Zu den Kommentaren springen

Catcalling – Eine phänomenologische und strafrechtliche Betrachtung

von Prof. Dr. Elisa Hoven, Anja Rubitzsch und Barbara Wiedmer

Beitrag als PDF Version 

Abstract
Das „Catcalling“ wird in den sozialen Medien, in der Politik und zunehmend auch in der Strafrechtswissenschaft als gesellschaftliches Problem diskutiert. Dabei wird die Frage gestellt, ob neue Strafnormen geschaffen oder bestehende Tatbestände ergänzt werden müssen, um das Phänomen zu erfassen. Eine Auseinandersetzung mit der Strafwürdigkeit von Catcalling kann jedoch nur erfolgen, wenn das Phänomen genauer beschrieben wird. Erst auf dieser Grundlage lässt sich überlegen, welche Verhaltensweisen strafrechtliche Sanktionen nach sich ziehen sollten. Der Beitrag untersucht daher die von Betroffenen berichteten Erscheinungsformen von Catcalling im Rahmen einer Social-Media-Analyse und thematisiert anschließend, ob das Strafrecht sie bereits erfasst und Reformen notwendig sind.

The problem of “catcalling” is currently discussed in the media, in politics and also increasingly by legal scholars. These discussions raise the question whether new criminal offences need to be established or if the existing provisions have to be altered in order to cover this phenomenon. However, these questions cannot be answered without a better understanding of the phenomenon of catcalling. On the basis of a social media analysis, this article explores which forms of offensive behavior victims do experience and define as catcalling. In a second step, it is discussed to what extent German criminal law already covers the reported acts and whether reforms are necessary.

I. Einführung

Im Jahr 2020 unterzeichneten fast 70.000 Menschen eine auf „openpetition“ laufende Petition mit dem Titel „Es ist 2020. Catcalling sollte strafbar sein“.[1] In einer aktuellen Studie der Universität Trier – hier in der KriPoZ veröffentlicht – sprechen sich 90 % von rund 2900 Befragten für eine Regulierung durch den Staat aus; 42 % für eine strafrechtliche Ahndung.[2]

Die Diskussion über eine Strafbarkeit von Catcalling hat mittlerweile auch die Strafrechtswissenschaft erreicht.[3] Sie reiht sich ein in Entwicklungen der vergangenen Jahre, die zunehmend auf eine Erweiterung des Sexualstrafrechts gerichtet waren: Von der Einführung des „Nein heißt Nein“-Modells in § 177 Abs. 1 StGB über die sexuelle Belästigung in § 184i StGB bis hin zum Upskirting nach § 184k StGB. Die Verschärfung des Sexualstrafrechts wird teilweise als überzogen oder moralisierend[4] kritisiert, von anderen als notwendige Anpassung des Rechts an einen differenzierteren Blick auf sexuelle Selbstbestimmung befürwortet.[5]

Eine Auseinandersetzung mit Strafbarkeit und Strafwürdigkeit von Catcalling setzt zunächst voraus, dass das Phänomen hinreichend klar beschrieben wird. Catcalling ist nicht nur kein Rechtsbegriff, es wird auch in der gesellschaftlichen Diskussion nicht einheitlich verstanden. So beschreiben die Initiatorinnen der Petition das Catcalling als „verbale sexuelle Belästigung“. Das policy paper des Deutschen Juristinnenbundes (djb) weist hingegen darauf hin, dass der Begriff auch weitere sexuell konnotierte Verhaltensweisen erfassen kann, zum Beispiel „aufdringliche Blicke, Hinterherpfeifen, Kussgeräusche, anzügliche Bemerkungen, obszöne Witze, unpassende Aufforderungen zu sexuellen Handlungen, exhibitionistische Handlungen, das unerwünschte Zeigen pornographischer Inhalte, anzügliche Kommentare über den Körper einer Person, das sexuell motivierte Verfolgen, Bedrängen oder körperliche Berühren einer Person sowie sexuelle Belästigungen mittels digitaler Medien“.[6]

Die in der Diskussion zu beobachtende unterschiedliche Bewertung der Strafwürdigkeit von Catcalling mag auch darauf zurückzuführen sein, dass verschiedene Bilder des Phänomens existieren. Wer Catcalling auf ein „Hinterherpfeifen“ reduziert, wird eher annehmen, dass das Strafrecht auf bagatellarische Sittlichkeitsverstöße nicht zu reagieren braucht.[7] Ziel dieses Beitrags ist es daher, dem Begriff des Catcallings durch eine empirische Annäherung an Erscheinungsformen und Wahrnehmung des Phänomens Konturen zu verleihen. Zu diesem Zweck wurden Beiträge auf der Social-Media-Plattform Instagram analysiert, die Erfahrungen mit Catcalling thematisierten. Die zentralen Forschungsfragen der Untersuchung waren:

  • Welche Handlungen werden als Catcalling wahrgenommen?
  • In welchen Situationen ereignet sich Catcalling?
  • Wer sind die Betroffenen, wer die Täter?

Auf Basis der Studie wird erörtert, welche der geschilderten Verhaltensweisen bereits nach geltendem Recht strafbar sind. In einem nächsten Schritt werden Überlegungen angestellt, ob ein kriminalpolitisches Bedürfnis nach einer Erweiterung des Strafrechts zur Erfassung bislang nicht sanktionierter Erscheinungsformen von Catcalling besteht.

II. Methodik

Gegenstand der Social-Media-Analyse waren in erster Linie Inhalte, die auf der Social-Media-Plattform Instagram von sogenannten „Catcallof“-Accounts geteilt wurden.

Nach den Angaben der Petitionsplattform kamen die meisten Unterstützenden (43 %) der Petition von Instagram. Eine besondere Rolle spielen dabei die „Catcallof“-Accounts: Die Accountbetreiber veröffentlichen anonymisiert Berichte über Erfahrungen, die von den Betroffenen als Catcalling wahrgenommen wurden – mit dem Ziel, Catcalling anzuprangern und ein gesellschaftliches Bewusstsein für das Phänomen zu schaffen. In über 80 deutschen Städten gibt es Accounts wie „catcallsofberlin“ oder „catcallsofmuc“, die insgesamt über 9100 Beiträge veröffentlicht haben. Diesen Accounts folgen derzeit rund 147.000 Menschen. Der reichweitenstärkste Account „catcallsofhannover“ hat bereits über 18.400 Follower.[8]

Durch die Untersuchung dieser Beiträge kann sich dem Phänomen ergebnisoffen angenähert werden. Befragungen setzen regelmäßig eine vorgefasste Definition des Untersuchungsgegenstands voraus, die möglicherweise bestimmte Erlebnisse ausschließt oder nicht antizipiert. Das ist dann problematisch, wenn das Verständnis von Cat-calling nicht normativ vorgegeben ist, sondern seine realen Erscheinungsformen und deren Wahrnehmung durch die Betroffenen erst erhoben werden sollen. Demgegenüber ermöglicht die Social-Media-Analyse, zunächst sämtliche Handlungen einzubeziehen, die von den Betroffenen selbst als „Catcalling“ definiert werden.

Für die Untersuchung wurden die Beiträge der vier reichweitenstärksten „Catcallof“-Accounts – München, Hannover, Mainz, Berlin[9] – ausgewählt. In der Erhebung befinden sich alle Beiträge, die zwischen Februar 2019[10] und Mitte April 2021 veröffentlicht wurden; insgesamt konnten 790 Catcall-Erlebnisse untersucht werden. Für die Auswertung wurden weitestgehend offene Kategorien gewählt, um die verschiedenen Formen des Erlebten besser erfassen zu können. Anschließend konnten mehrere Gruppen mit ähnlichen oder sogar identischen Catcalling-Erfahrungen gebildet werden. Die Klassifikation der Erlebnisse soll einerseits zu einem besseren Verständnis von Catcalling beitragen. Zum anderen kann auf dieser Basis eine quantitative Analyse erste Erkenntnisse über Verbreitung und Häufigkeit der einzelnen Formen liefern.

Die Erkenntnisse der quantitativen Auswertung sind nur vorsichtig zu verallgemeinern. Auch wenn sich der Cat-calling-Diskurs überwiegend auf Instagram ereignet, kann darüber nicht das gesamte Phänomen erfasst werden. Das hier untersuchte Sample beschränkt sich auf Berichte von Nutzern einer bestimmten Plattform, wobei gerade Instagram überwiegend von jüngeren Menschen genutzt wird.[11] Es bleibt daher ein Dunkelfeld, das im Rahmen der Untersuchung nicht abgebildet wird.

III. Erkenntnisse

1. Erscheinungsformen

Die einzelnen Erlebnisse können in drei Kategorien eingeordnet werden: körperliche Übergriffe, Kommunikation (verbale Form) und andere nicht körperliche Formen aufgedrängter Sexualität (Abbildung 1). Bei der Erfassung der Erscheinungsformen war allerdings zu beachten, dass die geschilderten Situationen häufig mehr als ein Verhalten beinhalteten. Eine eindeutige Aussage darüber, welche der berichteten Handlungen als belästigend wahrgenommen wird, wurde dadurch erschwert.

