KriPoZ-RR, Beitrag 26/2023

Die Entscheidung im Original finden Sie hier. Die Pressemitteilung vom 16.2.2023 finden Sie hier. Die Pressemitteilung vom 26.1.2023 ist hier verfügbar.

BGH, Urt. v. 16.2.2023 – 4 StR 211/22: Zur subjektiven Tatseite bei verbotenen Kraftfahrzeugrennen 

Sachverhalt und Verfahrensgang:

Der Angeklagte und der frühere Mitangeklagte verabredeten sich, um ein Kraftfahrzeugrennen im Stadtgebiet durchzuführen. Auf der Gegenfahrspur beschleunigte der Angeklagte und erreichte eine Maximalgeschwindigkeit von 167 km/h. Als die Geschädigte mit ihrem Pkw unter Missachtung der Vorfahrt in die Straße einbog, führte der Angeklagte eine Vollbremsung durch und versuchte auszuweichen. Die Fahrzeuge kollidierten, woraufhin die Geschädigte im Krankenhaus verstarb. Vom LG Kleve wurde der Angeklagte wegen Mordes in Tateinheit mit verbotenem Kraftfahrzeugrennen mit Todesfolge verurteilt. Der BGH hob auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil auf und verwies die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurück. Das LG Kleve hat daraufhin den Angeklagten wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens mit Todesfolge verurteilt. Die Verurteilung wegen eines vollendeten Tötungsdeliktes verneinte das LG. Ein bedingter Tötungsvorsatz habe nicht vorgelegen. Hiergegen legten die Staatsanwaltschaft und Nebenkläger Rechtsmittel ein. 

Entscheidung des BGH:

Die Revisionen, die allein das Ziel einer Verurteilung des Angeklagten wegen eines vollendeten Tötungsdeliktes hatten, haben Erfolg. Rechtsfehlerhaft habe das LG Kleve das Vorliegen eines bedingten Tötungsvorsatzes verneint. Die Ausführungen des LG zur Verneinung eines bedingten Tötungsvorsatzes ständen „in einem unaufgelösten Spannungsverhältnis“ zu den Erörterungen, die das LG zur Bejahung eines bedingten Gefährdungsvorsatzes i.S.d. § 315d Abs. 2 StGB anführt. Zwar habe es zutreffend das Wissenselement des bedingten Tötungsvorsatzes bejaht. Das voluntative Element sei jedoch mit der Begründung verneint worden, weil der Angeklagte darauf vertraut habe, dass es „letztlich nicht zu einem Zusammenstoß“ kommen werde. Der bedingte Gefährdungsvorsatz i.S.d. § 315d Abs. 2 StGB sei hingegen mit der Begründung bejaht worden, dass der Angeklagte „insbesondere mit der Möglichkeit gerechnet [hat], dass andere Verkehrsteilnehmer plötzlich aus den angrenzenden Straßen auftauchen.“ Diese Ausführungen stehen im Widerspruch, so der Senat und führen zur Aufhebung des Urteils. 

Die Sache wird ur neuer Verhandlung und Entscheidung, diesmal an das LG Duisburg verwiesen.

KriPoZ-RR, Beitrag 25/2023

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Urt. v. 16.3.2023 – 4 StR 252/22: Notwehrlage bei fortgesetztem Angriff 

Sachverhalt:

Der zur Tatzeit 15-jährige Angeklagte war nach den tatgerichtlichen Feststellungen in einen Streit mit seinem Stiefvater, den später Geschädigten, verwickelt. Im Vorfeld kam es zu körperlichen Übergriffen und Drohungen seitens des Geschädigten gegenüber den Angeklagten und dessen Mutter. Am Tatabend befürchtete der Angeklagte, dass es zu einer weiteren körperlichen Auseinandersetzung komme. Er ergriff deshalb ein Küchenmesser und forderte den Geschädigten auf, wegzugehen. Nachdem dieser der Aufforderung nicht nachkam, sondern dem Angeklagten ins Gesicht schlug, stach dieser mit dem Messer zunächst in den Oberbauch, anschließend in den Brustkorb. Dabei handelte er jeweils mit bedingtem Tötungsvorsatz und in Verteidigungsabsicht. Der Geschädigte verstarb. Das LG Kaiserslautern hat den Angeklagten freigesprochen. Die Messerstiche seien durch Notwehr (§ 32 StGB) gerechtfertigt gewesen. Die Staatsanwaltschaft und die Nebenkläger haben Rechtsmittel gegen die Entscheidung eingelegt. 

