erreicht. Dabei werde die Frage, ob ein selbstbestimmtes Leben auch die Möglichkeit beinhalte, Zeitpunkt und Form der Beendigung des Lebens selbst zu bestimmen, im philosophischen, medizinischen, juristischen und theologischen Diskurs – auch in Österreich – seit jeher kontrovers diskutiert. Der psychiatrischen Perspektive werde in diesem Zusammenhang jedoch nach wie vor zu wenig bis gar keine Bedeutung beigemessen, dabei sei deren Einbeziehung äußerst wichtig. Dies würden auch die „Euthanasia and assited suicide“ (EAS) Fälle belegen, welche seit 2007 einen kontinuierlichen Anstieg verzeichnen. Am Beispiel der Niederlande erläuterte Deisenhammer die grundsätzlich festgelegten Kriterien für den sog. „Euthanasia and assited suicide“, zeigte im Anschluss jedoch auch deren Fragwürdigkeiten, insbesondere aus psychiatrisch-psychotherapeutischer Sicht, auf. Die in den Debatten regelmäßig vorgenommene Unterscheidung zwischen „Suiziden in der Mitte des Lebens“ und „Suiziden angesichts einer schweren körperlichen Erkrankung“ sei, so Deisenhammer, aus psychiatrischer Sicht nicht haltbar. Insbesondere die der Psychiatrie wohlbekannten vielfachen Überschneidungen von Psyche und Körper würden bei einer derartigen Differenzierung übersehen. Eine schwere körperliche Erkrankung sei fast zwangsläufig mit einer emotionalen Reaktion verbunden, die eben die rationale Entscheidungsfähigkeit massiv beeinflussen könne, wie Deisenhammer am Beispiel einer depressiven Symptomatik verdeutlichte. Depressionen seien zwar in vielen Fällen gut behandelbar, werden aber generell zu selten, zu niedrigdosiert und nicht in der gebotenen Dauer behandelt; tatsächlich zeige sich ein Therapieerfolg teils erst nach einigen Wochen oder Monaten. Zudem stünden diese bei somatischen Medizinern oft nicht im Fokus und würden somit zu spät oder gar nicht erkannt. Auch gehe mit der Äußerung eines Sterbewunsches oft das Bedürfnis nach Auseinandersetzung und „Reibung“ („Recht auf Widerspruch“) einher. Der angeblich „freie Wille“ sei oftmals bedingt durch die (un)bewusste Motivation, der Familie nicht mehr zur Last fallen zu wollen. Mit Blick auf eine rationale Entscheidungsfindung müsste die Psychiatrie daher von vornherein stärker in die Problematik einbezogen werden, denn es sei zen-trale Aufgabe psychiatrischpsychotherapeutischen Handelns, Menschen bei der Bewältigung von Lebenskrisen zu unterstützen. Wie diese lediglichexemplarisch ausgewählten Beispiele zeigen, sei das möglichst frühzeitige Einbinden psychiatrisch-psychotherapeutischer Kompetenz daher unerlässlich. 