Abbildung 1: Erscheinungsformen

 

In 81,8 % aller Beiträge wurde von verbaler Kommunikation berichtet, sie stellt damit den größten Anteil der Catcall-Erlebnisse dar. 23,5 % der Befragten schilderten körperliche Übergriffe und 37,3 % andere nicht körperliche Formen aufgedrängter Sexualität. Überwiegend (54,9 %) wurde nicht nur eine Form der Interaktion genannt, sondern ein Zusammenspiel verschiedener körperlicher und nicht körperlicher Einwirkungen.[12]

Zur Veranschaulichung der als Catcalling wahrgenommenen Erlebnisse wird in diesem Beitrag mit exemplarischen Aussagen[13] aus der eigenen Analyse gearbeitet. Damit stellt sich das Problem, dass Äußerungen reproduziert werden; für die Beschreibung des Phänomens ist es jedoch alternativlos, die erlebten Übergriffe im Wortlaut wiederzugeben, da eine abstrahierende Beschreibung den Prozess der Kategorisierung und Einordnung vorwegnehmen würde.

a) körperliche Übergriffe

Die erlebten körperlichen Übergriffe zeigten sich in vier Ausprägungen: Anfassen, Küsse, Reiben des Körpers des Täters an den Betroffenen und sexuelle Handlungen oberhalb der Schwelle von § 184h StGB, etwa: ungewollte Griffe in die Hose der Betroffenen oder das „ungehemmte Befummeln des Hinterns“ (Z.628); hiervon nicht erfasste körperliche Formen – etwa ein Festhalten ohne Sexualbezug – wurden einer Auffangkategorie zugeordnet. Insgesamt enthielten 17,6 % aller Beiträge mindestens einen körperlichen Übergriff.

Abbildung 2: Körperliche Übergriffe

  

Den größten Anteil nehmen dabei Situationen ein, in denen eine Person angefasst wird (64,9 %). Das betrifft am häufigsten das Gesäß (33,8 %), etwas seltener den Intimbereich (12,8 %), die weibliche Brust (9,5 %) oder die Schenkel (12,1 %):

„Er setzte zu einem High Five an und schlug mir dann auf den Po“ (Z.150); „Er packt mir unter meine Winterjacke an meinen Arsch“ (Z.209).

 Berichtet werden aber auch Berührungen anderer Körperbereiche wie Haare oder Schulter/Rücken (21 %):

„Er griff mir aus dem Auto heraus einfach in die Haare“ (Z.541); „Er legte seinen Arm um meine Schultern“ (Z.617).

In aller Regel wurde in diesen Fällen die körperliche Berührung nicht isoliert berichtet, sondern war begleitet von verbalen Übergriffen.

„Seine Hand auf meinem Bein. ‚Du willst es auch. Ich merke das!‘“ (Z.439);“Dann hat er dumme Witze gemacht, gelacht und mich an der Schulter etc. gestreichelt“ (Z.234).

b) Verbale Kommunikation

Die verbalen Formen des Catcalling weisen einen hohen Grad an Diversität auf: Die berichteten Äußerungen unterschieden sich in Inhalt und Schwere teilweise erheblich. Insgesamt konnten die Catcall-Erfahrungen in 13 Formen unterteilt werden, die in 7 gröberen Kategorien zusammengefasst dargestellt sind (Abbildung 3).

Abbildung 3: Verbale Kommunikation

 

Innerhalb der Kategorie der verbalen Formen werden Aufforderungen zu / Äußerungen über Handlungen (meist sexualbezogen) am häufigsten erlebt (41,8 %), etwa:

„Bei deinem Aussehen verliere ich garantiert die Kontrolle über mein Glied“ (Z.5); „Komm, schwing deinen Arsch für uns“ (Z.102); „Mit dem Outfit musst du mit mir schlafen, darauf bist du ja aus“ (Z.775).

Darunter befinden sich auch explizite Anfragen nach sexuellen Handlungen gegen Bezahlung („Blowjob für 15€?“ [Z.222]). Einen kleineren Anteil (3,8 %) bilden Kommentare zur Sexualität, die vor allem die weibliche Homosexualität aufgreifen wie

“Küsst euch. Alle Kerle finden Lesben geil.“ (Z.566) oder „Lesbisch? Du hast einfach noch nie einen richtigen Schwanz bekommen!“ (Z.561).

Häufig werden Betroffene aufgefordert, ihre Telefonnummer herauszugeben oder Nähe zu den Äußernden herzustellen.

Verbreitet sind zudem Äußerungen über das äußerliche Erscheinungsbild der Betroffenen (27,9 %). Den größten Anteil bilden hier die Kommentare, die sich auf das Aussehen oder einzelne Körperteile beziehen; in knapp 40 % dabei auf die „Titten“ oder den „geilen Arsch“.

„Mit dem Arsch ist es schwer dich nicht anzufassen“ (Z.32); „Geile Titten. Jemand wie dich würde ich direkt mit nach Hause nehmen“ (Z.162); „Du siehst toll aus! Richtig fickbar!“ (Z.662).

Vereinzelt richten sich Kommentare auch auf andere Körperbereiche wie etwa die Schenkel:

„Saftige Schenkel, mein Mädchen.“ (Z.328).

Teilweise waren Äußerungen über das Aussehen der Betroffenen nicht als scheinbare „Komplimente“, sondern bewusst abwertend formuliert:

„Ihr seid so hässlich, euch würde ich nicht mal für Geld ficken!“ (Z.329).

Erlebt werden auch Beschimpfungen[14] (8,0 %) sowie bedrohliche und aggressive Äußerungen (3,5 %), etwa:

„Ich werde deine Fotze ficken, bis sie blutet“ (Z.63); „Ich ramm dir meinen Dolch rein bis er platzt!“ (Z.92); „I would love to kidnap you and take you to my apartment…” (Z.155).

In jedem 13. Beitrag findet sich zudem ein Kosename;[15] am häufigsten darunter Süße und Schatz/i. Rassistische und diskriminierende Äußerungen wurden in 2,4 % der Fälle erlebt.

Eine Vielzahl verbaler Äußerungen (9,4 %) ließ sich keiner dieser Kategorien zuordnen. Zum Großteil handelte es sich dabei um ein unaufgefordertes Ansprechen. Oftmals wurde in diesen Fällen nicht das Ansprechen als solches, sondern die begleitenden Umstände – etwa allein im Dunkeln, im Schwimmbad oder der Sauna – als unangenehm erlebt. In einigen Fällen bildete die Kommunikation nur die Grundlage für ein späteres übergriffiges Verhalten. So berichteten Betroffene etwa davon, dass sie erst unter einem Vorwand um Hilfe gebeten und anschließend überraschend angefasst wurden.

Einige Beiträge berichten auch darüber, wie die Catcaller auf Kritik oder Abweisung durch die Betroffenen reagieren. Sehr häufig wird das eigene Verhalten nach einer Ablehnung bagatellisiert und die Handlung verharmlost:

„Ich bin eben ein Mann, das ist normal. Du solltest dich geehrt fühlen, das zeigt doch nur, dass ich auf dich stehe“ (Z.166); „Wieso ist doch ein Kompliment. Man darf das doch wohl mal sagen, dein Arsch ist halt geil“ (Z.220); „Sei doch froh, wenn dich ein Mann so anschaut“ (Z.323). 

Auch Dritte reagierten häufig mit einer Relativierung des Geschehens:

„Von einem anderen Anwesenden: ‚Es gehören immer zwei dazu und ich hätte meine Abneigung deutlicher zeigen können und wäre ja auch gut drauf gewesen‘“ (Z.649).

 Vereinzelt wurde davon berichtet, dass selbst die Polizei die Taten nicht ernst nahm oder – zumindest indirekt – den Betroffenen eine Mitschuld gab:

 „Wir waren schwimmen, als zwei Männer uns belästigten – Von den Polizisten: ‚brauchen sich doch gar nicht wundern, dass die Männer so reagiert haben‘“ (Z.646).

Die klare Ablehnung einer Interaktion seitens der Betroffenen führte in vielen der berichteten Fälle nicht dazu, dass der Täter sich entfernte; die Opfer wurden oft weiter verfolgt und bedrängt: 

„‚Wollen wir uns mal treffen?‘ Er akzeptierte mein Nein nicht.“ (Z.707); „Er bedrängte und verfolgte mich tagelang“ (Z.652); „Er fragte, ob er uns fotografieren dürfte. Wir mussten mehrfach ablehnen, ganz in Ruhe ließ er uns nicht“ (Z.562).

Teilweise führte die Abweisung auch zu einer aggressiven oder beleidigenden Reaktion des Catcallers.

„Hässliche Hure, sei froh, überhaupt mal die Möglichkeit zu haben, fett genagelt zu werden“ (Z.294); „Er fasste mir an den Hintern und sagte: ‚Sei dankbar, dass dich überhaupt jemand will, du blöde Schlampe‘“ (Z.503). 

c) Andere nicht körperliche Formen aufgedrängter Sexualität

Mit Blick auf andere nicht körperliche Formen aufgedrängter Sexualität wird zum Großteil von non-verbaler Kommunikation (Blicke, Mimik und Gestik, Geräusche) oder von Handlungen wie Verfolgen oder Auflauern berichtet.