Entscheidung des BGH: 

Die Revisionen haben keinen Erfolg. Unter Zugrundelegung des eingeschränkten Prüfungsmaßstabs, führt der Senat aus, dass die Einstufungen der Messerstiche als durch Notwehr gerechtfertigt keine Rechtsfehler aufweisen. Rechtsfehlerfrei sei das LG Kaiserslautern vom Vorliegen einer Notwehrlage i.S.v. § 32 Abs. 2 StGB ausgegangen. Der hierfür erforderliche gegenwärtige, rechtswidrige Angriff des Geschädigten habe sich fortgesetzt, indem dieser in unmittelbarer Schlagdistanz zum Angeklagten geblieben sei. Mangels Feststellungen, sei dieses Verhalten nicht als Schmerzreaktion zu deuten – wie von der Staatsanwaltschaft eingewandt. Eine tatsächliche Verletzungshandlung sei für das Vorliegen eines gegenwärtigen Angriffes nicht erforderlich, sondern bestehe auch bei einem unmittelbar bevorstehenden Angriff. Ist es bereits zu einem Angriff gekommen, sei die andauernde Bedrohungslage entscheidend. Maßgeblich hierbei seien objektive Gesichtspunkte, die subjektive Befürchtung, dass ein Angriff bevorstehe, genüge nicht. Verbale Streitigkeiten seien hierfür nicht ausreichend. Hier habe das LG Kaiserslautern aber zutreffend die Ohrfeige des Geschädigten gegen den Angeklagten als Angriff gewertet. In dubio pro reo sei das LG rechtsfehlerfrei von einer objektiven Notwehrlage ausgegangen. Der BGH schließt sich den Ausführungen des LG Kaiserslautern an, wonach die Messerstiche als Notwehrhandlung auch erforderlich und geboten seien und der Angeklagte mit Verteidigungswillen handelte. Der Angeklagte habe gehandelt, um den bevorstehenden Angriff auf sich abzuwehren. Die Messerstiche seien zu dieser Verteidigung erforderlich gewesen. Auch liege keine sozialethische Einschränkung des Notwehrrechts wegen eines familiären Näheverhältnisses vor. 

KriPoZ-RR, Beitrag 24/2023

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 8.3.2023 – 1 StR 130/22: Keine Gesamtstrafenbildung trotz Gesamtstrafenlage zwischen deutschen und EU-ausländischen Verurteilungen 

Sachverhalt und Verfahrensgang:

Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hat der Angeklagte im Jahr 2003 die Geschädigte unter Vorhalt eines Messers in seine Gewalt gebracht und mehrere Stunden lang gegen ihren Willen Geschlechtsverkehr ausgeübt. Der Angeklagte beging nach dieser Tat weitere Taten in Frankreich und vollstreckte dort 17 Jahren und neun Monate Freiheitsstrafe, bevor er im Jahr 2021 an deutsche Behörden überstellt wurde. Hier wurde der Angeklagte am 21.2.2022 vom LG Freiburg im Breisgau wegen besonders schwerer Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Eine Gesamtstrafe mit den Strafen aus den französischen Verurteilungen wurde nicht gebildet. Der Angeklagte legte gegen die Entscheidung Rechtsmittel ein.

