KriPoZ-RR, Beitrag 49/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 10.06.2020 – 3 StR 52/20: Strafbarkeit wegen Verstoßes gegen Vereinsverbot setzt Kenntnis des Verbots voraus

Amtlicher Leitsatz:

Der für eine Strafbarkeit wegen Zuwiderhandlung gegen ein vereinsrechtliches Betätigungsverbot erforderliche mindestens bedingte Vorsatz muss sich auf die Existenz des gegen den ausländischen Verein verfügten vollziehbaren Verbots erstrecken. Dies setzt voraus, dass der Täter – zumindest in laienhafter Parallelwertung – eine hinreichend deutliche Vorstellung davon hat. Der Irrtum über das Bestehen des Verbots ist daher Tatbestandsirrtum, nicht Verbotsirrtum.

Sachverhalt:

Das LG Berlin hat den Angeklagten vom Vorwurf der Zuwiderhandlung gegen ein vereinsrechtliches Betätigungsverbot gem. § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 i.V.m. § 18 Satz 2 VereinsG freigesprochen.

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hatte sich der Angeklagte einem spontanen Aufzug gegen die Bombardierung kurdischer Städte durch das türkische Militär angeschlossen. Mehrere Teilnehmer der Demonstration, unter ihnen auch der Angeklagte, hatten daraufhin mehrmals „PKK“ skandiert. Die als „PKK“ bezeichnete „Arbeiterpartei Kurdistans“ war am 22. November 1993 vom Bundesinnenministerium verboten worden. Das LG konnte beim Angeklagten keine Kenntnis darüber nachweisen, „dass die PKK in Deutschland verboten und das Rufen von ‚PKK‘ nicht erlaubt ist“. Daher sprach es ihn mangels Vorsatzes (§ 16 Abs. 1 StGB) vom Tatvorwurf frei.

Entscheidung des BGH:

Der BGH bestätigte das Urteil des LG.

Zwar könne eine Zuwiderhandlung gegen ein vereinsrechtliches Betätigungsverbot nach §§ 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, 18 Satz 2 VereinsG schon in einem propagandistischen Tätigwerden für den Verein gesehen werden. Allerdings sei dafür ein vorsätzliches Verhalten und somit zumindest dolus eventualis bezüglich aller Tatbestandsmerkmale erforderlich, so der BGH.

Bei § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VereinsG handele es sich um ein Blankettstrafgesetz. Bei solchen sei allgemein anerkannt, dass die Unkenntnis der tatsächlichen Umstände, die den zusammenzulesenden Tatbestand aus Blankett und blankettausfüllender Norm ausfüllten, einen Tatbestandirrtum i.S.d. § 16 Abs. 1 StGB begründe. Irre der Täter jedoch über Bestehen, Gültigkeit, Anwendbarkeit, Inhalt oder Reichweite der blankettausfüllenden Norm, so handele er in einem Verbotsirrtum nach § 17 StGB. In Fällen bei denen sich das Blankett jedoch nicht auf eine andere gesetzliche oder untergesetzliche Norm sondern ein durch Verwaltungsakt behördlich verfügtes Verbot beziehe, müsse die Existenz dieser Verbotsverfügung vom Vorsatz des Täters, zumindest in laienhafter Parallelwertung, umfasst sein. Dies gelte auch in vergleichbaren Konstellationen, wie beispielsweise für das Fahren ohne Fahrerlaubnis nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG bei gerichtlichem oder behördlichem Fahrverbot oder dem Verstoß gegen ein strafrechtliches Berufsverbot (§ 145c StGB).

Eine positive Kenntnis des Täters vom Vereinsverbot sei jedoch nicht erforderlich, so der BGH.