Abbildung 4: Andere nicht körperliche Formen

 

Blicke werden dabei meist in Kombination mit einer anderen Handlung („Er sah mich an, holte sein ‚Ding‘ raus und masturbierte“ [Z.605]; „Einer starrte auf meine Brüste, einer packte mir an den Arsch“ [Z.425]) oder einer Äußerung beschrieben:

„Er starrte mich an. Auf Nachfrage sagte er: ‚Schöne Dinge im Leben muss man immer im Auge behalten‘“ (Z.281); „‚Sag mal, welche Körbchengröße hast du?‘ Er starrte auf mein T-Shirt“ (Z.133); „Er starrte auf meine Brüste. ‚Ich hab Hunger‘“ (Z.175).

Teilweise wird ein „Starren“ aber auch für sich genommen als unangenehmes und sexualisiertes Verhalten erlebt. Unter Mimik und Gestik fallen etwa „Zwinkern und Grinsen“ oder „über die Lippen lecken“; unter „Geräuschen“ werden insbesondere „Hinterherpfeifen“, „Kuss-, Schmatz- oder Stöhn-Geräusche“ gefasst.

In der Kategorie der exhibitionistischen Handlungen[16] finden sich vor allem Szenarien, in denen eine Person im öffentlichen Raum – teilweise ohne sich zu entblößen – vor den Betroffenen masturbiert.

„Er starrte mich an und holte sich über der Hose einen runter“ (Z.519); „Er betrachtete den Arsch meiner Freundin und befriedigte sich“ (Z.564).

Diese Form tritt dabei auch öfter in Kombination mit einer Kommunikation auf:

„Guck mal, hast du schon mal so einen Schwanz gesehen?“ (Z.559); „‚Willst du mal probieren?‘ Er holte sein Geschlechtsteil raus“ (Z.613); „Er masturbierte und fragte, ob ich zuschauen möchte“ (Z.509).

Unter dieser Kategorie wurden ebenso „Dickpicks“ geführt; die aber nur Inhalt von 5 Beiträgen waren, etwa:

„Er schickte mir einfach ein Dickpic“ (Z.692); „Ich war 15, als mir ein fremder Mann ein Bild von einem erigierten Penis zeigte“ (Z.703).

2. Situationen, Alter und Geschlecht

a) Orte

Betroffene erleben Catcalling in vielen Alltagssituationen, am häufigsten im öffentlichen Raum (78,3 %), darunter insbesondere auf offener Straße (44,4 %) sowie in und bei öffentlichen Verkehrsmitteln (21,5 %). Ebenfalls berichtet wird von Catcalling in Clubs oder auf Partys (8,7 %). Belästigungen im digitalen Raum wurden dagegen nur in 7 von 790 Beiträgen als Fälle von Catcalling verstanden.

Abbildung 5: Örtlichkeit

 

b) Alter und Geschlecht

Zum Geschlecht der Täter liegen Angaben in 750 Beiträgen vor. Den Daten kann entnommen werden, dass Cat-calling ganz überwiegend von Männern begangen wird (97,6 %), die allein (57 %) oder mit anderen Männern (43 %) unterwegs sind.

Angaben zum Alter des Täters fanden sich nur in 30 % aller Beiträge. Das Alter beruht auf einer Schätzung durch die Betroffenen, so dass die Erkenntnisse nicht zwingend verlässlich sind. In den Posts wird häufiger von „Jugendlichen“ (14,8 %) oder einer „alten Person“ (20,8 %) gesprochen. In den Fällen, in denen ein ungefähres Alter genannt wurde, sind 28,1 % unter 30 Jahren und rund ein Drittel zwischen 40 und 49 Jahren alt.[17] Betroffene[18] sind überwiegend minderjährig (78,7 %), im Durchschnitt 15,7 Jahre alt und meist weiblich (96 %).[19] Gemmel & Immig gelangen über eine Online-Befragung zu dem Ergebnis, das ein nicht unerheblicher Anteil der Männer ebenfalls betroffen ist (28,9 %).

Auffällig in Bezug auf das Alter der Beteiligten ist die Häufigkeit von Schilderungen, die sehr jungen Menschen – unter 18 Jahren – widerfahren.

„Ich war 8, sie riefen ‚Zieht eure Kleider hoch‘ und fotografierten uns“ (Z.59); „Ich bin 14. ‚Triffst du dich schon mit Jungs zum Blasen?‘“ (Z.433); Jetzt darfst du mir an den Schwanz packen.‘ Ich war 12“ (Z.586); „Ich war 14, er sagte zu mir: ‚Zeig mal, ob du da unten auch so schöne rote Haare hast‘“ (Z.743).

Ebenfalls häufig wird von einer großen Altersdivergenz zwischen den Betroffenen und den Tätern berichtet.

„Ich war 12, er so 60: ‚Na, wie viel kostet es bei dir?‘“ (Z.738); „‚Wo gehen wir beide denn gleich noch hin?‘ Ich war 16. Er 40“ (Z.653); „Ich war 13, er ca. 50: ‚Es gefällt mir extrem wie du dein Eis schleckst… Ja, das macht mich richtig an!‘“ (Z.724). 

Teilweise lassen die Berichte darauf schließen, dass die Kommunikation gerade aufgrund des Altersunterschieds als unangenehm empfunden wurde.

„,Ey Süße, setz dich zu uns!‘ Ich 17, sie ca. 40“ (Z.657); „Er (40) fasste mir (16) an den Oberschenkel und sagte ‚du hast schöne, kräftige Beine‘“ (Z.778).

IV. Diskussion

1. Strafbarkeit des Catcalling nach geltendem Recht 

Ob die Forderung nach einer Strafbarkeit von Catcalling kriminalpolitisch sinnvoll ist, hängt zunächst davon ab, welche Erscheinungsformen bereits nach geltendem Recht strafrechtlich sanktioniert werden können.

a) Catcalling als Sexualdelikt

Einige der im Sample geschilderten Übergriffe stellen Sexualdelikte dar und sind nach § 177 StGB oder § 184i StGB strafbar.

aa) Sexuelle Übergriffe

In acht Fällen wurden nicht-einvernehmliche sexuelle Handlungen oberhalb der Erheblichkeitsschwelle des § 184h StGB geschildert, etwa Griffe in die Hose oder Geschlechtsverkehr trotz kommunizierter Ablehnung. Dabei handelt es sich um (versuchte) sexuelle Übergriffe unter Ausnutzung eines Überraschungsmoments (§ 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB) und um Vergewaltigung (§ 177 Abs. 1, 6 StGB); etwa „Er hat mich dann nach einer kurzen Weile einfach gepackt und gegen eine Mauer gedrückt, während er versucht hat meine Hose zu öffnen“ (Z.266) oder „Er griff mir in der vollen Straßenbahn in die Hose“ (Z.379)[20]. Der Unrechtsgehalt dieser Fälle geht deutlich über die sonst beobachteten Formen wie verbale Übergriffe hinaus.

bb) Exhibitionistische Handlungen

Teilweise wurden Entblößungen, Masturbationen und das Zusenden von Fotos des männlichen Glieds (sog. Dickpics) als belästigend geschildert (3,4 %, 27 von 790 Catcalls). Hier kommt eine Strafbarkeit wegen exhibitionistischer Handlungen gem. § 183 Abs. 1 StGB in Betracht. Strafbar macht sich danach ein Mann (sic!), der eine andere Person durch das Entblößen seines Glieds belästigt. Eindeutig strafbar sind danach Fälle wie der folgende: „Er hatte sein Glied in der Hand und fragte, ob ich schon mal einen Penis gesehen hätte“ (Z.636).[21] Nicht unter § 183 StGB fallen hingegen Masturbationsgesten oder -handlungen unter der Kleidung (wenn das Genital nicht sichtbar ist); hier kann allenfalls eine Erregung öffentlichen Ärgernisses nach § 183a StGB vorliegen.[22] Der Täter muss zudem das Ziel haben, dass seine sexualbezogene Entblößung von anderen Menschen wahrgenommen wird. Nimmt der Täter lediglich in Kauf, dass er beim Masturbieren beobachtet werden könnte, liegt kein exhibitionistisches Verhalten nach § 183 StGB vor (und auch keine Erregung öffentlichen Ärgernisses).[23] Erlebnisse wie „Er onanierte im Flixbus hinter uns“ (Z.125) erfüllen also keinen Straftatbestand.

