BGH äußert sich zu Immunität bei Spionagetätigkeiten

Beitrag als PDF Version / Volltext 

Amtliche Leitsätze:  

Die allgemeine Funktionsträgerimmunität gilt bei Spionage und geheimdienstlichen Gewaltakten nicht; § 20 Abs. 2 Satz 2 GVG steht dem nicht entgegen.

Gründe:

I. 

1    Der Beschuldigte ist am 19.6.2024 festgenommen worden und befindet sich seit dem Folgetag ununterbrochen in Untersuchungshaft; zunächst aufgrund eines Haftbefehls des Ermittlungsrichters des BGH vom 20. Juni 2024 (1 BGs 514/24). Dieser Haftbefehl ist durch einen neuen vom 10. Juli 2024 (1 BGs 567/24) ersetzt worden.

weiterlesen …

Völkergewohnheitsrechtliche Exemtionen der allgemeinen Funktionsträgerimmunität abseits des Völkerstrafrechts – Von fremdstaatlicher Spionage und dem deklaratorischen Charakter des § 20 Abs. 2 S. 2 GVG – Anmerkung zu BGH, Beschluss vom 27.8.2024, StB 54/24

von Dr. Svenja Raube, LL.M.

Beitrag als PDF Version

I. Einleitung

Die Reihe spannender höchstrichterlicher Entscheidungen zur Frage der allgemeinen Funktionsträgerimmunität staatlicher Funktionäre reißt nicht ab. Erneut hatte der BGH zu der Frage Stellung zu beziehen, ob der Verfolgung ausländischer Funktionsträger das Verfahrenshindernis der sogenannten funktionellen Immunität entgegensteht. Anders als in den letzten Entscheidungen des BGH zu dieser Frage stand in der vorliegenden Entscheidung allerdings nicht die Begehung einer Völkerstraftat nach dem Völkerstrafgesetzbuch (VStGB), sondern eine Straftat nach dem StGB in Rede, und zwar die geheimdienstliche Tätigkeit nach § 99 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Insoweit hat der BGH seine bisherige Rechtsprechung bekräftigt, wonach die allgemeine völkergewohnheitsrechtliche Funktionsträgerimmunität bei fremdstaatlicher Spionage nicht gilt.

weiterlesen …

Verbesserung des Schutzes vor sexueller Belästigung

Gesetzentwürfe: 

 

Am 24. Oktober 2024 hat das Land Niedersachsen einen Gesetzesantrag zur Verbesserung des Schutzes vor sexueller Belästigung in den Bundesrat eingebracht. Sexuelle Belästigung in Form des als so häufig bezeichneten „Catcalling“ sei nach zahlreichen Studien und Umfragen ein weiterverbreitetes Phänomen, das hauptsächlich Menschen aus dem LGBTQIA+-Personenkreis betreffe. Untersuchungen hätten gezeigt, dass diese Form der Belästigung erhebliche Auswirkungen auf die Lebensgestaltung und die psychische Gesundheit der Betroffenen habe. Der Begriff „Catcalling“ könne unangemessen verniedlichend empfunden werden und es sei zudem herabwürdigend, Betroffene mit Katzen gleichzusetzen. Insofern sei der Begriff zu vermeiden und die erfassten Verhaltensweisen sachlich als nichtkörperliche Belästigung zu bezeichnen. Auch eine solche Form der Belästigung könne in erheblichem Maße das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung verletzen, sei sie auch nach derzeitiger Rechtslage nicht strafbar. Die hohe Anzahl an Fällen mache es unmöglich, sie als Ordnungswidrigkeit zu ahnden, zumal die nicht körperliche Belästigung aktuell weder von § 118 OWiG, noch von § 119 OWiG erfasst werde. Eine Strafbarkeit wegen Beleidigung komme nach der Rechtsprechung des BGH im Einzelfall nur durch das Hinzutreten besonderer Umstände unter Würdigung des Gesamttatgeschehens in Betracht (vgl. BGH, Beschl. v. 16.2.2012 – 3 StR 13/12, NStZ-RR 2012, 206). Gleichwohl seien „Äußerungen wie diejenigen, über die der BGH zu entscheiden hatte, in höchstem Maße sozialschädlich und für das geordnete Zusammenleben der Bevölkerung unerträglich“, so der Entwurf. Daher seien derartige verbale oder vergleichbare nonverbale nichtkörperliche Belästigungen unter Strafe zu stellen. Als Vergleich zieht das Land Niedersachsen die Straftatbestände in den Niederlanden (Art. 429ter Wetboek van Strafrecht), Portugal (Art. 170 Codigo Penal), Belgien (Loi tendant à lutter contre le sexisme dans l’espace public et modifiant la loi du 10 mai 2007 tendant à lutter contre la discrimination entre les femmes et les hommes afin de pénaliser l’acte de discrimination) und in Frankreich (Art. 621-1 Code Penal – jedenfalls Verhängung einer Geldbuße) heran. Die aufgezeigte Strafbarkeitslücke sei auch in Deutschland zu schließen. Der Tatbestand soll dabei so eng gefasst werden, dass er nur tatsächlich strafwürdige Fälle erfasst. Das Erreichen der Erheblichkeitsschwelle sei jedoch nur im jeweiligen Einzelfall zu beurteilen. „Je nach Fallkonstellation dürfte jedoch ein einfaches sexuell motiviertes Anstarren oder ein isoliertes sexuell konnotiertes Erzeugen von Kuss- oder Pfeifgeräuschen regelmäßig nicht vom Tatbestand umfasst sein.“

