Der Allgemeine Teil des Strafgesetzbuchs regelt die grundlegenden Fragen strafrechtlicher Verantwortung. Trotz der besonderen Bedeutung des Allgemeinen Teils sind die gesetzlichen Regelungen rudimentär, und es bleibt weitestgehend der Rechtsprechung überlassen, die Voraussetzungen etwa für die objektive Zurechnung, den Vorsatz oder das Vorliegen von Garantenstellungen oder Sorgfaltspflichtverletzungen zu entwickeln. Auch mit Blick auf das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot sollte das Strafgesetzbuch jedoch den Anspruch haben, die wesentlichen Aspekte des Allgemeinen Teils ausdrücklich zu normieren.
Allgemein
Notwehr und Notwehrexzess – Vorschlag einer neuen Formulierung der §§ 32, 33 StGB
von Prof. Dr. Elisa Hoven und Prof. Dr. Wolfgang Mitsch
Abstract
Der in diesem Beitrag vorgestellte Entwurf eines neu formulierten Notwehrrechts war Gegenstand und Grundlage einer lebhaften Diskussion, die im Rahmen einer Online-Tagung stattgefunden hat. Neben den Mitgliedern des Kriminalpolitischen Kreises, die zum Teil an der Erstellung des Gesetzesentwurfes mitgearbeitet hatten, waren weitere Experten und Interessierte beteiligt. Daraus resultierten wertvolle kritische Anmerkungen, die von der Arbeitsgruppe dankbar aufgenommen und umgesetzt wurden.
Kommentar: Zur Nothilfe im Entwurf einer Neuregelung des § 32 StGB
Abstract
Der Beitrag untersucht die Vorschläge des Kriminalpolitischen Kreises zur Nothilfe im Entwurf einer Neureglung des § 32 StGB. Besondere Kritik erfährt dabei der Ansatz, die aufgedrängte Nothilfe weitgehend zu rechtfertigen.
Kommentar zum Regelungsentwurf des § 33 E-StGB – Notwehrexzess und Putativnotwehrexzess
von Prof. Dr. Anna H. Albrecht
Abstract
Der Text analysiert den Gesetzesentwurf des Kriminalpolitischen Kreises zur Regelung des Notwehrexzesses und des Putativnotwehrexzesses, veröffentlicht unter Hoven/Mitsch in GA 2023, S. 241 ff., ausgehend vom aktuellen Diskussionsstand in Rechtsprechung und Literatur. Im Schwerpunkt widmet er sich dem Anwendungsbereich des Regelungsvorschlags, insbesondere der Reichweite des intensiven Notwehrexzesses, der Erfassung des extensiven Notwehrexzesses sowie den Voraussetzungen eines entschuldigenden Putativnotwehrexzesses. Er beruht auf einem Kommentar, den die Verfasserin im Juni 2023 auf dem Online-Workshop „Ein neues Konzept der Notwehr“ des kriminalpolitischen Kreises gehalten hat. Der Vortragsstil wurde beibehalten.
Versammlungsfreiheit und Notwehr – Dogmatische Betrachtungen an der Schnittstelle von Verfassungsrecht und Strafrecht am Beispiel von Straßenblockaden durch Klimaaktivisten
Abstract
Straßenblockaden von Klimaaktivisten stellen in aller Regel Versammlungen gemäß Art. 8 GG dar. Gehen dadurch beeinträchtige Verkehrsteilnehmer gegen die Versammlungsteilnehmer vor, wird eine Einordnung als Notwehr nach § 32 StGB diskutiert. Der Beitrag untersucht das Verhältnis zwischen den Voraussetzungen der Notwehr und den versammlungsrechtlichen Befugnissen der Versammlungsbehörde. Ob es sich beim Versammlungsgeschehen um eine Nötigung handelt, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Insgesamt zeigt sich bei diesen Betrachtungen, dass das Instrument der Notwehr strukturelle Defizite aufweist, die es als nicht geeignet für die verfassungsrechtlichen Anforderungen an einen Grundrechtsausgleich erscheinen lassen.
Der Wutbürger aus der zweiten Reihe – Überlegungen zur Einschränkung des Notwehrrechts durch die Versammlungsfreiheit
von Prof. Dr. Christian Rückert
Abstract
Blockieren Klimaaktivist:innen Verkehrswege und wenden betroffene Autofahrer:innen Gewalt an, um die Aktivist:innen von der Straße zu entfernen, stellt sich die Frage, ob das gewaltsame Wegreißen und Wegtragen durch Notwehr gem. § 32 StGB gerechtfertigt ist. Besonders problematisch ist die Frage, ob trotz Vorliegens einer von Art. 8 GG geschützten Protestform ein rechtswidriger Angriff auf die Allgemeine Handlungsfreiheit der Autofahrer:innen vorliegt und ob das „scharfe Schwert“ des Notwehrrechts aufgrund einer mittelbaren Drittwirkung der Versammlungsfreiheit auf Ebene der Gebotenheit eingeschränkt werden muss. Diesen und weiteren Fragestellungen im Zusammenhang mit Notwehr gegen Klimaproteste widmet sich der folgende Tagungsbeitrag.
Die Rechtswidrigkeit des Angriffs als Voraussetzung des Notwehrrechts
Abstract
Die „Rechtswidrigkeit“ des Angriffs im Sinne von § 32 StGB wirft grundlegende Fragen auf, die bis heute nicht abschließend geklärt sind. In der Entwicklung der Diskussion spiegelt sich dabei in gewisser Weise der allgemeine Perspektivenwechsel der Strafrechtsdogmatik vom Erfolgsunrecht zum Handlungsunrecht wider. Eine genaue Betrachtung zeigt jedoch, dass auch die heute verbreitete Betrachtung der Rechtswidrigkeit des Angriffs aus der Handlungsperspektive zu Verzerrungen führen kann.
Das deutsche Notwehrrecht – Ein knapper Blick von außen
Abstract
Der Beitrag soll einen Überblick über die Notwehr im schweizerischen Strafrechtecht geben. Sie wird in ihren Grundlagen und Streitfragen anhand der gesetzlichen Vorgaben mit Blick auf Lehre und Rechtsprechung untersucht. So eröffnet sich die Möglichkeit, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zum deutschen Pendant zu erkennen.
Der neueste Stand des Reformvorschlags zur Notwehr
Die Reformarbeit ist nie zu Ende… Im Anschluss an den Workshop, der in diesem Heft dokumentiert ist, traf sich die Arbeitsgruppe „Allgemeiner Teil“ des Kriminalpolitischen Kreises erneut, um über den Entwurf zu einer Formulierung des Notwehrrechts im Lichte der verschiedentlich geäußerten Kritik zu beraten.
BVerfG erklärt Wiederaufnahme des Strafverfahrens zuungunsten des Freigesprochenen in § 362 Nr. 5 StPO für verfassungswidrig
BVerfG, Urt. v. 31.10.2023 – 2 BvR 900/22 – Volltext
Amtliche Leitsätze:
- Das grundrechtsgleiche Recht des Art. 103 Abs. 3 GG enthält kein bloßes Mehrfachbestrafungsverbot, sondern ein Mehrfachverfolgungsverbot, das Verurteilte wie Freigesprochene gleichermaßen schützt.