Ob das Zusenden sogenannter „Dickpics“ strafbar ist, ist noch nicht abschließend geklärt. Einschlägig könnte die Verbreitung pornografischer Inhalte sein.[24] Nach § 184 Abs. 1 Nr. 6 StGB macht sich strafbar, wer einen pornografischen Inhalt an einen anderen gelangen lässt, ohne von diesem hierzu aufgefordert zu sein. Allerdings ist der Begriff der Pornographie unklar[25] und auslegungsbedürftig. Entscheidend ist nach überwiegender Auffassung, dass es sich um einen Inhalt handelt, der nach seinem objektiven Gehalt gerade auf die Erregung eines sexuellen Reizes abzielt.[26] Zusätzlich müssen die nach allgemeinen gesellschaftlichen Wertevorstellungen gezogenen Grenzen des Anstandes eindeutig überschritten werden.[27] Ob dies bei Detailaufnahme eines Geschlechtsorgans per se der Fall ist, lässt sich gerade angesichts der zunehmenden Normalisierung körperlicher Darstellungen etwa in den sozialen Netzwerken nicht mehr – so auch Hörnle – „zuverlässig feststellen“.[28] Es bleibt abzuwarten, ob die Gerichte die Zusendung von Dicpicks künftig unter § 184 Abs. 1 Nr. 6 StGB fassen werden.[29]

Auch von einer Strafbarkeit nach § 183 StGB kann nicht ohne Weiteres ausgegangen werden.[30] Die Tat unterscheidet sich von „klassischen“ exhibitionistischen Handlungen dadurch, dass es zu keiner körperlichen Begegnung von Täter und Opfer kommt. Der Wortlaut von § 183 StGB setzt allerdings weder eine persönliche Anwesenheit der Beteiligten noch eine Gleichzeitigkeit von Entblößung und Wahrnehmung voraus.[31] Ob man digitalen Exhibitionismus als von § 183 StGB erfasst sieht, hängt auch davon ab, welches Schutzinteresse man der Norm zugrunde legt. Bei der Einführung von § 183 StGB hat der Gesetzgeber zumindest auch darauf abgestellt, dass das Opfer regelmäßig nicht wisse „ob [die exhibitionistische Handlung] nur den Anfang eines schwerer wiegenden sexuellen Angriffs darstellt“[32]. Eine solche Sorge vor einer Eskalation der Situation besteht in Fällen digitaler Kommunikation nicht. Allerdings spielt sie für die Legitimation der Norm nur am Rande eine Rolle – zumal Studien zeigen, dass es in aller Regel nicht zu weiteren Übergriffen kommt.[33] Entscheidend ist, dass auch in Fällen des digitalen Exhibitionismus dem Opfer die visuelle Wahrnehmung des Geschlechtsteils aufgezwungen und damit in vergleichbarer Weise in sein Recht auf sexuelle Selbstbestimmung eingegriffen wird. [34]

cc) Sexuelle Belästigung

In mehr als einem Zehntel der Fälle werden Erlebnisse als Catcalling berichtet, die den Tatbestand der sexuellen Belästigungen erfüllen. § 184i StGB setzt voraus, dass der Täter eine Person in sexuell bestimmter Weise körperlich berührt und dadurch belästigt. Die Rechtsprechung bestimmt den Sexualbezug „gemischt objektiv-subjektiv“.[35] Danach ist eine Berührung sexuell bestimmt, wenn sie bereits rein objektiv gemessen an ihrem äußeren Erscheinungsbild einen Sexualbezug aufweist oder wenn sich bei einem neutralen äußeren Erscheinungsbild der Sexualbezug einem objektiven Beobachter erschließt, der alle Umstände des Einzelfalls und die Absichten des Täters kennt.[36]

Ein objektiver Sexualbezug ist insbesondere dann zu bejahen, wenn eine Körperstelle angefasst wird, die sozio-kulturell als sexuell konnotiert angesehen wird und eine Berührung deshalb außerhalb intimer Beziehungen sozial unüblich ist,[37] d.h. bei Berührungen des Pos, Intimbereichs und der Brüste (9,7 %, 77 von 790 Catcalls), aufgedrängten Küssen[38] (1,4 %, 11 von 790 Catcalls) oder das Reiben des männlichen Gliedes an eine andere Person (0,6 %, 5 von 790 Catcalls), z.B. „Er packte ihr an den Arsch“ (Z.497), „Er rieb sein Geschlechtsteil an mich“ (Z.533). Einen Sexualbezug bejaht die Rechtsprechung außerdem beim Herunterziehen körpernah getragener Hosen und Unterhosen, wenn dadurch in einer Weise Körperkontakt aufgenommen wird, der mit den in der Gesetzesbegründung genannten Beispielen vergleichbar ist.[39] Daran anknüpfend kann beispielweise auch ein im Sample beobachteter Griff unter das T-Shirt an den BH-Verschluss eine sexuelle Konnotation aufweisen.

Bei der Berührung von objektiv betrachtet neutralen Körperstellen, wie beispielsweise der Arme, Beine oder Haare, liegt dagegen ohne Hinzutreten weiterer Umstände keine sexuelle Belästigung vor.[40] Hier muss geprüft werden, ob sich ein Sexualbezug aus den Begleitumständen, insbesondere aus der Kommunikation zwischen den Beteiligten ergibt. Verneint hat etwa das OLG Hamm eine sexuell bestimmte Berührung beim Tätscheln eines bekleideten Knies begleitet von der Aussage die Betroffene sei „seine Frau“.[41]

Anders zu bewerten wäre es, wenn die begleitende Kommunikation deutlich macht, dass die Berührung nicht nur Ausdruck eines Besitzdenkens, sondern einer sexuellen Annäherung ist. Die Grenze zwischen strafloser und strafbarer Berührung ist allerdings nicht leicht zu ziehen. Allein durch die Gleichzeitigkeit von Berührung und verbal sexueller Äußerung wird die Berührung noch nicht zu einer sexuell bestimmten. So genügt etwa ein Festhalten am Arm begleitet von einem Wunsch nach sexuellen Handlungen („Wollen wir nach Hinten gehen, damit ich dich flachlegen kann?“ [Z.643]) dafür nicht. Legt der Täter aber etwa mit den Worten „Girl, I can fuck you five hours“ (Z.439) der Betroffenen die Hand auf den Schenkel, erscheint die Berührung dadurch als körperliche Annäherung zur Anbahnung eines sexuellen Kontaktes und damit sexuell bestimmt.[42] Auch eine der Berührung unmittelbar vorhergehende Kommunikation kann ihr die Neutralität nehmen. So wird durch die Ankündigung „Eine Amifotze würde ich auch gerne mal durchnehmen!“ (Z.635) ein anschließendes Streicheln über den Rücken dann sexuell bestimmt, wenn es im unmittelbaren zeitlich-räumlichen Zusammenhang zu dem vorherigen Kommentar steht. Umgekehrt gilt das allerdings nicht. Ein Griff an die Schulter bleibt auch dann eine neutrale Handlung, wenn sich die Betroffene deshalb entfernt und der Täter dies mit den Worten „dich müsste man auch mal in den Arsch ficken“ (Z.647) kommentiert.

b) Catcalling als Äußerungsdelikt

Sexuell konnotierte Äußerungen fallen hingegen nicht unter § 184i Abs. 1 StGB, da der Tatbestand eine körperliche Berührung voraussetzt. Eine Strafbarkeit von Catcalling-Äußerungen kommt allerdings insbesondere wegen Beleidigung nach § 185 StGB in Betracht.

aa) Beleidigung

§ 185 StGB schützt nach überwiegender Ansicht die Ehre des Betroffenen vor der Kundgabe von Geringschätzung, Nicht- oder Missachtung.[43] Sexualbezogene Äußerungen erfüllen problemlos dann den Tatbestand von § 185 StGB, wenn sie eine Formalbeleidigung[44] darstellen („fette Fotze“ [Z.416], „du bist auch so eine unentschlossene Schlampe“ [Z.417]; insgesamt 9,0 %, 71 von 790 Cat-calls; 8,0 % der Kommunikation).

In anderen Fällen sexueller Äußerungen ist die Rechtsprechung bei der Einordnung als Beleidigung zurückhaltend. Sexuelle Ansinnen könnten „im Ausnahmefall“ eine beleidigende Herabsetzung der Person enthalten, wenn „der Täter selbst das der betroffenen Person angesonnene Verhalten als verwerflich oder ehrenrührig ansieht und durch die Äußerung zum Ausdruck bringen will, dass er dem Tatopfer eine entsprechende verachtenswerte Haltung zu Unrecht unterstellt“[45]. Eine Beleidigung liege etwa dann vor, wenn in der Aussage die Annahme mitschwinge, die Betroffene sei jemand, mit der man „so etwas ohne weiteres machen kann“[46]. Bejaht wird eine Strafbarkeit insbesondere, wenn einer Person anlasslos unterstellt werde, sie sei zu entgeltlichen sexuellen Handlungen bereit.[47] Berichtete Äußerungen wie „Du bist so geil, ich will dich ficken, komm schon, ich bezahl ich auch“ (Z.758) oder „Was hältst du davon dein Taschengeld etwas aufzubessern, Kleine, du weißt schon.“ (Z.563), die im Sample 3,9 % (31 von 790 Catcalls) ausmachen, wären danach als strafbare Beleidigungen zu werten.

