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Anmerkung zum „Referentenentwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft“

von RiBGH Renate Wimmer

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Abstract
Am 21. April 2020 hat das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz den „Referentenentwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität der Wirtschaft“[1] veröffentlicht und damit einen Meilenstein in der jahrelangen Diskussion um die Einführung eines Unternehmensstrafrechts in Deutschland gesetzt. Der nachfolgende Beitrag skizziert kurz die Struktur des Gesetzes und bewertet einzelne von besonderem Interesse erscheinende Aspekte ohne den Anspruch auf eine vollständige Analyse des gesamten Regelwerks zu erheben.   

On April 21, 2020, the Federal Ministry of Justice and Consumer Protection published the „Draft bill for a law to strengthen the integrity of the economy“, thereby setting a milestone in the long discussion about the introduction of corporate criminal law in Germany. The following article briefly outlines the structure of the law and evaluates individual aspects that appear to be of particular interest without claiming a complete analysis of the entire set of rules.

I. Anlass/Zwecke der Gesetzesinitiative

Der Referentenentwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft dient der Sicherstellung einer effektiven Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität; Unternehmen, die von Fehlverhalten ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter profitieren, sollen wirksam zur Verantwortung gezogen werden können.[2]

Straftaten, die aus Verbänden (juristische Personen und Personenvereinigungen) heraus begangen werden, können nach geltendem Recht gegenüber dem Verband ausschließlich durch eine Geldbuße geahndet werden (§ 30 OWiG). Die Sanktionierung von Verbänden unterliegt demgemäß bislang dem Opportunitätsprinzip. Wenngleich sich in einer Vielzahl von Fällen (systemischen Fehlverhaltens) ein Einschreiten der Ermittlungsbehörden aufdrängen dürfte, war in den vergangenen Jahren bundesweit dennoch eine sehr unterschiedliche Verfolgungspraxis zu beobachten.[3] Bei konsequenter Anwendung der Norm zeigte sich zudem, dass das geltende Ordnungswidrigkeitenrecht nicht in jedem Fall eine praxisgerechte Lösung ermöglicht und auf verschiedene Rechtsfragen keine eindeutige Antwort gibt (keine Möglichkeit der Verfahrenseinstellung gegen Auflagen, keine expliziten Regelungen zu Verfahrensrechten des Verbandes, Ermittlungsmaßnahmen gegen den Verband, Compliance und internen Untersuchungen, keine Möglichkeit der Verhängung einer „Gesamtgeldbuße“).[4]

Der Koalitionsvertrag der 19. Legislaturperiode sieht deshalb eine Neuregelung des Sanktionsrechts für Unternehmen vor; auch sollen die in den vergangenen zehn Jahren in annähernd jedem großen Wirtschaftsstrafverfahren durch die betroffenen Verbände initiierten unternehmensinternen Untersuchungen, die bislang einen Fremdkörper im deutschen Strafprozessrecht darstellen,[5] eine Normierung erfahren.

Das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz ist diesem Auftrag durch Vorlage des „Referentenentwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft“ nachgekommen.

II. Inhalt des Referentenentwurfs

Der Referentenentwurf sieht die Einführung eines neuen Stammgesetzes (Gesetz zur Sanktionierung von verbandsbezogenen Straftaten, kurz: Verbandssanktionengesetz – VerSanG) und die Änderung verschiedener anderer Gesetze vor. Besonderer Erwähnung bedürfen dabei die Änderungen der §§ 97, 160a StPO.[6]

1. Anwendungsbereich des Verbandssanktionengesetz/Legalitätsprinzip

Das Verbandssanktionengesetz regelt die Sanktionierung von juristischen Personen und Personenvereinigungen wegen sogenannter Verbandstaten. Erfasst werden dabei lediglich Verbände, deren Zweck auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist (§ 1 VersanG). Für sogenannte Realverbände findet weiterhin § 30 OWiG Anwendung; gleiches gilt, wenn keine Verbandstat – mithin eine Straftat, durch die die Pflichten, die den Verband treffen, verletzt worden sind oder durch die der Verband bereichert worden ist oder werden sollte (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 VerSanG) – sondern eine Ordnungswidrigkeit inmitten steht.[7]