Entscheidung des BGH:

Der 1. Strafsenat des BGH hat die Revision des Angeklagten als unbegründet verworfen. Die fehlende Gesamtstrafenbildung sei rechtsfehlerfrei im Rahmen von Art. 3 des Rahmenbeschlusses 2008/675/JI erfolgt. Grundsätzlich wäre gemäß § 54 Abs. 2 S. 2 StGB das zulässige Höchstmaß 15 Jahre, welches durch die Verurteilungen in Frankreich bereits überschritten worden wäre. Der EuGH führte – im Wege eines Vorabentscheidungsverfahrens – mit Beschluss vom 12.1.2023 hierzu jedoch aus: 

„[…] ein Mitgliedstaat nicht sicherstellen muss, dass in einem Strafverfahren gegen eine Person deren frühere Verurteilungen in einem anderen Mitgliedstaat wegen einer anderen Tat mit gleichwertigen Wirkungen versehen werden wie denen, die im Inland ergangene frühere Verurteilungen nach den Vorschriften des betreffenden nationalen Rechts über die Gesamtstrafenbildung haben, wenn zum einen die Straftat, die Gegenstand des neuen Verfahrens ist, begangen wurde, bevor die früheren Verurteilungen erfolgten, und zum anderen eine im Einklang mit den Vorschriften des nationalen Rechts erfolgende Berücksichtigung der früheren Verurteilungen das mit dem genannten Verfahren befasste nationale Gericht daran hindern würde, gegen die betreffende Person eine vollstreckbare Strafe zu verhängen.“

Auch werde nicht verlangt, dass der hieraus sich ergebende Nachteil der fehlenden Gesamtstrafenbildung konkret darzulegen oder zu begründen sei. Das LG Freiburg hat, entsprechend den deutschen Regelungen, den Nachteil i.H.v. einem Jahr benannt und hierbei die Vorverurteilungen, den Zusammenhang der Tatzeitpunkte und die unterschiedlichen Rechtsgüter gewürdigt. Die Strafzumessung ist damit rechtsfehlerfrei erfolgt, so der BGH. 

KriPoZ-RR, Beitrag 23/2023

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BGH, Beschl. v. 26.10.2022 – 4 StR 248/22: Mitinsassen als Tatobjekte verbotener Kraftfahrzeugrennen

Sachverhalt:

Das LG Berlin hat den Angeklagten wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens in Tateinheit mit vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs gemäß §§ 315c Abs. 1 Nr. 2 lit. b und d, 315d Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 und 5 StGB  zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt und Einziehungs- sowie Entscheidungen zur Sperrfrist für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis getroffen. Mit einer Höchstgeschwindigkeit von 286 km/h hat der Angeklagte mit drei weiteren im Pkw befindlichen Personen eine Straße befahren, deren Höchstzulassungsgeschwindigkeit zwischen 30 bis 50 km/h lag. Die hiermit einhergehenden Gefahren nahm der Angeklagte dabei billigend in Kauf. Im weiteren Verlauf kollidierte das Fahrzeug mit einem Baum, wobei die Mitfahrer tödlich verletzt wurden. Der Angeklagte hat gegen die Entscheidung Revision eingelegt. 

Entscheidung des BGH:

Das Rechtsmittel hat teilweise Erfolg.  Eine vorsätzliche Gefährdung des Straßenverkehrs konnte der Strafsenat nicht feststellen. Zu einem hierfür erforderlichen  „Beinahe-Unfall“ sei es im ersten Streckenabschnitt nicht gekommen. Keine Rechtsfehler weise hingegen die Entscheidung des LG Berlin bezüglich der Verurteilung wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens mit Todesfolge auf. Der Strafsenat führt aus, dass Insassen des Fahrzeugs sowohl Tatobjekte i.S.d. § 315c Abs. 1 StGB sein können als auch gemäß § 315d Abs. 2 und 5 StGB. Der persönliche Schutzbereich umfasse „andere Menschen“ insoweit diese keine Tatbeteiligten nach § 28 Abs. 2 StGB darstellen. Hierdurch sollen Strafbarkeitslücken vermieden werden, die aufgrund der unzureichenden Sanktionierung der Beteiligung an einem verbotenen Kraftfahrzeugrennen entstanden waren, erörtert der Senat unter Verweis auf Rechtsprechung und Literatur. 

KriPoZ-RR, Beitrag 22/2023

Die Entscheidung im Original finden Sie hier. Die Pressemitteilung finden Sie hier.