Hingegen soll nach Ansicht des BGH „allein die sexuelle Motivation des Täters, mit der er den Betroffenen unerwünscht und gegebenenfalls in einer ungehörigen, das Schamgefühl betreffenden Weise konfrontiert […] für die erforderliche, die Strafbarkeit begründende, herabsetzende Bewertung des Opfers nicht“ ausreichend sein.[48] So wurde etwa die Äußerung eines 65-Jährigen gegenüber einer 11-Jährigen er wolle „an ihre Muschi fassen“ sowie die Aussagen „ich will dich ficken“ und „ich will deine Muschi lecken“ gegenüber älteren Frauen vom 2. Strafsenat nicht als Beleidigung gewertet.[49]

Dieser Ansatz des BGH erscheint allerdings zu eng. Eine unterstellte Bereitschaft der Betroffenen zu sexuellen Handlungen ist für sich genommen nicht ehrenrührig.[50] Dahinter steht das Bild der „züchtigen“ Frau, die entsprechende Ansinnen kategorisch ablehnt. Ihren beleidigenden Charakter enthält die sexualbezogene Äußerung aber nicht durch den Rückgriff auf ein vermeintlich ehrenrühriges Verhalten der Frau, sondern dadurch, dass der Täter das Opfer zum Objekt seiner Sexualinteressen macht und auf dessen Geschlechtlichkeit reduziert.[51]

Zurecht betont daher etwa das OLG Hamm, dass eine Herabwürdigung auch dann vorliegt, wenn zusätzlich zur Bekundung sexuellen Interesses dem Betroffenen suggeriert wird, dass er „gleichsam wie ein (Lust-)Objekt zur Befriedigung seiner sexuellen Bedürfnisse mittels Durchführung des Geschlechtsverkehrs zur Verfügung steht“[52]. Das OLG Karlsruhe sah eine besondere Demütigung und Herabwürdigung des anderen auch darin, dass eine nicht unerhebliche verbale sexuelle Belästigung auf offener Straße vorgenommen wird.[53]

Die Grenze zwischen noch zulässiger Annäherung und strafbarer Herabwürdigung ist abstrakt schwer zu ziehen. Sie wird jedenfalls dann überschritten, wenn das Opfer anlasslos mit eindeutigem, derbem sexuellem Ansinnen konfrontiert wird. Strafbar sind mit Blick auf das untersuchte Sample etwa Äußerungen wie „du siehst so aus, als ob du auf Analsex stehst“ (Z.518) oder „Lutsch meinen Schwanz, nimm ihn in den Mund“ (Z.514), (24,6 %, 194 von 790 Catcalls).

Schwieriger zu beurteilen sind Äußerungen, die mit dem Schlagwort „Catcalling is not a compliment“ erfasst werden, insbesondere Kommentare zum Aussehen der Person („bei dir wird man schon geil“ [Z.502], „nice fucking ass“ [Z.442], „Junge, die hat stabile Titten, oida“ [Z.781]; 22,4 %, 177 von 790 Catcalls). Wird die Betroffene wie in den hier genannten Fällen bereits durch das verwendete Vokabular sexualisiert, ist eine herabwürdigende Reduktion auf ihre Geschlechtlichkeit anzunehmen.[54] Sie stellen nicht nur „einen distanzlosen Versuch aufdringlicher Kontaktherstellung dar“[55]. Anders zu bewerten sind hingegen Aussagen wie „du siehst so schön aus“, Aufforderungen wie „Hey Süße, gib mir deine Nummer“ (Z.363), „Schönes Mädchen, willst du meinen Sohn heiraten?“ (Z.507), (14,1 %, 111 von 790 Catcalls) oder das Ansprechen fremder Personen mit Kosenamen („Schatzi“ [Z.450]; 7,7 %, 61 von 790 Catcalls). Sie können zwar als verbal übergriffig erlebt werden, gehen aber nicht mit einem Absprechen des personalen Eigenwerts einher und sind daher nicht als Beleidigungen strafbar.[56] Gleiches gilt für das Hinterherpfeifen oder sonstige (Lock-)Geräusche; solche Formen der Annäherung werden – auch wenn in der öffentlichen Diskussion das Catcalling häufig darauf reduziert wird[57] – auch selten für sich genommen als belästigend geschildert (1,4 %, 11 von 790 Catcalls).

bb) Bedrohung

In einigen Fällen kam es entweder unmittelbar oder nach Ablehnung eines Annäherungsversuchs zu aggressiven oder bedrohlichen Äußerungen (3,9 %, 31 von 790 Cat-calls).

Hier kann eine Bedrohung gem. § 241 Abs. 1 StGB vorliegen, wenn ein Mensch mit der Begehung einer gegen ihn oder eine ihm nahestehende Person gerichteten rechtswidrigen Tat etwa gegen die sexuelle Selbstbestimmung oder die körperliche Unversehrtheit bedroht wird.[58] Die Bedrohung muss nicht ausdrücklich formuliert werden, sondern kann auch konkludent zum Ausdruck gebracht werden.[59] Die Aussage „ich habe auch mein Messerschen und Teleskopschläger dabei“ (Z.17) nach abgelehnter Interaktion mit dem Täter dürfte für die Annahme einer Bedrohung mit einer Straftat gegen die körperliche Integrität ausreichen. Nicht erfasst werden hingegen Äußerungen, die zwar einschüchternde Wirkung haben, nicht aber die Ankündigung einer rechtswidrigen Tat zum Gegenstand haben, etwa „Du hast Glück, dass ich kein Moslem Vergewaltiger bin!“ (Z.751).

c) Nicht körperliche und non-verbale Formen des Catcalling

Als weitere Form der Belästigung werden insbesondere Verfolgungen erlebt (10,5 %, 83 von 790 Catcalls, 20,4 % der nicht-körperlichen Formen). Diese sind häufig (80,7 %) zusätzlich mit einer verbalen Annäherung verbunden und dauerten über einen längeren Zeitraum an: „Er verfolgte mich über 1,5 km und sagte, ‚stell dich nicht so an‘.“ (Z.110), „drei Männer verfolgten uns über zwei Stunden lang“ (Z.256). Denkbar wäre hier allenfalls eine Strafbarkeit wegen Nachstellung nach § 238 StGB. Der Tatbestand stellt jedoch nur „wiederholte“ Nachstellungshandlungen unter Strafe, wobei die Tat geeignet sein muss, die „Lebensgestaltung nicht unerheblich zu beeinträchtigen“. Bei einmaligen Begegnungen – und um solche handelte es sich bei den meisten geschilderten Cat-calling-Erlebnissen – scheidet eine Strafbarkeit nach § 238 StGB aus.

Auch die übrigen im Sample beobachteten Formen nicht-körperlicher, nonverbaler Annäherung sind regelmäßig straflos. Das gilt für als belästigend empfundene Blicke (z.B. lüsterne Blicke oder aufdringliches Starren) und Mimik (etwa das Lecken über die eigenen Lippen).

2. Ausblick: Zur Einführung eines „Catcalling“-Tatbestandes de lege ferenda 

Eine Analyse der berichteten Erscheinungsformen und ihrer Strafbarkeit zeigt, dass viele Catcalling-Erfahrungen bereits nach geltendem Recht strafrechtlich sanktioniert werden können. Dies setzt allerdings gerade im Bereich des Beleidigungsstrafrechts voraus, dass die Gerichte den – bereits vom OLG Hamm beschrittenen – Weg gehen, sexuell herabwürdigende Äußerungen konsequent als Beleidigungen zu ahnden.[60] An anderer Stelle bietet es sich an, das bestehende Sexualstrafrecht an neue Phänomene anzupassen – und etwa digitalen Exhibitionismus wie das Zusenden von Dickpics zweifelsfrei strafrechtlich zu erfassen. Den wohl bedeutsamsten und zugleich kriminalpolitisch schwierigsten Fall stellen Äußerungen dar, die zwar nicht ehrverletzend, wohl aber sexuell belästigend sind.[61] Sie werden vom Strafrecht derzeit nicht erfasst – weder durch das Beleidigungsrecht, das auf einen Ehrschutz abstellt, noch durch das Sexualstrafrecht, das verbale Belästigungen bislang ausklammert.[62]

Gegen eine Erweiterung des Strafrechts auf solche Fälle des Catcallings wird eingewandt, dass verbale Übergriffe „lediglich eine Form der distanz- und respektlosen Annäherung“ darstellten, die letztlich hingenommen werden müsse.[63] Auf eine ähnliche Weise wurde und wird gegen die Kriminalisierung von Exhibitionismus als einer anderen Form aufgedrängter Sexualität argumentiert: Ungewollte Konfrontation mit Sexualität sei eine Unannehmlichkeit, die zwar ärgerlich, aber nicht strafwürdig sei.[64] Wer sich in der Öffentlichkeit bewege, der stoße gelegentlich auf Vorgänge, die ihn abschrecken, etwa öffentliche Trunkenheit, Körperausscheidungen oder das Abspielen lauter Musik.[65] Aufgabe des Strafrechts sei es aber weder, unanständiges Benehmen zu sanktionieren noch den Einzelnen vor kurzzeitig negativen Gefühlen wie Ekel oder Schreck zu schützen.[66]

Diese Argumente sind aus verschiedenen Gründen nicht überzeugend. Sie zeigen zunächst eine bedenkliche Bagatellisierung der Wirkung ungewollter sexueller Konfrontation auf die Betroffenen. Eine Gleichsetzung exhibitionistischer Handlungen – erst recht dürfte auf diese Weise für verbale Belästigungen argumentiert werden – mit „lauter Musik“ offenbart einen kaum nachvollziehbaren Mangel an Sensibilität und ein fehlendes Verständnis für die unterschiedliche Wahrnehmung von Sexualität. Dass die Einstufung aufgedrängter Sexualität als bloße soziale Lästigkeit weit überwiegend von männlichen Autoren vertreten wird,[67] ist ein interessanter Befund, der soziologischer Vertiefung bedürfte – und einer kritischen Selbstreflexion der Autoren.