Dem bisherigen § 184i Abs. 1 StGB soll daher ein neuer Absatz 1 vorangestellt werden:

„Wer eine andere Person in sexuell bestimmter Weise verbal oder nonverbal erheblich belästigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wenn nicht die Tat in anderen Vorschriften dieses Abschnitts mit schwererer Strafe bedroht ist.“ 

Am 22. November 2024 hat sich der Bundesrat in seiner Plenarsitzung erstmals mit dem Gesetzesantrag Niedersachsens beschäftigen und ihn im Anschluss an die Sitzung zur weiteren Beratung an den federführenden Rechtsausschuss überwiesen. Zum Thema Catcalling siehe auch: Eisele, KriPoZ 2023, 230 ff.; Schmidt, KriPoZ 2023, 235 ff.; Greven/Goede/Brodtmann, KriPoZ 2022, 371 ff.; Hoven/Rubitzsch/Wiedmer, KriPoZ 2022, 175 ff.; Gemmel/Immig, KriPoZ 2022, 83 ff.

 

 

Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs

Gesetzentwürfe: 

 

Eine fraktionsübergreifende Gruppe Abgeordneter hat am 14. November 2024 einen Gesetzentwurf zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs auf den Weg gebracht. Auf dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) beruhe eine staatliche Pflicht, das ungeborene Leben ab dem Zeitpunkt der Nidation zu schützen. Dieses Grundrecht sei aber in einen verhältnismäßigen Ausgleich mit dem Grundrecht der Schwangeren zu bringen, auf deren Seite insbesondere das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) betroffen ist. „Dieses Grundrecht gewährleistet umfassend die Selbstbestimmung über die persönliche Lebensgestaltung und umfasst damit auch ‚die Selbstverantwortung der Frau […], sich gegen eine Elternschaft und die daraus folgenden Pflichten zu entscheiden‘ (BVerfGE 39, 1, 43).“ Darüber hinaus werde auch das Leben, die körperliche Unversehrtheit und die Gesundheit Schwangerer (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) sowie die Intimsphäre tangiert. Zur Rechtfertigung von Eingriffen in diese Grundrechte bedürfe es gewichtiger Gründe. Nach derzeitiger Rechtslage gebe es jedoch Widersprüche, bspw. indem eine Beratungslösung als gesetzliches Verfahren vorgeschrieben sei, das aber nicht zwangsläufig zur Rechtmäßigkeit des Abbruchs führe. Des Weiteren erschwere die 12-Wochen-Frist den Zugang zum Schwangerschaftsabbruch für diejenigen, die sich er kurz vor Ablauf der Frist für einen Abbruch entscheiden oder aufgrund der prekären Versorgungslage keinen rechtzeitigen Abbruch mehr vornehmen lassen können. Schließlich sei auch noch die finanzielle Seite zu betrachten. Da der Schwangerschaftsabbruch nicht regelhaft in Sozialgesetzgebung und Gesundheitssystem verankert sei, gebe es Zugangsbarrieren in Form von fehlender Kostenübernahmen seitens der Krankenversicherungen und unzureichenden Versorgungsangeboten. Aufgrund dieser ganzen Auswirkungen sei die Selbstbestimmung sowie die persönliche Integrität und die körperliche Autonomie Schwangerer eingeschränkt, was zu körperlichen und seelischen Schäden führen könne. Der fraktionsübergreifende Entwurf sieht daher vor, „Regelungen über den Schwangerschaftsabbruch widerspruchsfrei so in die Gesamtrechtsordnung zu integrieren, dass die grundrechtlichen Positionen in einen verhältnismäßigen Ausgleich gebracht werden. Das erfordert die Akzeptanz eigenverantwortlicher Entscheidungen Schwangerer über die Schwangerschaft jedenfalls in den ersten Wochen der Schwangerschaft.“ Als Orientierungsgrundlage dient hauptsächlich der Bericht der Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin

Der Entwurf sieht u.a. vor: 

  • Möglichkeit des rechtmäßigen Abbruchs bis zur 12. SSW, der Abbruch nach der 12. SSW bleibt rechtswidrig, kann aber bei medizinischer Indikation rechtmäßig sein
  • Umsetzung der staatlichen Schutzpflicht durch Unterstützung, Beratung und Zugang zu sozialen Dienstleistungen
  • Schutz mittels strafrechtlicher und ordnungswidrigkeitsrechtlicher Regelungen im Sachregelungszusammenhang innerhalb des Schwangerschaftskonfliktgesetzes
  • Prävention ungewollter Schwangerschaften durch Aufklärung und Verfügbarkeit von Verhütungsmitteln als Teil der Gesundheitsleistungen für Menschen aller Altersgruppen
  • § 218a Abs. 3 StGB wird im Schwangerschaftskonfliktgesetz neu geregelt 
  • § 218 StGB regelt den Schwangerschaftsabbruch gegen oder ohne den Willen der Schwangeren
  • Nichteinhaltung der Voraussetzungen des rechtmäßigen Schwangerschaftsabbruchs strafbewehrt in § 14 SchKG-neu
  • §§ 218b, 218c, 219b StGB werden in das Schwangerschaftskonfliktgesetz übertragen und – soweit erforderlich – zu Bußgeldtatbeständen

 

 

 

KriPoZ-RR 27/2024

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

Amtlicher Leitsatz:

Sogenannte K.O.-Tropfen stellen weder für sich genommen noch bei Verabreichung in einem Getränk, in das sie vorher mit einer Pipette hinein getropft wurde, ein gefährliches Werkzeug im Sinne von § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB dar.

Sachverhalt:

Der Angeklagte und die Lebensgefährtin der Nebenklägerin kannten sich aus der Swinger-Szene, hatten jedoch spätestens seit 2018 oder 2019 keinen sexuellen Kontakt mehr. Die Nebenklägerin und ihre Lebensgefährtin wollten im August 2022 ein Konzert in der Nähe des Wohnortes des Angeklagten besuchen; sie übernachteten an dem Vorabend bei dem Angeklagten, ohne das jedoch der Austausch sexueller Handlungen geplant war.