BGH, Urt. v. 22.3.2023 – 6 StR 324/22: Zum heimtückischen Vorgehen i.S.v. § 211 Abs. 2 StGB

Sachverhalt: 

Der Angeklagte wurde vom LG Neuruppin wegen Totschlags gemäß § 212 Abs. 1 StGB verurteilt. Nach den tatgerichtlichen Feststellungen waren die Geschädigte und der Angeklagte ein Paar. Der Angeklagte habe beim Versuch, sich zu trennen, die Geschädigte beleidigt und gegen eine Tür gestoßen. Am Tattag trafen sich die beiden in einem ehemaligen Bunker. Nach vorausgegangen Auseinandersetzungen, entschloss sich der Angeklagte die Geschädigte mit einem mitgeführten Stechbeitels zu töten, um „endgültig von ihr loszukommen“. Der Angeklagte traf die Geschädigte mit sieben Stichen, teilweise in Rücken und Nacken, woraufhin diese verstarb. Eine Verurteilung wegen Mordes hat das Gericht mangels Vorliegen von Mordmerkmalen, insbesondere der Heimtücke, verneint. Der Tatplan sei erst kurz vor der Tat gefasst worden. Hiergegen haben die Staatsanwaltschaft und Nebenklage Rechtsmittel eingelegt. 

Entscheidung des BGH:

Die Revisionen haben Erfolg. Der Strafsenat hat das Urteil aufgehoben. Das LG habe rechtsfehlerhaft das Vorliegen des Mordmerkmals der Heimtücke und eine Strafbarkeit wegen Mordes (§ 211 StGB) verneint. Problematisch sei hier der Zeitpunkt der für die Heimtücke vorausgesetzten Arglosigkeit. Beim planmäßigen Locken in einen Hinterhalt komme es, nach ständiger Rechtsprechung, bei der Arglosigkeit nicht auf den Beginn der Tötungshandlung an. Somit könne die Heimtücke auch in bei der Tatausführung noch fortwirkenden Vorkehrungen liegen, sofern Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers ununterbrochen fortbestehen würden. Das in Frage stehende Locken in den Bunker sei vom LG nicht ausreichend geprüft worden. Es sei nicht ausgeschlossen, dass der Angeklagte aufgrund seines vorherigen Verhaltens und Wunsches der endgültigen Trennung, den Tötungsvorsatz bereits früher fasste. 

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Insbesondere über die Frage der Arglosigkeit und weiterer Mordmerkmale hat das neue Tatgericht zu entscheiden. 

KriPoZ-RR, Beitrag 21/2023

Die Entscheidung im Original finden Sie hier. Die Pressemitteilung ist hier verfügbar. 

BVerfG, Beschl. v. 24.2.2023 – 2 BvR 117/20, 2 BvR 962/21: Ablehnung der Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung wegen Unverhältnismäßigkeit verfassungswidrig

Leitsatz der Redaktion:

Bei einer sehr langen Dauer der Freiheitsentziehung erfordert die Ablehnung der Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung eine besondere Begründungstiefe.

Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer wurde im Jahr 1970 wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Darüber hinaus wurde die besondere Schwere der Schuld festgestellt. Der Beschwerdeführer befindet sich seit fast 50 Jahren in Strafhaft, zuletzt im offenen Vollzug. Mehrmals beantragte der Beschwerdeführer erfolglos eine Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung. Die Entscheidungen wurden mit einer ungünstigen Gefahrenprognose aufgrund fehlender Aufarbeitung der Anlasstaten und einem fehlenden sozialen Empfangsraum begründet. Das Vorliegen der besonderen Schwere der Schuld wurde dennoch verneint. Der Beschwerdeführer erhob Verfassungsbeschwerde. Die fachgerichtlichen Entscheidungen würden sein Freiheitsgrundrecht verletzen. 