Der Vergleich von „schlechtem Benehmen“ und sexueller Konfrontation ist nicht nur Ausdruck einer beschränkten Sicht auf Sexualität, sondern auch phänomenologisch falsch. Es wird verkannt, dass Catcalling und Exhibitionismus nicht nur in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden, sondern sich gezielt an eine konkrete Person richten, die ohne ihren Willen vom Täter aktiv in eine sexuell konnotierte Situation einbezogen wird. Der Täter nimmt nicht nur sittlich anstößige Handlungen vor, er greift bewusst in die Sphäre einer anderen Person ein. Der strafrechtliche Schutz der sexuellen Selbstbestimmung folgt spätestens seit der Reform des Sexualstrafrechts im Jahr 2016 dem Leitbild einer konsensualen Sexualität, das die Achtung des Willens (oder Unwillens) der Person in den Vordergrund stellt.[68] Das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung schützt auch davor, ohne oder gegen den eigenen Willen zum Objekt der sexuellen Interaktion eines anderen zu werden.[69] Jeder Mensch hat die Freiheit, selbst darüber zu entscheiden, ob und unter welchen Voraussetzungen er in ein sexuelles Geschehen einbezogen wird. Das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung wird nicht nur durch körperliche Übergriffe verletzt, sondern auch durch eine nicht-körperliche Instrumentalisierung des Betroffenen zu sexuellen Zwecken.[70] Dass die Intensität der Rechtsverletzung hier geringer ist als etwa bei aufgedrängten körperlichen Berührungen, steht außer Frage[71] – der Annahme einer Strafbarkeit aber nicht entgegen, sofern bei der Ausgestaltung der Strafnorm die Voraussetzung der Erheblichkeit beachtet wird.[72]

Ein weiterer Punkt, der in der Diskussion immer wieder anklingt, ist der Hinweis auf Vermeidemöglichkeiten des Betroffenen. Das Opfer könne sich der Situation schließlich „entziehen, indem es sich entfernt“[73] oder entsprechende Angebote „dankend“ ablehnen.[74] Damit wird allerdings verkannt, dass die Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung zu diesem Zeitpunkt bereits erfolgt ist. Ein Verlassen der Situation macht die ungewollte Konfrontation nicht ungeschehen, sondern kann allenfalls ihre Dauer reduzieren. Wie die ausgewerteten Beiträge zeigen, beendet eine Ablehnung nicht einmal notwendig den Übergriff; in vielen Fällen wird die Kommunikation sogar in noch aggressiverer Form fortgesetzt.

Noch gewichtiger ist allerdings, dass es kaum eine angemessene Lösung sein kann, das Opfer auf einen Rückzug zu verweisen. Eine solche Argumentation kehrt die Verantwortlichkeit der Beteiligten um: Anstatt denjenigen zu bestrafen, der ungewollt in die Sexualsphäre eines anderen eingreift, soll sich der Verletzte zurückziehen müssen. Mit Blick auf Catcalling wird dieser Aspekt in besonderer Weise virulent, da es hier auch um die Gefahr der Verdrängung junger Frauen aus öffentlichen Räumen geht.[75] Betroffene berichten davon, aufgrund von erfahrenen verbalen Belästigungen bestimmte Wege zu meiden oder Orte nur zu bestimmten Zeiten aufzusuchen.[76] Catcalling lässt sich dabei ohne Weiteres als Akt der Dominanzausübung gerade im öffentlichen Raum begreifen.[77] Forschung zu Sexualstraftaten zeigt, dass das Frauenbild von Tätern häufig geprägt ist durch die Vorstellung einer jederzeitigen sexuellen Verfügbarkeit, Unterordnung, Minderwertigkeit und Fremdbestimmbarkeit der Frau.[78] Auch verbale  sexualisierte  Übergriffe bringen  regelmäßig eine Geringschätzung der Betroffenen zum Ausdruck, die nicht als gleichberechtigte Kommunikationspartnerin wahrgenommen, sondern ungewollt sexualbezogen konfrontiert wird.[79]

Catcalling ist keine bloße Unannehmlichkeit; verbale sexuelle Belästigungen sind Verletzungen der sexuellen Selbstbestimmung, die Betroffene nicht hinnehmen müssen. Überlegungen zur Einführung eines entsprechenden Straftatbestandes sind daher nicht, wie mitunter insinuiert wird, aufgeregte Forderungen übersensibler Feministinnen, sondern ein konsequenter Schritt zum Schutz des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung vor ungewollten Übergriffen. Dass die Strafrechtswissenschaft diese Bestrebungen überwiegend kritisch sehen wird, ist angesichts der verbreiteten strafrechtsskeptischen Haltung zu erwarten. So berechtigt ein zurückhaltender Einsatz des Strafrechts grundsätzlich ist – er darf nicht dazu führen, dass das legitime Schutzinteresse einer Vielzahl von Personen ausgeblendet wird.[80] Das Internet hat hier die Möglichkeit eröffnet, dass die Perspektiven von Personengruppen in die kriminalpolitische Diskussion einbezogen werden, die bislang nicht gesehen wurden.

Die wesentliche Herausforderung wird darin bestehen, einen Straftatbestand zu formulieren, der den Anforderungen an gesetzliche Bestimmtheit genügt. Denn die Grenze zwischen unerheblichen und erheblichen verbalen sexuellen Belästigungen lässt sich abstrakt nur schwer ziehen. Das gilt jedoch für jede Form menschlicher Kommunikation, weshalb Tatbestände wie § 130 StGB eine Vielzahl interpretationsoffener Begriffe verwenden oder § 185 StGB gleich ganz auf eine Definition des strafbaren Verhaltens verzichtet. Die Schwierigkeit, Kommunikation trotz ihrer Komplexität und Vielschichtigkeit rechtlichen Regeln zu unterwerfen, kann nicht dazu führen, sie dem Strafrecht zu entziehen. Abgrenzungsprobleme lassen sich durch objektive Eignungskriterien („geeignet ist…“)[81] und die ausdrückliche Nennung der Erheblichkeit („erheblich zu belästigen / bedrängen“)[82] in den Griff bekommen.

 

 