 

Anmerkung der Redaktion:

Erst am 13. Juni 2019 hatte der BGH entschieden, dass es für einen Verstoß gegen ein vereinsrechtliches Betätigungsverbot ausreiche, wenn das Täterhandeln konkret geeignet sei, eine für die verbotene Vereinstätigkeit vorteilhafte Wirkung hervorzurufen; auf die Feststellung eines tatsächlich eingetretenen messbaren Nutzens komme es nicht an. Die Entscheidung finden Sie hier.

 

 

 

KriPoZ-RR, Beitrag 11/2019

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BVerfG, Beschl. v. 02.07.2019 – 1 BvR 1099/16: Verbot des Vereins Gremium Motorcycle Club und seiner Ortsgruppen ist verfassungsgemäß

Leitsätze der Redaktion:

  1. Die Merkmale der Legaldefinition des § 2 Abs. 1 VereinsG sind weit auszulegen und umschreiben im Einklang mit Art. 9 Abs. 1 und 2 GG den Begriff der Vereinigung.
  2. Ein formaler konstitutiver Akt ist für eine Einordnung als Verein nicht erforderlich. Es genügt eine faktische Unterwerfung unter eine Organisationsstruktur, die eine organisierte Willensbildung ermöglicht.
  3. Eine einzelne strafrechtliche Verurteilung ist keine notwendige Voraussetzung für den Verbotstatbestand des Art. 9 Abs. 2 Var. 1 GG, sie kann aber für eine Rechtfertigung genügen, wenn sie hinreichend schwer wiegt.

Sachverhalt:

Das Bundesministerium des Innern hat den Regionalverband Gremium Motorcycle Club Sachsen und seine Ortsgruppen mit Verfügung vom 28. Mai 2013 verboten, weil Zweck und Tätigkeiten den Strafgesetzen zuwiderliefen. Dieses Verbot ist vom BVerwG am 7. Januar 2016 bestätigt worden.

Nach den Feststellungen des BVerwG kam es zu einem versuchten Tötungsdelikt durch die Mitglieder der Ortsgruppen, welches sich auch für den Regionalverband erkennbar als Clubangelegenheit herausstellte. Dennoch habe es der Beschwerdeführer unterlassen Sanktionen gegenüber den beteiligten Mitgliedern zu verhängen.

Entscheidung des BVerfG:

Das BVerfG nahm die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an.

Die vom Beschwerdeführer gerügten Verletzungen von Art. 103 GG und Art. 9 Abs. 1 GG seien teils unzulässig und teils unbegründet.

Die Rüge einer Verletzung von Art. 103 GG sei nicht hinreichend substantiiert begründet und damit unzulässig.

Der vom Beschwerdeführer vorgebrachte Einwand, der Regionalverband sei als Beschwerdeführer fingiert worden, um alle Ortsgruppen verbieten zu können, sei zudem nicht tragfähig, so das BVerfG. Die Merkmale der Legaldefinition eines Vereins aus § 2 Abs. 1 VereinsG seien eine verfassungsgemäße Umschreibung der Vereinigung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 GG und weit auszulegen, um den Schutz des Art. 9 Abs. 2 GG vor einem Verbot auf möglichst viele Vereinigungen zu erstrecken.

Aufgrund dieser weiten Auslegung genüge schon eine faktische Unterwerfung unter eine autoritäre Organisationsstruktur, die eine organisierte Willensbildung ermögliche, um als Verein zu gelten. Ein formaler konstitutiver Akt sei nicht erforderlich. Diese faktische Unterwerfung habe das BVerwG nachvollziehbar in dem Verhältnis zwischen den Ortsverbänden und dem Regionalverband festgestellt, z.B. anhand der Wahl eines Regionalsprechers und der Abhaltung von Regionalversammlungen.

Inhaltlich sei das Verbot durch Art. 9 Abs. 1 Var. 1 GG gerechtfertigt, wenn Zweck oder Tätigkeit der Vereinigung den Strafgesetzen zuwiderliefen, wenn also Organe, Mitglieder oder auch Dritte Strafgesetze verletzen und dies der Vereinigung zuzurechnen sei, weil sie erkennbar für die Vereinigung aufträten und diese das zumindest billige, oder weil die Begehung durch die Vereinigung bewusst hervorgerufen oder bestärkt, ermöglicht oder erleichtert werde.