Die Sanktionierung der vom Anwendungsbereich des Verbandssanktionengesetz erfassten Verbände soll dem Legalitätsprinzip unterworfen werden.[8] Damit wird explizit kein „Verbandsstrafrecht“ geschaffen, sondern entsprechend dem österreichischen Vorbild und dem Vorschlag der Forschungsgruppe Verbandsstrafrecht der Universität zu Köln[9] ein Verbandssanktionenrecht.

Nach der Entwurfsbegründung werden nur Wirtschaftsverbände dem Anwendungsbereich des Verbandssanktionengesetz unterstellt, weil bei diesen mit Blick auf eine gewinnorientierte Marktteilnahme höhere Risiken der Begehung von Verbandstaten durch Leitungspersonen bestehen sollen als bei Realverbänden. Zudem bedürfe es dort ergänzender Regelungen, die den Gegebenheiten wirtschaftlicher Betätigung Rechnung tragen, wie z.B. der Berücksichtigung von Compliance-Maßnahmen und der Schaffung von Regelungen zu verbandsinternen Untersuchungen.[10] Nachdem das Verbandssanktionenrecht – wie noch näher auszuführen sein wird – gegenüber dem Ordnungswidrigkeitenrecht klarere – und damit den Verband im Ergebnis schützende – Verfahrensregelungen wie auch die Möglichkeit der Verfahrenseinstellung unter Auflagen und Weisungen vorsieht, erscheint es indes erwägenswert, auch Verbände, deren Zweck nicht auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist, dem neuen Recht zu unterstellen. Um Verfolgungsbehörden insoweit nicht bei kleinsten Verfehlungen zum Einschreiten zu zwingen, könnte ggf. insoweit vom Legalitätsprinzip abgewichen werden.

2. Sanktionen/Sanktionsrahmen

Gegen einen Verband  im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 VerSanG wird eine Verbandssanktion verhängt, wenn jemand als Leitungsperson eine Verbandstat begangen hat (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 VerSanG) oder sonst eine Person in Wahrnehmung der Angelegenheiten des Verbandes eine Verbandstat begangen hat, wenn Leitungspersonen des Verbandes die Straftat durch angemessene Vorkehrungen zur Vermeidung von Verbandstaten wie insbesondere Organisation, Auswahl, Anleitung und Aufsicht hätten verhindern oder wesentlich erschweren können (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 VerSanG).

Als Sanktionen sieht das Gesetz die Verhängung einer Verbandsgeldsanktion (§ 8 Nr. 1 VerSanG) und die Verwarnung mit Verbandsgeldsanktionsvorbehalt (§§ 8 Nr. 2, 10 VerSanG) vor. Die Höhe der Verbandsgeldsanktion bemisst sich bei Verbänden mit einem durchschnittlichen Jahresumsatz von weniger als 10 Millionen Euro nach bestimmten Strafrahmen (bis zu 10 Millionen Euro bei Vorsatztaten – § 8 Abs. 1 Nr. 1 VerSanG, bis zu fünf Millionen Euro bei Fahrlässigkeitstaten – § 8 Abs. 1 Nr. 2 VerSanG), bei Verbänden mit einem höheren durchschnittlichen Jahresumsatz im Höchstmaß prozentual nach diesem (bis zu 10% des durchschnittlichen Jahresumsatzes bei Vorsatztaten – § 8 Abs. 2 Nr. 1 VerSanG, bis zu 5% bei Fahrlässigkeitstaten – § 8 Abs. 2 Nr. 2 VerSanG).

Der Vorbehalt der Verbandsgeldsanktion kann sich auf die gesamte zu verhängende Sanktion (§ 10 VerSanG) oder einem Anteil von bis zu 50% (§ 11 VerSanG) beziehen. Er kann mit Auflagen (§ 12 VerSanG) oder Weisungen (§ 13 VerSanG) verbunden werden (§§ 10 Abs. 4, 11 Abs. 2 S. 2 VerSanG).