[1]      https://www.openpetition.de/petition/online/es-ist-2020-catcalling-sollte-strafbar-sein (zuletzt abgerufen am 3.3.2022).
[2]      Gemmel/Immig, KriPoZ 2022, 83 (85).
[3]      S. Pörner, NStZ 2021, 336; Steiner, ZRP 2021, 241; Gemmel/Immig, KriPoZ 2022, 83 (87 ff.).
[4]      Fischer, StGB, 69. Aufl. (2022), § 177 Rn. 4; Lamping, JR 2017, 347 (356); krit. auch Löffelmann, StV 2017, 410 (414 ff.).
[5]      Bezjak, KJ 2016, 557 (571); Hörnle, NStZ 2017, 13 (14); Papathanasiou, KriPoZ 2016, 133 (139); Renzikowski, NJW 2016, 3553; s.a. Hoven/Weigend, JZ 2017, 182 (184).
[6]      Deutscher Juristinnenbund 2021, S. 1.
[7]      In diese Richtung Fischer, Spiegel Online v. 25.09.2020, online abrufbar unter: https://www.spiegel.de/panorama/justiz/gesetzgebung-alles-neu-kolumne-von-thomas-fischer-a-c0a57139-23af-447c-b163-5dbe1cfa19ba (zuletzt abgerufen am 11.3.2022).
[8]      Stand jeweils Februar 2022.
[9]      https://instagram.com/catcallsofmuc?utm_medium=copy_link; https://instagram.com/catcallsofhannover?utm_medium=copy_link; https://instagram.com/catcallsofmainz?utm_medium=copy_link; https://instagram.com/catcallsofberlin?utm_medium=copy_link (jeweils zuletzt abgerufen am 22.4.2022).
[10]    Dort wurde der 1. Beitrag von einem „Catcallof“-Account veröffentlicht.
[11]    Statista, Anteil der befragten Internetnutzer, die Instagram nutzen, nach Altersgruppen in Deutschland in den Jahren 2015 bis 2020/21, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/691584/umfrage/anteil-der-nutzer-von-instagram-nach-alter-in-deutschland/ (zuletzt abgerufen am 3.3.2022).
[12]    Verbale Kommunikation mit mindestens einer der anderen Formen in 37,1 % aller 790 Erlebnisse, 141 Erfahrungen beinhalteten keine verbale Form (17,8 %).
[13]    Die aufgeführten Äußerungen entstammen dem Sample, teilweise mit geringfügigen orthografischen und grammatikalischen Anpassungen.
[14]    Eingeordnet wurden hier Fälle, die juristisch als Formalbeleidigung gewertet wurden.
[15]    7,7 % (61 von 790 Beiträgen).
[16]    Erfasst wurden hier Entblößungen und Masturbationsbewegungen; nicht bei allen beobachteten Fällen handelt es sich um Exhibitionismus im juristischen Sinn; s.u. IV. 1. a) bb).
[17]    Bis 19 Jahre (6,5 %), 20 bis 29 Jahre (21,6 %), 30 bis 39 Jahre (18,0 %), 40 bis 49 Jahre (30,2 %), 50 bis 59 Jahre (13,7 %), ab 60 Jahre (10,1 %).
[18]    21,4 % aller Beiträge enthielten eine Altersangabe des Betroffenen und 77,6 % eine Angabe zum Geschlecht.
[19]    Zu ähnlichen Ergebnissen gelangen andere aktuelle Studien zum Phänomen Catcalling, die als Online-Befragung durchgeführt wurden; Gemmel/Immig, KriPoZ 2022, 83 (84); Goede/Lehmann, Catcalling. Erste Ergebnisse einer Online-Befragung. Vortrag bei der Tagung „Gender & Crime – Geschlechteraspekte in Kriminologie und Strafrechtswissenschaft“ 25.11.2021 bis 26.11.2021. Die Altersstruktur der Betroffenen ist allerdings in besonderer Weise von der Nutzung der Social-Media-Plattform abhängig, 80 % der 16- bis 19- und 20- bis 29- jährigen Befragten nutzen Instagram; zwischen 30 und 39 Jahren liegt der Anteil nur noch bei 63 % und nimmt dann mit steigendem Alter weiter ab; Statista, Anteil der befragten Internetnutzer, die Instagram nutzen, nach Altersgruppen in Deutschland in den Jahren 2015 bis 2020/21, April 2021, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/691584/umfrage/anteil-der-nutzer-von-instagram-nach-alter-in-deutschland/ (zuletzt abgerufen am 3.3.2022).
[20]    Hier handelt es sich aufgrund des Alters der Betroffenen von 13 Jahren außerdem um Kindesmissbrauch (§ 176 Abs. 1 Nr. 1 StGB).
[21]    Im konkreten Fall liegt aufgrund des mitgeteilten Alters des Opfers von 11 Jahren auch ein sexueller Missbrauch von Kindern ohne Körperkontakt mit dem Kind (§ 176a Abs. 1 Nr. 1 StGB) vor. In jeweils einem weiteren, ähnlich gelagerten Fall war das Opfer 10 bzw. 12 Jahre alt.
[22]    In diese Richtung Hörnle, in: MüKo-StGB, 4. Aufl. (2021), § 183a Rn. 5.
[23]    Hörnle, in: MüKo-StGB, § 183 Rn. 9.
[24]    Bejahend (allerdings ohne nähere Begründung) BVerwG, BeckRS 2020, 10047 Rn. 22.
[25]    So Eschelbach, in: Matt/Renzikowski, StGB, 2. Aufl. (2020), § 184 Rn. 18.
[26]    BVerwG, JuS 2002, 1118; KG, NStZ 2009, 446 (447); Heger, in: Lackner/Kühl, StGB, 29. Aufl. (2018), § 184 Rn. 3; Hörnle. in: MüKo-StGB, § 184 Rn. 21; Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. (2019), § 184 Rn. 8; Sobota/Gerecke, JR 2022, 237 (238); jew. m.w.N; krit. zum subjektiven Merkmal der sexuellen Reizung Frommel, in: NK-StGB, 5. Aufl. (2017), § 184e Rn. 10; für einen individuellen, an den Betroffenen ausgerichteten Maßstab Wolters/Greco, in: SK-StGB, 9. Aufl. (2017), § 184 Rn. 12 f.
[27]    Hörnle, in: MüKo-StGB, § 184 Rn. 21.
[28]    Hörnle, in: MüKo-StGB, § 184 Rn. 21.
[29]    Dafür Gemmel/Immig, KriPoZ 2022, 83 (87); krit. Sobota/Gerecke, JR 2022, 237 (239 f.).
[30]    Hierzu ausführlich Sobota/Gerecke, JR 2022, 237 (240 f.).
[31]    Sobota/Gerecke, JR 2022, 237 (240); für eine Gleichzeitigkeit von Entblößung und Wahrnehmung Hörnle, in: MüKo-StGB, § 183 Rn. 8; enger Ziegler, in: BeckOK-StGB, 52. Ed. (2022), § 183 Rn. 4; Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB, § 183 Rn. 3, die gleichzeitige körperliche Anwesenheit fordern.
[32]    BT-Drs. VI/3521, S. 53.
[33]    Kentler/Schorsch, in: Jäger/Schorsch, Sexualwissenschaft und Strafrecht, 1987, S. 108 ; Sick, ZStW 103 (1991), 43 (89) m.w.N. Gleichwohl kommt dem Aspekt Bedeutung zu, da die Angstreaktion des Opfers in der Situation nachvollziehbar bleibt. Durch die exhibitionistische Handlung dokumentiert der Täter, dass er zu sexuell übergriffigem Verhalten bereit ist; dass auf eine Grenzüberschreitung eine weitere folgen kann, ist aus Perspektive der Betroffenen nicht fernliegend.
[34]    Ebenso Sobota/Gerecke, JR 2022, 237 (241).
[35]    BGHSt 63, 98 (103); LG Stuttgart, BeckRS 2019, 21445; s.a. OLG Hamm, BeckRS 2019, 2137.
[36]    BGHSt 63, 98 (103); OLG Hamm, BeckRS 2019, 2137; Ziegler, in: BeckOK-StGB, § 184i Rn. 4; Eschelbach, in: Matt/Renzikowski, StGB, § 184i Rn. 6; Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB, § 184i Rn. 5; i.S.e. rein objektiven Auslegung Hoven/Weigend, JZ 2017, 182 (189); Hörnle, NStZ 2017, 13 (20); Noltenius, in: SK-StGB, § 184i Rn. 5; Wolters, in: SSW-StGB, 5. Aufl. (2021), § 184i Rn. 7; Renzikowski, in: MüKo-StGB, § 184i Rn. 11; ders., NJW 2016, 3553 (3557).
[37]    Eschelbach, in: Matt/Renzikowski, StGB, § 184i Rn. 5; Renzikowski, in: MüKo-StGB, § 184i Rn. 11.
[38]    Jedenfalls bei Küssen auf den Mund, s. Renzikowski, in: MüKo-StGB, § 184i Rn. 11; weiter noch ders., NJW 2016, 3553 (3557) (Küsse auf die Wange); in diese Richtung auch BT-Drs. 18/9097 S. 29 f. (Küsse auf Nacken und Haare); bei Zungenküssen kann dagegen bereits die Erheblichkeitsschwelle des § 184h Nr. 1 StGB überschritten sein (s. BGH, NStZ 2012, 33; NStZ-RR 2017, 242; Hörnle, in: MüKo-StGB, § 184h Rn. 21).
[39]    BGH, BeckRS 2021, 10457.
[40]    Vgl. OLG Hamm, BeckRS 2019, 2137; LG Stuttgart, BeckRS 2019, 21445; Hoven/Weigend, JZ 2017, 182 (189).
[41]    OLG Hamm, BeckRS 2019, 2137.
[42]    In diese Richtung Renzikowski, in: MüKo-StGB, § 184i Rn. 11.
[43]    Fischer, StGB, § 185 Rn. 4; Regge/Pegel, in: MüKo-StGB, § 185 Rn. 8; Zaczyk, in: NK-StGB, § 185 Rn. 6; Eisele/Schittenhelm, in: Schönke/Schröder, StGB, § 185 Rn. 2.
[44]    Zum Begriff der Formalbeleidigung siehe BVerfG, NJW 2020, 2622 (2624 f.); AG Frankfurt a.M., BeckRS 2021, 1953; Valerius, in: BeckOK-StGB, § 193 Rn. 36.
[45]    BGH, NStZ-RR 2006, 338; NStZ-RR 2008, 108 (109); übereinstimmend Fischer, StGB, § 185 Rn. 11c.
[46]    BGH, NStZ 1992, 33; s.a. OLG Hamm, NStZ-RR 2008, 108; LG Freiburg, NJW 2002, 3645 (3646); Zaczyk, in: NK-StGB, Vor §§ 185 Rn. 25; Eisele/Schittenhelm in: Schönke/Schröder, StGB, § 185 Rn. 4.
[47]    BGH, NStZ 1992, 33; OLG Oldenburg, BeckRS 2011, 925; krit. Zaczyk, in: NK-StGB, Vor §§ 185 Rn. 25, Fn. 66.
[48]    BGH, NStZ 2018, 603 (604).
[49]    BGH, NStZ 2018, 603 (604).
[50]    Krit auch Gemmel/Immig, KriPoZ 2022, 83 (88).