Im Verlaufe des Abends entschloss sich der Angeklagte dazu, heimlich mittels einer Pipette einige Tropfen Gamma-Butyrolacton (GBL) – sog. K.O.-Tropfen – in die alkoholischen Getränke der Nebenklägerin und ihrer Lebensgefährtin zu geben. Der Plan des Angeklagten war es hierbei, die beiden Personen sexuell zu enthemmen und so dazu zu bringen, sexuelle Handlungen zu vollziehen. Er nahm es billigend in Kauf, dass die Frauen ggf. auch aufgrund der Wirkung des GBL in den Zustand der Bewusstlosigkeit gelangen könnten. Dem Angeklagten war bekannt, dass GBL auch erhebliche die Gesundheit schädigen können. Im Folgenden begannen die Frauen, wechselseitig sexuelle Handlungen aneinander zu vollziehen, bevor der Angeklagte sich beteiligte und anfing, die Nebenklägerin zu küssen und diese in besonders intimen Regionen (Brustbereich, Genitalbereich) zu berühren.

Nachdem die sexuellen Handlungen vollzogen wurden, war die Nebenklägerin zunächst nicht mehr auffindbar; sie wurde jedoch später schlafend und nicht ansprechbar im Garten des Wohnungsgrundes gefunden. Hierbei bestand die Gefahr des Erstickens durch Bewusstlosigkeit.

Das LG hat den Angeklagten wegen besonders schweren sexuellen Übergriffs in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung einer Geldstrafe aus einer rechtskräftigen Vorverurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und fünf Monaten verurteilt.

Entscheidung des BGH:

Die von dem Angeklagten erhobene Revision, die auf die Verletzung materiellen Rechts gerichtet war, hat teilweise Erfolg. Die Verfahrensrüge wurde bereits als unzulässig abgewiesen.

Während der BGH anerkannte, dass die Strafkammer zu Recht von einer Verwirklichung des § 177 Abs. 1 u. 2 Nr. 1 StGB durch das relevante Tatverhalten ausging, so bemängelte der Senat die Wertung, dass bei der Verabreichung von GBL mittels einer Pipette der Qualifikationstatbestand des § 177 Abs. 8 Nr. 1 Alt. 2 StGB (Verwenden eines gefährlichen Werkzeuges) in Betracht komme.

GBL-Tropfen seien kein gefährliches Werkzeug; eine gegenteilige Auslegung überschreite die Grenzen des Wortlautes der Norm. Hierfür spreche der natürliche Sprachgebrauch des Begriffes „Werkzeug“. Als Werkzeug seien allein Gegenstände anerkannt. Flüssigkeiten, wie im hiesigen Fall die GBL-Tropfen, seien jedoch ein Gas und stellen deswegen gerade keinen Gegenstand dar.

Diese Wertung werde auch durch eine systematische Auslegung gestützt. Insbesondere in Bezug auf die Auslegung des Begriffes des gefährlichen Werkzeuges in anderen Vorschriften, wie z.B. § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB, wurde bereits vom BGH entschieden, dass sedierende oder narkotisierende Stoffe gerade keine gefährlichen Werkzeuge darstellen würden. Für den 5. Strafsenat sei nicht ersichtlich, wieso im Rahmen des § 177 Abs. 8 Nr. 1 Alt. 2 StGB eine andere Auslegung des Begriffes „gefährliches Werkzeug“ vorgenommen werden sollte.

Der BGH führt zudem aus, dass sich eine andere Bewertung auch nicht ergebe, soweit auf die Verabreichung der GBL-Tropfen mittels einer Pipette abgestellt werde. Hierzu müsste die Pipette ein gefährliches Werkzeug darstellen. Ein Gegenstand ist „danach gefährlich, wenn er nach Art seiner konkreten Anwendung im Einzelfall geeignet ist, unmittelbar eine erhebliche Verletzung herbeizuführen“. Die Pipette sei jedoch selbst allein als Dosierungshilfe gedacht und sei demnach kein Instrument, das unmittelbar gesundheitsschädigend genutzt werden kann. Eine potenzielle Gefährlichkeit sei einer Pipette nicht originär inhärent. Diese Schlussfolgerung stehe nicht im Widerspruch zu der bisherigen Rechtsprechungslinie zur Einordnung von ätzender Säure als gefährliches Werkzeug iSd § 224 I Nr. 1 StGB. Ätzende Säure sei gerade unmittelbar von außen dazu geeignet, eine erhebliche Verletzung der körperlichen Integrität herbeizuführen – dies sei jedoch mittels K.O.-Tropfen unmöglich.