Der tatsächliche Nachweis einer konkreten von der Vereinigung geplanten oder gebilligten Tat sei nicht erforderlich. An strafrechtliche Verurteilungen sei das Vereinigungsverbot als eigenständiges präventives Mittel des Verfassungsschutzes gerade nicht gebunden. Es genüge, dass das Tatgericht feststelle, dass die Führungspersonen der Vereinigung in den Entscheidungsprozess miteinbezogen gewesen seien. Dies habe das BVerwG im vorliegenden Fall nachvollziehbar begründet.

Grundsätzlich sei es jedoch möglich, dass eine einzelne Straftat ein Verbot der Vereinigung rechtfertige, wenn diese hinreichend schwer wiege und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt bleibe.

Anmerkung der Redaktion:

Die Pressemitteilung des BVerfG finden Sie hier.

 

KriPoZ-RR, Beitrag 10/2019

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BVerfG, Beschl. v. 02.07.2019 – 1 BvR 385/16Verbot des Vereins Farben für Waisenkinder e.V. ist verfassungsgemäß

Leitsatz der Redaktion:

Ein Vereinsverbot gemäß Art. 9 Abs. 2 GG ist auch dann verfassungsgemäß, wenn die Vereinigung terroristische Handlungen Dritter oder andere Organisationen finanziell fördert, diese Förderung geeignet ist, den Gedanken der Völkerverständigung schwerwiegend, ernst und nachhaltig zu beeinträchtigen und die Vereinigung dies weiß und zumindest billigt.

Sachverhalt:

Das Bundesministerium des Innern hat den Verein Farben für Waisenkinder e.V. mit Verfügung vom 2. April 2014 verboten, weil er sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung richte. Dieses Verbot ist vom BVerwG am 16. November 2015 bestätigt worden. Nach den Feststellungen des BVerwG hatte der Beschwerdeführer über einen langen Zeitraum und in erheblichem Umfang die Shahid Stiftung aus dem Libanon finanziell unterstützt. Diese sei in die Strukturen der Hisbollah eingebunden und unterstütze somit die gewaltsamen Aktivitäten der Hisbollah gegen Israel.

Entscheidung des BVerfG:

Das BVerfG nahm die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an.

Die vom Beschwerdeführer gerügten Verletzungen von Art. 9 Abs. 1 GG und Art. 4 Abs. 1 und 2 GG seien teils unzulässig und teils unbegründet.

Der Verein könne sich nicht auf Art. 4 Abs. 1 und 2 GG berufen, so das BVerfG, da insoweit die Anforderungen an das Begründungserfordernis der §§ 23 Abs. 1 Satz 2, 92 BVerfGG nicht erfüllt seien. Der Beschwerdeführer sei zwar erkennbar in einem religiösen Kontext tätig, daraus ergebe sich aber nicht zwingend, dass der Verein als solcher und seine Vereinstätigkeit religiös ausgerichtet sei.

Darüber hinaus sei der Eingriff in Art. 9 Abs. 1 GG gerechtfertigt.

Ein Vereinigungsverbot nach Art. 9 Abs. 2 Var. 3 GG sei gerechtfertigt, wenn die Vereinigung in den internationalen Beziehungen Gewalt oder vergleichbar schwerwiegende völkerrechtswidrige Handlungen aktiv propagiere und fördere. Ein solches tatbestandliches Verhalten könne auch mittelbar durch die finanzielle Förderung von Organisationen stattfinden, die terroristisch aktiv sind. Dafür müsse die Förderung objektiv geeignet sein, den Gedanken der Völkerverständigung schwerwiegend, ernst und nachhaltig zu beeinträchtigen und die unterstützende Organisation müsse dies wissen und billigen.

