Gesetzentwürfe:
- Referentenentwurf des BMJV vom 29. Mai 2016
- Regierungsentwurf vom 14. Dezember 2016
- Regierungsentwurf vom 22. Februar 2017: BT Drs. 18/11277
Empfehlungen der Ausschüsse: BR Drs. 796/1/16
Stellungnahme des Bundesrates vom 10. Februar 2017: BR Drs. 796/16
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses: BT Drs. 18/12785
Gesetzesbeschluss des Bundestages: BR Drs. 527/17
Empfehlungen der Ausschüsse: BR Drs. 527/1/17
Gesetzesinitiativen auf Länderebene:
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Gesetzesantrag des Landes Baden-Württemberg zur Erweiterung des Umfangs der Untersuchungen von DNA-fähigem Material: BR Drs. 117/17
Anlagen:
Im Oktober letzten Jahres hatte die von Heiko Maas einberufenen Expertenkommission zur Reform des Strafverfahrens ihren umfangreichen Abschlussbericht vorgelegt. Am 27.5.2016 wurden einige der Empfehlungen im Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens umgesetzt.
Der Referentenentwurf führt eine einzelfallbezogene Erscheinenspflicht von Zeugen bei der Polizei, Änderungen im Befangenheitsrecht und die Möglichkeit einer Fristsetzung im Beweisantragsrecht ein. Des Weiteren ist eine „moderat(e)“ Erweiterung des Einsatzes audiovisueller Aufzeichnungen von Vernehmungen im Ermittlungsverfahren vorgesehen. Daneben sollen Beschuldigtenrechte gestärkt werden. Ebenfalls vorgesehen sind Anpassungen der §§ 81e und 81h StPO, um die Erfassung von sog. DNA-Beinahetreffern bei der DNA-Reihenuntersuchung zu ermöglichen. Nach dem Fall der getöteten Studentin in Freiburg wurden Stimmen laut, die Auswertung von DNA Spuren noch umfassender zu erweitern. Bislang darf das DNA Material nicht auf Merkmale wie Augen-, Haar- oder Hautfarbe analysiert werden, auch wenn sich die Suche nach dem Täter dadurch eingrenzen ließe. Justizminister Heiko Maas will das Thema auf der nächsten Justizministerkonferenz zur Sprache bringen.
Am 14. Dezember hat die Bundesregierung schließlich den vom BMJV vorgelegten Entwurf eines Gesetzes zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens beschlossen.
Am 3. Februar 2017 beantragte das Land Baden-Württemberg (BR Drs. 117/17) die Änderung der strafprozessualen Vorschrift zur molekulargenetischen Untersuchung (§ 81e StPO). Dies ist die erste konkrete Initiative um die zulässigen Feststellungsmöglichkeiten auf Augen-, Haar- oder Hautfarbe sowie biologisches Alter zu erweitern. Der Gesetzantrag wird durch das Land Bayern unterstützt.
In seiner Sitzung vom 10. Februar 2017 hat der Bundesrat zum Gesetzentwurf der Bundesregierung Stellung genommen. Dabei ging der Bundesrat auch auf die Möglichkeit zur Änderung der strafprozessualen Vorschrift zur molekulargenetischen Untersuchung (§ 81e StPO) ein.
Am 9. März 2017 hat der Bundestag nach erster Beratung den Gesetzentwurf der Bundesregierung (BT Drs. 18/11277) zur federführenden Beratung an den Rechtsausschuss überwiesen. Dort fand am 29. März 2017 eine öffentliche Anhörung statt. Eine Liste der Sachverständigen und ihre Stellungnahmen finden Sie hier.
Im Mittelpunkt der Anhörung stand der Aspekt der vermehrte Videoaufzeichnung von Vernehmungen. Ganz überwiegend stieß diese bei den Sachverständigen auf Zustimmung. Die Videoaufzeichnung ist derzeit nur bei Vernehmungen von Zeugen in Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs möglich. Nach dem Gesetzentwurf soll es in Zukunft eine verpflichtende Videoaufzeichnung von Beschuldigtenvernehmungen in Ermittlungsverfahren bei Tötungsdelikten geben oder in Fällen, in denen der Beschuldigte besonders schutzbedürftig sei. Dies soll der Optimierung der Wahrheitsfindung dienen und ggf. eine persönliche Ladung von Zeugen zur Hauptverhandlung verzichtbar machen. Die Sachverständigen begrüßten die angestrebte Neuregelung. Gerade in Fällen des sexuellen Missbrauchs sei es deswegen seltener zu Revisionsverfahren gekommen. Des Weiteren gebe es für die Vernehmungsprotokolle keinen Qualitätsmaßstab, was in der Hauptverhandlung gelegentlich zu Beweisproblemen führe. Zwei der Sachverständigen sprachen sich sogar dafür aus, die Videoaufzeichnung nicht nur auf die Tötungsdelikte zu beschränken, sondern auf alle Vernehmungen zu erstrecken. Gegenstimmen sind jedoch der Meinung, dass ein solches Vorgehen nicht der Verfahrensbeschleunigung diene und der Einsatz von Videotechnik bei der Vernehmung in das Ermessen der Vernehmungsperson zu stellen sei. Der Beschuldigte produziere bei der Aufzeichnung ein zusätzliches Beweismittel und schränke damit auch seine Verteidigungsmöglichkeit ein.