Dieses Ergebnis wird auch durch die Systematik des § 224 Abs. 1 StGB gestützt, wonach § 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB die Beibringung von gefährlichen bzw. gesundheitsschädlichen Stoffen und allein § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB die Verwendung gefährlicher Werkzeuge regelt. Hierbei stellt der 5. Strafsenat klar, dass die beiden Begehungsvarianten in keinem Spezialitätsverhältnis stehen. Demnach sei ein gesundheitsschädlicher Stoff nicht stets als gefährliches Werkzeug einzustufen. Insbesondere die Gesetzgebungsgeschichte des § 224 StGB und die Abschaffung des § 229 StGB a.F. durch das 6. StrRG sprächen dafür, dass die Variante des § 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht als Auffangtatbestand gedacht war. Diese Folgerungen bzw. Wertungen sind pars pro toto auf § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB anwendbar.

Jedoch sieht der Senat sich nicht imstande, den Schuldspruch zu ändern. Denn, während § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB im hiesigen Fall nicht einschlägig sei, sprächen die tatgerichtlichen Feststellungen dafür, dass hier der Tatbestand des § 177 Abs. 8 Nr. 2b StGB verwirklicht sein könnte. Das LG ging zwar nur von einer rein abstrakten Lebensgefahr aus, jedoch sei es nicht ausgeschlossen, dass das Verhalten eine konkrete Lebensgefahr begründe. Dem Austausch des Qualifikationsmerkmals stehe das Verböserungsverbot nicht entgegen.

KriPoZ-RR 26/2024

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

Redaktioneller Leitsatz:

Insbesondere, wenn trotz einer Stichverletzung am Oberbauch das Opfer sich noch weiter fortbewegt und der Täter das erkennt, kann noch ein unbeendeter Versuch in Betracht kommen; entscheidend ist die subjektive Vorstellung des Täters.

Sachverhalt:

Aufgrund einer vermeintlichen Belästigung zweier Frauen in einer Diskothek entbrannte in dieser eine Schlägerei. Hierbei entschied sich der Angeklagte, nachdem dessen Freund von dem Nebenkläger ins Gesicht geschlagen wurde, auf den herantretenden Bruder des Nebenklägers zu springen, woraufhin beide zu Boden fielen. Im Folgenden zückte der Angeklagte ein Messer und stach dem Bruder des Nebenklägers und auch dem Nebenkläger selbst jeweils in den Oberbauch. Nach dem vollzogenen Stich bewegte sich der Nebenkläger noch einige Momente auf der Tanzfläche, bevor dieser bemerkte, dass er eine erhebliche Verletzung am Oberbauch zugezogen hatte. Sodann setzte sich der Nebenkläger an die Seite der Tanzfläche, bevor der Türsteher den Nebenkläger und dessen Bruder in Richtung des Ausgangs lenkte. Der Nebenkläger und dessen Bruder wurden in ein Krankenhaus verbracht, wo der Bruder jedoch seinen Verletzungen erlag.

Das LG hat den Angeklagten wegen Totschlags in Tateinheit mit Beteiligung an einer Schlägerei und wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Beteiligung an einer Schlägerei zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt.

Entscheidung des BGH:

Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat (Teil-)Erfolg. Der vom Tatgericht entschiedene Schuldspruch ist dahingehend rechtsfehlerhaft, dass die Feststellungen zum strafbefreienden Rücktritt hinsichtlich des Versuchs des Totschlags gegenüber dem Nebenkläger einer rechtlichen Prüfung nicht standhalten.

Grundsätzlich ist für die Bewertung des Rücktritts die subjektive Vorstellung des Täters zum Zeitpunkt der letzten Ausführungshandlung entscheidend (sog. „Rücktrittshorizont“). Soweit der Täter zu diesem Zeitpunkt den Todeseintritt des Opfers schon aufgrund von seiner bisherigen Verhaltensweisen für möglich erachtet, so ist der Versuch beendet. Das LG hat im hiesigen Fall einen beendeten Versuch angenommen, weil der Nebenkläger offensichtlich erhebliche Schmerzen erlitten hatte und von weiteren Kampfhandlungen absah. Bereits die abstrakte Gefährlichkeit der Tathandlung sei ein erhebliches Indiz dafür, dass der Täter dachte, er habe alles Erforderliche für den Erfolgseintritt getan.

