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KriPoZ-RR 8/2024

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

Redaktioneller Leitsatz:

Motiven des Täters kann bei der Abgrenzung zwischen bewusster Fahrlässigkeit und einem bedingten Tötungsvorsatz nur dann Gewicht zukommen, wenn alle besonderen Umstände des Tatgeschehens berücksichtigt werden. Ein solcher besonderer Umstand kann eine Interessenwidrigkeit der tödlichen Folge für den Täter sein.

Sachverhalt:

Der 69 Jahre alte Angeklagte bewohnte zum Tatzeitpunkt mit seiner Lebensgefährtin und deren 47 Jahre alten Sohn am Ortsrand eines keinen Dorfes. Der Sohn war aufgrund eines schweren Unfalls erwerbsunfähig und befand sich ab dem Jahr 2018 in einem multimorbiden Zustand. Er bewohnte ein schmales Zimmer im Dachgeschoss, zu dem die Zimmertür ausgehängt war. Dieser Bereich des Hauses war durch eine hölzerne Dachkonstruktion mit der angrenzenden Scheune verbunden.

Der Angeklagte war zunehmend genervt von der Wohnsituation; ihn überforderten nicht nur die Renovierungsarbeiten am Haus, sondern auch die Versorgung des körperlich gebrechlichen Sohnes seiner Lebensgefährtin. Er wusste, dass der Sohn nicht freiwillig auf sein eingeräumtes Wohnrecht verzichten würde und seine Lebensgefährtin diesen nicht unversorgt zurücklassen würde. Also entschloss sich der Angeklagte, das Wohnhaus in Brand zu setzen. Hierzu entzündete er zunächst zahlreiche brennbare Gegenstände in der angrenzenden Scheune, bevor er in das Haus lief und seiner Lebensgefährtin zurief: „Es brennt, wir müssen raus“. Die Scheune brannte vollständig. Der Sohn der Lebensgefährtin wurde aufgrund der giftigen Rauchgase schnell bewusstlos und verstarb in seinem Bett liegend an einer Kohlenmonoxidvergiftung mit hochgradigen Verbrennungen.

Das LG hat den Angeklagten wegen Brandstiftung mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt.

Entscheidung des BGH:

Die Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg. Es werde zu Recht die Ablehnung eines bedingten Tötungsvorsatzes beanstandet. Hierzu führt der Senat aus:

Vorsätzliches Handeln setze voraus, dass der Täter den Eintritt des Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkenne und ihn zudem billige oder sich zumindest damit abfinde. Bei gefährlichen (Gewalt-)Handlungen liege es besonders nahe, dass der Täter von der Möglichkeit eines Todeseintritts ausgehe. Das Vertrauen auf einen glimpflichen Ausgang lebensgefährlichen Tuns darf nicht auf bloßen Hoffnungen beruhen, sondern müsse auf Tatsachen gestützt werden. Da die Schuldformen des bedingten Vorsatzes und der bewussten Fahrlässigkeit eng beieinander liegen, müssen alle für und gegen den Angeklagten sprechenden objektiven und subjektiven Tatumstände des Einzelfalles im Rahmen einer individuellen Gesamtschau berücksichtigt werden.

Die rechtliche Nachprüfung der Ablehnung eines bedingten Tötungsvorsatzes halte im konkreten Fall nicht stand. Das LG habe sich zwar davon überzeugt, dass dem Angeklagten die objektive Gefährlichkeit des Verhaltens bewusst war, jedoch hatte es einen Tötungsvorsatz verneint, weil der Angeklagte auf das Ausbleiben des Todes ernsthaft vertraut habe. Die Erwägungen, dass der Angeklagte darauf vertraute, dass die Lebensgefährtin ihren Sohn über den Brand informieren würde, können nicht belegt werden.

Zudem habe die Kammer bei der Ablehnung des Willenselements maßgeblich auf ein fehlendes Motiv für eine Tötung abgestellt, obwohl dies nur unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls möglich sei. Ein besonderer Umstand i.S.e. Interessenwidrigkeit der tödlichen Folge für den Angeklagten sei jedoch vom LG nicht festgestellt worden. Dass der Angeklagte die Wohnungssituation auflösen wollte, bedurfte nicht zwangsweise die Tötung des Sohnes. Dies belege eine Interessenwidrigkeit gerade nicht, sondern lediglich das Fehlen einer Tötungsabsicht. Jedoch genüge für einen Eventualvorsatz bereits die Gleichgültigkeit gegenüber dem hingenommenen Tod des Opfers.

Auch aus dem Umstand, dass der Angeklagte keinen Brandbeschleuniger im Dachgeschoss ausgebracht hat, könne nicht geschlossen werden, dass ein Tötungsvorsatz fehle. Insbesondere die Überlegung des LG, der Angeklagte habe nicht ausschließbar ernsthaft darauf vertraut, dass der Sohn sich selbst rette, erweise sich als lückenhaft: Es bliebe offen, welche konkreten Umstände für diese Feststellung sprechen. Soweit die Strafkammer darauf abstellte, dass der Angeklagte das Feuer zur Mittagszeit legte, zu der der Geschädigte wach war, so werden hierbei alleine Mutmaßungen benannt.

 

 

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