Als zulässige Auflagen können Schadenswiedergutmachung und die Zahlung eines Geldbetrages zugunsten der Staatskasse erteilt werden (§ 12 Abs. 2 VerSanG).

a) § 13 Abs. 2 VerSanG als „verkapptes“ Monitoring?

Nach § 13 Abs. 2 VerSanG kann das Gericht den Verband namentlich anweisen, bestimmte Vorkehrungen zur Vermeidung von Verbandstaten zu treffen und diese Vorkehrungen durch Bescheinigung einer sachkundigen Stelle nachzuweisen. Die Auswahl der sachkundigen Stelle, die der Verband getroffen hat, bedarf dabei der Zustimmung durch das Gericht. An dieser Stelle setzt der Gesetzentwurf – wie auch an zahlreichen anderen Stellen – die Intention des Koalitionsvertrages um, Compliance Maßnahmen im Unternehmen künftig größeres Gewicht beizumessen und einen Anreiz zur Selbstreinigungsprozessen zu schaffen. Anders als zum Beispiel das US-amerikanische Recht sieht der Gesetzentwurf kein sogenanntes Monitoring vor. § 13 Abs. 2 VerSanG könnte jedoch als „verkapptes“ Monitoring ausgelegt werden.[11] Denn nach der Gesetzesbegründung kann das Gericht nach freiem Ermessen bestimmen, wie häufig und gegebenenfalls in welchen Abständen solche Bescheinigungen vorzulegen sind.[12] Die Weisung darf dabei lediglich nicht unzumutbar in den Betrieb oder das Unternehmen des Verbandes eingreifen (§ 13 Abs. 3 VerSanG). Die praktische Anwendung der Norm dürfte vor allem hinsichtlich der Auswahl der „sachkundigen Stelle“ nicht unproblematisch sein. Nach der Gesetzesbegründung können hierfür zum Beispiel Wirtschaftsprüfer, Rechtsanwälte sowie Unternehmensberatungen herangezogen werden.[13] Nähere Kriterien, nach denen sich die Auswahl zu richten hat bzw. welche Mindestqualifikationen zu fordern sind, werden nicht genannt. Ähnliches gilt für die Vergütungsfrage. Insoweit ist der Gesetzesbegründung lediglich zu entnehmen, dass die Kosten der Verband trägt.[14] Bei der Beauftragung der sachkundigen Stelle dürfte es sich zwar um einen zivilrechtlichen Vertrag zwischen dem Verband und dem Beauftragten handeln, in dem – ungeachtet der Berücksichtigung ggf. geltender Gebührenordnungen – das Preisgefüge frei vereinbart werden kann. Nicht zuletzt um eine Gleichbehandlung aller Verbände unabhängig von ihrer Wirtschaftskraft sicherzustellen, könnte jedoch die Einführung bestimmter (Höchst-) Sätze erwogen werden.

b) Öffentliche Bekanntmachung der Verurteilung erforderlich?

Nach § 14 VerSanG kann neben der Verhängung einer Verbandssanktion zur Information der durch die Verbandstat Geschädigten die öffentliche Bekanntmachung der Verurteilung angeordnet werden. Nach der Gesetzesbegründung muss sich die Ermessensausübung des Gerichts am Zweck der Vorschrift, d.h. der Information der durch die Verbandstat Geschädigten, orientieren. So ist in der Begründung des Entwurfes ausgeführt, dass eine Veröffentlichung in aller Regel dann nicht mehr erforderlich sein dürfte, wenn das Verfahren bereits Gegenstand umfangreicher Berichterstattung in den Medien war.[15] Gerade vor diesem Hintergrund dürfte die Regelung indes entbehrlich sein. Die Veröffentlichung der Verhängung einer Sanktion stellt einen gewichtigen Eingriff in die Rechte des Verbands dar, dem das verständliche Informationsinteresse der Geschädigten gegenübersteht. Diesem Informationsinteresse wird jedoch in der Regel durch eine entsprechende Medienberichterstattung, die in Wirtschaftsstrafverfahren üblich und meist sehr umfassend ist, hinreichend genüge getan.[16] Im Übrigen stellen die allgemein geltende Verpflichtung der Gerichte, ihre Entscheidungen in angemessenem Umfang zu publizieren,[17] sowie die Möglichkeit der Akteneinsicht nach § 475 StPO i.V.m. § 24 Abs. 1 VerSanG die Information der Geschädigten ausreichend sicher. In der Praxis dürfte die Anwendung des § 14 VerSanG und der damit erforderliche Begründungsaufwand zu nicht unerheblichen Verfahrensverzögerungen führen.