Dies sieht der BGH anders. Vielmehr habe das LG keine konkreten Angaben zur Vorstellung des Angeklagten hinsichtlich der Folgen seines Handelns gemacht. Es sei insoweit unklar, ob der Angeklagte wirklich davon ausging, er habe bereits alles Erforderlich getan. Auch die beweiswürdigenden Erwägungen deuten auf eine andere Bewertung hin. Insbesondere habe der Angeklagte die unmittelbare Reaktion des Nebenklägers auf die Stichverletzung beobachtet und dahingehend auch erkannt, dass dieser sich noch bewegte und gerade nicht verletzt zu Boden sank. Gerade dies spreche dafür, dass der Angeklagte den Tod des Opfers aufgrund seiner Handlung nicht für möglich hielt. Letztlich habe das LG auch nicht einen möglichen fehlgeschlagenen Versuch erörtert.

Christian Rückert: Digitale Daten als Beweismittel im Strafverfahren

von Prof. Dr. Anja Schiemann

Beitrag als PDF Version

2023, Mohr Siebeck, ISBN: 978-3-16-162216-8, S. 834, Euro 164,00.

Schon in der Einleitung seiner umfangreichen Habilitationsschrift kritisiert Rückert nicht nur den Mangel an gesetzlichen Dateneingriffsbefugnissen sowie die mangelhafte Systematisierung der bestehenden Dateneingriffsbefugnisse, sondern auch die fehlenden Leitlinien und Auslegungskriterien für die Rechtsanwendung. Letzteres setzt sich die Untersuchung dann auch zum Ziel, nämlich möglichst allgemeingültige Leitlinien und Auslegungskriterien für strafprozessuale Dateneingriffe zur Beweisdatengewinnung herauszuarbeiten. Dabei hat Rückert den Anspruch, dass diese Leitlinien und Kriterien dem Gesetzgeber Hilfestellung bei der Schaffung neuer Normen und einer anzustrebenden Re-Systematisierung der strafprozessualen Dateneingriffsbefugnisse geben und darüber hinaus auch dem Rechtsanwender als Auslegungskriterien für die Anwendung der Befugnisnormen dienen.

weiterlesen …

Modernisierung des Computerstrafrechts

Gesetzentwürfe: 

 

Am 4. November 2024 hat das BMJ einen Referentenentwurf zur Modernisierung des Computerstrafrechts auf den Weg gebracht. Infolge fortschreitender Digitalisierung, müsse der Gesetzgeber darauf achten, das Computerstrafrecht entsprechend zu modernisieren, um den angestrebten Rechtsgüterschutz aufrechtzuerhalten und zu verbessern. Die IT-Sicherheit sei „die Achillesferse der Informationsgesellschaft“, so der Entwurf. Daher habe es größte Bedeutung, Sicherheitslücken zu schließen, um Cyberangriffe abzuwehren. Problematisch sei aber insofern, dass die IT-Sicherheitsforschung beim Aufspüren von Sicherheitslücken regelmäßig den Zugriff auf fremde Informationssysteme und Daten notwendig mache, die sich bereits im praktischen Einsatz befinden würden. Dies berge Strafbarkeitsrisiken, da solche Zugriffshandlungen Straftatbestände erfüllen könnten, die dem Schutz des formellen Datengeheimnisses oder der Unversehrtheit von Daten und IT-Systemen dienten (§§ 202a ff., 303a f. StGB). Des Weiteren bilde das aktuelle Strafrecht die Gefährlichkeit und das hohe Schadenspotential von Computerdelikten nicht mehr ab. Der Entwurf sieht daher vor, eine klare Abgrenzung zwischen nicht zu missbilligendem Handeln der IT-Sicherheitsforschung und strafwürdigem Verhalten zu treffen. So soll bei der Beeinträchtigung kritischer Infrastruktur ein entsprechend höherer Strafrahmen angesetzt und im Rahmen der §§ 202a und 202b StGB Regelbeispiele für besonders schwere Fälle eingefügt werden. 