Entscheidung des BVerfG:

Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und offensichtlich begründet, entschied die 2. Kammer des Zweiten Senats. Die Begründungen der Fachgerichte genügen nicht dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, wodurch eine Verletzung in Art. 2 Abs. 2 S. 2 i.V.m. Art. 104 Abs. 2 S. 1 GG vorliege. Bei der Gesamtwürdigung sei die Verantwortbarkeit eines eventuellen Rückfalls mit dem Freiheitsanspruch des Verurteilten unter Berücksichtigung der gefährdeten Rechtsgüter in ein Verhältnis zu setzen. Hierbei steigen die Anforderungen der Begründung mit der zunehmenden Dauer der Freiheitsentziehung, insbesondere, wenn die besondere Schwere der Schuld nicht mehr besteht, so die Kammer. Vorliegend würden die Beschlüsse eine solche Begründungstiefe nicht aufweisen. Folgende Aspekte seien durch die Fachgerichte nicht ausreichend berücksichtigt worden:

1. Lebensalter des Beschwerdeführers

Eine Grundrechtsverletzung setze voraus, dass im Abwägungsprozess verkannt wurde, dass hierdurch Grundrechte betroffen werden. Die Fachgerichte haben bei der Entscheidung über die Strafaussetzung das Lebensalter und die Länge der Vollzugsdauer nicht berücksichtigt. Dadurch sei jedoch ein geringes Maß an künftiger Straftatenbegehung zu erwarten. Auch aus einem unbearbeiteten Persönlichkeitsdefizit könne nicht ohne Weiteres auf eine Rückfälligkeit geschlossen werden. 

2. Verhalten im offenen Vollzug 

Ebenso sei das Verhalten im offenen Strafvollzug unzureichend berücksichtigt worden. Den habe der Beschwerdeführer beanstandungsfrei absolviert. Auch nicht berücksichtigt wurden die ordnungsgemäß durchgeführten Langzeitausgänge. Dagegen wurde der Besitz von Gegenständen, die im Zusammenhang mit der Sexualität des Beschwerdeführers stehen, in der Entscheidung berücksichtigt. Dieser spreche jedoch nicht zugleich für die Gefahr künftiger Straftatenbegehung. 

3. Auflagen und Weisungen 

Der Beschwerdeführer lehnte eine Überführung in eine betreute Wohnform ab. Hieraus sei nicht auf einen fehlenden geeigneten sozialen Empfangsraum zu schließen. Vielmehr hätte die Möglichkeit der Erteilung von Weisungen in Form von Betreuung und Kontrolle in Betracht gezogen werden müssen. Insbesondere sei dies vor dem Hintergrund geboten, dass durch den Sachverständigen keine Impulsivität festgestellt werden konnte. 

KriPoZ-RR, Beitrag 20/2023

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 7.2.2023 – 6 StR 9/23: Kein innerer Tatzusammenhang bei außerhalb der Tatausführung liegendem Verhalten

Sachverhalt:

Das LG Rostock hat den Angeklagten wegen Verstößen gegen das BtMG, Fahrens ohne Fahrerlaubnis und tateinheitlicher Urkundenfälschung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Daneben wurden Unterbringungs- und Einziehungsentscheidungen getroffen. Straferschwerend hat das LG berücksichtigt, dass „es sich bei dem Angeklagten um einen Nazi-Verblendeten handelt.“ Dies ergebe sich aus Gegenständen mit antisemitischen Inhalten, die bei der Wohnungsdurchsuchung sichergestellt worden waren. Der Angeklagte hat Rechtsmittel gegen die Entscheidung eingelegt.

Entscheidung des BGH:

Die Revision hat im Hinblick auf den Strafausspruch Erfolg. Die straferschwerende Bewertung bei der Strafzumessung sei rechtsfehlerhaft erfolgt. Grundlage gemäß § 46 Abs. 1 StGB sei die persönliche Schuld und die Bedeutung der Tat für die Rechtsordnung. Das Gesetz normiere in § 46 Abs. 2 StGB darüber hinaus, dass auch die Gesinnung des Täters Berücksichtigung finden könne. Erforderlich sei hierfür jedoch ein innerer Zusammenhang mit der Tat. „Ein außerhalb der Tatausführung liegendes Verhalten und die Lebensführung des Angeklagten müssen […] mit der Straftat zusammenhängen, auf diese Weise Schlüsse auf ihren Unrechtsgehalt zulassen oder Einblick in die innere Einstellung des Täters zu seiner Tat gewähren.“, führt der Strafsenat aus. Dies gelte ebenso vor dem Hintergrund der durch gesetzliche Normierung stärker hervorgehobenen rassistischen, fremdenfeindlichen, antisemitischen oder sonstigen menschenverachtenden Beweggründe und Ziele des Täters. Denn der Schuldgrundsatz gebiete auch hier einen zwingenden inneren Zusammenhang zur Tat. 