[51]    Vgl. OLG Hamm, NStZ-RR 2008, 108 (109); ähnlich Rogall, in: SK-StGB, § 185 Rn. 14.
[52]    OLG Hamm, NStZ-RR 2008, 108 (109); übereinstimmend Pörner, NStZ 2021, 336 (338); in diese Richtung auch OLG Zweibrücken, NJW 1986, 2960 (2961); AG Lübeck, BeckRS 2011, 19102; diff. Gaede, in: Matt/Renzikowski, StGB, § 185 Rn. 12, der erst bei „qualifiziertem“ nicht aber bei „schlichtem“ Ansinnen eines Sexualkontakts eine Beleidigung annehmen will.
[53]    OLG Karlsruhe, NJW 2003, 1263 (1264).
[54]    In diese Richtung auch Deutscher Juristinnenbund 2021, S. 5.
[55]    So aber Pörner, NStZ 2021, 336 (338).
[56]    Pörner, NStZ 2021, 336 (338).
[57]    Vgl. etwa die Begriffserklärungen bei Wikipedia, online abrufbar unter: https://de.wikipedia.org/wiki/Catcalling oder dem Duden, online abrufbar unter: https://www.duden.de/rechtschreibung/Catcalling, aber auch die Petition gegen Catcalling selbst, online abrufbar unter: https://www.openpetition.de/petition/online/es-ist-2020-catcalling-sollte-strafbar-sein#petition-main (jeweils zuletzt abgerufen am 3.3.2022).
[58]    Bei den im Sample untersuchten Fällen handelt es sich um Erlebnisse, die sich größtenteils unter Geltung der alten Rechtslage ereignet haben. Bis 2.4.2021 war noch die Bedrohung mit einem Verbrechen erforderlich. Hier soll dennoch die aktuelle Rechtslage untersucht werden, um beurteilen zu können, ob die Verhaltensweisen nunmehr strafrechtlich erfasst wären. Ebenso wurde mit Blick auf § 238 StGB verfahren.
[59]    Sinn, in: MüKo-StGB, § 241 Rn. 6.
[60]    OLG Hamm, NStZ-RR 2008, 108 (109).
[61]    Die Annahme von Steiner, dass keine strafwürdigen verbalen sexuellen Belästigungen denkbar seien, die nicht zugleich die Voraussetzungen der Beleidigungsstrafbarkeit erfüllen, verkennt die grundsätzlich unterschiedliche Schutzrichtung von Beleidigungs- und Sexualstrafrecht; Steiner, ZRP 2021, 241 (243).
[62]    So auch Gemmel/Immig, KriPoZ 2022, 83 (87 ff.).
[63]    Pörner, NStZ 2021, 336 (340).
[64]    Weigend, ZStW 129 (2017), 513 (521 f.); Wolters, in: SSW-StGB, § 183 Rn. 1; ders., Fragmentarischer Charakter des Strafgesetzbuchs auch im dreizehnten Abschnitt (?) – Überlegungen zur Zeitgemäßheit einzelner Strafvorschriften, abgedruckt im Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht, 2017, 1360 (1367); von Hören, ZRP 1987, 19 (22); für die Strafwürdigkeit dagegen Bottke, in: FS Szwarc, 2009, S. 297 (300); Laufhütte/Roggenbuck, in: LK-StGB, 12. Aufl. (2009), § 183 Rn. 1; für eine Erfassung als Ordnungswidrigkeit Hörnle, Grob anstößiges Verhalten. Strafrechtlicher Schutz von Moral, Gefühlen und Tabus, 2005, S. 462; Sander, ZRP 1997, 447 (450).
[65]    Weigend, ZStW 129 (2017), 513 (521 f.); Wolters, S. 1366 f.; zurecht krit. Heger, ZRP 2018, 118 (119).
[66]    Hörnle, in: MüKo-StGB, § 183 Rn.1; dies., MschrKrim 2001, 212 (212); Sick, ZStW 103 (1991), 43 (89).
[67]    Weigend, ZStW 129 (2017), 513 (521 f.); Wolters, S. 1366 f.; ebenfalls in diese Richtung Pörner, NStZ 2021, 336 (340); eine langanhaltende oder erhebliche psychische Beeinträchtigung ausschließend Kentler/Schorsch, in: Jäger/Schorsch, S. 112; Sick, ZStW 103 (1991), 43 (89); von Hören, ZRP 1987, 19 (20).
[68]    BT-Drs. 18/9097, S. 21 f.; Renzikowski, in: MüKo-StGB, Vor § 174 Rn. 9; ders., NJW 2016, 3553; Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB, Vor § 174 Rn. 1b; Wolters, in: SK-StGB, Vor § 174 Rn. 7; bereits vor der Reform Hörnle, in: LK-StGB, § 177 Rn. 1; dies., GA 2015, 315 (316); dies., ZIS 2015, 206 (208 ff.); Sick, ZStW 103 (1991), 43 (51); dies./Renzikowski, in: FS Schroeder, 2006, S. 603 (605); krit. dagegen Eschelbach, in: Matt/Renzikowski, StGB, § 177 Rn. 12: „Unklar ist zudem, ob in der Anknüpfung des Grundtatbestands gemäß § 177 Abs. 1 und 2 an die Bildung und Äußerung eines Gegenwillens mit dem Willen an sich und nicht mit der Freiheit seiner Entfaltung, ein strafrechtlich schutzbedürftiges Rechtsgut gewählt wurde.“
[69]    Vgl. Hoven/Weigend, JZ 2017, 182 (184); Bottke, in: FS Szwarc, 2009, S. 297 (300); Sick, Sexuelles Selbstbestimmungsrecht und Vergewaltigungsbegriff, 1993, S. 87; dies./Renzikowski, in: FS Schroeder, 2006, S. 603 (613); Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB, Vor § 174 Rn. 1b; Renzikowski, in: MüKo-StGB, Vor § 174 Rn. 9; El-Ghazi, ZIS 2017, 157 (159).
[70]    Bottke, in: FS Szwarc, 2009, S. 297 (300); Ziegler, in: BeckOK-StGB, § 183 Rn. 2; Laubenthal, Handbuch Sexualstraftaten. Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung, 2012, Rn. 719; nicht erforderlich ist deshalb die Aufnahme der verbalen sexuellen Belästigung in einen weiteren, neu zu schaffenden Abschnitt des StGB, wie das Gemmel/Immig (KriPoZ 2022, 83 (89)) vorschlagen. Durch die Betroffenheit der sexuellen Selbstbestimmung bietet sich eine Regelung im 13. Abschnitt an.
[71]    So auch Hörnle, in: MüKo-StGB, § 183 Rn. 2.
[72]    Dieser Befund spricht allerdings gegen einen weiten Catcalling-Tatbestand, der zugleich sexuelle Handlungen erfasst (so Deutscher Juristinnenbund 2021, S. 6). Aufgrund ihres geringeren und eigenständigen Unrechtsgehalts sollten verbale sexuelle Belästigungen eigenständig erfasst werden.
[73]    Weigend, ZStW 129 (2017), 513 (522).
[74]    Pörner, NStZ 2021, 336 (340). Die Formulierung „dankend“ kann hier wohl nur ironisch zu verstehen sein.
[75]    Ähnlich zum Exhibitionismus Lembke, in: Lembke, Regulierungen des Intimen, 2017, S. 271, 280.
[76]    Im Sample beobachtet, z.B. „Danach hatte ich mehrere Wochen Panik alleine S-Bahn zu fahren“ (Z.136); „Ich bin seit dem nicht mehr Taxi gefahren“(Z.763); zu ähnlichen Ergebnissen gelangen Gemmel/Immig, KriPoZ 2022, 83 (84) und die Studie des Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen; s. Goede/Lehmann, Catcalling. Erste Ergebnisse einer Online-Befragung. Vortrag bei der Tagung „Gender & Crime – Geschlechteraspekte in Kriminologie und Strafrechtswissenschaft“ v. 25.11.2021 bis 26.11.2021.
[77]    Es ist erstaunlich, dass Autoren wie Pörner ohne jeden Rückgriff auf empirische oder soziologische Forschung schlicht verneinen; Pörner, NStZ 2021, 336 (340).
[78]    Feldmann, Vergewaltigung und ihre psychischen Folgen. Ein Beitrag zur posttraumatischen Belastungsreaktion, 1992, S. 12; Füllgrabe, Kriminalistik 2006, 84; Kratzer-Ceylan, Finalität, Widerstand, „Bescholtenheit“. Zur Revision der Schlüsselbegriffe des § 177 StGB, 2015, S. 40; Lederer, Hemmschwellen im Strafrecht. Eine übergreifende Untersuchung der Hemmschwellen bei Sexualdelikten und Totschlag, 2011, S. 31 f.; Sample/Rader, in: Sanders, The Oxford Handbook of Sex Offences and Sex Offenders, 2017, S. 81 (90); Sick, MSchKrim 1995, 281 (288 f.); dies., ZStW 103 (1991), 43 (56); Volk et al., in: FS Leithoff, 1985, S. 469 (473); jew. m.w.N.
[79]    Vgl. Wesselmann/Kelly, Sex Roles 2010, 451 (457); Nitschke/Lam, Adaptive Human Behavior and Physiology 2021, 281 (299); dagegen gehen DelGreco/Ebesu Hubbard/Denes davon aus, dass die Motivation hinter Catcalling bei Männern häufig auch in dem Wunsch Zuneigung auszurücken bestehen kann und sie dabei unbewusst ein Machtgefälle zwischen Männern und Frauen ausnutzen, wobei die Studie auch niedrigschwellige Formen, wie das Fragen nach dem Namen der Betroffenen, als Catcalling mit einbezieht; DelGreco/Ebesu Hubbard/Denes, Violance Against Women 2021, 1402 (1419 f.); zu ähnlichen Ergebnissen kommen Walton/Pedersen, die bei manchen Catcallern auch zusätzlich Macht und Misogynie als Gründe für Catcalling sehen; Walton/Pedersen, Psychology & Sexuality 2021, doi: https://doi.org/10.1080/19419899.2021.
1909648, 1 (12).
[80]    So auch Gemmel/Immig, KriPoZ 2022, 83 (87), die eine Perpetuierung der ursprünglich dem StGB innewohnende Geschlechterungerechtigkeit kritisieren.
[81]    Vgl. dazu bereit Hoven/Weigend, JZ 2017, 182 (190).
[82]    So auch Deutscher Juristinnenbund 2021, 5.

 

 

 

Schreiben Sie einen Kommentar

Durch Abschicken des Formulares wird dein Name, E-Mail-Adresse und eingegebene Text in der Datenbank gespeichert. Für weitere Informationen lesen Sie bitte unsere Datenschutzerklärung.