Vermag eine zunehmend wirksamere Palliativmedizin Sterbehilfe überflüssig zu machen? Diesem Gedanken ging Dr. med. Matthias Gockel, Leitender Oberarzt der Abteilung Palliativmedizin des Vivantes-Klinikums Berlin-Friedrichshain, im letzten Vortrag des Tages unter dem Titel „Brauchen wir wirklich aktive Sterbehilfe oder reicht passive?“ nach. Statt der „klassischen“ Terminologie aktive – passive – indirekte Sterbehilfe bevorzuge er die Unterteilung in aktive und passive Sterbehilfe, wobei erstere die Tötung ohne und auf Verlangen des Betroffenen sowie den assistierten Suizid umfasse und letztere den Verzicht auf lebensverlängernde Maßnahmen bedeute. Aus seiner Sicht als Palliativmediziner, dessen Fokus auf schwerstkranke Menschen am Ende des Lebens gerichtet sei, stelle sich allerdings eher die Frage: „Reicht das Unterlassen lebensverlängernder Maßnahmen in allen Fällen oder gibt es Fälle, in denen die aktive Beendigung eines Lebens eine sinnvolle/wünschenswerte/notwendige Option ist?“ Der Wunsch nach assistiertem Suizid sei seiner Erfahrung nach im Bereich der Palliativmedizin ein seltenes, im Einzelfall jedoch sehr relevantes Thema. In den meisten Fällen sei ein konsequenter Verzicht auf lebensverlängernde Maßnahmen ausreichend. Allerdings fehle es (noch) an einer flächendeckenden Infrastruktur. Vorhandenes oder drohendes Leiden könne insoweit oftmals (aber nicht immer) ein Motiv darstellen, wenn es an ausreichenden palliativmedizinischen Optionen mangele. Mit Blick auf die im Rahmen dieser Veranstaltung aufgezeigte Problematik könne er sich ein sog. „Zentrum für Sterbewunsch“ als offiziellen Ansprechpartner für Menschen mit Sterbewunsch vorstellen, das multiprofessionell durch Vertreter der Psychiatrie, Palliativmedizin, Psychologie, Sozialarbeit, Seelsorge und Juristen besetzt ist. Ziel sei die bestmögliche Herstellung von Lebensqualität und Ermittlung des freien Willens. Die Option auf einen assistierten Suizid müsse dabei ebenfalls gewährleistet sein, soweit das fachlich Bestmögliche nicht ausreichend sei und dies dem freien Willen des Betroffenen entspreche. Hierdurch lasse sich jedenfalls vorhandenes Leiden reduzieren, vielleicht auf diesem Weg sogar eine Reduktion der Suizidzahlen erreichen, so Gockel.

An die Vorträge schlossen sich vier parallel laufende Online Workshops an, bei denen die Teilnehmer in kleineren Gruppen die Möglichkeit zumintensiven interdisziplinären Diskurs hatten.

Der erste Workshop wurde von Prof. Dr. jur. Dr. h.c. mult. Paul Kirchhof und Prof. Dr. em. Wilfried Härle geleitet und befasste sich mit dem Thema „Verfassungsrecht und Ethik“ im Kontext des Sterbenwollens. Prof. Dr. jur. Gunnar Duttge und Prof. Dr. med. Giovanni Maio leiteten den zweiten Workshop unter dem Aspekt „Strafrecht und Ethik“. Unter der Federführung von Prof. Dr. med. Hans-Jörg Assion, Ärztlicher Direktor der LWL-Klinik Dortmund und Prof. Dr. Michael von Cranach, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie in München, befasste sich ein weiterer Workshop mit „Suizidalität und Sterbehilfe“. Im Rahmen einer Autorenlesung gab Dr. med. Matthias Gockel im vierten Workshop Einblicke in seine Bücher „Sterben“ und „Sterbehilfe“. Die einzelnen Workshops zeichneten sich durch die Möglichkeit der aktiven Teilnahme aller Beteiligten aus, mit dem erfreulichen Resultat, interessanter und erhellender Debatten.

Die 14. Güstrower Herbstgespräche haben durch eine Bandbreite spannender Vorträge und anschließender Workshop-Blitzlichter inklusive Diskussionsrunde für einen regen interdisziplinären Austausch und Diskurs gesorgt. Sie brachten eine Vielzahl aufschlussreicher Einsichten in Bezug auf die brisante und hochaktuelle Thematik „Wenn Menschen sterben wollen“ zutage. Die Veranstaltung trug insoweit auch ein Stück weit zur Aufklärung der Problematik bei. Angesichts der derzeit bestehenden rechtlichen Unsicherheiten und der Gefahr des Entstehens einer „Suizid-Kultur“ ist es nunmehr Aufgabe des Gesetzgebers, Sterbewilligen wie auch den Sterbehelfern hinreichende Rechtssicherheit zu verschaffen; konkrete gesetzgeberische Lösungen stehen jedoch bislang noch aus (vgl. Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der FDP zum aktuellen Stand: BT-Drs. 19/21373 – Anhang). Denkbar wäre – mit dem Segen des BVerfG – dass es am Ende doch wieder eine (auch) strafrechtliche Teillösung oder eben eine Einbeziehung des Strafrechts zumindest als Annex zu außerstrafrechtlichen Regelungen geben könnte.

 

 

 

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