3. Verfahrenseinstellungen nach dem Opportunitätsprinzip – Internal Investigations

Das Verbandssanktionengesetz sieht differenzierte Möglichkeiten staatsanwaltschaftlicher bzw. gerichtlicher Verfahrenseinstellungen nach dem Opportunitätsprinzip vor. Die Bestimmungen (§§ 35 ff. VerSanG) sind den entsprechenden Normen der StPO nachgebildet. Anders als nach dem im Ordnungswidrigkeitenrecht geltenden „Alles- oder-nichts-Prinzip“, die Verfehlung mit einer Geldbuße zu ahnden oder sanktionslos einzustellen, kann im Verbandssanktionenverfahren ein Absehen von der Verfolgung unter Auflagen und Weisungen erfolgen (§ 36 VerSanG), was der Strafjustiz erheblich mehr Flexibilität verschafft, auf Fehlverhalten angemessen zu reagieren.  

Die Intention, Anreize zur Selbstreinigung der Unternehmen zu schaffen, findet auch in den detaillierten Regelungen zur Bemessung der Verbandsgeldsanktion (§ 15 VerSanG) Niederschlag. So sind Compliance-Maßnahmen nicht nur als Zumessungsgesichtspunkt explizit genannt (§ 15 Abs. 3 Nr. 7 VerSanG), vielmehr soll die Verbandsgeldsanktion bei Durchführung unternehmensinterner Untersuchungen und umfassender Kooperation des Verbandes gemildert werden (§ 17 VerSanG). Der Gesetzentwurf knüpft die Strafmilderung dabei an bestimmte, in § 17 VerSanG näher geregelte Voraussetzungen, denen die interne Untersuchung genügen muss.

Unter anderem darf ein mit internal Investigations beauftragter Dritter nicht zugleich Verteidiger des Verbandes sein (§ 17 Abs. 1 Nr. 2 VerSanG). Denn die Verbindung von verbandsinternen Untersuchungen und Unternehmensverteidigung schwäche die Glaubwürdigkeit der Ergebnisse der internen Untersuchungen und führe zu Konflikten mit dem Strafverteidigermandat. Die funktionale Trennung sichere hingegen dem jeweiligen Untersuchungsführer eine größere Eigenständigkeit gegenüber der Unternehmensverteidigung.[18] Nicht ausgeschlossen ist es nach der Gesetzesbegründung jedoch, eine Person als Verteidiger des Verbandes zu beauftragen, die der Kanzlei angehört, welche die verbandsinterne Untersuchung durchgeführt hat, sofern die Person nicht selbst an den internal Investigations mitgewirkt hat.[19] Die Trennung zwischen interner Untersuchung und Verteidigung erscheint vor dem Hintergrund der Sicherung größtmöglicher Unabhängigkeit sinnvoll und wichtig, wenngleich die Einschränkung in der Gesetzesbegründung dahingehend, dass Verteidigung und interne Untersuchung in derselben Kanzlei beauftragt werden können, nicht unproblematisch ist. Gerade mit Blick auf die Frage der Beschlagnahmefähigkeit bestimmter Unterlagen (§ 97 StPO und § 24 VerSanG, siehe unten), dürfte dies in der praktischen Durchführung Probleme bergen. Innerhalb der Kanzlei müsste quasi eine „chinesische Mauer“ gezogen werden.[20] Zwar kann das Trennungsprinzip durch Doppelarbeit zu hohen Kosten und damit ggf. zu einer Bevorzugung größerer, finanzstärkerer Verbände führen, jedoch dürfte hier das Interesse an einer bestmöglichen internen Aufklärung als Bestandteil eines ernsthaften Selbstreinigungsprozesses des Unternehmens überwiegen.