§ 202a werden die folgenden Absätze 3 und 4 angefügt:

(3) „ Die Handlung ist nicht unbefugt im Sinne des Absatzes 1, wenn

1. sie in der Absicht erfolgt, eine Schwachstelle oder ein anderes Sicherheitsrisiko eines informationstechnischen Systems (Sicherheitslücke) festzustellen und die für das informationstechnische System Verantwortlichen, den betreibenden Dienstleister des jeweiligen Systems, den Hersteller der betroffenen IT-Anwendung oder das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik über die festgestellte Sicherheitslücke zu unterrichten und

2. sie zur Feststellung der Sicherheitslücke erforderlich ist.

(4) In besonders schweren Fällen des Absatzes 1 ist die Strafe Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1. einen Vermögensverlust großen Ausmaßes herbeiführt,

2. aus Gewinnsucht oder gewerbsmäßig handelt oder als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von solchen Taten verbunden hat oder

3. durch die Tat die Verfügbarkeit, Funktionsfähigkeit, Integrität, Authentizität oder Vertraulichkeit einer kritischen Infrastruktur*) oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder beeinträchtigt.“

 

Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann erklärt dazu:
„Wer IT-Sicherheitslücken schließen möchte, hat Anerkennung verdient – nicht Post vom Staatsanwalt. Denn Sicherheitslücken in IT-Systemen können in unserer vernetzten Welt dramatische Folgen haben. Cyberkriminelle und fremde Mächte können IT-Sicherheitslücken als Einfallstore nutzen. Krankenhäuser, Verkehrsunternehmen oder Kraftwerke können so lahmgelegt werden; persönliche Daten können ausspioniert, Unternehmen können ruiniert werden. Es ist deshalb im gesamtgesellschaftlichen Interesse, dass IT-Sicherheitslücken aufgedeckt und geschlossen werden. Mit dem Gesetzentwurf werden wir Strafbarkeitsrisiken für Personen ausschließen, die sich dieser wichtigen Aufgabe annehmen. Gleichzeitig werden wir die Strafen für besonders gefährliche Fälle des Ausspähens und Abfangens von Daten anheben.“

 

 

 

 

 

 

 

Matthias Schaum: Das Recht des mittellosen Beschuldigten auf unentgeltlichen Verteidigerbeistand

von Prof. Dr. Anja Schiemann

Beitrag als PDF Version

2023, Verlag Duncker & Humblot, ISBN: 978-3-428-18805-05, S. 297, Euro 89,90.

Anlässlich der Vorgaben der Prozesskostenhilfe-Richtlinie hat der Gesetzgeber mit Wirkung vom 13.12.2019 die notwendige Verteidigung grundlegend reformiert (BGBl. I, S. 2128). Die Dissertation von Schaum geht der Frage nach, ob diese Reform den Vorgaben der Europäischen Menschenrechtskonvention, der Grundrechte-charta, der Prozesskostenhilfe-Richtlinie und dem Grundgesetz bezüglich des Rechts auf unentgeltlichen Verteidigerbeistand entspricht. Um dies zu untersuchen, wird rechtsvergleichend auch auf die einschlägigen Bestimmungen des österreichischen Strafprozessrechts Bezug genommen.

weiterlesen …

Unsere Webseite verwendet sog. Cookies. Durch die weitere Verwendung stimmen Sie der Nutzung von Cookies zu. Informationen zum Datenschutz

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen.
Wenn Sie diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwenden oder auf "Akzeptieren" klicken, erklären Sie sich damit einverstanden.

Weitere Informationen zum Datenschutz entnehmen Sie bitte unserer Datenschutzerklärung. Hier können Sie der Verwendung von Cookies auch widersprechen.

Schließen