Ein weiterer zentraler Aspekt der Anhörung war die Möglichkeit von Verzögerungen des Hauptverfahrens durch Befangenheitsanträge. Dies wurde durch die Sachverständigen unterschiedlich bewertet, was nicht zuletzt auch an den verschiedenen Rollen von Richtern und Anwälten lag. Während die Sachverständigen auf der einen Seite darin eine sinnvolle Regelung sahen, um eine bewusste Verzögerung des Verfahrens durch schubweise eingebrachte Beweisanträge zu verhindern, sahen sie auf der anderen Seite darin eine Beschneidung eines ganz wesentlichen Instruments der Verteidigung.
Am 22. Juni 2017 wurde der Regierungsentwurf (BT Drs. 18/11277) in der geänderten Fassung des Rechtsausschusses (BT Drs. 18/12785) in der zweiten und dritten Lesung gegen das Votum der Opposition und zweier SPD-Abgeordneter beschlossen. Der Regierungsentwurf „zur Änderung des Strafgesetzbuchs, des Jugendgerichtsgesetzes, der Strafprozessordnung und weiterer Gesetze“ (BT Drs. 18/11272) wurde einvernehmlich für erledigt erklärt. Die dort angestrebten Änderungen wurden in den ersteren Gesetzentwurf übernommen.
Konkret wurde beschlossen, die Gerichte und Staatsanwaltschaften zu entlasten um „eine funktionstüchtige Strafrechtspflege zu gewährleisten, ohne die der Gerechtigkeit nicht zum Durchbruch verholfen werden kann“. Dazu wird bspw. die Nötigung zum Privatklagedelikt.
In Ermittlungsverfahren werden die Zeugen nun verpflichtet bei der Polizei zu erscheinen. Zwecks einer verbesserten Dokumentation werden Vernehmungen in Zukunft vermehrt aufgezeichnet. Dies soll die Wahrheitsfindung optimieren und das Erscheinen von Zeugen vor Gericht u.U. nicht erforderlich machen. Dies beschleunige das Verfahren, ebenso, wie die künftige alleinige Zuständigkeit zur Bestellung von Pflichtverteidigern durch den Ermittlungsrichter.
Des Weiteren sollen mehrere Änderungen helfen, dass Hauptverfahren schneller durchführen zu können. Befangenheitsanträge kurz vor Beginn der Hauptverhandlung schließen den abgelehnten Richter zunächst nicht mehr aus. Auch das Beweisantragsrecht erfährt Neuerungen um eine Konfliktverteidigung zu vermeiden, wird aber nicht eingeschränkt.
Die vehement geforderte Erweiterung der DNA-Analyse ist nun ebenfalls beschlossene Sache. In Zukunft werden auch Beinahetreffer, die ein Verwandtschaftsverhältnis aufzeigen, als Beweismittel verwendbar sein.
Aber nicht nur das Hauptverfahren wird vereinfacht. An vielen Stellen werden auch die Revisions- und Strafvollstreckungsverfahren modifiziert und damit beschleunigt.
Hinsichtlich des für erledigt erklärten Gesetzentwurfs wurden folgende Teile in das beschlossene Änderungsgesetz aufgenommen:
Das Fahrverbot ist künftig auch im Bereich der kleineren und mittleren Kriminalität als Nebenstrafe möglich, auch wenn das begangene Delikt nicht im Zusammenhang mit dem Führen von Kraftfahrzeugen steht. Zur Bekämpfung der Schwarzarbeit und der illegalen Beschäftigung wird § 266a StGB um zwei Regelbeispiele für besonders schwere Fälle erweitert. Zum Schutz der Umwelt wird nun das „leichtfertige Töten und Zerstören von streng geschützten wildlebenden Tier- und Pflanzenarten und von bestimmten besonders geschützten wildlebenden Vogelarten“ unter Strafe gestellt.
Der zuletzt in der öffentlichen Anhörung vom 30. Mai 2017 sehr umstrittene Einsatz von Spionage-Software zwecks Quellen-TKÜ und Onlinedurchsuchung wird nun ebenfalls gesetzlich verankert.
Verfahrensrechtlich besteht für Bewährungshelfer demnächst die Möglichkeit, wichtige Erkenntnisse über einen Verurteilten an die Polizei und andere staatliche Stellen weiterzuleiten.
Am 7. Juli 2017 hat der Bundesrat in seiner Plenarsitzung die umfangreichen Änderungen im Straf- und Strafprozessrecht gebilligt, die der Bundestag zuvor am 22. Juni 2017 beschlossen hatte.
Das Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens vom 17. August 2017 wurde am 23. August im Bundesgesetzblatt verkündet. Es tritt vorbehaltlich des Art. 3 Nr. 17 lit. b und Nr. 23 tritt am Tag nach seiner Verkündung in Kraft. Art. 3 Nr. 17 lit. b und Nr. 23 tritt am 1. Januar 2020 in Kraft.
Am 8. November 2017 wurde eine Berichtigung des Gesetzes zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens im Bundesgesetzblatt verkündet.