4. Verfahrensrechte und Vertretung des Verbandes

Das geplante Verbandssanktionengesetz räumt dem Verband die Rechte eines Beschuldigten ein (§ 27 VerSanG –im Ordnungswidrigkeitenrecht ist dies zumindest umstritten[21]). Es regelt die Vertretung des Verbandes (§ 28 VerSanG) und die Bestellung eines besonderen Vertreters, sollte der Verband keinen gesetzlichen Vertreter haben oder sämtliche dieser von der Vertretung des Verbandes ausgeschlossen sein, weil sie einer Verbandstat beschuldigt werden (§§ 28 Abs. 2, 29 VerSanG). Auch in diesen Punkten greift der Gesetzentwurf Unzulänglichkeiten des geltenden Rechts auf und führt diese praktikablen Lösungen zu. 

5. Beschlagnahme/Durchsuchung – Änderung der StPO

Der Referentenentwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft widmet sich mit einer Änderung der StPO auch der Problematik der Beschlagnahme von Produkten aus internal Investigations sowie der Durchsuchung bei Berufsgeheimnisträgern zur Auffindung dieser Unterlagen. Die Zulässigkeit der genannten Ermittlungsmaßnahmen ist de lege lata in Rechtsprechung und Literatur sehr umstritten.[22] Die diesbezüglichen Entscheidungen des BVerfG im Zusammenhang mit dem sogenannten „Dieselgate“[23] brachten keine endgültige Klärung, da das BVerfG die Rechtsauslegung durch das LG München I lediglich auf seine verfassungsrechtliche Vertretbarkeit überprüft hat und zu dem Ergebnis gekommen ist, diese sei im konkreten Fall nicht verfassungswidrig. Das LG München I war davon ausgegangen, dass auch die Produkte aus den internen Untersuchungen (mithin zum Beispiel Interviewprotokolle, Abschlussberichte) der Beschlagnahme unterliegen und zur Durchführung der Beschlagnahme die Durchsuchung der Räumlichkeiten der beauftragten Rechtsanwaltskanzlei zulässig sei. Mit Blick auf den Wortlaut der geltenden Fassung des § 160a StPO, die Gesetzessystematik und die Intention des Gesetzgebers überzeugt letzteres aus einfachrechtlicher Sicht nicht. Hinsichtlich der Frage der Beschlagnahmefähigkeit der Unterlagen ist zu differenzieren, ob es sich dabei um Verteidigungsunterlagen oder zu einem anderen Zweck erstellte Papiere handelt.[24]