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer zurückverwiesen. 

Anmerkung der Redaktion:

Mit den Gesetzen zur Umsetzung von Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages vom 12.6.2015 (BGBl. I S. 925) und zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität vom 30.3.2021 (BGBl. I S. 441) wurde § 46 Abs. 2 S. 2 StGB um das Wort „antisemitische“ erweitert. Die Änderung ist am 3.4.2021 in Kraft getreten. 

KriPoZ-RR, Beitrag 18/2023

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 22.2.2023 – 6 StR 35/23: Strafzumessung bei verminderter Schuldfähigkeit

Sachverhalt:

Der Angeklagte wurde vom LG Nürnberg-Fürth wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Nach den tatgerichtlichen Feststellungen hat der Angeklagte mehrmals kräftig mit seinem beschuhten Fuß gegen Kopf und Oberkörper des Geschädigten getreten. Der Angeklagte stand dabei unter erheblicher Alkoholisierung (3,5 Promille), weshalb die Strafkammer das Vorliegen des § 21 StGB bejahte. Zu Lasten des Angeklagten hat sie die „Brutalität des Vorgehens“ bezogen auf „Anzahl, Intensität und Zielrichtung der Tritte“ gewertet. Der Angeklagte legte Rechtsmittel gegen die Entscheidung ein. 

Entscheidung des BGH:

Die Revision hat hinsichtlich des Schuldspruches keinen Erfolg. Der Strafausspruch hingegen weise Rechtsfehler auf. Die Art der Tatausführung dürfe nur strafschärfend berücksichtigt werden, wenn diese dem Angeklagten voll vorwerfbar sei. Im Falle einer geistig-seelischen Beeinträchtigung liege dies nicht vor. Ist eine verminderte Schuldfähigkeit i.S.v. § 21 StGB gegeben, dürfe die Art der Tatausführung nur nach dem „Maß der geminderten Schuld“ strafschärfend berücksichtigt werden, sofern das Gericht diesen Umstand erkannt habe. Der Strafsenat hält damit an der ständigen Rechtsprechung fest. 

Vorliegend sei nicht ersichtlich, dass die Strafkammer dies bei der Strafzumessung berücksichtigt habe. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Art der Tatausführung sich überwiegend nachteilhaft für den Angeklagten ausgewirkt habe. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

KriPoZ-RR, Beitrag 17/2023

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 21.2.2023 – 6 StR 16/23: Zum Konkurrenzverhältnis der Tatvarianten des § 235 Abs. 1 StGB 

Amtlicher Leitsatz:

Die Tatvarianten des § 235 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB stehen bei Identität des betroffenen Kindes in Tateinheit zueinander.

Sachverhalt:

Das LG Saarbrücken hat die Angeklagte wegen Entziehung Minderjähriger gemäß § 235 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Nach den tatgerichtlichen Feststellungen gab sich die Angeklagte als Klinikpersonal aus und gegenüber der Zeugin wahrheitswidrig an, sie müsse ihren Sohn zwecks Durchführung eines Abstriches mitnehmen. Nachdem die Zeugin einwilligte, brachte die Angeklagte das Kind in ihre Wohnung, wo es  aufgefunden wurde. Die Angeklagte hatte beabsichtigt, das Kind dauerhaft als ihr eigenes Kind auszugeben. Gegen das Urteil des LG Saarbrücken erhob die Angeklagte Revision.

