Zu den Kommentaren springen

KriPoZ-RR, Beitrag 22/2020

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

EuGH, Urt. v. 03.03.2020 – C‑717/18: Vollstreckungsstaat hat bei Prüfung der Voraussetzungen eines EuHB die im Tatzeitpunkt geltenden Normen des Ausstellungsstaates heranzuziehen

Amtlicher Leitsatz:

Art. 2 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten ist dahin auszulegen, dass die vollstreckende Justizbehörde bei der Prüfung, ob die Straftat, wegen der ein Europäischer Haftbefehl ausgestellt worden ist, im Ausstellungsmitgliedstaat nach der Ausgestaltung in dessen Recht mit einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung im Höchstmaß von mindestens drei Jahren bedroht ist, das Recht des Ausstellungsmitgliedstaats in der für die Handlungen, die zu der Rechtssache geführt haben, in deren Rahmen der Europäische Haftbefehl erlassen wurde, geltenden Fassung heranzuziehen hat.

Sachverhalt:

Der Appellationshof in Gent, Belgien hat dem EuGH zur Vorabentscheidung die Frage vorgelegt, auf welchen Zeitpunkt für die Beurteilung des Strafmaßes im Rahmen der Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls (EuHB) abzustellen sei. Denn gem. Art. 2 des Rahmenbeschlusses 2002/584 sei die beiderseitige Strafbarkeit als Vollstreckungsvoraussetzung ab einer maximalen Strafandrohung von drei Jahren nicht mehr vom Vollstreckungsstaat zu prüfen.

Anlass zu dieser Frage hatte ein Vollstreckungsverfahren auf Betreiben des spanischen Nationalen Gerichtshofs gegeben.

Das Gericht hatte von den zuständigen belgischen Behörden die Festnahme und Überstellung eines spanischen Rappers gefordert, der in Spanien rechtskräftig wegen Verherrlichung des Terrorismus und der Erniedrigung seiner Opfer zu der im Verurteilungszeitpunkt maximalen Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt worden war. Die Vollstreckung hatte das zuständige Gericht der ersten Instanz abgelehnt, da die gegenseitige Strafbarkeit nicht gegeben gewesen sei.

Nach der Verurteilung des Angeklagten, aber noch vor Ausstellung des EuHB, war die maximale Strafandrohung des Tatbestands in Spanien auf drei Jahre Freiheitsstrafe erhöht worden, sodass bei Heranziehung dieser Strafandrohung die beiderseitige Strafbarkeit vom erstinstanzlichen Gericht in Belgien nicht mehr zu prüfen gewesen wäre.

Entscheidung des EuGH:

Der EuGH entschied, dass die maßgebliche Strafandrohung der Norm zu entnehmen sei, die im Tatzeitpunkt gegolten habe.

Zunächst gebe die Zeitform, in der die Regelung des Rahmenbeschluss abgefasst worden sei, keinen Aufschluss über den maßgeblichen Zeitpunkt, da das Indikativ Präsens generell in den Regelungen verwendet werde, um deren Geltungsanspruch hervorzuheben, so der EuGH.

Weiter führt der Gerichtshof aus, dass sich aus dem Wortlaut des Art. 2 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses klar ergebe, dass zur Prüfung des Mindestmaßes von vier Monaten allein auf das Recht des Ausstellungsstaates abgestellt werden dürfe, welches im Verurteilungszeitpunkt gegolten habe. Gleiches müsse dann auch für Art. 2 Abs. 2 gelten.

Würde für die Prüfung, ob ein Fall des Art. 2 Abs. 2 vorliege, das Recht des Ausstellungsstaates im Zeitpunkt des Erlasses des EuHB herangezogen werden, könne dies die kohärente Anwendung beider Vorschriften beeinflussen.

Zudem ergebe sich aus Rubrik c des im Rahmenbeschluss vorgeschriebenen Formblatts des Europäischen Haftbefehls, dass die Angaben, die die ausstellende Justizbehörde zur möglichen Strafhöhe machen müsse, das zur Tatzeit geltende Recht betreffen müsse.

Schließlich sei dieses Ergebnis auch mit dem Zweck des EuHB vereinbar.

Dieser bestünde darin, die justizielle Zusammenarbeit innerhalb der Europäischen Union effektiver und schneller zu gestalten. 

Würde man vom vollstreckenden Mitgliedsstaat nun verlangen, die Voraussetzungen der Vollstreckung des EuHB aufgrund der Vorschriften zu beurteilen, die im Erlasszeitpunkt anstatt im Tatzeitpunkt gegolten haben, würde dieser Zweck gefährdet. Denn die vollstreckende Justizbehörde könnte bei der Bestimmung der maßgeblichen Vorschriften auf Schwierigkeiten stoßen, wenn diese, wie in diesem Fall, zwischen Verurteilung und Erlass des EuHB geändert worden seien.

Damit sei im Ergebnis immer auf das Recht abzustellen, das im Ausstellungsstaat zum Tatzeitpunkt gegolten habe.

 

Anmerkung der Redaktion:

Zuletzt hatte der EuGH zum Europäischen Haftbefehl entschieden, dass der Vollstreckungsstaat die konkreten Haftbedingungen im Ausstellungsstaat zu prüfen habe, wenn ernstliche Bedenken bestehen, dass diese den Anforderungen der EMRK nicht genügen. Den KriPoZ-RR Beitrag zu diesem Urteil finden Sie hier.

 

 

 

Schreiben Sie einen Kommentar

Durch Abschicken des Formulares wird dein Name, E-Mail-Adresse und eingegebene Text in der Datenbank gespeichert. Für weitere Informationen lesen Sie bitte unsere Datenschutzerklärung.

Unsere Webseite verwendet sog. Cookies. Durch die weitere Verwendung stimmen Sie der Nutzung von Cookies zu. Informationen zum Datenschutz

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen.
Wenn Sie diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwenden oder auf "Akzeptieren" klicken, erklären Sie sich damit einverstanden.

Weitere Informationen zum Datenschutz entnehmen Sie bitte unserer Datenschutzerklärung. Hier können Sie der Verwendung von Cookies auch widersprechen.

Schließen