Mit der geplanten Änderung der §§ 97, 160a StPO, welche über § 24 VerSanG in Verfahren nach dem Verbandssanktionengesetz Anwendung finden, greift der Gesetzgeber diese Aspekte auf und führt sie einer klaren Regelung zu. In § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO-E wird – mit der bislang herrschenden Meinung in Literatur und Rechtsprechung[25] – bestimmt, dass lediglich Gegenstände, die dem Vertrauensverhältnis des Beschuldigten zu den in § 53 Abs. 1 Nr. 1 bis 3b StPO Genannten zuzurechnen sind, einem Beschlagnahmeverbot unterliegen, mithin ein besonderer Beschlagnahmeschutz nur in den Fällen besteht, in denen es gilt ein Vertrauensverhältnis zwischen Beschuldigtem und Zeugnisverweigerungsberechtigten zu schützen. Dieser Regelung folgend unterliegen Produkte aus unternehmensinternen Untersuchungen nur dann einem Beschlagnahmeverbot, wenn es sich dabei um Verteidigungsunterlagen handelt. Nach der Gesetzesbegründung fällt eine Sachverhaltsaufklärung schon dann nicht unter den Schutzbereich der Norm, wenn sie vor Vorliegen einer Beschuldigtenstellung stattfindet.[26] Unklar bleibt indes, auf welche Gesichtspunkte dabei hinsichtlich der Beschuldigtenstellung abzustellen ist,[27] zumal sich aus dem Gesetzeswortlaut selbst diese zeitliche Differenzierung nicht ohne weiteres ergibt.[28] Aufzeichnungen und Gegenstände, zu deren Aufbewahrung ein redlicher Kaufmann oder ein Gewerbebetrieb im Rahmen der Überwachung seines Geschäftsbetriebs gesetzlich verpflichtet ist, sollen indes in jedem Fall der Beschlagnahme unterliegen, mithin auch dann, wenn sie sich im Gewahrsam des Verteidigers befinden (§ 97 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 StPO-E).  Auch hier führt der Gesetzgeber die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze[29] einer expliziten Regelung zu. Für die internen Untersuchungen bedeutet dies, dass Geschäftsunterlagen, die dem Untersuchungsführer zur Durchführung derselben übergeben worden sind, stets – mithin auch im Verteidigungsfall – der Beschlagnahme unterliegen. Nach der Gesetzesbegründung soll so einem etwaigen Ansinnen der Unternehmen entgegengewirkt werden, „toxische“ Geschäftsunterlagen in den Machtbereich eines Berufsgeheimnisträgers als sog. „Safehouse“ schaffen.[30] Die geplante Neufassung des § 160a StPO hat zur Folge, dass Durchsuchungen zur Auffindung vorgenannter beschlagnahmefreier Gegenstände auch bei Berufsgeheimnisträgern zulässig sein sollen.[31] Ob der Gesetzgeber insoweit die de lege lata zulässigen Ermittlungsmöglichkeiten erweitern oder lediglich klarstellend tätig wird, ist der Gesetzesbegründung nicht explizit zu entnehmen. Aus praktischer Sicht erscheint die ausdrückliche Regelung der Beschlagnahmefreiheit der genannten Geschäftsunterlagen begrüßenswert. Denn dem staatlichen Strafanspruch könnte kaum Genüge getan werden, sollten diese den Ermittlungsbehörden dauerhaft entzogen werden können. Auf die Ergebnisse privater Aufklärung ist die Strafjustiz, die sich grundsätzlich selbst ein Bild über die verfahrensgegenständlichen Sachverhalte machen muss, nicht zwingend angewiesen.[32] Hinsichtlich der nach der Neuregelung zulässigen Durchsuchungen wird in der praktischen Umsetzung auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ein besonderes Augenmerk zu legen sein.

III. Fazit

Eine nachhaltige Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität erfordert neben der Verfolgung der handelnden Personen auch die hiervon profitierenden Unternehmen strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen. Die Strafjustiz muss dabei auf einen praktikablen Rechtsrahmen zurückgreifen können, der sämtlichen Verfahrensbeteiligten in möglichst hohem Maße Rechtssicherheit bietet. Dem wird die bisherige Rechtslage insbesondere mit Blick auf die nur rudimentären Verfahrensregelungen bei der Sanktionierung von Verbänden und dem geltenden Opportunitätsprinzip nicht hinreichend gerecht. Der Referentenentwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft greift eine Vielzahl der bestehenden Regelungslücken auf und gibt der Rechtspraxis ein „griffigeres“ Instrumentarium zur Sanktionierung von Verbänden als das geltende Recht in die Hand. Eine Konkretisierung an einigen Stellen wäre – wie aufgezeigt – wünschenswert. Auch könnte erwogen werden, den Anwendungsbereich des Verbandssanktionengesetzes auf Realverbände (ggf. insoweit unter Geltung des Opportunitätsprinzips) auszudehnen und Mindestanforderungen an Compliance-Systeme zu normieren. Die Möglichkeit der öffentlichen Bekanntmachung einer Verurteilung erscheint indes entbehrlich.