Dass die Shahid Stiftung eine solche terroristisch aktive Organisation sei und die Spenden somit auch geeignet gewesen seien, den Gedanken der Völkerverständigung schwerwiegend, ernst und nachhaltig zu beeinträchtigen, habe das BVerwG nachvollziehbar dargelegt. Somit sei auch der Art. 9 Abs. 2 GG als sog. verfassungsunmittelbare Schranke hinreichend eng ausgelegt worden, was der Beschwerdeführer gerügt hatte.

Zudem habe das BVerwG beachtet, dass ein Vereinigungsverbot als ultima ratio nur verhältnismäßig sei, wenn die Gründe für das Verbot die Vereinigung in ihren Grundsätzen prägten und die völkerverständigungsfeindliche Ausrichtung hinreichend schwer wiege.

Auch diese Feststellung habe die Vorinstanz ohne Verfassungsverstoß getroffen.

Anmerkung der Redaktion:

Die Pressemitteilung des BVerfG finden Sie hier.

KriPoZ-RR, Beitrag 09/2019

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 02.05.2019 – 3 StR 47/19: Strafbarkeit nach § 20 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. § 9 Abs. 3 VereinsG auch möglich, wenn der Angeklagte keine persönliche Beziehung zu dem verbotenen Verein unterhalten hat

Leitsatz der Redaktion:

§ 9 Abs. 3 VereinsG (nF) ist auch einschlägig, wenn der Beschuldigte keine persönlichen Beziehungen zu dem verbotenen Verein unterhalten oder sich nicht schon durch eine Mitgliedschaft strafbar gemacht hat.

Sachverhalt:

Das LG Bochum hat den Angeklagten wegen des öffentlichen Verwendens von Kennzeichen eines verbotenen Vereins in im Wesentlichen gleicher Form gem. § 20 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. § 9 Abs. 3 VereinsG verurteilt.

Er hatte auf dem Rücken an seiner Lederweste das Zeichen und den Schriftzug der Rockergruppierung „Bandidos“ angebracht und um einen sog. Bottom-Rocker mit seiner Ortsbezeichnung ergänzt. Dabei war ihm bewusst, dass andere Ortsgruppen der „Bandidos“ bereits verboten worden waren, was allerdings für seine Ortsgruppe noch nicht galt.

Entscheidung des BGH:

Der BGH verwarf die Revision gegen das Urteil des LG Bochum als unbegründet. Zur Begründung führte er an, dass durch die Zweite Änderung des VereinsG am 10. März 2017 das subjektive Merkmal des Teilens der Zielrichtung des verbotenen Vereins weggefallen sei. Dies lasse eindeutig auf den Willen des Gesetzgebers schließen, dass der Angeklagte für eine Strafbarkeit gerade keine persönliche Beziehung zu dem verbotenen Verein unterhalten und erst recht keine Mitgliedschaft in dem Verein pflegen müsse.

Durch die Einführung der Legaldefinition der Verwendung in im Wesentlichen gleicher Form in § 9 Abs. 3 Satz 2 VereinsG zeige sich zudem, dass schon die Ergänzung eines verbotenen Vereinskennzeichens um eine Ortsbezeichnung vom Verbot erfasst werden solle.

Abschließend bemerkte der Senat, dass die Gesetzesnovellierung nicht zu einer Aufhebung der Akzessorietät zwischen Vereins- und Kennzeichenverbot führe, da der Gesetzeszweck nur die Verwendung der Kennzeichen des verbotenen Vereins verfolge. Damit sei der Straftatbestand des § 20 Abs. 1 Nr. 5 VereinsG auch in Verbindung mit dem Verbot des § 9 Abs. 3 VereinsG nicht verfassungswidrig.

Anmerkung der Redaktion:

Der Gesetzgeber hatte das Vereinsrecht Anfang 2017 geändert, um genau solche Fälle besser erfassen zu können. Weitere Informationen zur Gesetzesnovellierung erhalten Sie hier.

 

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