Entscheidung des BGH:

Der Strafsenat verwarf die Revision als unbegründet. Die Strafkammer sei zutreffend davon ausgegangen, dass die beiden Tatbestandsvarianten in Tateinheit zueinander ständen. Der BGH hat damit die bislang nicht entschiedende Frage um das strittige Verhältnis von § 235 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB beantwortet. Entgegen von Teilen in der Literatur vertretende Auffassungen verdränge Nr. 2 nicht die Tatbestandsvariante der Nr. 1. Etwas anders solle nur gelten, wenn ein „im Kern identisches Unrecht doppelt erfasst“ werde, ein Tatbestand gerade typische Erscheinungsform des anderen Tatbestands sei. Hiervon könne in der vorliegenden Fallkonstellation nicht ausgegangen werde, wenn die Entziehung unter Einsatz der Mittel erfolge, die § 235 Abs. 1 Nr. 1 StGB auflistet. Damit werde ein weiteres, spezifisches Tatunrecht begangen. 

Der BGH verweist darauf, dass durch  die Novellierung des § 235 StGB bewusste Differenzierungen vorgenommen werden sollten. Ziel war es, Strafbarkeitslücken zu schließen und gerade die heimliche Wegnahme von Kleinkindern unter Verzicht der Tatmittel List, Drohung und Gewalt unter Strafe zu stellen. 

Anmerkung der Redaktion:

Durch das 6. Strafrechtsreformgesetz vom 26. Januar 1998 (BGBl. I 164) wurde die Vorschrift des § 235 StGB novelliert. Den Gesetzentwurf der Bundesregierung finden Sie hier

KriPoZ-RR, Beitrag 16/2023

Die Entscheidung im Original finden Sie hier.

BGH, Beschl. v. 20.12.2022 – 2 StR 267/22: Zur „mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung“ i.S.v. § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB

Leitsatz der Redaktion: 

Heftige Schläge gegen den Kopf des Geschädigten können eine das Leben gefährdende Behandlung darstellen. Maßgeblich ist die Art der Ausführung und die Verletzungsfolgen im Einzelfall.

Sachverhalt:

Das LG Gera hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Nach den tatgerichtlichen Feststellungen traf sich der Angeklagte mit dem alkoholkranken und an Leberzirrhose leidendem Nebenkläger und schlug diesem „entweder mit der Faust, mit der flachen Hand oder auch der Handkante mehrmals kraftvoll gegen den Schädel und das Gesicht.“ Nach weiteren Schlägen, die vor allem auf die verletzten Stellen abzielten, in ihrer Art und Anzahl aber nicht feststellbar waren, blutete der Nebenkläger und trug weitere Verletzungen davon. Der Angeklagte legte Rechtsmittel gegen die Entscheidung ein.

Entscheidung des BGH:

Die Revision des Angeklagten hatte Erfolg. Der Angeklagte habe weder den objektiven noch den subjektiven Tatbestand einer gefährlichen Körperverletzung erfüllt. Eine mittels einer das leben gefährdenden Behandlung i.S.v. § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB setze eine generelle Eignung der Lebensgefährdung voraus, die im Einzelfall festzustellen sei. Auf eine tatsächliche Lebensgefahr, also die eingetretenen Verletzungen komme es nicht an. Der Senat verweist auf die gefestigte Rechtsprechung, wonach „heftige Schläge gegen den Kopf des Opfers“ das Qualifikationsmerkmal erfüllen können. Die Art der Ausführung müsse dabei stets im Einzelfall beurteilt werden. 

Vorliegend habe das LG Gera derartige konkrete Feststellungen nicht getroffen. Weder sei aus der Art und Weise der Ausführung noch aus den festgestellten Verletzungen das Vorliegen einer gefährlichen Körperverletzung ausreichend belegt. Welchen Bezug die konkreten Risikofaktoren des vorerkrankten Nebenklägers zu den Schlägen des Angeklagten darstellen, sei nicht ausreichend erörtert worden. Auch das für den subjektiven Tatbestand erforderliche Wissens- und Willenselement sei nicht hinreichend festgestellt worden. Zwar habe der Angeklagte eine einfache Körperverletzung gebilligt. Nähere Vorstellungen zum Vorstellungsbild des Angeklagten im Hinblick auf eine potentielle Lebensgefährdung des Nebenklägers habe das LG Gera aber nicht dargelegt. 

Der BGH hob die Entscheidung auf und wies die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurück. 

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