 

[1]      Abrufbar unter: https://kripoz.de/wp-content/uploads/2020/04/RefE_Staerkung_Integritaet_Wirtschaft.pdf (zuletzt abgerufen am 8.5.2020)
[2]      Referentenentwurf a.a.O., S. 50.
[3]      Hensseler/Hoven/Kubiciel/Weigend, Kölner Entwurf eines Verbandssanktionengesetzes, NZWiSt 2018, 1 (5, 6).
[4]      Kubiciel, Mögliche Nachbesserungen im Rechtsfolgensystem des VerSanG, jurisPR-StrafR 21/2019 Anm. 1; Wimmer, NZWiSt 2017, 252 ff.
[5]      Wimmer, Strafverteidiger 2019, 704.
[6]      Referentenentwurf a.a.O., S. 1, 56 ff.
[7]      Referentenentwurf a.a.O., S. 71.
[8]      Referentenentwurf a.a.O., S. 55.
[9]      Hensseler/Hoven/Kubiciel/Weigend, Kölner Entwurf eines Verbandssanktionengesetzes, NZWiSt 2018, 1 ff.
[10]    Referentenentwurf a.a.O., S. 72.
[11]    Vgl. Rübenstahl, ZHW 2019, 233 (242).
[12]    Referentenentwurf a.a.O., S. 89.
[13]    Referentenentwurf a.a.O., S. 89.
[14]    Referentenentwurf a.a.O., S. 90.
[15]    Referentenentwurf a.a.O., S. 90.
[16]    Vgl. auch Rübenstahl, ZHW 2019, 233 (243).
[17]    Vgl. BVerfG, Beschl. v. 15.9.2015 – 1 BvR 857/15, juris Rn. 16; BVerwG, Urt.v. 26.2.1997 – 6 C 3/96, NJW 1997, 2694 Rn. 22 ff.
[18]    Referentenentwurf a.a.O., S. 99.
[19]    Referentenentwurf a.a.O., S. 99.
[20]    Schmitz, WiJ 2019, 154 (158).
[21]    Vgl. zum Meinungsstand Gronke, Verfahrensfairness in transnationalen unternehmensinternen Ermittlungen, 2019, S. 402, 403.
[22]    Vgl. nur LG Hamburg, StV 2011, 148; LG Bonn, NJW-Spezial 2012, 602; LG Gießen, wistra 2012, 409; LG Mannheim, StV 2013, 69; LG Braunschweig, NZWiSt 2016, 37; vgl. auch Pelz, CCZ 2018, 211; Erb, in: LR-StPO, 27. Aufl. (2018), § 160a Rn. 62 f.; Schuster, Anm. zu LG Mannheim – 24 Qs 1/12; 24 Qs 2/12, NZWiSt 2012, 431; Knauer, Anm. zu BVerfG – 2 BvR 1405/17, 2 BvR 1780/17, NStZ 2019, 164 ff.
[23]    BVerfG, Beschl. v. 27.6.2018 – 2 BvR 1405/17, 2 BvR 1780/17, NJW 2018, 2385 ff. und 2 BvR 1562/17, 2 BvR 1287/17, 2 BvR 1583/17, NJW 2018, 2392.
[24]    Ausführlich: Wimmer, in: NK-Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2016, § 152 Rn. 14 ff.
[25]    Vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl. (2020), § 97 Rn. 10a; Menges, in: LR-StPO, 27. Aufl. (2018), § 97 Rn. 75.
[26]    Referentenentwurf a.a.O., S. 138.
[27]    Vgl. Wimmer, in: NK-Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, § 152 Rn. 14 ff.
[28]    Vgl. Brouwer, Die Aktiengesellschaft 2019, 920 (923).
[29]    BGH, Beschl. v. 8.8.2018 – 2 ARs 121/18, NJW 2018, 3261 Rn. 15.
[30]    Referentenentwurf a.a.O., S. 138.
[31]    Referentenentwurf a.a.O., S. 138.
[32]    Vgl. ausführlicher: Wimmer, Strafverteidiger 2019, 704 (705).

 

 

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